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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Liberal-Konservative Elitenproduktion
Datum: 26. Mai 2009 um 17:28 Uhr
Rubrik: Bildung, Chancengerechtigkeit, Soziale Gerechtigkeit
Verantwortlich: Kai Ruhsert
Die Hessische Landesregierung und die schulbetreibende „PHORMS Management AG“
Nach Art. 7 Abs. 4 GG sowie § 171 Abs. 3 des Hessischen Schulgesetzes kann dem Träger die Errichtung einer privaten Grundschule nur dann genehmigt werden, wenn der Schulbetrieb eine Sonderung der Schülerinnen und Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern weder vornimmt noch fördert.
Eben dieser freie und gleichberechtigte Zugang für Kinder aller Einkommensschichten ist bei der genannten Phorms-Schule, deren Eigentümerin eine Aktiengesellschaft ist, jedoch offensichtlich nicht gewährleistet.
Um diese Problematik zu thematisieren, hat sich die Fraktion DIE LINKE. im Hessischen Landtag im März 2009 mit einer Kleinen Anfrage (Landtagsdrucksache 18/230 [PDF – 65,5 KB]) an die Regierung gewandt und um Beantwortung wichtiger Fragen gebeten. Die Antwort der Landesregierung ist ob ihrer Dreistigkeit durchaus als Schlag ins Gesicht der Opposition zu verstehen, in sich aber vor allem höchst widersprüchlich. Von Jens Wernicke
Liberal-Konservative Elitenproduktion
Die Hessische Landesregierung und die schulbetreibende „PHORMS Management AG“
Am 19. Juli 2007 wurde der Grundschule Phorms Frankfurt, Fürstenberger Straße 3 – 9, 60322 Frankfurt am Main die Ersatzschulgenehmigung erteilt, die unter anderem zur Folge haben wird, dass diese Schule gemäß § 1 Abs. 2 Ersatzschulfinanzierungsgesetz (EschFG) ab 2010 rückwirkend staatliche Finanzhilfen erhält.
Nach Art. 7 Abs. 4 GG sowie § 171 Abs. 3 Hessischem Schulgesetz kann dem Träger die Errichtung einer privaten Grundschule jedoch nur dann genehmigt werden, wenn der Schulbetrieb eine Sonderung der Schülerinnen und Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern weder vornimmt noch fördert. Mit diesem „Sonderungsverbot“ will insbesondere das Grundgesetz eine Entwicklung der privaten Ersatzschulen zu einer Art von „Standes- oder Plutokratenschulen“ (Bundesverfassungsgericht) verhindern:
Es soll ein für Kinder aller Einkommensschichten freier Zugang zu einer Schule in freier Trägerschaft gewährleistet sein. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts […] erfüllen einige Freiplätze oder Schulgeldstipendien für besonders begabte oder besonders arme Kinder die Voraussetzungen nicht. Die Höhe des Schulgeldes für den Pflichtschulbetrieb ist maßgeblich“ (Hessisches Kultusministerium: Leitfaden Privatschulen, S. 12 [PDF – 509 KB]).
Eben dieser freie und gleichberechtigte Zugang für Kinder aller Einkommensschichten ist bei genannter Phorms-Schule, deren Eigentümerin eine Aktiengesellschaft ist, jedoch offensichtlich nicht gewährleistet: Die Eigentümerin der Phorms-Schule, die Phorms AG, sucht durch den Betrieb der vermeintlich „gemeinnützigen“ Schul-GmbH Profite zu erwirtschaften, indem sie dieser Marketing, Personalauswahl, Curriculumentwicklung, Computertechnik und anderes als Dienstleistungen verkauft. Um dies leisten zu können, verlangt wiederum die gGmbH Schulgelder in Höhe von 230 bis hin zu 999 Euro im Monat. Einen Betrag also, der den Hartz-IV-Regelsatz von 207 Euro pro Monat, von dem eine immer größer werdende Zahl von Kindern der entsprechenden Altersgruppe auch in Hessen zu leben gezwungen ist, selbst in geringster Ausprägung bei weitem übersteigt.
