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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise der Woche
Datum: 6. August 2017 um 9:30 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Redaktion
Am Wochenende präsentieren wir Ihnen einen Überblick über die lohnenswertesten Beiträge, die wir im Laufe der vergangenen Woche in unseren Hinweisen des Tages für Sie gesammelt haben. Nehmen Sie sich ruhig auch die Zeit, unsere werktägliche Auswahl der Hinweise des Tages anzuschauen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (CW)
Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:
Vorbemerkung: Ursprünglich hatten wir geplant, in unserer Wochenübersicht auch auf die lohnendsten redaktionellen Beiträge der NachDenkSeiten zu verweisen. Wir haben jedoch schnell festgestellt, dass eine dafür nötige Vorauswahl immer damit verbunden ist, Ihnen wichtige Beiträge vorzuenthalten. Daher möchten wir Ihnen raten, am Wochenende doch einfach die Zeit zu nutzen, um sich unsere Beiträge der letzten Wochen (noch einmal) anzuschauen. Vielleicht finden Sie dabei ja noch den einen oder anderen Artikel, den es sich zu lesen lohnt. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
dazu: So verflochten sind Autoindustrie und Politik
Betrogen hat die Industrie. Es waren die deutschen Autokonzerne, die über Jahre ihre unerlaubt hohen Abgaswerte durch manipulierte Software vertuscht und sich dabei wohl auch unerlaubt abgesprochen hat. Möglich ist dieser Skandal aber nur, weil die Politik den Herstellern seit vielen Jahren den Rücken freihält. Die Bundesregierung verhinderte in Brüssel strengere Grenzwerte und schärfere Kontrollen. Und auch in der Aufarbeitung des Diesel-Skandals zeigen deutsche Behörden bei weitem nicht die Härte wie etwa in Amerika.
Das liegt womöglich auch daran, dass Berlin und die Konzerne personell häufig eng verwoben sind. Immer wieder wechseln Spitzenpolitiker und Regierungsbeamte auf Positionen in der Autolobby. Und manchen gelingt nach einigen gut bezahlten Jahren in der Industrie gar der Sprung zurück in ein Regierungsamt.
Quelle: Süddeutsche
dazu: (Auto-) Konzerne und Verbände kaufen sich Schwarz-Gelb
Zu den im Jahr 2017 von Konzernen und Verbänden insbesondere an die CDU (1,9 Millionen Euro) und die FDP (1,5 Millionen Euro) gezahlten Großspenden erklärt der Bundesgeschäftsführer der Partei DIE LINKE, Matthias Höhn:
Konzerne und Lobbyverbände versuchen sich im Bundestagswahljahr die ihnen genehme Koalition von Union und FDP zusammenzukaufen. Mit insgesamt 3,4 Millionen Euro werden Konservative und Liberale von Konzernen und Milliardären hofiert. Mit der Annahme dieser beträchtlichen Summen begeben sich CDU und FDP in Abhängigkeiten moralischer und struktureller Natur. Denn auch in der Politik wollen die, die das Orchester bezahlen, schließlich auch bestimmen, welche Musik gespielt wird.
Besonders abstrus ist die Bereitschaft von CDU, FDP und SPD, inmitten des Diesel-Skandals Riesensummen von Autokonzernen und Metallunternehmensverbänden in Empfang zu nehmen. Die BMW-Großaktionärsfamilie Quandt zahlte 200 000 Euro, die jeweils zur Hälfte an die CDU und FDP gingen. Daimler schrieb einen Scheck über zwei Mal 100 000 Euro für SPD und CDU aus.
Quelle: Die Linke
dazu: A Shameful Silence: Where is the Outrage Over the Slaughter of Civilians in Mosul?
The catastrophic number of civilian casualties in Mosul is receiving little attention internationally from politicians and journalists. This is in sharp contrast to the outrage expressed worldwide over the bombardment of east Aleppo by Syrian government and Russian forces at the end of 2016. Hoshyar Zebari, the Kurdish leader and former Iraqi finance and foreign minister, told me in an interview last week: “Kurdish intelligence believes that over 40,000 civilians have been killed as a result of massive firepower used against them, especially by the Federal Police, air strikes and Isis itself.” (…) The US-dominated coalition said that it tried to avoid carrying out air strikes where civilians were present, and its planes dropped leaflets telling them to move away from Isis positions. People on the ground in Mosul regarded this as a cruel joke, because they had nowhere else to go to and Isis would shoot them if they tried to run away.
