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Titel: Die offenen Fragen im Fall Buback betreffen auch Staat und Gesellschaft

Datum: 4. August 2017 um 12:50 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Interviews, Terrorismus
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Siegfried Buback

Gibt es im Fall des von der Roten Armee Fraktion (RAF) am 7. April 1977 ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback eine „schützende Hand“, die dafür sorgt, dass die Aufklärung des Verbrechens verhindert wird? Ja, meint sein Sohn Michael Buback. Auf eigene Faust recherchiert der Göttinger Chemieprofessor seit vielen Jahren in der Sache und ist dabei auf so manchen Abgrund gestoßen. Buback, der gerade an einem neuen Buch zu dem Fall schreibt, schildert in einem ausführlichen Interview mit den NachDenkSeiten, warum er davon ausgeht, dass die Version der Behörden zum Mord an seinem Vater und dessen Begleiter Wolfgang Göbel (Fahrer von Buback) und Georg Wurster (Leiter der Fahrbereitschaft der Bundesanwaltschaft) nicht stimmen kann. Das Interview führte Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Kommentar

Michael Bubacks Vater wurde ermordet. Erschossen von einem Kommando der Roten Armee Fraktion (RAF) am 7. April 1977. Das ist lange her. Und doch ist das Attentat von jenem Gründonnerstag an dem ehemaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback etwas, womit es sich auch heute noch auseinanderzusetzen gilt. Denn: Die große Anzahl von Merkwürdigkeiten, die sein Sohn Michael nach vielen Jahren im guten Glauben und Vertrauen in die Aufklärungsbereitschaft der Strafverfolgungsbehörden durch akribische Recherchen ans Licht gebracht hat, finden sich in ähnlicher bis identischer Form auch bei anderen Terroranschlägen und Attentaten, die in Deutschland stattgefunden haben.

Nicht oder nicht genügend berücksichtigte Zeugenaussagen und Spuren, verschwundene Asservate, verschwundene oder vernichtete Akten und schließlich immer wieder die Fragen: Wie nahe waren V-Leute diesen schweren Verbrechen? Waren möglicherweise die „Behörden-Zuträger“ an den Verbrechen beteiligt? Oder, noch schlimmer: Haben sie gar selbst Anschläge ausgeführt?  Erst vor kurzem hat das hessische Amt für Verfassungsschutz eine Akte im Fall des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), in der es auch um V-Männer geht, für 120 Jahre sperren lassen. Erst vor kurzem hat das Bundesverfassungsgericht der deutschen Regierung in einer „aufsehenerregenden Entscheidung“ mitgeteilt, dass ihre Informationsblockade in Sachen Oktoberfestattentat und „V-Mann-Tätigkeit“ zumindest teilweise nicht rechtens ist.

Anders gesagt: Der Mord an Siegfried Buback und seinen beiden Begleitern liegt viele Jahre zurück,  aber die noch offenen Fragen, die ihn umgeben, betreffen nicht nur die Hinterbliebenen des Anschlags. Sie verweisen auf ein größeres, übergeordnetes Problem, das immer wieder, sei es aus der Vergangenheit (siehe z.B. Oktoberfestattentat) oder aus der Gegenwart (siehe NSU-Verfahren), in die Öffentlichkeit drängt. Wenn festgestellt werden kann, dass bei den schwersten Terroranschlägen der Republik die rechtsstaatliche Aufklärung erstaunlich oft schwere Brüche aufweist, betrifft das nicht nur die Opfer und ihre Hinterbliebenen, sondern Staat und Gesellschaft.

