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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: We’re all living in Amerika
Datum: 27. Oktober 2017 um 10:19 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Jens Berger
Wer immer gedacht hat, soziale Netzwerke seien globale Netzwerke zum freien Meinungsaustausch, dem bewies Twitter gestern das Gegenteil. Der US-Konzern kündigte unter Verweis auf „eine Einmischung in den Wahlkampf“ die Werbekonten der russischen Medienkonzerne Russia Today und Sputnik. Dies kann man wohl unter der Kategorie „vorauseilender Gehorsam“ verbuchen, müssen die Vertreter der großen Internetkonzerne doch in der nächsten Woche vor einem Senatsausschuss zum Thema aussagen. Wie war das noch mit der Meinungsfreiheit, die westliche Medien wie eine Monstranz vor sich hertragen? Meinungsfreiheit gilt im Westen nur dann, wenn man die richtige Meinung hat. RT und Sputnik gehören offenbar nicht dazu. Doch dieses Thema geht uns alle an, da amerikanische Internetkonzerne in nahezu allen Bereichen des Netzes eine monopolartige Stellung haben. Wenn Twitter repräsentativ für die Branche ist, dann muss man spätestens seit gestern wohl folgern, dass das Netz amerikanisch ist. Eine mächtigere Waffe im Kampf um die Köpfe der Menschheit hat es noch nie gegeben. Kein Cäsar, kein Kublai Khan, kein Napoleon, kein Hitler und kein Stalin hatten je die Macht, global die Kommunikation zu kontrollieren. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Es ist schon bigott. Im April 2016 trat der Konzern Twitter an Russia Today mit einem einmaligen Angebot heran – RT solle speziell im Umfeld des US-Wahlkampfs auf Twitter werben und dafür bekämen die Russen dann auch professionelle Betreuung durch das Twitter-Team. RT ging auf das Angebot ein und schaltete im Wahljahr 2016 insgesamt für 274.100 US$ Werbung bei Twitter. Werbung heißt in diesem Kontext, dass bestimmte Tweets von RT auch Twitter-Nutzern angezeigt werden, die RT nicht abonniert haben. Dabei handelte es sich um normale Artikel von RT. Genau die gleiche Praxis wird von fast allen größeren Medienkonzernen betrieben. Auch CNN, die deutschen Springer-Medien oder die BBC werben in dieser Form auf Twitter. Doch was westlichen Medien erlaubt ist, ist „dem Russen“ offenbar noch lange nicht erlaubt.
Selbstverständlich gibt es zahlreiche Unterscheidungsmerkmale zwischen RT und anderen Medien – Ulrich Teusch hat dies erst gestern in einem sehr lesenswerten „FAQ“ aufgearbeitet. All dies kann jedoch Twitters Vorpreschen weder erklären noch rechtfertigen. Wenn kritische politische Inhalte ausländischer Medien, die Einfluss auf den Wahlkampf haben können, verboten sind, dann müsste Twitter auch die Werbeaccounts von Al Jazeera, BBC World oder der Deutschen Welle löschen, die zudem direkt oder indirekt vom Staat kontrolliert werden. Und wer kontrolliert eigentlich die Inhalte, die über amerikanische Akteure werbefinanziert über Twitter laufen – wer steht hinter Fox News oder Breitbart? Man kann nicht RT aussperren und Fox, Breitbart, Al Jazeera und die BBC weiter Werbung schalten lassen. Das sind doppelte Standards.
Aber denken wir ruhig weiter. Twitter ist kein US-Medium, das nur US-Nutzer hat und für das nur US-Gesetze gelten. Ist eine gesponsorte Fox-News-Meldung für den deutschen Konsumenten etwas anderes als eine gesponsorte RT-Meldung für den US-Konsumenten? Ist Al-Jazeera-Werbung für den saudischen Markt nicht pure Feind-PR? Wenn die USA per Gesetz jegliche ausländische Einmischung in den Wahlkampf verbieten, dann müssen Twitter, Facebook und Co. halt Filter einbauen, die US-Nutzern in dieser Zeit überhaupt keine Werbung mehr anzeigen. Denn wer kann garantieren, dass der Nutzer in Michigan sonst keine politisch relevanten gesponsorten Beiträge aus Kanada, Großbritannien oder Israel zu Gesicht bekommt? Die Idee, dass nur „der Russe“ Anzeigen kauft, ist schließlich an Naivität kaum zu überbieten.
Lesen Sie dazu bitte auch: Einflussnahme aus Russland, Einflussnahme aus den USA … von Äpfeln und Birnen und Splittern und Balken.
Wo fängt der Medienkonzern an, wo hört er auf? Sind gesponsorte Tweets des National Endowment for Democracy oder von USAid etwa keine politische Einflussnahme? Beide Think Tanks bezahlen selbstverständlich auch für gesponsorte Tweets – vor allem in Ländern, die sich anders als die USA nicht dagegen wehren können. Beide Organisationen werden aus dem Staatshaushalt bezahlt. Würde Twitter an sie die gleichen Maßstäbe anlegen wie an RT und Sputnik, müsste man die Geschäftsbeziehungen einstellen. Dann sollten auch Kündigungen an die BBC World Service, an Voice of America, Radio Free Europe und Radio Free Asia herausgehen, die sich technisch gesehen auch im Auftrag und auf Rechnung eines Staates in die Belange anderer Staaten einmischen.
Und denken wir noch einen Schritt weiter. Warum sind US-Gesetze für ein internationales Netzwerk maßgeblich? Würde Russland nun Gesetze erlassen, die US-Medienkonzernen jede Einmischung in den russischen Wahlkampf verbieten, müsste Twitter doch eigentlich auch die Werbeaccounts von Fox, CNN und Co. suspendieren. Denn warum sollen für ein internationales Netzwerk, dessen Nutzer global genau so verstreut sind wie die Rechner und Knoten, über die die Tweets verteilt werden, nur die Rechte eines Landes gelten?
We’re all living in Amerika. Twitter ist amerikanisch. Facebook ist amerikanisch. Google ist amerikanisch. YouTube ist amerikanisch. Alle Giganten des Internet entstammen dem Silicon Valley und sind an der Wall Street gelistet. Wenn das Beispiel Twitter Schule macht, dann ist dies der Tod des Internets, wie wir es kennen. Wenn US-Gesetze die Grundlagen für das globale Netz sind und die Interessen von US-Politik und US-Diensten die Geschäftsgrundlage für die Online-Kommunikation der gesamten Welt sind, dann ist dies eine Asymmetrie der Macht, die historisch einmalig ist. Kein Cäsar, kein Kublai Khan, kein Napoleon, keine Königin Viktoria, kein Hitler und kein Stalin hatten je die Macht, global die Kommunikation zu kontrollieren. Moderne Kommunikation findet zu einem großen Teil über das Netz, über Soziale Netzwerke statt. Wer diese Netzwerke kontrolliert, kontrolliert die Welt.
Frei nach Martin Niemöller:
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