Quelle: Patrick Cockburn in Counterpunch
Anmerkung JK.: Einer der wichtigsten Verbündeten der USA, die islamische Diktatur Saudi-Arabien, ist wesentlicher Antreiber des Krieges im Jemen. Dieser wird, bis auf Ausnahmen, wie obigen Kommentar, durch die „Qualitätsmedien“ einfach totgeschwiegen. Man vergleiche dagegen etwa die aktuelle Berichterstattung über die Lage in Venezuela und deren Tenor, womit sich zweifellos publizistisch ein Regime Change ankündigt oder man stelle sich vor im Jemen wäre Russland engagiert, die Meldungen würden sich überschlagen.
dazu: Flüchtlingsrettung: „Italien wird mit der Verantwortung allein gelassen“
Florian Westphal, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen, hat das Verhalten der europäischen Staaten in puncto Seenotrettung im Mittelmeer kritisiert. Das Problem sei, dass Italien mit dieser Verantwortung alleingelassen werde. „Die übrigen Staaten können sich dieser Verantwortung nicht entziehen“, sagte Westphal im Dlf. […]
Büüsker: Finden Sie das denn grundsätzlich nachvollziehbar, dass Italien die Einsätze der Hilfsorganisationen reglementieren will?
Westphal: Italien hat in punkto Seenotrettung wirklich extrem viel geleistet. Die italienische Küstenwache hat sehr viele Menschenleben selbst retten können. Die Koordinationsstelle, die Leitstelle ist wirklich wesentlich in der Koordination dieser Einsätze. Aber das Problem ist ja, dass Italien mit dieser Verantwortung weitestgehend alleingelassen wird vom Rest der Europäischen Union, von den anderen Mitgliedsstaaten. Dass die Europäische Union und ihre Staaten sich weigert, die ja eigentlich staatliche Verantwortung Seenotrettung durchzuführen, endlich wahrzunehmen und stattdessen, weil das eben nicht geschah, sind wir und andere Nichtregierungsorganisationen dort angetreten, um das zu tun. Aber die Staaten können sich dieser Verantwortung nicht entziehen und sozusagen uns aufzufordern, transparent zu sein über das, was wir tun und wie wir das tun, ist absolut in Ordnung. Aber das ändert nichts daran, dass wir überhaupt nicht dort präsent sein sollten, sondern dass das die Verantwortung der Staaten ist, dort dafür zu sorgen, dass nicht Tausende von Menschen ertrinken.
Quelle: Deutschlandfunk
Anmerkung Christian Reimann: Der Wahrheitsgehalt für die offizielle Begründung des Bundeswehr-Einsatzes – Flucht und Verhinderung von Flucht – dürfte bei Null liegen. Viel wichtiger dürften ökonomische Interessen sein, denn Mali gilt als rohstoffreich. Anfang 2013 schrieb „SPON“ u.a.:
„So liegen rund um Nordmali viele der von Frankreich ausgebeuteten Uranminen, die das Land dringend für seine Atomkraftwerke braucht. Der staatliche französische Atomkonzern Areva fördert Uran in Malis Nachbarland Niger, das inzwischen der größte Uranproduzent des Kontinents ist. Auch in Mali selbst wurde Uran gefunden. Die atomare Unabhängigkeit ist in Frankreich mehr oder minder eine Frage der Staatsräson und ganz oben auf der Agenda jeder Regierung. Entsprechend kam in den vergangenen Tagen bei Kritikern der französischen Intervention schnell der Verdacht auf, es gehe Paris nicht allein um die Bekämpfung von Terroristen. Das militärische Engagement Frankreichs diene „auch der Sicherung seiner eigenen Energieversorgung mit preiswertem Uran aus Malis Nachbarland Niger“, erklärte etwa die Gesellschaft für bedrohte Völker.“
dazu: „Jetzt klare Kante gegenüber Washington“
Wirtschaftsministerin Zypries hält die US-Sanktionen gegen Russland für inakzeptabel und ruft Washington zu Verhandlungen auf. Das wird kaum Wirkung zeigen. Berlin muss Gegenmaßnahmen ergreifen. Ein Gastbeitrag.
