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Titel: Militärputsch in Brasilien? – Nach Zertrümmerung des Rechtsstaats nun das Säbelrasseln der Generäle

Datum: 3. Oktober 2017 um 8:02 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Länderberichte
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Brasília, den 15. September. Während einer Gastrede bei einer Freimaurer-Loge in der brasilianischen Hauptstadt wird General Antonio Hamilton Mourão, Finanzsekretär des brasilianischen Heeres, von einem Zuhörer gefragt, was er von der immer wieder vorgetragenen Forderung nach einem Eingreifen der Streitkräfte „zur Wiederherstellung der Ordnung” in Brasilien halte. Der Frager bezog sich auf rechtsextreme Grüppchen, die sich seit 2014 an den Aufmärschen gegen Präsidentin Dilma Rousseff beteiligten. Von Frederico Füllgraf

„Sehr gute Frage!“, beginnt Mourão seine Antwort und erklärt, bezugnehmend auf die wegen landesweiter, endemischer Korruption Angeklagten, die noch auf freiem Fuß sind: „Meine Meinung ist, und sie stimmt mit der meiner Kollegen im Hohen Heereskommando überein, wir befinden uns in einer Lage, die wir aus der Logarithmentafel als ´sich wiederholende Annäherungen´ kennen. Bis der Moment erreicht ist, an dem entweder die Institutionen das politische Problem lösen – genauer: die Justiz alle in Delikte Involvierten aus dem politischen Leben entfernt – oder wir müssen das eben erzwingen. Solch ein Zwang wird nicht leicht sein, wir haben aber unsere Planungen“.

„Erzwingen“, „Planungen“? Das hörte sich nach Androhung eines Militärputschs an.
Die Rede löste landesweiten Alarm aus und war auch bis Ende September das beherrschende Thema auf den Tribünen des Bundes- und der Landesparlamente, in den Medien, den sozialen Netzwerken und auf der Straße. So beunruhigend, dass die beherrschende Mediengruppe Globo – die sich noch in einem Leitartikel in O Globo vom 31. März 2013 öffentlich für ihre Befürwortung des Militärputschs von 1964 entschuldigte, der eine 21 Jahre lange Diktatur zur Folge hatte – am vergangenen 19. September Heereskommandant General Eduardo Villas Bôas zu einem einstündigen Interview ins Studio holen und fragen ließ, ob sein Kollege und Untergebener nicht etwa gegen die Befehlshierarchie verstoßen, ja sich gar verfassungswidrig betätigt habe.

Die Verfassungsfalle

Der zivile Verteidigungsminister und konvertierte Ex-Kommunist Raul Jungmann hatte einen Tag zuvor Villas Bôas zum Fall Mourão zur Rede gestellt. General Mourão habe sich zwar so ausgedrückt, dass man dieses und jenes interpretieren könne, er sei aber ein patriotischer Soldat! Bestrafen werde er ihn nicht, versuchte der Heereschef den Minister zu beschwichtigen und wiederholte die gleiche Besänftigungstaktik in seinem Fernsehauftritt.

Jungmann gab sich zufrieden und ließ seine Pressestelle verbreiten: „Der Verteidigungsminister bekräftigt, dass die Streitkräfte den verfassungsmäßigen und demokratischen Grundsätzen vollkommen untergeordnet sind. Es herrscht ein Klima der absoluten Ruhe und Einhaltung der Prinzipien der Disziplin und Hierarchie”.

Für den Verteidigungsminister war die Affäre damit erledigt. Doch als Globo-Interviewer Pedro Bial einen Tag später dazu nachhakte, was Mourão wohl mit „unseren Planungen“ gemeint habe, ließ Villas Bôas die Katze aus dem Sack: Im Ernstfall, sollte also die öffentliche Ordnung in extremer Weise gefährdet sein, müssten die Streitkräfte sehr wohl den „Verfassungsauftrag“ erfüllen und eingreifen, erklärte der Heereschef mit dem vertrauensseligen Blick eines Schicksalsgefügigen.

Der General bezog sich auf Art.142 der brasilianischen Verfassung von 1988 als angeblichen Blankoscheck für eine militärische Intervention. Besagter Artikel beschreibt den Verteidigungsauftrag, jedoch auch „den Schutz der verfassungsmäßigen Staatsgewalten [und erwägt] entsprechend der Initiative irgendeiner dieser Gewalten, für Recht und Ordnung zu sorgen”.

Legale Voraussetzung für militärisches Eingreifen ist demnach ein ausdrückliches Ersuchen der Exekutive, Legislative oder der Justiz, jedoch macht der Anspruch der Militärs auf die Bewachung nicht nur der äußeren, sondern auch der inneren Sicherheit deutlich, dass die Verfassungsväter von 1988 – darunter auch Parlamentarier der Arbeiterpartei (PT) – entweder nicht wachsam genug waren oder den militärischen Januskopf als Übergangsfahrschein zur Demokratie gebucht haben, denn der Text bedeutet die militärische Bevormundung mit einer subtilen Geiselnahme des Rechtsstaats.

