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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Genossenschaftsmodelle erleben eine Renaissance
Datum: 22. Mai 2009 um 15:48 Uhr
Rubrik: Länderberichte, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Der Wunsch in der Bevölkerung nach finanzieller Stabilität und Unabhängigkeit von globalen Finanzsystemen, der Ruf nach alternativen Wirtschaftsmodellen mit gerechter Entlohnung und sicheren Arbeitsplätzen wächst und immer mehr Menschen stellen sich die Frage ob Unternehmen in einer globalisierten Welt existieren nur können, wenn sie neoliberalen Prinzipien zu folgen? Die genossenschaftliche Unternehmensform bewährt sich in der Krise und erlebt derzeit eine Renaissance. Der Genossenschaftsverband Bayern gibt in einer aktuellen Pressemeldung bekannt, dass sich mit 29 Eintragungen in bayerischen Registergerichten der Vorjahreswert neu gegründeter Genossenschaften mehr als verdoppelt habe. Die Spannbreite der Neugründungen umfasse Bereiche der Landwirtschaft und des Dienstleistungsgewerbes ebenso wie den Medizin- und Energiesektor. Stephan Götzl, Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern begründet den Zulauf mit den Worten: “Genossenschaften werden von Menschen in den Regionen gegründet, um dort wirtschaftliche Verbesserungen zu ermöglichen oder Marktversagen zu beheben. Sie bieten Stabilität, betriebswirtschaftlich wie volkswirtschaftlich.“ Von Christine Wicht
Laut Pressemeldung des Genossenschaftsverbands vom 8. April 2009 waren die Geschäfte der 800 bayerischen Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften im Jahr 2008 stabil. Mit 10,6 Milliarden Euro konnten sie ihre Umsätze auf Vorjahresniveau halten. Götzl bezeichnet dies als hervorragende Leistung: “Wenn man bedenkt, dass die deutsche Wirtschaft im Jahr 2008 in drei Quartalen geschrumpft ist und sinkende Marktpreise in vielen Bereichen umsatzmindernd wirkten.” Gegenüber dem Vorjahr überdurchschnittlich stark zulegen konnten die 41 Handwerksgenossenschaften mit einem Umsatzplus von 129 Millionen Euro auf nunmehr 618 Millionen Euro. Einen deutlichen Umsatzzuwachs von 24,5 Prozent auf 1,15 Milliarden Euro verzeichneten auch die 124 im ländlichen Warengeschäft tätigen Unternehmen. Rund die Hälfte des Umsatzes wurde von den 88 Kreditgenossenschaften mit Warengeschäft erzielt. Das zeige insgesamt, so Götzl, dass die örtliche Versorgung mit den wichtigsten Waren für den landwirtschaftlichen und privaten Verbrauch bei den Kunden wieder hoch im Kurs stehe
Wirtschaftsclub der SPD erkennt die Qualität von Genossenschaften
Der Wirtschaftsclub SPD-Bayern hat der SPD-Programmkommission und der SPD-Bundestagsfraktion Bausteine für einen Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik mit dem Schwerpunkt „Beschäftigungspolitik“ vorgelegt. Darin enthalten sind Elemente der baskischen Kooperative Mondragón, die ein erfolgreiches Beispiel für eine demokratische Unternehmensstruktur, faire Entlohnung und Reinvestitionen ist (Quelle: www.wirtschaftsclub.org).
Mondragón als Vorbild
Mondragón ist eine der größten europäischen Genossenschaften, dazu gehören Unternehmen verschiedenster Sektoren wie Maschinenbau, Automobilindustrie, Haushaltsgeräte, Bauindustrie, Einzelhandel (Supermarktketten), Banken und Versicherungen. Die baskische Kooperative Mondragón (MCC) hat gezeigt, dass sich demokratische Unternehmensstruktur, faire Entlohnung und Reinvestitionen nicht widersprechen müssen. Das Genossenschaftsmodell trotzt der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise in bemerkenswerter Weise. Der Wirtschaftsclub SPD-Bayern sieht in der Erwerbsarbeit ein konstitutives Element unserer Gesellschaft. Sie sei ebenso notwendig zur Existenzsicherung wie für das Selbstwertgefühl der Menschen. Oberstes Ziel der Wirtschaftspolitik müsse daher sein, möglichst jedem arbeitsfähigen und arbeitswilligen Menschen einen Arbeitsplatz zu bieten. Künftiges Wachstum müsse als qualitatives Wachstum mit Produkten erreicht werden. Bei deren Herstellung und Nutzung gelte die Zielsetzung, die Umwelt zu schonen und den Ressourceneinsatz effizient zu gestalten. Wachstum allein, so der Wirtschaftsclub, werde zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht ausreichen, deshalb sei es unabdingbar, Konzepte für den Abbau der Arbeitslosigkeit auch ohne Wachstum zu entwickeln.