Die neuen Sanktionen der USA gegen Russland zielen vor allem auf europäische und deutsche Unternehmen. Gerade die Gaspipelines und die geplante Leitung Nord Stream 2 will man damit treffen. Statt mit russischem Gas soll Europa künftig vorrangig mit teurem und dem ökologisch katastrophalen Fracking-Gas aus den USA versorgt werden. Die US-Sanktionen sind daher nichts weiter als die Anbahnung eines Riesengeschäfts für die US-Fracking-Konzerne.
Mit dieser Attacke, die einen Bruch internationalen Rechts bedeutet, müssen sich die USA den Vorwurf gefallen lassen, auf diplomatischem Parkett wie ein Schurkenstaat zum billigen Vorteil der eigenen Gasindustrie zu agieren. Die Bundesregierung ist gefordert, ihrer richtigen Verurteilung des Völkerrechtsbruchs jetzt auch Taten folgen zu lassen, um Gegendruck zu entfalten. Dies kann nicht allein der EU-Kommission überlassen werden.
Den ersten politischen Kollateralschaden in Deutschland gibt es im Übrigen auch schon, denn es kommt einem politischen Bankrott der Grünen gleich, dass sich führende Grünen-Politiker hinter diese Profitmaximierung der Umweltzerstörer stellen und die US-Sanktionen unterstützen. Wer sich de facto für die Interessen der US-Frackingindustrie einsetzt, verspielt jede Glaubwürdigkeit im Hinblick auf einen ökologischen Politikwechsel in Deutschland.
Quelle: Sahra Wagenknecht im Handelsblatt
Anmerkung JK: Ein exzellenter Beitrag, der den völligen Irrsinn des deutschen Austeritätsdiktates gegen Griechenland verdeutlicht und der eine möglichst breite Verbreitung verdient. Der Beitrag entlarvt auch, um was bei der Privatisierung öffentlicher Infrastruktur geht: nicht darum, den Bürgern öffentliche Dienstleistungen effizient und kostengünstig anzubieten, sondern ausschließlich darum, privaten Investoren neue Renditemöglichkeiten zu eröffnen. Also letztlich darum, die Taschen der Reichen und Superreichen noch praller zu füllen. Zugleich handelt es sich bei Griechenland um das neoliberale Freiluftlabor der EU. Man testet in Griechenland offenbar aus, wie weit sich der Wunschtraum der Neoliberalen, den Staat soweit wie möglich zu zerstören, realisieren lässt.
dazu: Griechenlands krankes Gesundheitssystem
Das griechische Gesundheitssystem steckt in der Krise: Tausende medizinische Fachkräfte haben das Land verlassen, die Ausgaben für Gesundheit wurden halbiert und drei Millionen Griechen sind nicht krankenversichert. Sie fühlen sich vom Staat im Stich gelassen.
Ein Lichtblick für krisengebeutelte Griechen ohne Versicherungsschutz sind die Sozialkliniken des Landes. Eine davon ist das Ellinikó im gleichnamigen Athener Stadtteil. Die arte-Reportage von Tanja Dammertz zeigt den ehrenamtlichen Einsatz der Helfer im Ringen um die Gesundheitsversorgung für die sozial Schwächsten des Landes.
Quelle: Spiegel.TV
und: Widerstand in Weiß
Seit Beginn der Krise ist das griechische Gesundheitssystem in katastrophalem Zustand. Hunderte Ärzte und Freiwillige wollen das ändern: mit solidarischen Kliniken, kostenlosen Behandlungen – und Druck auf die Politik.
Quelle: SPON
Nach den Ergebnissen einer Modellrechnung zur Entwicklung der Sozialleistungen bis 2021 wird die Sozialleistungsquote im Jahr 2017 um 0,5 Prozentpunkte auf 29,8 % steigen. Dieser Anstieg ist Folge von gesetzlich geregelten Leistungsverbesserungen in verschiedenen Bereichen der gesetzlichen Krankenversicherung, mit denen eine gut erreichbare Versorgung der Patientinnen und Patienten auf hohem Niveau gestärkt wird. Dazu kommt die Neuregelung in der Pflegeversicherung durch das zweite Pflegestärkungsgesetz 2016, mit der ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt wurde. Zudem hat die hohe Rentenanpassung zum 1. Juli 2016 zum Anstieg der Sozialleistungen beigetragen, da sie 2017 als volles Jahr wirkt.
