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Titel: FDP-Chef Lindner sagt einmal etwas Vernünftiges und die Medien laufen Amok … es ist wirklich hoffnungslos

Datum: 8. August 2017 um 10:38 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
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Die Äußerungen zur Ostpolitik, die FDP-Chef Lindner an diesem Wochenende in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe kundtat, sind durchaus lesenswert. Lindner plädiert für pragmatische Lösungen, um den unseligen Konflikt mit Russland endlich zu begraben und eine neue europäische Friedensordnung zu entwerfen. Dabei gibt er nichts preis, was nicht ohnehin schon verloren wäre und empfiehlt politische Schritte, die abseits der Sanktionen im Kleinen schon längst gegangen werden. Warum also die ganze Aufregung? Und warum der hyperventilierende Ton einiger Kommentatoren, der kaum noch zu ertragen ist? Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wir müssen raus aus der Sackgasse. […] Andererseits muss es Angebote geben, damit Putin ohne Gesichtsverlust seine Politik korrigieren kann. Die Sanktionen sollten nicht erst fallen können, wenn das Friedensabkommen von Minsk vollständig erfüllt ist. Auch positive Zwischenschritte müssen gewürdigt werden. Wir sollten versuchen, in das Verhältnis zu Russland wieder Bewegung zu bekommen. Sicherheit und Wohlstand in Europa hängen auch von den Beziehungen zu Moskau ab. Um ein Tabu auszusprechen: Ich befürchte, dass man die Krim zunächst als dauerhaftes Provisorium ansehen muss. […]
Dieser Wandel durch Annäherung von einem festen Fundament aus war neues Denken. Das brauchen wir auch heute, für mehr Dialog und mehr Kreativität im Umgang.
Christan Lindner im Interview mit der Funke-Mediengruppe

Was Lindner im Interview sagt, ist richtig und im besten „Merkel-Deutsch“ ja auch alternativlos. Natürlich muss die Ostpolitik die derzeitige Sackgasse verlassen. Welche Alternative gibt es denn? Stetig in der Sackgasse zu bleiben und darauf zu beharren, dass man im Recht sei? Es ist mehr als naiv anzunehmen, ein russischer Präsident könne oder wolle die Krim künftig wieder aus dem russischen Staatsgebiet ausgliedern. Westliche Politiker und Journalisten argumentieren an dieser Stelle gerne mit dem Völkerrecht und vergessen dabei jedoch dessen Grundlagen. So erweiterte der Völkerrechtspionier Georg Jellinek den Staatsbegriff seinerzeit mit dem Grundsatz der „normativen Kraft des Faktischen“ – vereinfacht gesagt, muss das Völkerrecht demnach auch die Realitäten zur Kenntnis nehmen. Die Krim ist heute integraler Bestandteil der Russischen Föderation und daran wird sich auch nicht rütteln lassen – Sanktionen hin, Kriegsrhetorik her. Die ultima ratio, um die Krim Russland wieder zu entreißen, wäre militärische Gewalt und diese Option sollte jeder klar Denkende wohl ausschließen.

Streng genommen ist die Krim heute schon das, was Lindner als „Tabubruch“ verkauft – ein „dauerhaftes Provisorium“. Bei den Friedensverhandlungen des Minsker Prozesses wird die Krim doch schon heute de facto ausgeklammert. Man konzentriert sich auf die Ostukraine und das ist auch gut so, will man denn auch mal ein Jota vorankommen. Und dauerhafte Provisorien sind ja nun auch weiß Gott keine völkerrechtliche oder geschichtliche Novität. Das bekannteste Provisorium ist wohl die Inselrepublik „Taiwan“. China erhebt heute noch Ansprüche auf Taiwan und vertritt mit seiner „Ein-China-Politik“ eine relativ kompromisslose Linie, die unter anderem dazu führte, dass Taiwan die UN verlassen musste und nahezu alle Staaten ihre diplomatischen Beziehungen zu Taiwan seit rund vier Jahrzehnten eingefroren haben. Ist das völkerrechtlich einwandfrei? Sicher nicht. Es ist die normative Kraft des Faktischen und auch Deutschland hält sich an die Regeln – so verweigerte die Bundesrepublik 2006 dem taiwanischen Außenminister ein Visum für eine private Deutschland-Reise mit dem Verweis auf die „Ein-China-Politik“. Niemand soll daher behaupten, der Krim-Konflikt sei eine unauflösbare Sackgasse.