Der SPD-Wirtschaftsclub sieht eine Stärke in der Regionalisierung, dies verteuere zwar die heute zu billigen Massengüter, schaffe aber genau mit diesen Zusatzkosten wieder regional verfügbare Arbeitsplätze. Eine politisch unbedingt zu fördernde Art der Unternehmensform sei das Modell der Kooperative durch aktive Unterstützung der Gründung von Kooperativen und eine Vereinfachung des Genossenschaftsrechts. Wesentlich sei dabei, dass durch die Beteiligung aller Mitglieder einer Kooperative bei gleichzeitiger Beschränkung auf stets nur eine Stimme eine völlig andere Unternehmenskultur bestehe. Wenn dazu noch die Mitglieder selber Arbeitnehmer in der Kooperative seien, sei deren Zielsetzung per se die Beschäftigung und nicht eine möglichst hohe Rendite. Sie würden dadurch unabhängiger von den spekulativen Finanzmärkten. Die in Deutschland in vielen Unternehmen eingeführte Mitarbeiterbeteiligung ließe sich entsprechend ausbauen durch allmähliche Überführung in eine kooperative Unternehmensform, gegebenenfalls auch mit zunehmendem Einstieg von Tendenzfonds und Überführung der Stimmrechte in eine Stiftung als Genossenschaftspool.
Als besonders interessantes, weil auch wirtschaftlich mächtiges und erfolgreiches Modell, wird die baskische Kooperative Mondragón (MCC) aufgeführt. Der Wirtschaftsclub betont, dass wesentlich dabei ist, dass zum Komplex auch eine Versicherung sowie ein Finanzinstitut gehören. In diesen kumulieren die Mitglieder ihre aus den Überschüssen resultierenden Gewinnbeteiligungen als Alters- und Krankenvorsorge, während andererseits diese Institute den internen Kapitalbedarf (auch für Neugründungen) abdecken.
Damit eine soziale und wirtschaftliche Vision nicht zu einer vorübergehenden Erscheinung verkommt, muss sie nachhaltig auf die Ausbildung und die sozialen Beziehungen hinwirken. (Philosophie des Mondragón-Gründers Don José)
Das Baskenland war durch den Spanischen Bürgerkrieg (1936-39) stark in Mitleidenschaft gezogen und infolge dessen von hoher Arbeitslosigkeit betroffen.1941 kam der junge Jesuitenpater José María Arizmendiarrieta (Don José) nach Mondragón und gründete 1946 eine Berufsakademie, die heutige Polytechnische Hochschule. 5 Absolventen dieser Hochschule gründeten 1956 das erste Unternehmen ULGUR (heute Fagor). Inspiriert von einem Gemeinschaftsgedanken entstand 1959 die Kreditgenossenschaftsbank und es folgten in den kommenden Jahren weitere Genossenschaften. Mit der Gründung der Genossenschaft MCC entstand ein bis heute außergewöhnlich erfolgreiches Modell. Die weltweit agierende Genossenschaft ist ein prosperierendes ökonomisches Netzwerk, ausgerichtet auf Selbsthilfe, Solidarität und Kooperation und basierend auf demokratischen Strukturen. Während der Anfangsjahre gab es in der Genossenschaft eine Lohnspanne von eins bis drei. Später wurde diese auf 1 bis 4,5 erweitert, um den Kaufkraftverlust der leitenden Angestellten auszugleichen, der sich aus der Einführung der Einkommenssteuer durch die Regierung ergab. In den 1990er Jahren wurde die Spanne im Bruttolohnbereich auf 1 bis 6 erweitert. Die Kooperative ist in die drei Wirtschaftssektoren, einer Finanz-, einer Industrie- und einer Handelsgruppe aufgeteilt. Der Finanzbereich umfasst Bankenaktivitäten, soziale Versorgungsleistungen und Versicherungen. Dem industriellen Sektor gehören 12 Unternehmenseinheiten an, die sich der Herstellung von Produkten und Dienstleistungen widmen. Der Bereich Handel umschließt Verkaufszentren sowie die Aktivität auf dem Agrar- und Lebensmittelsektor. Ergänzend stehen mehrere Forschungszentren sowie Berufsschul- und Ausbildungszentren zur Verfügung, einschließlich einer Universität mit rund 4.000 Studenten.