Quelle: BMAS
dazu: Bundesregierung versagt bei Armutsbekämpfung
„Die hohen Sozialausgaben belegen, dass sowohl die sozialen Sicherungssysteme als auch Arbeit in vielen Fällen nicht mehr existenzsichernd sind. An den Sozialhilfeausgaben kann man klar erkennen, dass die soziale Sicherung für immer mehr Menschen nicht mehr greift. Vorgelagerte Systeme wie die Renten- oder die Pflegeversicherung sind nicht mehr in der Lage, soziale Sicherheit zu gewährleisten, so dass die Betroffenen eine Sozialhilfeleistung in Anspruch nehmen müssen. Immer noch 1,1 Millionen Beschäftigte beziehen ergänzende Hartz IV-Leistungen, da sie von ihrer Arbeit nicht leben können. Millionen Menschen leben in Armut, daran hat diese Bundesregierung nichts geändert. Bei der Armutsbekämpfung hat sie versagt“, erklärt die stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, Sabine Zimmermann, zum aktuellen Sozialbericht. Sabine Zimmermann weiter:
„Ein Kurswechsel in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik ist dringend notwendig. Arbeit muss wieder existenzsichernd werden. Dazu ist unter anderem der Mindestlohn auf zwölf Euro die Stunde zu erhöhen, systematische Niedriglohnbeschäftigung wie Leiharbeit muss abgeschafft werden. Vor allem muss auch der Altersarmut endlich der Kampf angesagt werden. Die gesetzliche Rente muss gestärkt und armutsfest gemacht werden. Die Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente müssen weg. Das Sozialversicherungssystem bietet zunehmend weniger Schutz und franst aus. Dieser Entwicklung muss endlich Einhalt geboten werden.“
Quelle: Die Linke im Bundestag
dazu: Mittleres Bruttomonatsentgelt Vollzeitbeschäftigter
Das „mittlere sozialversicherungspflichtige Bruttomonatsentgelt der sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten der Kerngruppe“1 (Median2) in der Bundesrepublik Deutschland betrug Ende 2016 nach Berechnung der Statistik der Bundesagentur für Arbeit 3.133 Euro. (…) Die Betrachtung der 401 Kreise zeigt: Das (…) Bruttomonatsentgelt (…) reichte 2016 von 4.579 Euro in Ingolstadt bis 2.103 Euro im Landkreis Vorpommern-Rügen. (…) Anmerkung: In diversen Presseberichten über die Ergebnisse der jüngsten Entgeltstatistik der Statistik der Bundesagentur für Arbeit wurde ausgerechnet der Landkreis Vorpommern-Rügen vergessen (…). Dies verwundert in diesen Tagen besonders, denn beim Landkreis Vorpommern-Rügen handelt es sich nicht nur um eine beliebte Urlaubsregion sondern auch um den Wahlkreis der Bundeskanzlerin.
Quelle: BIAJ
Anmerkung Paul Schreyer: Dass in Merkels Wahlkreis die Menschen bundesweit am schlechtesten verdienen, „vergaß“ insbesondere die Bild-Zeitung zu erwähnen. Dort hieß es stattdessen, in den Kreisen Prignitz und Görlitz verdiene man am wenigsten. Das Schlusslicht ist aber laut Statistik Vorpommern-Rügen.
„Die Wahlperiode neigt sich dem Ende zu, die strukturellen Probleme am Arbeitsmarkt sind nach wie vor ungelöst. Noch immer sind viel zu viele Beschäftigte arm trotz Arbeit. 1,1 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beziehen ergänzende Hartz IV-Leistungen, 2,7 Millionen gehen einem Zweitjob nach, um über die Runden zu kommen. Langzeiterwerbslose bekommen nur selten einen Job am ersten Arbeitsmarkt. Insbesondere das Hartz-IV-System ist gekennzeichnet von Perspektivlosigkeit und Sanktionen. Für Millionen von Menschen ist gute Arbeit ein leeres Versprechen dieser Bundesregierung geblieben. Deshalb braucht es einen Neustart in der Arbeitsmarktpolitik, für gute Arbeit und eine soziale Sicherung, die Armut verhindert“, erklärt Sabine Zimmermann, stellvertretende Vorsitzende und arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, zum aktuellen Arbeitsmarktbericht der Bundesagentur für Arbeit.