Um diese Problematik zu thematisieren, hat sich die Fraktion DIE LINKE. im Hessischen Landtag im März 2009 mit einer Kleinen Anfrage (Landtagsdrucksache 18/230 [PDF – 65,5 KB]) an die Regierung gewandt und um beantwortet wichtiger Fragen gebeten. Die Antwort der Landesregierung ist ob ihrer Dreistigkeit durchaus als Schlag ins Gesicht der Opposition zu verstehen, in sich aber vor allem höchst widersprüchlich:
Hierzu ist festzustellen:
Sollte jedoch eins von beiden (reale Möglichkeit, reale Teilhabe) nicht der Fall sein, sind private Schulen wie die Phorms-Schule schließlich doch Einrichtungen, die als „Standes- oder Plutokratenschulen“ fungieren und qua Grund- und Schulgesetz nicht zugelassen werden dürfen. Trotz einkommensgestaffelter Schulgelder wäre es bspw. möglich, dass nur Eltern mit Einkommen von bspw. 100.000,- Euro plus ihre Kinder auf derlei Schulen anmeldeten und die Schule derlei sogar noch forciert.
Hierzu ist festzustellen:
Nähme man das „Sonderungsverbot“ des Grundgesetzes ernst, müsste das Ziel staatlicher Bildungspolitik sein, dass (auch) an privaten Schulen die gesamtgesellschaftliche Sozialstruktur in etwa abgebildet würde. Konsequent zu Ende gedacht, müssten Schulgelder also eigentlich generell verboten werden; zumindest aber müssten an allen privaten Schulen Daten über die Sozialstruktur erhoben werden, um zu gewährleisten, dass, wie bereits problematisiert, nicht etwa bspw.
Hierzu ist festzustellen:
Die Möglichkeit einer Selbstfinanzierung durch die Erhebung annähernd kostendeckender Schulgelder ist den privaten Ersatzschulen durch Art. 7 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 GG praktisch genommen, weil durch sie – auch angesichts der Schulgeldfreiheit in öffentlichen Schulen – eine ‚Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern’ zumindest ‚gefördert’ würde. Das Grundgesetz wollte eine Entwicklung der privaten Ersatzschulen in Richtung auf eine Art von ‚Standes- oder Plutokratenschulen’ vermeiden […]. Daher reicht es nicht aus, wenn die Schulträger nur in Ausnahmefällen für besonders begabte oder besonders arme Kinder Schulgeldstipendien gewähren, zumal sie diese wiederum nur zu Lasten der anderen Schüler finanzieren könnten. […] Eine restriktive Auslegung, wie sie von der Freien und Hansestadt Hamburg vertreten wird, wonach Art. 7 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 GG dann verletzt ist, wenn die Ersatzschule darauf abzielt, nur Schüler aus bestimmten Gesellschaftsschichten aufzunehmen, nicht dagegen, wenn sie die zur Deckung angemessener Personal- und Sachausgaben notwendigen Schulgelder erhebt und für minderbemittelte Schüler Erleichterungen vorsieht, ist weder mit dem Wortlaut der Vorschrift noch mit ihrem Sinn zu vereinbaren. Vielmehr kommt es entscheidend auf einen Vergleich mit dem öffentlichen Schulwesen an. Die Privatschule muß allgemein zugänglich sein, zwar nicht in dem Sinne, daß sie wie die öffentliche Schule jeden Schüler bei Erfüllung allgemeiner Voraussetzungen aufnehmen muß, wohl aber in dem Sinne, daß sie grundsätzlich ohne Rücksicht auf deren Wirtschaftslage besucht werden kann. […] Dementsprechend wird zur Auslegung des Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG die Auffassung vertreten, es komme drauf an, ‚daß der Besuch der Privatschule nicht einem wirtschaftlich bevorzugten Kreise vorbehalten bleibt’ […]. Auch höhere Schulgelder sind nicht zulässig, solange die Privatschulen ‚vom Staat nicht eine materielle Förderung in solchem Umfang erfahren, daß sie nach den Besitz- und Einkommensverhältnissen der Eltern ihrer Schüler nicht mehr zu fragen brauchen’ […]. Das hätte sich allenfalls unter der Geltung des Art. 147 Abs. 1 Satz 2 WRV vertreten lassen, wenn man diese Vorschrift nach dem damals herrschenden Verfassungsverständnis lediglich als sozialpolitische Forderung ohne verbindlichen Charakter hätte abtun wollen […]. Keineswegs trifft das aber für Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG zu, der als verbindliche Verfassungsnorm dazu zwingt, die Ersatzschulgenehmigung zu versagen oder aufzuheben, wenn überhöhte Schulgelder eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern auch nur fördern würden. […] Nur wenn […] [der Ersatzschulbesuch] grundsätzlich allen Bürgern ohne Rücksicht auf ihre persönlichen finanziellen Verhältnisse offensteht, kann die in Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistete Freiheit im Schulwesen (BVerfGE 27, 195 [200]) tatsächlich verwirklicht und von allen Eltern und Schülern gleichberechtigt in Anspruch genommen werden.