Der Impuls für die Entstehung und das Wachstum der Genossenschaften kam von Menschen, die bereit waren, Unternehmen mit einer genossenschaftlichen Arbeitsstruktur, Beteiligung der Mitglieder an Kapital und Leitung der Unternehmen und mit einer solidarischen Ausrichtung zu gründen. Unterstützt wurden die Genossenschaften von Unternehmen und Einrichtungen, die nicht von der Verwaltung sondern von der eigenen genossenschaftlichen Gruppe gegründet wurden, dazu gehören
Das Experiment stützte sich stets auf die Philosophie, gemäß der Erfordernisse eigene, unterstützende Organisationen auf den Gebieten Finanzen, Ausbildung, Forschung, auf internationaler Ebene zu schaffen (Quelle: www.mcc.es).
Mittlerweile gehören der Genossenschaft 264 Unternehmen und Einrichtungen an, von denen rund die Hälfte keine Genossenschaften sind. Infolge der raschen Expansion verabschiedete die Delegiertenversammlung (Generalversammlung aller Genossenschaften der Mondragón) im Mai 2003 eine Resolution über die “Ausdehnung der Gesellschaftsbeteiligung”, mit der die zuständigen Organe aufgefordert werden, für die Nicht-Genossenschaftsmitglieder unter den Beschäftigten Formen der Beteiligung an Eigentum und Geschäftsführung des Unternehmens zu entwickeln, die denen der Genossenschaften gleichkommen. Dabei handelt es sich um ein 1998 von der Vertriebsgruppe Eroski (Supermarktkette) gestartetes Projekt, das den Nichtmitgliedern unter den Beschäftigten über die Gesellschaft „Gespa“ die Möglichkeit zur Beteiligung an Kapital und Geschäftsführung ihrer Arbeitsstätte bietet. Die Mehrheit der nicht genossenschaftlich beteiligten Beschäftigten der Eroski-Gruppe hat diese Beteiligungsformel angenommen.
Inzwischen hat die Initiative 103.731 Mitglieder und ist somit die größte Unternehmensgruppe im Baskenland, die siebtgrößte in Spanien und die erfolgreichste Industriegenossenschaft weltweit. Das Geschäftsjahr 2008 schloss die Kooperative mit einem positivem Ergebnis ab: Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Mitarbeiter um mehr als 7.500 Personen und der Umsatz konnte um mehr als 13% gesteigert werden. Die Investitionen der Unternehmensgruppe beliefen sich auf 866 Millionen Euro, der größte Teil davon entfiel auf den Wirtschaftssektor Industrie.
Mondragón Corporación Cooperativa – national, international und vielseitig
Die Globalisierung und der Beitritt Spaniens in die Europäische Gemeinschaft waren neue Herausforderungen, auf welche die Kooperative mit Veränderungen reagierte. Niederlassungen, Produktionsstätten und Verkaufsbüros in Nord- und Südamerika, Afrika, Fernost und Europa wurden eröffnet und haben im Gegensatz zu anderen global agierenden Unternehmen nirgendwo zu Arbeitsplatzabbau geführt. Die Gemeinschaft konnte ihre Präsenz weltweit konsolidieren und zeigen, dass sich Globalisierung und demokratische Wirtschaftsstrukturen nicht widersprechen müssen, sondern ganz im Gegenteil, zu einem Erfolg auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite führen können.
Sicher ist der Erfolg des Modells einerseits auf die Unterstützung der baskischen Nationalregierung zurückzuführen, die mit einer entsprechenden Rahmensetzung im baskischen Genossenschaftsgesetz Genossenschaften gegenüber normalen Unternehmen bevorzugt und andererseits auf das tief verwurzelte gesellschaftliche Bewusstsein der baskischen Bevölkerung, wodurch das enge Geflecht des ökonomischen Netzwerkes seine Basis und Stabilität erhält. Diese Werte kommen auch dadurch zum Ausdruck, dass ein Großteil der Bürger ein Konto bei der Genossenschaftsbank, Caja Laboral, unterhält. Des Weiteren ist der personenorientierte Charakter der Genossenschaft, bei dem der Mensch und nicht das Kapital im Vordergrund steht, wesentlich entscheidend für die Identifizierung des einzelnen Mitglieds mit der Genossenschaft. Die Einbeziehung des Einzelnen in seine Genossenschaft, durch direkte Beteiligung am Kapital und an der Führung des Unternehmens, trägt wesentlich zum positiven Klima bei.