Quelle: Die Linke im Bundestag
dazu auch: Langzeitarbeitslose – gefangen auf der Schulbank
Seminare und Trainings für Menschen ohne Job sind seit vielen Jahren ein wichtiger Geschäftsbereich in der Bildungsindustrie. Obwohl die Zahl der Arbeitslosen gesunken ist, so viele wie noch nie seit der Wiedervereinigung einen Job haben und teilweise Fachkräftemangel herrscht, gibt es immer noch etwa 900 000 Langzeitarbeitslose, die seit mindestens einem Jahr ohne Job sind. Hinzu kommen Hunderttausende, die ebenfalls seit Jahren auf Arbeitssuche sind, aber in der Statistik gerade nicht mitgezählt werden, zum Beispiel, weil sie gerade einen Förderkurs belegen. Rund um sie gibt es mehrere tausend Seminar-Anbieter, die von den Aufträgen der Jobcenter und Arbeitsagenturen leben und Erwerbslose so qualifizieren sollen, dass sie möglichst den Sprung auf den regulären ersten Arbeitsmarkt schaffen.
Der Markt ist riesig, Arbeitslosigkeit ist ein Milliardengeschäft. Doch jahrelang litten die Förder- und Trainingskurse unter einem miserablen Ruf. Zu Recht? Wird immer noch Geld des Steuerzahlers und der Beitragszahler für unsinnige Schulungen verbrannt? (…)
Dirk Kratz hat in einer Doktorarbeit untersucht, was Langzeitarbeitslosen wirklich hilft. Der Universitätsdozent und Leiter eines Therapieverbunds in Ludwigsmühle in Rheinland-Pfalz, sagt, in den Jobcentern werde zu wenig auf vorhandene Fähigkeiten geachtet. Oft wüssten Langzeitarbeitslose ziemlich genau, was sie tun möchten, worauf sie hinarbeiten wollten, bekämen aber die gewünschte Weiterbildung nicht, weil ihnen die formalen Voraussetzungen fehlen, das Geld für das Wunschangebot nicht da ist oder ihr Betreuer das für nicht passend hält.
Ähnlich sieht es Stefan Sell, Professor für Sozialpolitik an der Hochschule Koblenz: Er kritisiert, dass Jobcenter noch zu viele Arbeitslose in kurzfristige Maßnahmen steckten, ohne auf die Vorkenntnisse der Teilnehmer zu achten. „Da drücken in einem Kurs über Online-Bewerbungen neben einem Akademiker Menschen die Schulbank, die kaum Deutsch können.“
Sell empfiehlt stattdessen nach der Devise vorzugehen: „Weniger, aber mehr, das lohnt sich.“ Also statt Arbeitslose womöglich noch gegen ihren Willen und mehrmals in vierwöchige oder zwei, drei Monate lange kurzfristige Maßnahmen zu verschieben, lieber in langfristige Weiterbildungskurse zu investieren. Denn die steigern auf jeden Fall die Jobaussichten, vor allem, wenn sie in einem Betrieb stattfinden oder am Ende mit einem beruflichen Abschluss verbunden sind.
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Anmerkung Christian Reimann: Nicht Wenige nennen diesen Zweig der Bildungsindustrie nicht ganz zu Unrecht „Sozialindustrie“. Die ALG-II-Gelder beziehenden Personen haben kaum eine Wahl und fühlen sich meist implizit gezwungen, an den Maßnahmen teilzunehmen, denn eine unbegründete Ablehnung/Nichtteilnahme kann mit Sanktionen verbunden sein. Vorteilhaft könnte hierbei ein (gewerkschaftlicher) Rechtsschutz sein.
Bitte lesen Sie dazu auch 766 Millionen Euro Umschichtung: Jobcenter stopfen Löcher im Verwaltungshaushalt mit Fördergeldern.
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