Auch wenn der Fall Buback komplex ist, auch wenn er einiges von dem geneigten Leser abverlangt, weil sich die Argumentation Bubacks nur richtig verstehen lässt, wenn man sich Namen, Sachverhalte und Zusammenhänge aneignet und selbst kritisch über diese nachdenkt: Im Gegensatz zum Fall NSU lässt sich in der Causa Buback viel klarer erkennen, wo im Detail die Bruchstellen liegen und was diese bedeuten. Während in Sachen NSU der Eindruck entsteht, dass mehrere komplexe „Handlungsstränge“ zusammenlaufen und eine kaum zu bewältigende Flut an Informationen (und Desinformationen) vorhanden ist, ist das Karlsruher Attentat in seinen „inneren Zusammenhängen“ überschaubar.
Schließlich auch: Die Recherchen von Michael Buback sind bereits so weit vorgedrungen, dass längst mehr als nur die Konturen eines Bildes zu sehen sind. Und damit bietet sich dem Betrachter eine Gelegenheit, die es bei solchen Fällen nicht all zu oft gibt. Während bei ähnlich gelagerten Fällen die Anzahl der Dunkelstellen überwiegt und so zwangsläufig viel Raum für Spekulationen vorhanden ist (von denen längst nicht alle zu Erhellung beitragen), liegen im Fall Buback viele Fakten fein säuberlich und vom Staub befreit zusammengetragen und aneinandergereiht vor einem.
Nur die Bereitschaft diese auch zu betrachten, die gilt es mitzubringen.

Bisweilen wird Michael Buback vorgehalten, er möge doch bitte den Fall endlich ruhen lassen. Immerhin liege das Verbrechen schon so lange zurück und außerdem sei es nicht gut, von Rache getrieben zu werden.
In seinem Schlussplädoyer beim Prozess gegen Verena Becker, wo er als Nebenkläger an dem Verfahren beteiligt war, sagt er: „Ich fordere aus den dargelegten Gründen keine Strafe für die Angeklagte, obwohl sie überführt ist, an der Ausführung des Karlsruher Attentats unmittelbar und aktiv beteiligt gewesen zu sein.“
Sind das die Aussagen eines Mannes, der von Rachlust getrieben ist? Nein.Wer mit Michael Buback redet, versteht schnell: Ihm geht es nicht um Rache. Ihm geht es um Aufklärung. Und das ist, wenn es sich um Mord handelt, verständlich.
 
Interview

Mein Eindruck ist: Die Einhaltung von schützenden Zusagen wird als höheres Gut eingestuft als die Klärung von Morden“

Herr Buback, Sie setzen sich seit Jahren intensiv mit dem Mord an Ihrem Vater und seinen Begleitern auseinander. Wissen Sie mittlerweile, wer die tödlichen Schüsse von dem Motorrad an jenem 7. April 1977 abgefeuert hat?

Ich denke schon. Wer meine Einschätzung genauer erfahren möchte, kann im Internet in meinem Schlussvortrag „Plädoyer Michael Buback“ zur Verhandlung gegen Verena Becker nachlesen, dass sie nach meiner Überzeugung überführt ist, an der Ausführung des Karlsruher Attentats unmittelbar und aktiv beteiligt gewesen zu sein.

Wie nehmen Sie das Verhalten der Ermittlungsbehörden in diesem Fall wahr?

Ich wundere mich, dass die Ermittler nicht erkennbar darüber beunruhigt sind, dass das Karlsruher Attentat noch nach 40 Jahren nicht aufgeklärt ist. Dabei hat die Justiz eine Aufklärungspflicht. Inzwischen ist klar, dass von den insgesamt drei Personen, die wegen des Karlsruher Verbrechens zu Lebenslänglich verurteilt worden sind, keine am Tatort unmittelbar an der Durchführung der Morde beteiligt war. Anders ausgedrückt, die tatsächlichen Mörder sind nicht als Mittäter verurteilt worden und dieser sehr bedrückende Sachverhalt wird sich nicht mehr ändern.  

Bevor wir auf die Details eingehen: Könnten Sie bitte unseren Lesern kurz erklären, was am 7. April 1977 passiert ist?

