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Titel: Jamaika bedeutet auch, dass wir einen Transatlantiker als Außenminister bekommen
Datum: 5. Oktober 2017 um 9:13 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Wahlen
Verantwortlich: Jens Berger
Eine schwarz-gelb-grüne Regierungskoalition wird nicht nur eine bürgerliche „Mittel-bis-Oberschicht-Koalition“, wie Albrecht Müller am letzten Freitag schon anmerkte, sondern auch die Koalitionsvariante, die so sehr wie keine andere für eine Fortführung der aggressiven Außen- und Sicherheitspolitik des transatlantischen Bündnisses steht. Das wird auch in den Personalien der beiden denkbaren Spitzenkandidaten für das Außenministerium deutlich – Cem Özdemir von den Grünen ist überzeugter Transatlantiker, dem ein Think Tank sogar in der düstersten Periode seiner Karriere rettend unter die Arme griff und Alexander Graf Lambsdorff war bereits während seines Studiums Fulbright-Stipendiat und setzte seine transatlantische Karriere seitdem zielstrebig fort. Egal welcher der beiden kleinen Koalitionspartner den Ministerposten zugesprochen bekommt – verschiedene transatlantische Think Tanks, denen es vor allem um amerikanische Hegemonialinteressen geht, werden künftig im Auswärtigen Amt mitregieren. Von Jens Berger
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Als Cem Özdemir noch ein junger Bundestagsabgeordneter war, verwechselte er dummerweise brutto mit netto und erhielt 1997 nach drei Jahren als Abgeordneter einen unerfreulichen Brief vom Finanzamt. Er solle rund 80.000 D-Mark Einkommenssteuer nachzahlen. Doch der junge Schwabe hatte das schöne Geld schon für andere Dinge ausgegeben – für ein neues Auto für den Vater und die Ausstattung seines Abgeordnetenbüros, wenn man ihn selbst fragt; oder aber für teure Designeranzüge und einen auch ansonsten unangemessenen Lebenswandel, wie es Kritiker behaupten. Fest steht, die Forderung des Finanzamts konnte er nicht aus der Portokasse begleichen und an dieser Stelle beginnt die erste Merkwürdigkeit in Özdemirs Lebenslauf.
Denn er versuchte offenbar nicht, mit dem Finanzamt eine Ratenzahlung zu vereinbaren oder die nächste Sparkasse oder Volksbank um einen Kredit zu bitten, sondern nahm ein Privatdarlehen zu Vorzugskonditionen vom umstrittenen PR-Unternehmer und Kontakte-Händler Moritz Hunzinger an. Man kann ja durchaus als Berufsanfänger schon mal vergessen oder verdrängen, dass der Fiskus noch seinen Anteil abbekommt – aber warum besorgt man sich dann das geforderte Geld von einem Lobbyisten? Das fragte sich damals auch die Öffentlichkeit und in Kombination mit Bonusmeilen aus Vielfliegerprogrammen, die Özdemir privat genutzt hat, stürzte er 2002 – als die ganze Sache herauskam – über seine „Miles&Moritz-Affäre“, wie die Zeitungen damals spotteten. Der Realo Özdemir wurde von seinen Kollegen im Landesverband sanft bedrängt und gab sein drittes Bundestagsmandat kurz nach den Wahlen ab.
Doch was nun? Als hoch verschuldeter Ex-Politiker ohne feste Einkünfte stand Özdemir im Herbst 2002 vor dem Aus. Just in diesem Moment kam die helfende Hand aus Washington. Der Mann, der bis zu diesem Zeitpunkt als „Randgruppen-Realo“ auf dem Feld der „Ausländerpolitik“ (so nannte man damals noch die Integrationspolitik) unterwegs war, wurde plötzlich von einem transatlantischen Think Tank namens German Marshall Fund zu einem Außenpolitiker umgeschult. Als „Transatlantic Fellow“ wurde er zunächst in Washington D.C. „fortgebildet“ und dann ein paar Monate später in der Brüsseler Dependance eingesetzt. Özdemir konnte nun nicht nur seine Schulden abbezahlen, sondern wurde von den Realos seines Landesverbandes 2004 sogar für ein nicht sonderlich publicitytaugliches, aber dafür finanziell recht lukratives Mandat im Europaparlament nominiert. Dort machte er dann als transatlantischer Außenpolitiker sehr schnell Karriere. Kaum im Parlament unterzeichnete er – als einer der wenigen Deutschen neben Karl-Theodor von und zu Guttenberg – einen offenen Brief des neokonservativen Project for the New American Century, das mit so berühmt-berüchtigten Mitgliedern wie Dick Cheney, Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz, Robert Kagan, Richard Perle oder William Kristol ganz maßgeblich die US-Invasionen des Nahen und Mittleren Ostens vorbereitet und orchestriert hat. Der offene Brief ist auch deshalb von historischem Interesse, weil er sich bereits im September 2004, kurz nach der Geiselnahme von Beslan, in einem aggressiven Ton an Russlands Präsidenten Putin wendet, der damals noch vollkommen unüblich war und zumindest sprachlich die Wiederaufnahme des Kalten Krieges mit markierte.
