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Titel: Abfindungszahlung an den Vorstandsvorsitzenden der Air Berlin – Fragwürdig nach „Störung der Geschäftsgrundlage“ (§ 313 BGB)
Datum: 30. Oktober 2017 um 9:16 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Audio-Podcast, Ökonomie, Verkehrspolitik
Verantwortlich: Jens Berger
In den NDS vom 26. Oktober hat Jens Berger zu der Abfindungszahlung an den Vorstandsvorsitzenden der Air Berlin, Thomas Winkelmann, Stellung genommen. Dazu eine Ergänzung von Wolfgang Bittner
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Seit Jahren empören sich Arbeitnehmer, einzelne Politiker und Journalisten regelmäßig darüber, dass Boni und Abfindungen an Manager maroder oder insolventer Unternehmen gezahlt werden. Zugleich aber wird – sogar von juristisch vorgebildeten Fachleuten – die Meinung vertreten, vertragliche Vereinbarungen über derartige Leistungen seien entsprechend dem Grundsatz »Pacta sunt servanda« (Verträge sind einzuhalten) ausnahmslos und ohne Einschränkungen gültig, auch wenn sich die betrieblichen Umstände gravierend geändert haben. Die vereinbarten Beträge müssten also in jedem Fall gezahlt werden.
So argumentierten zum Beispiel 2009 die Rechtsberater des schwer angeschlagenen US-Versicherungskonzerns AIG, der seinerzeit Boni in Höhe von 165 Millionen Dollar auszahlte. Auch in Deutschland kam diese Argumentation mehrfach erfolgreich zum Tragen. Es erscheint aber nicht nur aus moralischen Gründen zweifelhaft, ob ein Rechtsanspruch auf Abfindungen oder Boni besteht, selbst wenn ein Unternehmen in die Insolvenz geht oder ohne staatliche Hilfen zahlungsunfähig wäre. Bundeskanzlerin Merkel hat dazu im Verlauf der Finanzkrise – weniger juristisch fundiert als ethisch nachvollziehbar – angemerkt, dass solche Zahlungen ursprünglich für wirtschaftliche Erfolge ausgesetzt worden sind, nicht für Misserfolge.
Nun enthält das Bürgerliche Gesetzbuch im zweiten Buch über das Recht der Schuldverhältnisse einen Paragrafen zum Grundsatz von Treu und Glauben im Wirtschaftswesen, und der scheint weder den diskutierenden Politikern, Managern und betroffenen Bürgern noch den beratenden Juristen bekannt zu sein. In § 242 BGB heißt es: »Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.«
Das bedeutet, dass Verträgen auch ohne eine konkrete Vereinbarung eine sogenannte Clausula rebus sic stantibus innewohnt, was zu Deutsch heißt: Bei einer wesentlichen Änderung der Umstände, die für den Vollzug eines Vertrages entscheidend sind, kann die Geschäftsgrundlage gravierend gestört sein oder sogar entfallen, so dass der Vertrag modifiziert oder aufgelöst werden darf. Diese vom Reichsgericht seit 1920 zum »Wegfall der Geschäftsgrundlage« in die Rechtssprechung übernommenen Grundsätze sind 2002 im Rahmen der Reform des Schuldrechts mit dem § 313 BGB Gesetz geworden. Die Details und genaueren Bedingungen sind in jedem Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nachzulesen.
Ich habe mich zu diesem Thema bereits 2009 anlässlich von Bonuszahlungen und Abfindungen an Banker oder Manager maroder Unternehmen mehrmals geäußert, unter anderem im Handelsblatt und in der Zeitschrift Ossietzky.(1) Allerdings hat sich dadurch in der Praxis nichts geändert, denn bekanntlich hackt eine saturierte Krähe der anderen nicht die Augen aus.
Paragraf 313 BGB, der die „Störung der Geschäftsgrundlage“ behandelt, lautet:
(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
(2) Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen.
(3) Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung.