Auf der Fahrt zu seiner Behörde wurde mein Vater, Generalbundesanwalt Siegfried Buback, am Gründonnerstag, dem 7. April 1977, in seinem Dienstwagen vom Soziussitz einer Suzuki aus erschossen. Mit ihm starben sein Fahrer Wolfgang Göbel und einige Tage später der im Auto mitgefahrene Leiter der Fahrbereitschaft der Bundesanwaltschaft, Georg Wurster. Der Wagen war nicht gepanzert. Es gab kein Begleitfahrzeug und keine Sicherheitsbeamten.

Und dann?

Das Tatmotorrad fuhr nach Aussage von mehreren Zeugen noch um den Dienstwagen herum, bevor es in eiliger Fahrt durch die Karlsruher Innenstadt und ein Waldgelände in der Nähe von Wolfartsweier zur Autobahn gelangte. Dort wurden das Motorrad und die zwei Täterhelme in der Kammer eines Autobahn-Brückenpfeilers abgestellt. Ein weiterer Terrorist erwartete die Attentäter in einem Alfa Romeo, mit dem die Flucht über Landstraßen fortgesetzt wurde.  

Wie ist es nach dem Attentat weitergegangen? Was haben die Behörden getan?

Georg Wurster wurde ins Krankenhaus transportiert. Die beiden Getöteten haben mehrere Stunden am Tatort gelegen. Zuerst war die Karlsruher Polizei vor Ort, dann die Landespolizei und deutlich später kamen die mit einem Hubschrauber eingeflogenen Beamten des Bundeskriminalamts und übernahmen den Tatort. Meine Frau und ich waren am Gründonnerstag im Skiurlaub in der Schweiz. Nach unserer nächtlichen Rückkehr hörten wir am Folgetag, dem Karfreitag 1977, in den Abendnachrichten, dass drei Männer: Günter Sonnenberg, Knut Folkerts und Christian Klar dringend verdächtig seien, das Attentat begangen zu haben.

Und damit war der Fall für Sie geklärt?

Der 7. April 1977 hatte das Leben meiner Familie verändert und es war so vieles zu ordnen und zu bedenken, dass wir uns nicht mit der Frage der Täterschaft befasst haben. Das war ja auch nicht unsere Aufgabe. Wir hatten vollstes Vertrauen in die Arbeit der Ermittler. Es ging ja um die Klärung des Mordes an einem der Ihren, der in seiner Funktion als Generalbundesanwalt ermordet worden war. Polizei und Justiz würden diese Aufgabe bestmöglich lösen. Das war, wie wir jetzt wissen, eine Fehleinschätzung. Unser Urvertrauen in die Arbeit der Bundesanwaltschaft und des mit ihr zusammenwirkenden Bundeskriminalamts war damals so groß, dass wir in den folgenden 30 Jahren nicht ansatzweise auf die Idee gekommen sind, wir sollten uns selbst mit der Klärung befassen.

Dann kam das Jahr 2007. Sie haben eines Abends einen Anruf erhalten.

Als ich Anfang 2007 von Medien befragt worden war, wie ich zu der intensiv diskutierten Begnadigung von Christian Klar stehe, hatte der frühere Terrorist Peter Boock von mir gehört, dass ich gern von Klar erfahren würde, wer von den drei uns genannten Attentätern die Schüsse abgegeben hat. Alle drei konnten nicht mehr wegen des Karlsruher Verbrechens angeklagt werden. Klar hätte mit dieser Auskunft den Angehörigen und der Justiz geholfen und damit auch gezeigt, dass er wieder in die Gesellschaft zurückgefunden hat. Boock rief mich daraufhin mehrfach an, um mir Informationen zu den Tätern zu geben. Er konnte mich aber über mehrere Wochen nicht erreichen, da ich eine Gastprofessur in Neuseeland innehatte. Am Abend nach meiner Rückkehr rief er dann nochmals an.  

Dieses Gespräch hat also dazu geführt, dass Sie selbst angefangen haben, in dem Fall zu recherchieren.

