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Titel: Demokratie braucht Konkurrenz und Medien, die diese Konkurrenz auch zulassen

Datum: 14. September 2017 um 12:40 Uhr
Rubrik: AfD, Audio-Podcast, Medienkritik, Rechte Gefahr
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Heribert Prantl

Heribert Prantl ist ein publizistisches Faszinosum. Bei bestimmten Themen, wie der inneren Sicherheit oder dem Überwachungsstaat, ist das Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung eine der klügsten Stimmen im klassischen Journalismus. Bei anderen Themen scheint ihm jedoch der Durchblick abhandengekommen zu sein. Anfang dieser Woche überraschte uns Prantl beispielsweise mit einem verstörenden Kommentar, in dem er ausgerechnet die Linken und die Grünen für das Erstarken der AfD verantwortlich macht. Kernthese: Die Opposition habe es nicht geschafft, ihre Ideen der Öffentlichkeit zu präsentieren. Und das sagt ein Chefredakteur, dessen Zeitung Seit´ an Seit´ mit zahlreichen anderen „Qualitätszeitungen“ alles nur Denkbare tut, um die Linken und den linken Flügel der Grünen zu diskreditieren. Das hat schon Chuzpe, lieber Herr Prantl. Für eine ernstzunehmende Debatte disqualifizieren Sie sich damit aber. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Üblicherweise wird der bisherige AfD-Erfolg der von Angela Merkel geführten großen Koalition in die Schuhe geschoben […] Und das übersieht vor allem, dass die parlamentarische Opposition, also Grüne und Linke, es in den vergangenen vier Jahren nicht geschafft haben, Hort und Hauptanziehungspunkt der Kritik an der Bundesregierung zu sein. Das Wachsen der AfD ist auch ein Ergebnis des Versagens der anderen kleineren Parteien. 
– Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung

Nun, lieber Prantl, wie kommt es denn, dass Grüne und Linke es angeblich nicht geschafft haben, “Hort und Anziehungspunkt der Kritik an der Bundesregierung zu sein“? Könnte das nicht auch daran liegen, dass die klassischen Medien jede noch so kleine progressive Kritik am Merkel-Einerlei bereits im Keim erstickt haben?

Ein schönes Beispiel dafür ist Ihr Kollege Thomas Denkler, der immer dann in schräger Rhetorik über die Opposition herfällt, wenn diese ihren Job macht, die Regierung kritisiert und die Lage des Landes nicht derart naiv-rosarot darstellt. Wenn Sahra Wagenknecht oder eine andere Stimme der Opposition Aufrüstung, Spannungspolitik und NATO-Osterweiterung kritisiert, hagelt es regelmäßig harsche Kritik von Denkler und seinem transatlantischen Kollegen Stefan Kornelius. Letzterer war auch stolz wie Bolle, dass die klassischen Medien in der Ukraine-Krise mit einer Stimme sprachen – der Stimme Washingtons, der Stimme der Kanzlerin. Kritisches von der Opposition hat da keinen Platz. Heute wählen viele Protestwähler die AfD wegen deren Russland-Politik, die sie als löbliche Alternative zur Spannungspolitik der Großen Koalition wahrnehmen. Dass es auch andere Oppositionskräfte gibt, die wesentlich glaubhaftere Ansätze für eine echte Entspannungspolitik haben, ist diesen Wählern offenbar nicht bekannt. Wie auch? In den klassischen Zeitungen wird darüber selten und wenn dann meist mit negativem Unterton berichtet. Die Süddeutsche macht da keine Ausnahme.

Und wie sieht es mit dem wohl wichtigsten Thema des Landes aus – der Arbeits- und Sozialpolitik? Gerade auf diesem Themenfeld gibt es ja große Unterschiede zwischen der Großen Koalition und der im Bundestag vertretenen Opposition. Aber auch hier gibt es einen großkoalitionären überbreiten Meinungsmainstream, dem auch die Süddeutsche angehört. Wie kommt es wohl beim Wähler an, wenn jeder noch so kleine Gegenentwurf zum neoliberalen Allerlei von wirtschaftsliberalen Redakteuren wie ihrem Kollegen Marc Beise angegriffen wird? Tagaus, tagein werden progressive Ansätze von den Medien verteufelt und mit Hilfe ideologischer Heckenschützen, die dann als „Experten“ zitiert werden, als naiv, unbezahlbar, kontraproduktiv und ruinös dargestellt. Herr Prantl, wundern Sie sich ernsthaft, dass die Saat, die ihre Kollegen säen, nun aufgeht? Wundern Sie sich, dass ausgerechnet die neoliberale FDP und in Teilen sogar noch neoliberalere AfD nun vom Wähler als Alternative gesehen werden?

