Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Ein Zuwanderungsgesetz gegen Fachkräftemangel? Zeit für ein wenig simple Nachhilfe in Sachen Wirtschaftswissenschaften
Datum: 30. September 2017 um 11:30 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Fachkräftemangel, INSM, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Jens Berger
Im Wahlkampf war die Zuwanderung ein heiß diskutiertes Thema und auch nach den Wahlen verstummt die Debatte nicht. Vor allem die Wirtschaftslobby meldet sich lautstark zu Wort. Ohne ein Zuwanderungsgesetz sei „Deutschlands Stärke in Gefahr“, so titelte diese Woche die WELT und griff dabei argumentativ vor allem auf die Arbeitgeberlobby „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ zurück. Demnach drohen vor allem der Exportwirtschaft Personalengpässe, wenn die Politik nicht schon bald ein Zuwanderungsgesetz verabschiedet. Das ist skurril, denn es gibt mit der „Blauen Karte EU“ doch bereits ein Gesetz für genau dieses Problemfeld, das in Deutschland auch recht aktiv genutzt wird. Gerade die INSM und die Arbeitgeberverbände halten doch sonst so viel von „freien Märkten“. Warum vertraut man hier nicht ausnahmsweise einfach mal den Marktmechanismen? Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Wer als Nicht-EU-Ausländer in Deutschland einen Arbeitsvertrag unterzeichnet, bei dem er mehr als 49.600 Euro brutto pro Jahr bezieht, der kann sich über die sogenannte „Blaue Karte EU“, die hochqualifizierten Drittstaatenangehörigen einen Arbeitsaufenthalt in der EU ermöglichen soll, relativ problemlos einen dauerhaften Aufenthaltstitel in Deutschland verschaffen. Wer einen von der Bundesagentur für Arbeit definierten „Mangelberuf“ ausübt (dazu gehören z.B. Mathematiker, Ärzte, IT-Fachkräfte oder Naturwissenschaftler), ist bereits mit einem Jahresbrutto von 38.688 Euro für die Blaue Karte qualifiziert. Die Beträge entsprechen übrigens 66% bzw. 52% der Beitragsbemessungsgrenze für Westdeutschland, die derzeit bei 74.400 Euro liegt. 2015 nutzten immerhin 14.500 Zuwanderer diese Möglichkeit.
Wenn es den Arbeitgebern denn wirklich darum gehen sollte, den vermeintlichen Fachkräftemangel durch Zuwanderung auszugleichen, ist die gesetzliche Lösung also schon längst umgesetzt. Denn welcher Ingenieur in einem MINT-Beruf verdient weniger als 38.688 brutto im Jahr? Und wenn es wirklich derart schlecht dotierte Angebote gibt, dann wird es sich nicht um einen „Mangel“ handeln. Denn jeder Ökonom lernt schon im ersten Semester den Grundmechanismus von Angebot und Nachfrage bei der Preisfindung. Wenn auf viele offene Stellen nur wenige Bewerber kommen, müsste automatisch der Preis, also der angebotene Lohn, steigen.
Auch die Ökonomen der INSM wissen dies natürlich sehr genau. Die Arbeitgeberverbände treiben schließlich schon lange Lobbyarbeit gegen die Einkommensgrenzen bei der Blauen Karte. Diese Vorstöße kann man aber anhand einfacher Logik und simpelster Ökonomie als Manipulation entlarven. Denn wenn der deutschen Wirtschaft in bestimmten Bereichen tatsächlich ein großer Schaden durch Personalengpässe drohen würde, würde sie ja ohne mit der Wimper zu zucken gemäß der simplen Regel von Angebot und Nachfrage die entsprechenden Löhne erhöhen und dann entweder Bewerber aus der EU oder über die Blaue Karte auch aus Drittstaaten bekommen. Weitere Gesetze sind dazu nicht nötig. Und wenn man die Löhne nicht erhöhen will, dann droht auch kein Schaden durch Personalengpässe; dann blufft die Arbeitgeberlobby nur. So einfach könnte man das erklären.
Dieses simple Erklärungsmuster lässt sich übrigens mühelos auf die gesamte Debatte rund um den angeblichen Fachkräftemangel und den angeblich drohenden allgemeinen Arbeitskräftemangel ausweiten. Solange 50-jährige Ingenieure wegen der mit dem tariflichen Lohngefüge verbundenen Einkommensregelungen als nicht vermittelbar gelten, kann es mit dem Fachkräftemangel nicht so dramatisch sein. Und solange am unteren Ende der Einkommensskala immer noch der Mindestlohn die Untergrenze markiert, kann auch von einem generellen Arbeitskräftemangel nicht die Rede sein.
Dazu ein ganz dummes und bitte nicht wörtlich zu nehmendes Beispiel: Wenn Sie privat eine Raumpflegerin suchen und niemanden finden, der bei Ihnen für fünf Euro putzen will, dann können Sie doch nicht ernsthaft von einem Fachkräftemangel sprechen. Genau nach dieser Methode gehen die Arbeitgeberverbände aber vor. Privat würden sie das Problem dadurch lösen, anstatt fünf eher fünfzehn Euro zu bieten und schon wäre der angebliche Fachkräftemangel gelöst. Lösungen, die derart auf der Hand liegen, fallen den promovierten und habilitierten Ökonomen der INSM jedoch putzigerweise nicht ein. Und das ist ja auch verständlich, werden sie doch von den Arbeitgeberverbänden dafür bezahlt, die öffentliche Meinung im Sinne der Arbeitgeber zu beeinflussen. Wenn man jemandem Vorwürfe machen muss, dann Journalisten wie Daniel Eckert von der WELT, die diesen Unsinn unkommentiert wiedergeben.
p.s.: Auch ich weiß, dass Zuwanderung etwas anderes ist als ein an den Job gekoppelter Aufenthaltstitel. Aber das ist ein anderes Themenfeld. Natürlich müsste der Gesetzgeber auch die Schutzrechte von Drittstaatenangehörigen, die über eine Blaue Karte ihrem Arbeitgeber ziemlich ausgeliefert sind, stärken und natürlich müsste es bessere Möglichkeiten für diese Arbeitnehmer geben, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erlangen, wenn sie es denn wollen. Aber das hat nun nichts mit dem Fachkräftemangel oder einem Arbeitskräfteengpass zu tun und sollte daher auch nicht vermischt werden.
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=40366