Die Information, die ich von Peter Boock erhielt, war dramatisch, sodass ich sie zunächst nicht glauben konnte und wollte. Er sagte mir nämlich, weder Knut Folkerts noch Christian Klar seien unmittelbar tatbeteiligt gewesen. Diese Beiden waren aber die einzigen als Karlsruher Mittäter zu Lebenslänglich verurteilten Männer. Die dritte als Mittäterin verurteilte Person war Brigitte Mohnhaupt, von der allerdings bekannt war, dass sie sich am Tattag in den Niederlanden aufhielt. Sie war als Rädelsführerin zu Lebenslänglich verurteilt worden.

Was haben Sie herausgefunden?

Nachdem mein Interesse an einer zufriedenstellenden Klärung des Attentats bekannt geworden war, haben sich mehrere der damaligen Augenzeugen an mich gewandt. Auch einige Journalisten haben recherchiert. Es zeigte sich rasch, dass es eine Fülle von gravierenden Unzulänglichkeiten, Versäumnissen und Fehlern bei den damaligen Ermittlungen gab. So wurden beispielsweise die vielen Augenzeugen in den an der Tatort-Kreuzung wartenden Autos – es sollen 30 bis 40 Wagen gewesen sein – bald nach dem Attentat über die Kreuzung gewinkt, ohne dass die Namen der Zeugen oder wenigstens die Nummernschilder registriert wurden. Von den inzwischen über 20 Augenzeugen, die berichtet haben, dass eine Frau hinten auf dem Tatmotorrad gesessen und geschossen hat, wurde keinem Verena Becker gegenübergestellt, obwohl es Hinweise auf ihre Täterschaft gab. Sie und Günter Sonnenberg führten bei ihrer Verhaftung in Singen – vier Wochen nach dem Attentat – die Karlsruher Tatwaffe mit sich und einen Suzuki-Schraubendreher, wie er als einziges Werkzeug im Bordset des Tatmotorrads fehlte.

Dann sind Sie auch noch auf eine Schuhspur gestoßen.

Ja. Neben dem direkten Weg vom Abstellort des Tatmotorrads zum Fluchtwagen sicherte die Karlsruher Polizei am Tattag eine frische Schuhspur. Es dauerte fast 600 Tage, bis das mit der Untersuchung beauftragte BKA dem Generalbundesanwalt mitteilte, dass die im Abdruck erkennbare Zahl 40 die Schuhgröße bezeichnet. Sie passt nicht zu Männern von wenigstens 1 Meter 80. Verena Becker aber trug bei ihrer Verhaftung in Singen Sportschuhe der Größe 40. Diese Sportschuhe wurden an einem nicht aktenkundig gemachten Termin vernichtet. Um ein viertes Beispiel zu nennen: Der kurz nach dem Verbrechen sichergestellte Fluchtwagen der Attentäter ist spurlos verschwunden. Darin hätte man später, nach Verfügbarkeit der Methode, aussagekräftige DNA-Spuren auffinden und analysieren können.  

Nun haben Sie Ihre jahrelangen Recherchen in dem Buch „Der zweite Tod meines Vaters“ im Detail dargelegt. Wir können hier nicht auf alle Punkte eingehen. Würden Sie bitte in Ansätzen die Entwicklung bis hin zum Urteil gegen Verena Becker skizzieren?

Im Buch habe ich zahlreiche weitere Mängel beschrieben, die uns zunächst fassungslos machten. Aber dann erfuhren wir, Verena Becker war geheime Informantin des Verfassungsschutzes gewesen.

Sie soll 1981 gegenüber dem Verfassungsschutz ausgesagt haben.

Ja, Ende 1981 hat sie dem Verfassungsschutz mitgeteilt, Wisniewski sei der Karlsruher Schütze gewesen, Sonnenberg der Lenker des Motorrads und Klar die im Fluchtwagen wartende Person.

Kann es sein, dass Wisniewski der Schütze war?