Seit Raymond Shaw im Filmklassiker „Botschafter der Angst“ (The Manchurian Candidate) gab es wohl kein spektakuläreres Comeback unter fremdbestimmter Flagge. Nun begann die Karriere des Mannes, der zwei Jahre zuvor schon vom World Economic Forum (Davos) zu einem „Global Leader of Tomorrow“ gekürt wurde, erst richtig. Er wurde als „Young Leader“ Mitglied der Atlantik-Brücke und konnte dort an der Seite von Friedrich Merz, Kai Diekmann und seinem künftigen Koalitionspartner Alexander von Lambsdorff die Feinheiten der transatlantischen Beziehungen vertiefen. Trotz des vermeintlichen Abstellgleises Europaparlament war Özdemir bald auch wieder in den Medien allgegenwärtig und von „Miles&Moritz“ schrieb schon bald niemand mehr. Özdemir beteiligte sich an der Gründung des European Council on Foreign Relations und engagierte sich in der Atlantischen Initiative. 2008 wurde er Bundesvorsitzender der Grünen und seit 2013 ist er auch wieder im Bundestag vertreten. Özdemir gilt als überzeugter Transatlantiker, der voll und ganz hinter Doktrinen wie der „Schutzverantwortung“ steht, die seit der Abkehr von der Entspannungs- und Friedenspolitik die außen- und sicherheitspolitische Ausrichtung der Grünen bestimmen – Özdemir und den Think Tanks hinter ihm sei „Dank“.
Ist Cem Özdemir ein „Spätbekehrter“ in Sachen transatlantischer Ausrichtung, hat der FDP-Kandidat für die Spitze im Auswärtigen Amt sie bereits mit der Muttermilch aufgesogen. Alexander Sebastian Léonce Freiherr von der Wenge Graf Lambsdorff ist als Sohn des Diplomaten Hagen Graf Lambsdorff und Neffe des ehemaligen Wirtschaftsministers und neoliberalen Vordenkers Otto Graf Lambsdorff Spross einer transatlantisch orientierten Familie. Der junge Reserveoffizier der Bundeswehr gehörte schon als Fulbright-Stipendiat an der Georgetown University in Washington, D.C. zu den Kandidaten für die künftige Funktionselite Deutschlands.
Diesen Weg setzte er mit geradezu beängstigender Stringenz fort. Praktika bei McKinsey, Projekte für die Friedrich Naumann Stiftung und dann der Einstieg in die Diplomatenlaufbahn, wo er unter anderem als Büroleiter von Klaus Kinkel tätig war und zuletzt als Länderbeauftragter im Russlandreferat tätig war. Dann zog er 2004 – zeitgleich mit Cem Özdemir – für die FDP ins Europaparlament ein. Lambsdorff ist Mitglied der Atlantik-Brücke, der Atlantischen Initiative und dem Transatlantic Policy Network. 2006 gehörte er zu den Gründern der German European Security Association – einer Lobbyisten-Vereinigung der Rüstungsindustrie mit massiven Interessenkonflikten für die beteiligten Politiker, die mittlerweile ihren Betrieb einstellen musste. Er wird von der Soros-Stiftung als „weise Stimme in seiner Fraktion“ gelobt und wandelt als Vorstandsmitglied des European Endowment for Democracy selbst auf Soros’ Spuren. Das EED wird von Kritikern als „anti-linkes Projekt“ im Stile des von Ronald Reagan gegründeten amerikanischen Vorbilds National Endowment for Democracy bezeichnet.
Das Besondere an Alexander Graf Lambsdorff ist, dass er seine transatlantischen Überzeugungen nach außen durchaus verbergen kann. Nicht zu Unrecht gilt er als Diplomat, der die Kunst der Diplomatie von der Pike auf gelernt hat. Sowohl Lambsdorff als auch Özdemir betonen stets, den gemeinsamen europäischen Interessen zu dienen, die jedoch bei den beiden Kandidaten stets nahezu deckungsgleich mit den Interessen der USA sind. Allenfalls in Nuancen unterscheiden sich der schwäbelnde grüne Sohn türkischstämmiger Migranten und der Liberale mit dem beeindruckenden Stammbaum. Eine echte Wahl haben wir aber nicht. Beide Kandidaten für den Chefsessel im Auswärtigen Amt sind überzeugte Transatlantiker. Eine Entspannungspolitik gegenüber Russland ist in den nächsten vier Jahren also nicht zu erwarten.
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