Es reicht also nicht aus, „in Ausnahmefällen“ „Schulgeldstipendien“ zugewähren. Was die Phorms-Schule jedoch tut, ist Folgendes: Sie behauptet, und wird hierbei in keiner Weise kontrolliert, in Einzelfällen, über deren Zahl nichts zu sagen ist, weniger Schulgeld zu verlangen – von Erlass oder gar realer materieller Förderung der Schule für arme Kinder, die diesen auch noch ermöglichte, bspw. Lernmittel zu beschaffen, in Form von „Schulgeldstipendien“ oder Stipendien kann also gar keine Rede sein.
Hierzu ist festzustellen:
Diese Feststellung erinnert zumindest mich im Umfeld des 60. Jahrestages des Inkrafttretens des Grundgesetzes an Folgendes: Es war Konsens unter den deutschen Politikern, die 1945 aus Konzentrationslagern und Gefängnissen der Nazis befreit worden waren oder aus dem Exil zurückkehrten, dass es zu einer wirtschaftlichen Neuordnung kommen müsse. Bis in die Reihen der Union wurde die Auffassung vertreten, dass »das kapitalistische Wirtschaftssystem den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden« sei – wie es im Ahlener CDU-Parteiprogramm von 1947 hieß. Als im Mai 1949 schließlich das Grundgesetz unterzeichnet und verkündet wird, erklärt der KPD-Vorsitzende Max Reimann dazu: “Wir Kommunisten versagen aus grundsätzlichen Erwägungen heraus dem Gesetz unsere Stimme. Die Gesetzgeber aber werden im Verlaufe ihrer volksfeindlichen Politik ihr eigenes Gesetz brechen. Wir Kommunisten aber werden die im Grundgesetz verankerten wenigen demokratischen Rechte gegen die Verfasser des Grundgesetzes selbst verteidigen.”
Genau dies erlebt man in Deutschland zurzeit mit jedem Tag mehr: Wie inzwischen die ‚Linke’ (als Partei wie auch als Bewegung), die als ‚Verfassungsfeind’ beschimpft und öffentlich denunziert wird, sich bemüht, die Grundrechte zu schützen, und womöglich weiterzuentwickeln (siehe hierzu bspw. die hervorragende Broschüre “Das Grundgesetz: Offen für eine neue soziale Idee” [PDF – 608 KB]) während bspw. Teile von hessischer CDU und FDP die Verfassung öffentlich als „historisches“ und also veraltetes Dokument und exemplarisch die in ihr eingeräumte Vergesellschaftungsmöglichkeit als „Blödsinn“ bezeichnen oder aber sogar offen bekennen, gar „keine gerechte Gesellschaft“ zu wollen, wie vor einigen Tagen der Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der hessischen FDP-Fraktion, René Rock.
Quellen:
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=3966