Maßgeblich für Kooperation und Konsensbildung der Mitglieder sind die Prinzipien der Mondragón-Ökonomie:
Die Struktur der Mondragón-Inititative
Das grundlegende Element der Unternehmensstruktur von Mondragón ist die einzelne Genossenschaft mit ihrer Generalversammlung als oberstem Entscheidungsorgan sowie ihrem Vorstand als oberstem Verwaltungs- und Repräsentationsorgan, dem wiederum die Wahl des geschäftsführenden Direktors zukommt. Acht Vizepräsidenten bilden zusammen mit drei Direktoren der verschiedenen Abteilungen der Zentralstelle der Unternehmensgruppe den Generalvorstand, der von seinem Vorsitzenden geleitet wird.
Der Generalvorstand ist für die Erarbeitung, Koordination und Umsetzung der unternehmerischen Strategien und Ziele verantwortlich. Der Ständige Ausschuss der Delegiertenversammlung ist zuständig für die Förderung und Ausführung der auf dieser Versammlung beschlossenen Unternehmenspolitik und Vereinbarungen. Darüber hinaus verfolgt er kontinuierlich die unternehmerische Entwicklung der Initiative und kontrolliert die Geschäftsführung durch den Vorsitz des Generalvorstandes. Der Ständige Ausschuss wird von 20 gewählten Mitgliedern gebildet, welche die 14 Untergruppen der genossenschaftlichen Unternehmensgruppe vertreten. Das oberste Entscheidungs- und Vertretungsorgan der Genossenschaftlichen Unternehmensgruppe ist die Delegiertenversammlung, deren 650 Delegierten alle angeschlossenen Einzelgenossenschaften vertreten und deren Entscheidungen für alle Genossenschaften verbindlich sind.
„Niemand soll Sklave oder Herr eines anderen sein“ (Don José)
Die heute in Firmen übliche Form der Unternehmensfinanzierung läuft überwiegend über die Börse. Durch diese Form der Beschaffung von Finanzmitteln werden Gewinne aus dem Unternehmen abgezweigt und fließen an die Anteilseigner zurück, die aber nicht aktiv an der Produktion beteiligt sind. Die Problematik, dass eine ausgezahlte Dividende den Unternehmenswert schmälert, ist im Modell Modragón dadurch gelöst, dass überwiegend Arbeitnehmer einer Genossenschaft die Anteilseigner der Betriebe sind und Betrieb und Produktion vollständig mitbestimmen. 20% der Genossenschaftsgewinne fließen in einen kollektiven Reservefonds, von den restlichen 80%, fließen wiederum 10% in einen Sozialfonds, 45% in Rücklagen und 45% in persönliche Kapitalkonten der Genossenschaftsmitglieder. Die Beteiligung am Betrieb kann im Alter oder beim Austritt aus der Genossenschaft ausbezahlt werden. Im Fall einer negativen Jahresbilanz, wird der kollektive Reservefond für den Ausgleich in Anspruch genommen, sollte dieser nicht ausreichen, wird der übrige Teil von den individuellen Kreditkonten der Betriebsmitglieder abgebucht.
“Unsere größte Kraft liegt darin, gemeinsam Ziele zu verwirklichen, Unternehmensgruppen zu gründen, mit allem, was die Anpassung der individuellen Interessen an die allgemeinen Interessen erforderlich macht“ (Vorwort des Jahresberichts der Caja Laboral).
Da in der Anfangszeit finanzielle Mittel knapp waren und die genossenschaftlichen Betriebe vor schwierigen Aufgaben standen, wie z.B. der Mittelbeschaffung für Investitionen, wurde im Jahr 1959 die eigene Genossenschaftsbank „Caja Laboral Popular“ gegründet. Der Zugang zu den Finanzierungsmöglichkeiten ist auf die Mitglieder beschränkt. Diese Bank unterliegt, wie alle Kooperativen, auch den Mondragón-Prinzipien aus dem Assoziationsvertrag, mit welchem alle Kooperativen mit der Genossenschaftsbank verbunden sind. Die Generalversammlung der Caja Laboral besteht nicht nur aus den eigenen Genossenschaftern sondern auch aus Vertretern der industriellen Kooperativen. Die Bank investiert die Einlagen der Betriebe und die Mitarbeiter wiederum nur in Mondragón-Kooperativen der Region. Ein freier Abfluss der Gelder in globalisierte Märkte ist dadurch verhindert und das erwirtschaftete Volksvermögen verbleibt in der Region.