Die Liste der territorialen Streitigkeiten ist lang und auch innerhalb der EU gibt es zahlreiche ungeregelte Konflikte, wie zum Beispiel die völkerrechtlich immer noch nicht geklärte Deutsch-Niederländische Grenzfrage oder der Dauerstreit um Gibraltar. Konkurrierende Ansprüche Russlands und der Ukraine auf die Krim sind daher nichts wirklich Neues und es gibt keinen Grund, warum man diesen Konflikt nicht pragmatisch klären könnte.

Dennoch muss man Christian Lindner natürlich auch mal Lob zollen – das kommt ja auch nicht häufig vor. Sicherlich ist sein „Tabubruch“ wahlkampftaktisch motiviert, schließlich sind die Russland-Sanktionen vor allem beim Mittelstand extrem unpopulär; dennoch ist es wichtig, dass auch einmal abseits der Linkspartei ein Hauch von außenpolitischer Vernunft spürbar ist. Eigentlich hätte man diese Worte ja von Martin Schulz erwartet, der als SPD-Vorsitzender ja auch ein „Erbe“ der „Neuen Ostpolitik“ ist. Die deutsch-russischen Beziehungen sind ja geradezu eine Steilvorlage, bei der ein SPD-Kandidat eigentlich nur noch sinnbildlich den Fuß hinhalten muss … aber lassen wir das.


Screenshot: bild.de

Wahrlich erschreckend sind die Reaktionen der Medien auf Lindners Vorstoß. Eigentlich müsste der Versuch, sich aus der selbstverordneten Stockstarre zu befreien, doch zumindest von einem Teil der Kommentatoren begrüßt oder gar gewürdigt werden. Doch Fehlanzeige: Keine einzige namhafte Publikation lobt Lindners Diskussionsangebot. Stattdessen wirken viele Kommentatoren so, als stünde ihnen der Schaum vor Mund.

So phantasiert das BILD-Enfant-Terrible Paul Ronzheimer beispielsweise von Panzern, die Putin in die Ukraine geschickt hätte und ukrainischen Kindern, die vor seinen Augen durch russische Waffen getötet wurden. Für Ronzheimer ist die FDP „damit“ unwählbar – nun ja, damit können sicher alle Beteiligten leben. Als Stimme des Volkes lässt die BILD dann noch ein „FDP-Mitglied“ zu Worte kommen, das Lindners „Liebesdienerei gegenüber dem Kreml“ natürlich ablehnt und paradoxerweise im gesamten Artikel CDU-Wahlwerbung betreibt. Die Grünen seien „im Prinzip auch wählbar“, aber da sie „rechtzeitig vor der Wahl mit Volker und Marieluise Beck zwei ausgesprochene Falken einer menschenrechtsgeleiteten Außenpolitik entsorgt [hätten]“, bliebe halt nur noch Merkel, die ja auch „standhaft das Sanktionsregime gegen Russland verteidigt und aufrechterhält“. Schreibt so ein „typisches“ FDP-Mitglied? Nur dann, wenn es Richard Volkmann heißt und ansonsten Artikel auf dem transatlantischen Blog „Ruhrbarone“ oder den Salonkolumnisten verfasst.

Der Tagesspiegel unkt etwas von „populistischen Abwegen“, SPIEGEL Online sieht im Interview ein „fahrlässiges Signal“, die WELT wirft Lindner vor, „mit Diktatoren zu kuscheln“ und schlussfolgert, dass sich bei der FDP der „Putin-Apologet und antiamerikanische Verschwörungstheoretiker“ Kubicki durchgesetzt und Lindner seinen Kurs aufgezwungen hätte. Besonders interessant ist auch der Kommentar von Berthold Kohler in der FAZ, der sich ironiefrei darüber echauffiert, man solle „doch nicht sagen, was alle denken!“. Nein, wo kämen wir da hin, das wäre ja schon fast Demokratie. Und so weiter und so fort. Es ist zum Heulen. Jeder noch so zarte progressive Diskussionsansatz wird hierzulande gnadenlos von den Springerstiefeln der transatlantischen Falken zermalmt.


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