Der rechtsextreme Flügel der Militärs

Über die Kontroverse um Mourão hatte die Pressestelle Villas Bôas´ dann am 21. September ein Kommuniqué mit zwei Mementi verbreitet:
„1. Die brasilianische Armee ist eine Institution, die sich für die Konsolidierung der Demokratie in unserem Land einsetzt“, und „2. Die für institutionelle Erklärungen der Armee zuständige Führungspersönlichkeit ist der Kommandant dieser Waffengattung, der sich öffentlich zu den von ihm für notwendig erachteten Fragen geäußert hat….“
Letztgenanntes war ein Denkzettel, adressiert an Mourão, jedoch selbstverständlich auch an die Adresse des ehemaligen Befehlshabers im brasilianischen Amazonien und der UN-Truppen im erdbebengeschädigten Haiti, General Augusto Heleno (siehe Foto mit Jaguar), der bereits 2014 als potentieller Präsidentschaftskandidat der extremen Rechten ins Gespräch gebracht worden war und sich jetzt öffentlich mit Mourão solidarisierte.
Eine knappe Woche nach seinem Fernsehauftritt berief der an einer degenerativen, neuromotorischen Erkrankung leidende, mit Hilfe von Krücken laufende und bald aus dem Heereskommando scheidende Villas Bôas am 25. September eine Sitzung mit einer Hundertschaft dienstaktiver und pensionierter Generäle in Rio de Janeiro mit dem Ziel ein, “die Mitglieder der Armee persönlich zu führen“. Seinem Kommuniqué fügte der Heereskommandant den Hashtag “Zusammenhalt” hinzu. An dem Treffen nahmen drei ehemalige Armeekommandeure und der ehemalige Chef des Geheimdienstes GSI (Kabinett für Institutionelle Sicherheit) während der Administration Luis Inácio Lula da Silva (2003-2010), General Jorge Félix, teil.

Der dem Kameradschaftsgeist verliehene Nachdruck des Heereskommandanten verweist allerdings auf politische Risse in der inneren Führung, genauer: auf die Gefahr, dass die Rechtsextremen mit Provokationen wie die Mourãos in den Kasernen größeren Zulauf bekommen. Aufhalten kann sie Villas Bôas nicht, er kann sie höchstens vorübergehend eindämmen und die Truppe auf die Legalität einschwören.

Die Generäle Heleno und Mourão sind Wiederholungstäter. Als Kommandant des Heeresbezirks Amazonien hatte Heleno Präsident Luis Inácio Lula da Silvas indianerfreundliche Territorialzugeständnisse als „katastrophal bis zum geht-nicht -mehr“ und als „Hindernisse für die wirtschaftliche Entwicklung“ bezeichnet und verlor selten eine Gelegenheit, sich despektierlich über die Arbeiterpartei zu äußern.

Mourão wiederum hatte 2015 während einer Rede im Offiziers-Ausbildungszentrum im südbrasilianischen Porto Alegre Präsidentin Rousseff scharf kritisiert und zum „Erwachen für den patriotischen Kampf“ aufgerufen, daraufhin seinen Posten als Kommandant des Heeresbezirks Südbrasilien verloren und war ins bürokratische Amt des Heeres-Beauftragten für Finanzen versetzt worden.

Straflose Menschenrechtsverbrecher schwächten den Rechtsstaat

Der Dritte im Bunde ist der Geheimdienstchef der de-facto-Regierung Michel Temers, General Sergio Etchegoyen, der sich ebenfalls mit Präsidentin Rousseff öffentlich anlegte. Der wie Villas Bôas und Mourão gebürtige Südbrasilianer Etchegoyen befahl von 2011 bis 2012 die 3. Armee-Division in Santa Maria und war der erste dienstaktive General, der die Ermittlungen der von Präsidentin Rousseff einberufenen Nationalen Kommission der Wahrheit zur Ahndung der Menschenrechtsverbrechen der Militärdiktatur in den Medien als „pathetisch” und „unredlich“ bezeichnete; dies insbesondere deshalb, weil die Kommission seinen Vater, General Leo Guedes Etchegoyen, als erwiesenen Folterer für extrem gewalttätige Menschenrechtsverletzungen verantwortlich machte. Für seine aggressive Stänkerei, jedoch auch für seine wiederholten Drohungen, soziale Bewegungen mit einer neuen Doktrin der Nationalen Sicherheit zu kriminalisieren, wurde Etchegoyen wiederholt von einem Großteil des Offizierskorps und der rechtsradikalen Szene in Zivil applaudiert.

Mit der 1979 erlassenen Generalamnestie auf Gegenseitigkeit amnestierten sich die uniformierten Verbrecher gegen die Menschenrechte selbst. Jeder Versuch der brasilianischen Menschenrechtsverbände, die Annullierung des tückischen Amnestiegesetzes zu erwirken, wurde systematisch vom Obersten Gerichtshof abgewürgt.

Die Wahrheitskommission dokumentierte die Fälle von nach wie vor mindestens 480 Verschwundenen und ihren Peinigern, insbesondere als Opfer des Guerillakampfes in Amazonien, doch weder rückte das Militär Informationen an die Angehörigen über das Schicksal der angeblich Verschollenen heraus, noch mussten die für Folter und Mord beschuldigten Militärs vor Gericht.

General Mourão machte aber auch von sich reden, als er den 2015 straflos verstorbenen und für Massenmorde an politischen Gefangenen verantwortlichen, ehemaligen Oberst Carlos Alberto Brilhante Ustra mit einem Nachruf für sein Vorgehen lobte.

Während in Argentinien seit Ende der 1983 beendeten Diktatur insgesamt 703 Militärs – darunter sämtliche Chefs der drei Waffengattungen und der 2016 hinter Gittern verstorbene Juntachef, General Jorge Rafael Videla – verurteilt wurden und in Chile immerhin 344 hochrangige Militärs von Augusto Pinochets Junta teilweise lebenslängliche Doppelhaftstrafen für brutale Menschenrechtsverletzungen erhielten und weitere 1.300 Angeklagte auf ihr Urteil warten, wurde seit Ende der brasilianischen Diktatur im Jahr 1985 kein einziger der erwiesenen, hunderten von brasilianischen Folterern und Massenmördern vor Gericht gestellt.

In der öffentlichen Wahrnehmung ging die Straflosigkeit als Banalisierung der Gewalt ein und hatte die Schwächung der jungen brasilianischen Demokratie zur Folge.


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