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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Wir sind Deutschland – Zum Regierungsprogramm von CDU/CSU
Datum: 2. Juli 2009 um 7:14 Uhr
Rubrik: CDU/CSU, Das kritische Tagebuch, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Wahlen
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Die Union malt eine Welt, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Die Krise wäre nie gekommen, wenn man nur auf CDU und CSU gehört hätte. Alles was unter der Führung der Kanzlerin getan wurde, war erfolgreich. Für alles was schlecht läuft, sind die anderen schuld. Mehr an Schönfärberei und Selbstbeweihräucherung geht kaum. Das Programm bietet jeder Wählergruppe ein Zückerchen. Die Union setzt im Wahlkampf auf plumpen Klientelpopulismus. Hinter hohlem Pathos steht ein schlichtes Weiter-so. Wolfgang Lieb
Wenn man das Regierungsprogramm der Union durchliest, dann muss man den Eindruck gewinnen, die Christdemokraten lebten in einer anderen Welt. Da wird über die größte Wirtschaftskrise geredet, als hätten wir schon längst hinter uns und als stünde der Aufschwung schon vor der Tür. „Alles in allem steht unser Land heute – 2009 – besser für die Zukunft gerüstet da als 2005.“
Und das natürlich alles dank der Union.
Es wird so getan, als wäre die letzte Legislaturperiode unter Kanzlerin Merkel eine reine Erfolgsgeschichte, die nur noch durch eine Wiederwahl getoppt werden könnte.
Man könnte meinen, als habe es vier Jahre eine Alleinregierung von CDU/CSU gegeben. Die Union rechnet sich alles zu, was sie für erfolgreich erklärt. Da ist dann der Koalitionspartner SPD für alles verantwortlich, was nicht so erfreulich ist.
Mit einem „Wir“ auf schwarz-rot-goldenen Grund begnügt man sich nicht mehr mit den Parteifarben, sondern vereinnahmt gleich die ganze Nation für sich.
Wir sind Deutschland!
Wir haben gezeigt, dass wir die Finanzen sanieren können.
Für die höchste Neuverschuldung in der Geschichte ist Finanzminister Steinbrück verantwortlich.
Wir haben gezeigt, dass wir die Zahl der Arbeitslosen reduzieren können.
Für den Anstieg der Arbeitslosigkeit auf (real) viereinhalb Millionen Menschen ohne Beschäftigung ist Arbeitsminister Scholz verantwortlich.
Wir haben gezeigt, dass wir Bildung und Forschung voranbringen können.
Mit dem Rückgang der Bildungsausgaben in der letzten Legislaturperiode haben die Union und ihre 12 Ministerpräsidenten nichts zu tun.
Wir haben die Kraft. Wir, Wir, Wir, so geht es auf über 60 Seiten Selbstbeweihräucherung weiter.
Wer hat denn aber noch im Leipziger Programm nach mehr Markt und weniger Staat gerufen? Sollte nicht der Markt die Welt regieren? Ist schon vergessen, dass noch vor kurzem die CDU die „Soziale Marktwirtschaft“ durch eine „Neuen Soziale Marktwirtschaft“ ablösen wollte, die dem „Markt mehr Freiheit“ geben wollte. Wer wollte denn immer noch mehr Deregulierung (auch der Finanzmärkte), noch mehr Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme? Wer wollte die unsoziale Kopfpauschale und immer mehr Unternehmenssteuersenkungen und immer mehr Lohnsenkungen und wer pflegte den Mythos von den zu hohen „Lohnnebenkosten“? Siehe dazu CDU feiert ihr Grundsatzprogramm.
Ganz anders als noch vor der letzten Wahl, wo noch mit der Kopfpauschale oder der Steuer auf dem Bierdeckel neoliberaler Klartext geredet wurde, weil in Deutschland noch die „Strukturreformer“ Oberwasser hatten, tritt die Union diesmal mit der Maske des populistischen Biedermanns auf. (Aber populistisch sind ja immer nur die anderen.)
Ganz so als hätte man die eigenen Wählergruppen analysiert, sollen Rentner, die ein Leben lang Vollzeit beschäftigt waren, eine steuerfinanzierte Rente oberhalb des Existenzminimums erhalten, den wohlbestallten Familien wird ein höherer Kinderfreibetrag in Aussicht gestellt, es werden steuerfinanzierte versicherungsfremde Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung gefordert, Steuersenkungen von unten bis (vor allem) oben versprochen (Senkung des Eingangssteuersatzes, Milderung der „Kalten“ Progression, Abflachung des Mittelstandsbauchs, Verschiebung des Höchststeuersatzes), die gerade beschlossene Erbschaftssteuer soll einer Überprüfung unterzogen werden. Selbst für Hartz-IV-Empfänger soll es noch eine Wohltat geben: das Schonvermögen soll erhöht werden. Steuererhöhungen werden natürlich abgelehnt, eine höhere staatliche Belastung soll der Energiepreise solle es nicht geben.
Für jede Wählerklientel, gibt es ein wohldosiertes Zückerchen, von den Ärzten, den Apothekern, den Landwirten, den Mittelstand – je nach Wähleranteil. (Die Groß- und Finanzwirtschaft weiß ja ohnehin, was sie an der Union hat.)
Eine Sprachblüte wird neben die andere gesteckt:
Schon die Schönfärberei der Lage und die Lobpreisungen der zurückliegenden Politik müsste den unbefangenen Leser stutzig machen. Steht da nicht eine Kaiserin ohne Kleider da? Das Programm gaukelt ein Schlaraffenland vor, das so wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat, wie die Versprechungen, die dieses Programm enthält.
Weil die Wirklichkeit und das Motto „Wünsch Dir was“ so weit auseinanderklaffen, wie Wahrheit und Dichtung, kann man das Programm eigentlich nur als eine systematisch betriebene Irreführung bezeichnen. Es wird ein Wolkenkuckucksheim an schönen Zielen vorgespiegelt, ohne konkret und vor allem offen zu sagen, wie und vor allem auf wessen Kosten man diese erreichen will.
In hochstaplerischer Manier werden Widersprüche verkleistert:
Großspuriges Pathos entpuppt sich als hohl, wenn man das Kleingedruckte liest:
Der Einsatz der Bundeswehr im Innern ist geradezu ein Musterbeispiel für Tarnsprache:
Wir wollen Wege finden, wie alle Potenziale und Mittel der inneren und äußeren Sicherheit optimal genutzt werden können, um Bedrohungen wirksam ab zuwehren.
Wer das Programm liest, sollte vor allem danach fragen, was nicht drin steht, nämlich welche Konsequenzen die Union aus der Finanzkrise zieht, welche Wirtschaftspolitik sie machen will, um wieder aus der Krise herauszukommen, wer von den versprochenen Steuerentlastungen am meisten profitiert und wer die Opfer für die Milliarden für die Bankenrettung zu bringen hat.
Da hört man nur das alte Lied: Haushalt konsolidieren, Investitionen fördern sowie Bürgerinnen und Bürger entlasten, staatlich übernommenen Aufgaben auf ihre Notwendigkeit hin überprüfen, auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft setzen.
Um Deutschland aus der Krise „herauszuführen wollen wir, die Christlich Demokratische Union Deutschlands und die Christlich-Soziale Union, in der nächsten Legislaturperiode eine Regierung mit der Freien Demokratischen Partei bilden.“ Eine Koalition mit einer Partei, die bis heute, den Kurs feiert, der geradewegs in die Krise geführt hat.
Diesen Koalitionspartner brauchen CDU/CSU dringend, um nach der Wahl nicht an den Versprechen des Wahlprogramms gemessen werden zu können.
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