Nein. Allein aufgrund von Wisniewskis Größe, die wir selbst im Stuttgarter Verfahren beurteilen konnten, ist auszuschließen, dass Wisniewski hinten auf dem Motorrad saß. Die falsche Aussage half offensichtlich, dass Verena Becker trotz ihrer Verurteilung zu Lebenslänglich – wegen des Verbrechens in Singen – nur gut neun Jahre in Haft war und dann von Präsident von Weizsäcker – bei Befürwortung durch Generalbundesanwalt Rebmann – begnadigt wurde.

Ab 2007 gab es dann aber zahlreiche Hinweise auf ihre unmittelbare Beteiligung am Karlsruher Attentat…

… die dazu führten, dass die Bundesanwaltschaft sie im Jahre 2010 als Mittäterin anklagte, die gemeinschaftlich mit anderen handelnd am 7. April 1977 in Karlsruhe aus niedrigen Beweggründen und heimtückisch drei Menschen getötet habe. In der Anklage steht, was sehr verwirrend ist, allerdings auch, dass drei Männer das Attentat begangen hätten.    

Nun also zum Verfahren gegen Verena Becker. Wie würden Sie dieses bezeichnen?

Als ungewöhnlich.

Warum?

Es wurde von staatlicher Seite, also der Bundesanwaltschaft, eine Person angeklagt, die als geheime Informantin des Verfassungsschutzes mit höchster Wahrscheinlichkeit gleichzeitig schützende Zusagen von einer staatlichen Behörde besaß. Es verwundert nicht, dass ein derartiger Prozess nicht zur juristischen Klärung des Verbrechens führt.  

Was hat sich denn nun nach dem Prozess noch getan? Zu welchen Erkenntnissen sind Sie gekommen?

Wenn man weiß, dass die Angeklagte geheime Informantin des Verfassungsschutzes war, lassen sich die vielen offenen Fragen beantworten und die zunächst unerklärlichen Mängel verstehen. Wir konnten es zunächst lediglich nicht einordnen, dass Generalbundesanwalt Kurt Rebmann, nachdem ihn der Verfassungsschutz von der sehr umfangreichen Aussage einer Quelle, zweifellos Verena Becker, informiert hatte, kein Ermittlungsverfahren gegen Stefan Wisniewski aufnahm, denn dieser ist im Vermerk zur Quellenaussage als Karlsruher Schütze genannt. Anders als der Verfassungsschutz hat der Generalbundesanwalt die Pflicht zur Strafverfolgung.

Welche Erklärung haben Sie für diesen Punkt?

Es existieren bereits seit 1973 und – in eventuell modifizierter Form – wohl noch heute gültige Richtlinien für die Zusammenarbeit der Geheimdienste mit Staatsanwaltschaft und Polizei. Danach können die Geheimdienste in Staatsschutzangelegenheiten die Ermittler zum Innehalten bei ihrer Tätigkeit bewegen. Dies gilt besonders dann, wenn geheime Mitarbeiter der Dienste Beschuldigte, Zeugen oder sonst am Verfahren Beteiligte sind. Diese Richtlinien können in größeren Bibliotheken im „Handbuch des Verfassungsschutzrechts“ von Bernadette Droste nachgelesen werden.

Im Zusammenhang mit dem Anschlag auf Ihren Vater kommt auch den sogenannten Haag-Mayer-Papieren eine scheinbar zentrale Bedeutung zu. Da es für diejenigen, die sich noch nie damit auseinandergesetzt haben, nicht ganz einfach ist, zu verstehen, worum es geht: Könnten Sie bitte erklären, was es mit diesen Papieren auf sich hat und wo nun im Hinblick auf die Ermordung Ihres Vaters die wichtigen Hinweise liegen?

Am 30. November 1976 wurden der RAF-Anwalt Haag und sein Begleiter Mayer festgenommen. Die Verhaftung fand also gut vier Monate vor dem Attentat auf meinen Vater statt. Bei der Verhaftung entdeckten die Ermittler die „Haag-Mayer-Papiere“ und darin Informationen zu geplanten Anschlägen. Diese Unterlagen enthielten auch eine Tabelle. Aus ihr wird ersichtlich, welche Aufgaben die beim Treffen im Harz anwesenden RAF-Mitglieder bei dem Anschlag in Karlsruhe übernehmen sollten.

