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Titel: Frankfurt schafft während der Buchmesse die Meinungsfreiheit ab
Datum: 5. Oktober 2017 um 14:42 Uhr
Rubrik: Antisemitismus, Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Innen- und Gesellschaftspolitik
Verantwortlich: Jens Berger
Es gibt Dinge, die sind so skurril, dass man sie auf den ersten Blick gar nicht glauben mag. Da schreibt der in Israel aufgewachsene Publizist Abraham Melzer ein vom Frankfurter Westend Verlag herausgegebenes Buch mit dem Titel „Die Antisemitenmacher“ (die NachDenkSeiten brachten am Sonntag dazu eine Rezension) , in dem er die immer stärker um sich greifende Praxis kritisiert, legitime Kritik an der Politik Israels unter dem Vorwand der Antisemitismusbekämpfung zu unterbinden. Während der Frankfurter Buchmesse wollte Melzer sein neues Buch in den öffentlichen Räumen des Saalbau Gallus vorstellen. Doch gestern kündigte die stadteigene Betreibergesellschaft der Räumlichkeiten den Mietvertrag. Melzers Kritik an der Vereinnahmung des Antisemitismusbegriffs zur Einschränkung der Meinungsfreiheit gilt der Stadt Frankfurt als antisemitisch. So ärgerlich und unverständlich das Verhalten der Stadt ist – am Ende kann es doch als lupenreiner Beweis dafür gelten, dass Abraham Melzers Kritik nötiger denn je ist und voll ins Schwarze trifft. Von Jens Berger
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Die administrative Grundlage für die Kündigung stellt ein Beschluss des Frankfurter Magistrats vom 28. Juli dieses Jahres dar – darin wurde auf Vorlage des Frankfurter Bürgermeisters Uwe Becker beschlossen, der israelkritischen BDS-Bewegung künftig keine städtischen Räume mehr zur Verfügung zu stellen. Mit Ausnahme der Linken stimmten alle Parteien diesem Beschluss zu. BDS steht für „Boycott, Divestments and Sanctions“ https://de.wikipedia.org/wiki/Boycott,_Divestment_and_Sanctions und ist eine in zahlreichen Staaten aktive transnationale Kampagne, deren Ziel es ist, den Staat Israel so lange politisch, wirtschaftlich und kulturell zu isolieren, bis der seine Siedlungs- und Besatzungspolitik ändert. Vorbild für diese Kampagne ist die Boykottpolitik gegen das südafrikanische Apartheitsregime in den 1980ern. Nun kann man zu Boykottaufrufen durchaus kritisch stehen – ich selbst halte von derartigen Aktionen gar nichts. In einem Land, in dem die Meinungsfreiheit noch etwas zählt, sollte jedoch auch diese Debatte selbstverständlich erlaubt sein. Sie unter dem Deckmantel der Antisemitismusbekämpfung zu unterbinden und städtische Räume nicht an Personen zu vermieten, die in Verbindung zu israelkritischen Stimmen stehen, ist ein glasklarer Eingriff in die Meinungsfreiheit und kann in einem demokratischen Land nicht geduldet werden. Hinzu kommt die juristisch sicher ebenfalls interessante Frage, ob eine Buchvorstellung eines israelkritischen Autoren nun per se unter das „BDS-Label“ fällt oder ob dieses Label hier nur herausgepickt wird, um unliebsame Kritik zu unterbinden.
Warum unliebsam? Was hat die Stadt Frankfurt mit der Verteidigung der Besatzungspolitik Israels zu tun? Um das zu erahnen, lohnt es sich einmal, die Facebook-Seite des Frankfurter Bürgermeisters und Stadtkämmerers Uwe Becker (CDU) anzusehen. Alleine in den letzten Wochen postete Becker dort unzählige Beiträge über seine Solidarität mit Israel und den USA. Becker feiert zusammen mit US-Offizieren den Deutsch-Amerikanischen Freundschaftstag. Becker in Jerusalem an der Klagemauer. Becker gedenkt drei getöteten israelischen Kindern. Becker lässt sich vor dem Weißen Haus und mit US-Flagge ablichten. Becker besucht in Jerusalem das StandWithUs Center – eine israelische PR-Organisation, die massiv in der Kritik steht. Und all dies in nicht einmal drei Wochen. Da fragt man sich unweigerlich, was der Mann eigentlich hauptberuflich macht? Mit seiner Tätigkeit als Lokalpolitiker und Kämmerer kann diese komplett überzogene Israel- und US-Orientierung ja wohl nicht zusammenhängen. Manchmal treibt der Lobbyismus schon seltsame Blüten und Uwe Becker gehört zweifelsohne dazu. Dass ein derart überzeugter Israel-Lobbyist Kritik an der Besatzungspolitik unterbinden will und dabei auch angeblichen Antisemitismus instrumentalisiert, überrascht kaum. Und Becker ist nicht alleine. Ein sehr meinungs- und lautstarkes Bündnis von Antideutschen bis hin zu den Neurechten rund um die AfD möchte die Meinungsfreiheit für Kritik an Israel am liebsten abschaffen. Alleine diese seltsame Koalition von ganz links außen bis ins braune Lager könnte ein weiteres Kapital in Melzers neuem Buch füllen.
Dass ausgerechnet Melzers Buch nun unerwünscht ist, hat natürlich etwas mit dem Inhalt zu tun, der hier sprichwörtlich den Nagel auf den Kopf trifft. Daher wurde die Buchvorstellung der „Antisemitenmacher“ von den Antideutschen auch zur Nagelprobe für den eigenen Einfluss auf den Magistrat der Stadt Frankfurt gemacht. Denn vor einer Woche ruderte die schwarz-rot-grüne Koalition im Römer bereits leicht zurück – man müsse erst einmal prüfen, ob und wie ein Boykott städtischer Räumlichkeiten für israelkritische Personen und Gruppen überhaupt juristisch umsetzbar ist. Die Saalbau, die Kämmerer Uwe Becker formal unterstellt ist, hat dann angeblich selbst „eingehend recherchiert“ und Abraham Melzer gekündigt. Zwar wird sicher das nächstbeste Gericht die Kündigung der Saalbau wieder einkassieren. Aber dann ist die Messe gelesen.
Man sollte das Ganze nicht als peinliche Affäre abtun und aus Angst vor Konfrontation vor den Schreihälsen der Antideutschen einknicken. Egal wie man nun konkret zur Besatzungs- und Siedlungspolitik Israels steht – Kritik muss erlaubt und vor allem auch möglich sein. Es kann doch nicht sein, dass in einem Land, das die Meinungsfreiheit in seinem Grundgesetz garantiert, Melzers Kritik auf der Buchmesse keinen Platz findet. Sollte die Stadt diese skandalöse Entscheidung nicht zurücknehmen, würde dies einen dunklen Schatten auf die Buchmesse werfen.
Auch in diesem Jahr wird die Meinungsfreiheit auf der Buchmesse wieder eine große Rolle spielen. Doch damit ist natürlich nur die Meinungsfreiheit in anderen, meist weniger demokratischen Staaten gemeint. Da möchte man der Stadt Frankfurt am liebsten entgegenrufen: Warum seht Ihr den Splitter im Auge Eures Bruders, aber den Balken in Eurem Auge bemerkt Ihr nicht?
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