Die Konsequenz daraus: Abfindungen oder Bonuszahlungen, die unter moralischen Gesichtspunkten nicht gerechtfertigt werden können, weil sich die Umstände schwerwiegend verändert haben, sind zu streichen.(2) Im Fall von Air Berlin wäre also zu prüfen, ob die Insolvenz der Fluggesellschaft ein solcher schwerwiegender Umstand ist und § 313 BGB zur Anwendung kommen könnte, so dass die Abfindung von 4,5 Millionen Euro für die wenige Monate dauernde Tätigkeit des scheidenden Vorstandsvorsitzenden gegebenenfalls entfiele oder in Vergleichsverhandlungen erheblich zu kürzen wäre.
Doch Winkelmann und seine juristischen Berater haben offensichtlich für den Fall einer Insolvenz vorgebeugt. Für Winkelmann, der von der Lufthansa zu Air Berlin wechselte, wurde vereinbart, dass er auch bei ordentlicher Kündigung sein Grundgehalt von jährlich 950.000 Euro weiter bis Anfang 2021 erhält. Zudem wurde ihm ein Mindestbonus in Höhe von 400.000 Euro zugesagt. Zahlungsverpflichtungen bis zur Höhe von 4,5 Millionen Euro wurden durch eine Bankbürgschaft des Großaktionärs Etihad Airways abgesichert.(3) Daher würde die Zahlung an Winkelmann nicht aus der Konkursmasse erfolgen, sondern von Etihad getragen, somit weder Mitarbeiter noch Kunden von Air Berlin belasten.
Der Generalbevollmächtigte im Insolvenzverfahren der Air Berlin, Frank Kebekus, hat erklärt, insofern bestehe kein Anlass zur Kritik an der Millionen-Absicherung für Winkelmann, weil allein Etihad dafür einstehe.(4) Demgegenüber forderte der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, Winkelmann solle wenigstens teilweise auf sein garantiertes Gehalt verzichten. Air-Berlin-Mitarbeiter, die arbeitslos würden, hätten zu Recht kein Verständnis für die Millionenabsicherung des Managers,(5) der letztlich die Insolvenz des Unternehmens zu verantworten hat.
Ein Verzicht Winkelmanns auf die ihm zugesicherten Millionen wäre nach dem traurigen Untergang der zweitgrößten deutschen Fluggesellschaft wahrscheinlich die beste Lösung, um den Abfindungs-Skandal zu beenden. Denn der Schuldner Etihad wird sich wohl kaum auf eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB berufen, sondern Winkelmann die 4,5 Millionen zugestehen. Er ist aber selbst bei einem Verzicht auf die Abfindung noch nicht aus der Verantwortung entlassen, gegen ihn könnte der Tatbestand der Insolvenzverschleppung zum Tragen kommen.
Da sich der Vorstandsvorsitzende bei Abschluss seines Vertrages für den Fall einer Insolvenz abgesichert hat, ist davon auszugehen, dass ihm der prekäre Zustand der Fluggesellschaft bewusst war, als er im Februar 2017 von der Lufthansa zur Air Berlin wechselte. Wenn er dann nach der genaueren Kenntnis und Zuspitzung der Situation nicht unverzüglich, sondern erst am 15. August den gebotenen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt hat, könnte das haftungsrechtliche und auch strafrechtliche Konsequenzen begründen. Denn nach § 15a Absatz 1 der Insolvenzordnung besteht bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes wie Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit eine Antragspflicht, der womöglich nicht rechtzeitig nachgekommen wurde. Diese Hintergründe bleiben vorerst ungeklärt. Jedenfalls hat das größte deutsche Flugunternehmen, die Lufthansa, durch die Übernahme von Flugzeugen zu einem Spottpreis sowie von Start- und Landerechten ein Milliardengeschäft gemacht. Honi soit qui mal y pense.
Dr. jur. Wolfgang Bittner, Göttingen, ist Schriftsteller und Jurist
Anmerkungen
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