Was heißt das jetzt?

Die Ermittler hatten durch den Fund der „Haag-Mayer-Papiere“ einen einzigartigen Vorteil. Sie erhielten Angaben zum Drehbuch für das Karlsruher Verbrechen und auch den „Besetzungszettel“, sprich die geplante Rollenverteilung, die sich aus dem tabellarischen Arbeitsplan ergab.

Verlief das Attentat auch so?

Auch von Experten wird nicht bezweifelt, dass für das Attentat der im Harz beschlossene Plan maßgeblich war. Dies bestätigte auch die Zeugen-Vernehmung des früheren BKA-Präsidenten Dr. Herold.
 
Was sagte er?

Er sagte, der Mord an Buback sei so ausgeführt worden, wie in Haags Plan beschrieben. Bereits im Urteil des OLG Stuttgart gegen Haag und andere vom Juli 1979 steht, dass am 2. Dezember 1976 mehrere Personen in den für die Aktion [„Margarine“, also das Karlsruher Attentat] vorgesehenen Bereitstellungsraum “abfahren” sollten. Den Begriff „Abfahrt“ findet man in der Tabelle der Haag-Mayer-Papiere bei “Bodo”, “Hans” und “Paula”. Dies sind Sonnenberg, Wisniewski und Verena Becker. Die mit ihrer Zustimmung getroffene Entscheidung, ins Tatortgebiet „abzufahren“ und somit zu dem Tatkommando zu gehören, bedeutet, dass sie selbst eine aktive Rolle bei dem Verbrechen übernehmen und die Tat als eigene wollten.

Wie ist der Stuttgarter Senat mit diesen Informationen umgegangen?

Der Senat sieht in Verena Becker keine Karlsruher Mittäterin, ohne dies für mich überzeugend zu begründen. Andererseits enthält das Urteil vom 6. Juli 2012 die Aussage, dass für den Senat die Beteiligten auf dem Motorrad bzw. der im Fluchtwagen auf das Eintreffen der beiden Motorradfahrer wartende Beteiligte nicht feststehen. Aus diesem Urteil des OLG Stuttgart ergibt sich allerdings zwingend Wisniewskis Mittäterschaft in Karlsruhe. Es wird darin nämlich festgestellt, dass drei männliche, am Karlsruher Attentat unmittelbar beteiligte „RAF“-Mitglieder im November 1976 beim Treffen der Gruppe im Harz anwesend waren. Die Täter gehörten somit zu den acht namentlich bekannten Männern, die in den „Haag-Mayer-Papieren“ als Teilnehmer bei diesem Treffen aufgeführt sind: Roland Mayer, Peter-Jürgen Boock, Günter Sonnenberg, Rolf Heißler, Christian Klar, Rolf Clemens Wagner, Stefan Wisniewski und Siegfried Haag. Von diesen acht können Haag und Mayer keine Mittäter gewesen sein, da sie am Tattag bereits seit Monaten in Haft waren. Von den verbleibenden sechs Männern wurden Boock, Heißler und Wagner, die nach Zeugenaussagen am Tattag in Amsterdam waren, von keinem Experten je als unmittelbare Karlsruher Täter bezeichnet. Somit verbleiben nur drei Männer: Sonnenberg, Klar und Wisniewski. Sie müssen aufgrund der Feststellungen der Justiz die drei männlichen Karlsruher Täter gewesen sein.

Was ist dann mit Verena Becker?

