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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Demokratie gibt’s nicht mehr. Der politische Wechsel findet nicht mehr statt.
Datum: 16. Oktober 2017 um 13:40 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Parteien und Verbände, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Albrecht Müller
2009 habe ich für mein Buch „Meinungsmache“ fünf Beobachtungen über Meinungsmache und Manipulation formuliert. Die vierte Beobachtung ist von zentraler Bedeutung zur Erklärung dessen, was wir heute bei Wahlen und in der Politik insgesamt erleben: „Wer über viel Geld und/oder publizistische Macht verfügt, kann die politischen Entscheidungen massiv beeinflussen.“ Jene Personen und Gruppen, die über den skizzierten Einfluss verfügen, haben offensichtlich entschieden, dass es Alternativen zur herrschenden neoliberal geprägten Ideologie und Praxis nicht mehr geben soll. Die Folgen sehen wir in ganz Europa: in Österreich, in den Niederlanden, in Deutschland, in Niedersachsen. Ausnahmen gibt es nur noch bei besonderen Konstellationen wie in Portugal und in Großbritannien. Ansonsten läuft der Einfluss der durch Geld einflussreichen Kräfte sowohl über die Medien bei Wahlen als auch – was besonders bemerkenswert ist – über die Steuerung der politischen Willensbildung in den Parteien selbst. Albrecht Müller.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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In Deutschland wurde beginnend mit der Volkskammerwahl vom 18. März 1990 bis heute alles daran gesetzt, jede Zusammenarbeit des potentiell fortschrittlichen Teils unsere Gesellschaft zu schmähen. Wie noch wenige Jahre zuvor mit den Grünen verfahren worden ist, als man diese als Schmuddelkinder darstellte, so verfährt man seitdem mit der Linkspartei in ihren verschiedenen Varianten: mit denen darf man nicht unter der Laterne gesehen werden.
Außerdem wurde massiv in die innere Willensbildung dieser politischen Gruppe eingegriffen: die angepassten Personen wurden selbst dann, wenn sie deutlicher aus SED-Quellen stammen, als Reformer und als akzeptabel dargestellt. Jene jedoch, die versuchten, eine progressive und gesellschaftsverändernde Programmatik durch- und hochzuhalten, wurden und werden als Teufelswerk gekennzeichnet. Das zeigt sich jetzt wieder in der Auseinandersetzung innerhalb der Linkspartei – Kipping und Riexinger sind die Guten, Wagenknecht und ihre Anhänger/innen sind die Bösen.
Rot-Rot-Grün und damit eine Alternative zu einer neoliberal geprägten Konstellation darf es nicht geben. Die Drecksarbeit gegen eine solche Alternative wurde dabei nicht nur direkt über die Medien und von konservativer Seite ausgeübt, sondern auch mithilfe führender Sozialdemokraten. Darauf ist heute in den NachDenkSeiten schon hingewiesen worden. Der niedersächsische SPD-Spitzenkandidat Weil hat sich öffentlich gewünscht, dass die Linkspartei nicht in den Landtag einzieht. Die Folgen dieser besonderen Agitation kann man heute besichtigen: Weils wenigstens progressiv angehauchte rot-grüne Koalition ist tot. Jetzt muss er vermutlich die Große Koalition als Ausweg wählen. Das ist übrigens jene Konstellation, die gerade von der Bundes-SPD zur Quelle allen Übels hochstilisiert worden ist. – Alles grotesk!
Wie sehr die führenden Medien übrigens darauf bedacht sind, diese Groteske nicht ans Licht zu holen, konnten Sie gestern Abend und heute Nacht beobachten: obwohl spätestens zwischen 23 und 24 Uhr klar geworden war, dass der angebliche Sieger Weil gar kein Sieger ist, weil er nämlich seine Koalition verloren hat und die verachtete Große Koalition wird machen müssen, wurde er immer noch bis heute früh als Sieger gefeiert. Heute früh im Deutschlandfunk übrigens bis zum Nicht-mehr-aushalten. – Auch das diente und dient der Festigung jener Kräfte in der SPD, die keine fortschrittliche Alternative zu Merkel und ihren Ablegern in den Bundesländern wollen. Wir werden es erleben: die neoliberal geprägten Sozialdemokraten, denen diese Partei den Niedergang auf 20,5 % im Wesentlichen zu verdanken hat (Schröder, Steinmeier, Oppermann, Gabriel, Heil, Weil), werden weiter das große Wort führen.
Dass die eigentlich Mächtigen in unserer Gesellschaft und im Westen insgesamt sich nicht nur auf die Konkurrenz bei Wahlen konzentrieren und dort ihre finanzielle und publizistische Macht einsetzen, kann man in den letzten 20 bis 30 Jahren sehr gut an den Veränderungen bei SPD und Grünen feststellen. Bei den Grünen hat sich der Realo-Flügel voll durchgesetzt. Wie sehr dies von außen bewirkt worden ist, konnte man in der Berichterstattung und beim Kommentieren der Medien fortwährend beobachten. Die Realos und Atlantiker waren und sind die gehätschelten Nachkommen der ehedem linken grünen Partei.