Warum ausgerechnet die AfD? Das frage ich mich auch. Mag es daran liegen, dass sehr viele unserer Mitbürger sich bereits in die geistige Fundamentalopposition begeben haben und sich einfach auf die Seite schlagen, die von „den Eliten“ zumindest vordergründig am meisten ausgegrenzt wird? Wir kriegen viele Leserzuschriften – die allermeisten davon sind klug, wenige sind es nicht unbedingt. Aber gerade aus diesen eher dummen Zuschriften – oft von AfD-Fans – lassen sich Muster herauslesen. Die Wut dieser Menschen ist gigantisch und sie sucht ein Ventil. Dieses Ventil bietet die AfD diesen Menschen und die – natürlich vollkommen nachvollziehbare – Ablehnung der AfD durch das Establishment wird von diesen Wutbürgern sogar als Bestätigung aufgenommen. Diese Menschen haben ihr Vertrauen in die Politik, in die Institutionen und in die Medien doch nicht verloren, weil Linke und Grüne eine schlechte Performance abgeliefert haben. Etwas Ähnliches konnten wir doch schon in den USA beobachten, wo die Zahl derer, die einfach nur einen Schraubenschlüssel ins Getriebe eines Systems schmeißen wollten, das sie im Kern ablehnen, eine kritische Masse erreichte. Aber auch das war Ihren Kollegen ja zu komplex und man zauberte „den hackenden Russen“ aus dem Hut. Nun ja.

Sie fragen nun, wer schuld am Erstarken der Rechtspopulisten ist. Es waren und sind die Politik, die Institutionen und die Medien selbst, die sich diesen Schuh anziehen müssen. Wer beispielsweise berechtigte Kritik an Angela Merkels Flüchtlingspolitik instinktiv in die „braune Schublade“ packt, muss sich doch nicht wundern, wenn einige der derart schroff Aussortierten sich dann dort einrichten. Als beispielsweise Sahra Wagenknecht berechtige Kritik an der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin äußerte, schlugen Ihre Kollegen sich blitzschnell auf die Seite einiger Heckenschützen in der Linkspartei und versuchten, kritische linke Stimmen mundtot zu machen. Und nun wundern Sie sich, dass nur noch die AfD als kritische Stimme auf diesem Themenfeld wahrgenommen wird. Es waren Medien wie die Süddeutsche, die durch ihren – sicher im Kern ja gut gemeinten – Verzicht der Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik selbst zur fortschreitenden Polarisierung der Gesellschaft beigetragen haben. Und nun macht man sich einen schlanken Fuß und schiebt die Schuld der politischen Linken in die Schuhe. Das ist gemein, feige und analytisch unterkomplex, lieber Herr Prantl.

Vollkommen unverständlich wird diese Analyse jedoch dann, wenn man sieht, wie sie an anderer Stelle mit der SPD umgehen. Sämtliche Mitschuld der SPD am Erstarken der AfD scheinen sie komplett auszublenden. Inhaltliche Kritik? Fehlanzeige. Stattdessen loben Sie Martin Schulz über den grünen Klee. Das ist „alles Kappes“, wie Albrecht Müller so treffend formulierte. Und kam von Ihnen oder Ihrem Blatt eigentlich schon mal Kritik an der inflationären Fokussierung der Medien auf „AfD-Themen“? Monokausale Schuldzuschreibungen sind sicher fehl am Platz. Aber der Kreis derer, die für das Erstarken der AfD verantwortlich sind, ist groß und Medien wie die Süddeutsche zählen sehr wohl dazu.

Dabei hätten Sie sich doch in ihrem eigenen Blatt Anregungen holen können. Erst vor wenigen Monaten hat Ihr Blatt doch den französischen Soziologen Didier Eribon zu Wort kommen lassen. Doch offenbar ist seine brillante Analyse, die nahezu 1:1 von Frankreich auf Deutschland übertragbar ist, nicht bis zu Ihnen durchgedrungen. Sie können sich auch gerne einmal die kurze Rezension von Eribons letztem Buch anschauen, die Udo Brandes für die NachDenkSeiten geschrieben hat. Eribon hätte seine professionelle Freude an ihren Thesen und würde verzweifelt den Kopf schütteln.

Demokratie braucht Konkurrenz, und wenn dieses Bedürfnis nicht ausreichend befriedigt wird, taucht eine neue Partei auf, die das Bedürfnis befriedigt – derzeit freilich auf gefährliche, nationalistische, chauvinistische und islamophobe Weise.
– Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung

Ja, Demokratie braucht Konkurrenz und Medien, die diese Konkurrenz auch zulassen. Sie und Ihre Kollegen können doch nicht jeden Anflug inhaltlicher Konkurrenz zertrampeln und sich dann lautstark darüber echauffieren, dass die Demokratie nun vor die Hunde geht. Denken Sie mal darüber nach.


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