Die sich aus den Haag-Mayer-Papieren ergebende Täterschaft von zwei Männern und einer Frau steht nicht im Widerspruch zu der Feststellung des Stuttgarter Senats, es seien drei männliche Täter gewesen, denn Peter Boock sagte aus, es müsse eine vierte Person am Attentat beteiligt gewesen sein. Man habe jeweils neben den unmittelbar die Tat Ausführenden einen „Abdecker“ beim Tatort eingesetzt, der ein guter Scharfschütze war. Da am 7. April 1977 kein Eingreifen eines Abdeckers erforderlich wurde, erstaunt es nicht, dass den Augenzeugen keine mit dieser Aufgabe betraute Person auffiel. Neben den beiden Motorradfahrern wären demnach ein Abdecker am Tatort und die im Fluchtwagen wartende Person am Verbrechen beteiligt gewesen. Hierzu würde passen, dass einem Zeugen am Tattag vormittags auf dem Bahnhof Bietigheim, über den die Täter höchst wahrscheinlich mit dem Zug geflüchtet sind, vier junge Leute aufgefallen waren, die abseits auf dem Bahnsteig standen, drei Männer und eine zierliche Frau.

Sie sprechen im Zusammenhang mit den Ermittlungen zum Verbrechen an Ihrem Vater und seinen Begleitern immer wieder auch von einer „schützenden Hand“. Was meinen Sie damit?

Aufgrund der Tatsache, dass Verena Becker geheime Informantin des Verfassungsschutzes war, ist davon auszugehen, dass sie mit schützenden Zusagen ausgestattet war. Auffällig ist vor allem, dass bei den Ermittlungen zum Karlsruher Attentat Hinweise auf eine Frau auf dem Motorrad in systematisch erscheinender Weise nicht beachtet wurden. Es ist zu unwahrscheinlich, dass das vielfache Nichtverfolgen oder sogar Verschwinden von Hinweisen, die auf eine weibliche Tatbeteiligte schließen lassen, zufällig erfolgt ist.

An welchen Stellen wurde Ihrer Meinung nach die „schützende Hand“ sichtbar?

Sehr auffällig ist, dass die zahlreichen Hinweise auf eine Frau auf dem Motorrad keine Wirkung entfalteten. So wurden den Augenzeugen, die eine Frau auf dem Motorrad gesehen hatten, zwar männliche Tatverdächtige gegenübergestellt, aber nicht Verena Becker. Auch wurden sie nicht zu den damaligen zwei Verfahren, gegen Folkerts sowie gegen Mohnhaupt und Klar, als Zeugin geladen. Zudem verwundert, dass die Justiz eine Tatbeteiligung von Verena Becker ausschließt, obwohl der Senat im Urteil 2012 nicht feststellen konnte, wer die Täter sind. Als weiterer Hinweis ist die Ausspähung von Franz Josef Strauß durch Verena Becker früh im Jahre 1977 anzusehen. Dass sie stattgefunden hat, ist durch die Angaben aller drei Kinder von Franz Josef Strauß, seiner Ehefrau, eines Beamten des Bayerischen Landeskriminalamts und durch einen Eintrag in dem bei Verena Beckers Verhaftung im Mai 1977 sichergestellten Notizkalender belegt. Diese Ausspähung und die Entdeckung der zu diesem Zweck angemieteten konspirativen Wohnung wurden damals erstaunlicherweise nicht publik gemacht.   

Welche Lehren ziehen Sie für sich aus all dem, was Sie bei Ihren eigenen Recherchen erlebt haben?

Verfahren gegen Personen, die mit dem Geheimdienst kooperiert haben, sind äußerst belastend für die als Nebenkläger auftretenden Angehörigen der Opfer. Es erscheint mir nicht empfehlenswert, sich als Angehöriger auf solche Verfahren einzulassen. Mein Eindruck ist:  Die Einhaltung von schützenden Zusagen wird als höheres Gut eingestuft als die Klärung von Morden. Diese Erkenntnis ist bitter, da gegenüber den Angehörigen – auch von höchster Stelle – stets beteuert wird, man stehe auf ihrer Seite und verlange restlose Aufklärung.

Anmerkung der Redaktion: Weitere Informationen zum Fall Buback finden sich in dem Buch „Der zweite Tod meines Vaters“, das Michael Buback verfasst hat und im Februar 2017 mit einem neuen Vorwort erschienen ist.


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