Bei der SPD beobachte ich diesen Prozess schon seit 1972. Die zum Beleg zitierbaren Vorgänge gehen inzwischen in die Dutzende.
Um auf die innerparteiliche Willensbildung Einfluss zu nehmen, werden immer wieder sogenannte Wissenschaftler eingesetzt. Das Folgende ist ein schönes Beispiel aus der neueren Zeit:
Soziologe: “SPD muss Traum von vereinigter Linke vergessen”
dpa-Interview
9. Oktober 2017, 11:36 Uhr
In der Zeitung Die Zeit war dieses Interview mit dem Soziologen Heinz Bude am 9. Oktober 2017 wiedergegeben. Dieser Soziologe ist einschlägig bekannt dafür, dass er sich in die innerparteiliche Willensbildung einschalten lässt, im konkreten Fall im Kampf gegen die Zusammenarbeit auf der fortschrittlichen Seite unserer Gesellschaft.
Einen neueren „Star“ aus der Zunft der Soziologen, die allzeit bereit sind, sich mit eigenen Texten in den innerparteilichen Kampf einbringen zu lassen, habe ich schon am vergangenen Freitag vorgestellt: Es ist der Münchner Soziologe Stephan Lessenich. Ein anderer, oft zitierter, angeblicher Wissenschaftler, der für diese Auseinandersetzung und Meinungsprägung geeignet ist und immer wieder eingesetzt wird, ist Heinrich August Winkler. In die gleiche verwertbare Gruppe gehören auch die Politologen Korte und von Lucke.
Auf einen einflussreichen Zirkel im Umfeld der SPD wäre in diesem Zusammenhang hinzuweisen: eine Gruppe von Managern und Unternehmern, die sich „Wirtschaftsforum in der SPD“ nennen dürfen. Hier zum Link auf das Präsidium dieser Vereinigung.
Lange Zeit von großem Einfluss auf die innere Willensbildung der SPD wie auch anderer Parteien war und ist die Bertelsmann-Stiftung. Das war besonders sichtbar bei der Vorbereitung der Agenda 2010. Damals hatte die Bertelsmann-Stiftung ihre Finger direkt in den entsprechenden Gremien des Bundeskanzleramtes. Die Bande sind vom damaligen engen Mitarbeiter des Bundeskanzlers Schröder, von Steinmeier, wohl so profitabel ausgenutzt und eng geknüpft, dass dieser jetzt als Bundespräsident ohne Hemmungen auf die Bertelsmann-Stiftung, also den Eigentümer des Konzerns Bertelsmann mit all seinen Unterfirmen und insbesondere auf das Medien-Imperium zurückgreift:
„Bundespräsident Steinmeier lädt – in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung – am Dienstag, den 19. September 2017 um 19.00 Uhr zur ersten Veranstaltung in der neuen Reihe “Forum Bellevue zur Zukunft der Demokratie” ins Schloss Bellevue.“
So hieß es in einer Pressemeldung des Bundespräsidialamtes vom 5. September 2017.
Dieser einzelne Vorgang allein kennzeichnet deutlich, wer die Macht im Staat hat: Das ist jedenfalls nicht das Volk. Das sind große einflussreiche Kräfte aus Wirtschaft und Publizistik. Bertelsmann ist ein herausragendes Symbol für den eigentlichen Machtfaktor. Deshalb kann man ohne Übertreibung sagen, dass die Formulierung des Grundgesetzes, wonach alle Macht vom Volk ausgeht, einfach nicht stimmt. Es ist eine der großen Lebenslügen. Und weil diese Lüge so verkleistert ist, kann immer wieder behauptet werden, wir lebten in einer Demokratie. Das stimmt nicht. Die Mindestbedingung, dass es nämlich gelegentlich einen wirklichen politischen Wechsel gibt, ist nicht mehr gewährleistet. Es gibt keine Chance, in Deutschland die Herrschaft der neoliberalen Ideologie abzulösen.
In Österreich ist die Achse jetzt deutlich nach rechts verrückt worden. Das wird nicht nur Folgen für die Flüchtlingspolitik Österreichs haben, sondern auch für die Gestaltung des Landes im Innern. Und wie in Deutschland und in Großbritannien und in den USA und in Frankreich spielen große wirtschaftliche Interessen und die Medien und ihre Eigentümer bei diesem Rechtsruck bzw. bei der Verhinderung eines Linksrucks eine zentrale Rolle. Auf die Kräfte hinter dem neuen Star in Österreich ist auf den NachDenkSeiten vor kurzem hingewiesen worden.
Fazit: Wer behauptet, wir lebten in einer Demokratie, ist entweder nicht ganz bei Sinnen oder ein Betrüger.
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