Die Caja Laboral schloss das Geschäftsjahr 2008 mit einem Nettogewinn von 100,8 Millionen Euro ab, wobei ein Anstieg der Spareinlagen um 11,8 Prozent und ein Zuwachs der Kreditgewährung um 10,5 Prozent verzeichnet wurden. Im Übrigen war kein Kunde der Caja Laboral von der Situation betroffen, die durch die Probleme die mit Lehmann Brothers aufgetreten sind, obwohl das Instititut in ihren Aktiva 162 Millionen Euro in Senior Bonds, bei einer Tochterbank der Lehmann-Brothers Co. B.V.) mit Sitz in den Niederlanden, angelegt hat. (Quelle: Pressemeldung Mondragón, 22.09.2008).
Eroski – eine Warenhauskette mit sozialem Gütesiegel
1969 entstand das Unternehmen Comerco, eine Supermarktkette, welche ihren Namen im folgenden Jahr in Eroski änderte. In der Studie „2008 Global Powers of Retailling“ nahm Eroski Platz 90 unter den 250 weltweit wichtigsten Handelsfirmen ein. 2004 umfasst die Kette 336 Niederlassungen, mit insgesamt 1.039.000 Kunden. Im Geschäftsjahr 2005 verzeichnet das Unternehmen 140 Neueröffnungen, darunter fünf Hypermärkte, sieben Tankstellen, 49 Reisebüros (Eroski Viajes), acht Freizeit- und Sportartikelgeschäfte und 49 Parfümerien. Diesen Neueröffnungen liegen Investitionen von 298 Millionen Euro zugrunde. Der Umsatz von Eroski stieg im Jahr 2007 um 19 Prozent und erreichte 7,642 Milliarden Euro, bei einem Gewinn von 207 Millionen Euro. Im Geschäftsjahr 2008 schüttete Eroski 47 Millionen Euro unter den Eigentümern aus. Im Januar 2009 stimmte die Hauptversammlung der Kooperative Eroski dem Projekt EMES zu, das die Umwandlung der gesamten Belegschaft (mehr als 52.000 Beschäftigte) in Teilhaber am Eigentum, an den Gewinnen und an den Entscheidungen der Firma vorsieht.
Die Hypermarktkette Eroski und ein Teil des Netzes der Supermarktkette Eroski starteten im September 2008 eine Kampagne zur Förderung regionaler Produkte. Des Weiteren existiert ein Vertrag über eine Zusammenarbeit mit ONCE und Talleres Gureak, der die Verpflichtung beinhaltet, Arbeitsplätze für Personen mit unterschiedlichem Behinderungsgrad zu schaffen. Die Gruppe Eroski beschäftigt derzeit in ihren Handelsbetrieben, in der Montage von Baugruppen für Haushaltsgeräte und für die Automobilindustrie Hunderte Personen mit Behinderung. Ikerlan forscht im Bereich alternativer Energien und hat als erstes Forschungslabor in Spanien ein kostengünstiges und flexibles Photovoltaikmodul auf Basis von Plastikmaterialien entwickelt, wodurch die Stromerzeugung über Fotovoltaik vervielfacht werden konnte.
“Allen muss Wissen vermittelt werden, um die Macht zu demokratisieren“ (Don José)
Von Anfang an sind Bildung und Ausbildung wesentlicher Bestandteil im Mondragón-Konzept. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit veranlasste Don José zur Einrichtung einer Berufsschule. Bildung war für ihn die Basis der Demokratie. Um die Abwanderung der arbeitslosen Jugendlichen zu verhindern, suchte er nach einer nachhaltigen Lösung und motivierte fünf betroffene Jugendliche zur Gründung einer Genossenschaft, die Gasherde und Heizöfen herstellen sollte. Aufgrund großer Nachfrage konnte der Betrieb schnell expandieren und seine Produktpalette erweitern, heute ist das Unternehmen international unter dem Namen FAGOR tätig. Aus einer kleinen Werkstatt in der 1956 Paraffinöfen und -herde hergestellt wurden, ist eine führende Unternehmensgruppe entstanden. Fagor Möbel konnte bereits zu Beginn 2009 zwei Projekte in den Bereichen Küchen, Bäder und Luxusappartements in den USA (Maryland und Washington D.C.) realisieren. Im Jahr 2008 hat die Fagor-Möbel eine Möbelkette für Küchen in China eröffnet. Die Danobat Gruppe ist führend im spanischen Werkzeugmaschinenbausektor und hat von der russischen Firma T.V.S.Z, dem größten Hersteller von Güterwaggons in Russland, einen Auftrag im Gesamtvolumen von mehr als 40 Millionen Euro erhalten. Des Weiteren haben die baskischen Kooperativen Matrici und Batz gemeinsam mit Renault einen Auftrag im Gesamtwert über 30 Millionen Euro für Trucks erhalten.
“Das genossenschaftliche Experiment von Mondragon ist eine Bildungsbewegung, welche die wirtschaftliche Aktion benutzt” (Don José)
Nicht Elitedenken war das Erfolgsmodell der Genossenschaft sondern eine breit gefächerte Ausbildung für alle Genossenschaftsmitglieder. Die Initiative sieht Bildung als Schlüsselelement für den Erfolg des Experiments von Mondragón. Dies bezieht sich sowohl auf die Regelausbildung, wie sie an unseren Universitätsfakultäten und Berufsschulen durchgeführt wird, als auch auf die ständige Weiterbildung in Verbindung mit beruflicher Umschulung und Perfektionierung. Einer fundierten Ausbildung nach demokratischen Grundprinzipien wurde in Mondragón von Anfang an große Bedeutung beigemessen. Demokratie wird als eine Methode und ein Verfahren gesehen, um die Interessen eines jeden Einzelnen mit denen der Gesamtheit in Einklang zu bringen.
„Die Ausbildung muss mit den Studenten und nicht für die Studenten entwickelt werden“ (Don José)
1964 studierten bereits 1000 Schüler an der Polytechnischen Berufsschule, der Lehreinrichtung der technischen Ingenieursausbildung. Heute wird die Hochschule von 4.000 Studenten besucht. Praktische Erfahrungen in den genossenschaftlichen Betrieben gehören zum Studium. Bildung und Ausbildung spielten im Mondragón-Modell von Anfang an eine bedeutende Rolle. 1997 gründete die Initiative eine Universität und verfügt über ein bedeutendes Bildungsnetz mit mehreren Berufsschulen und eigenen Universitäten. Im Jahrgang 2006/2007 waren 3327 Studenten immatrikuliert, 357 Studenten nutzten die Chance eines Aufbaustudiengangs. Die technische Hochschule bot in diesem Jahrgang 25 akademische davon 11 verschiedene Abschlüsse im Ingenieurswesen an. Die Studenten haben zudem die Möglichkeit an ausländischen Universitäten ihr Wissen zu vertiefen oder Praktika im Ausland zu absolvieren.
An der Universität “Mondragón Unibertsitatea” kann jeder studieren, der die akademischen Zulassungsbedingungen erfüllt. Nach Abschluss des Studiums besteht keinerlei Verpflichtung, in einem der Unternehmen der genossenschaftlichen Unternehmensgruppe zu arbeiten. Die Studenten arbeiten täglich vier Stunden in einem Unternehmen der Kooperative, erhalten dafür monatlich 600 Euro und müssen keine Studiengebühren bezahlen. Die Hälfte der Absolventen arbeitet anschließend in der Initiative, die quasi als lebenslange Stellung angesehen werden kann, da in Mondragón keine Kündigungen ausgesprochen werden. Jeder hat die Möglichkeit sich weiterzubilden oder sich in einem anderen Unternehmenszweig zu bewerben.
Das Geheimnis für den Erfolg und die Stabilität liegt im Zusammengehörigkeitsgefühl, in der lokalen Verwurzelung, der sozialen Sicherheit und der Zufriedenheit der Mitarbeiter, der geringen Lohnspanne und der dank umfassender Mitbestimmung transparenten Unternehmensführung.
Genossenschaftsmodelle haben in der modernen, leistungsorientierten und profitorientierten Gesellschaft oftmals einen etwas angestaubten Charakter, doch zeigt gerade das Beispiel Mondragón, dass dem nicht so sein muss. Genossenschaften sind immun gegen Heuschrecken, weil sie aufgrund der demokratischen Mitbestimmung und der Genossenschaftsbanken für sie ungenießbar sind. Das schafft zum Einen Unabhängigkeit und zum Anderen Sicherheit. Mondragón muss keine baskische Besonderheit sein, ein derartiges Modell könnte sich an jedem Ort der Welt etablieren.
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