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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Ist Hopfen und Malz schon verloren? Die Abwesenheit von kritischem Verstand und das Versagen der Medien ist zum Verzweifeln (Teil X Finanzkrise)
Datum: 3. April 2009 um 8:30 Uhr
Rubrik: Finanzkrise, Medien und Medienanalyse, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Albrecht Müller
Manchmal beschleicht mich das Gefühl, unsere NachDenkSeiten-Arbeit sei vergebens. Mehdorn hat die Bahn saniert; die HRE ist eine systemrelevante Bank; 480 Milliarden für die Banken stehen bereit, aber 14 Milliarden des Bundes für ein Investitionsprogramm verteilt über zwei Jahre führen zu Schulden; abwarten, bis die bisherigen Konjunkturprogramme wirken und so weiter, und so fort. Ein dumpfes, schräges Vorurteil nach dem andern. Orwell hätte 60 Jahre nach Erscheinen von „1984“ furchtbar viel Stoff. Unser Land versinkt in einer Orgie der Lügen und der Vernebelung, dem Gegenteil von Aufklärung. Das ist nicht gerade ermutigend. Wenn es nicht unsere Leser gäbe, müssten wir sagen, es lohnt sich nicht. Albrecht Müller.
Einer der Freunde der NachDenkSeiten hat uns gestern einen interessanten und zugleich kritischen Bericht von seinen Aufklärungsversuchen geschickt. Er schildert sowohl die Vergeblichkeit als auch die Notwendigkeit dagegenzuhalten. Sie finden diesen Bericht als Teil I, dann als Teil II einige Überlegungen zu den gerade grassierenden Legenden, Vorurteilen, Kampagnen und Manipulationen sowie zur Abwesenheit kritischer Medien. Die Überlegungen betreffen vor allem die Finanz- und Wirtschaftskrise. Deshalb auch die Zuordnung dieses Textes in die Reihe der Analysen der Finanzkrise, mit der Bezeichnung X (= römisch zehn; diese Ziffer war bisher in der Serie zur Finanzkrise versehentlich übersprungen worden).
Teil I: Ein farbiger Bericht über schwierige Aufklärungsversuche (aus einer Mail vom 1.4.2009 an die Redaktion der NachDenkSeiten):
Zunächst vielen Dank für die umfangreichen Ausführungen zum Rücktritt von Herrn Mehdorn und die vielen Argumentationshilfen. Ich hätte jedoch nicht für möglich gehalten, wie nötig diese Hilfen sind.
Im heute-journal hat Steffen Seibert den Bericht über den Rücktritt mit den Worten eingeleitet „Trotz großer Erfolge…“ Und da war es bei mir schon aus. Meine Frau und ich schauten uns an und fragten gleichzeitig: „Welche Erfolge?“
In den letzten beiden Tagen musste ich dann feststellen, dass in meiner Umgebung (egal ob in der Arbeit, im Verein, bei Verwandten) so ziemlich jeder an die Mär vom großen Sanierer Mehdorn glaubt.
Exemplarisch möchte ich Ihnen von einer Unterhaltung mit einem guten Freund am gestrigen Abend erzählen. Einige andere Gespräche verliefen ähnlich.
Unser Gespräch drehte sich zunächst um den Auftritt der Bundeskanzlerin bei Opel. Mein Bekannter vertrat die Auffassung, dass sich der Staat auf keinen Fall bei Opel einmischen dürfe, weil das zulasten der anderen Hersteller gehen würde und damit der Wettbewerb verzerrt würde. Meine Gegenfrage, wie er das denn dann bei den Banken wie HRE, Commerzbank, IKB usw. sehen würde, meinte er, das wäre etwas anderes, weil diese Banken seien „systemrelevant.“ Auf meine Frage, warum diese Banken so wichtig wären, wusste er keine Antwort. Er hatte halt einfach das nachgeplappert, was in fast allen Medien zu lesen und zu hören ist. Er konnte oder wollte mein Argument nicht gelten lassen, dass wenn der Staat und damit wir alle Hunderte von Milliarden für marode Banken und die dort lagernden Giftpapiere berappen müssen, dann sicherlich noch ein paar Euro für Opel übrig wären. Ob eine ganze oder teilweise Übernahme von Opel durch den Staat volkswirtschaftlich gesehen Sinn macht, kann ich letztlich nicht beurteilen. Ich vertrat aber die Ansicht, dass das allemal besser wäre, als den Banken irrwitzige Summen hinterher zu werfen.
Von der Antwort auf dieses Argument war ich einigermaßen schockiert, obwohl ich sie eigentlich auch irgendwie erwartet hatte:„Ja glaubst Du denn dass der Staat tatsächlich ein Unternehmen führen kann? Das haben wir doch bei der Deutschen Bahn gesehen, dass er das nicht kann! Die Bahn ist ja erst profitabel und erfolgreich, seit sie privatisiert worden ist.“
Ich kam mir vor als hätte ich gerade den Herrn Seibert wieder gehört.„Ja“, habe ich entgegnet, „genau das glaube ich. Glaubst Du alles was in der Zeitung steht oder in den Fernsehnachrichten verzapft wird? Der Mehdorn hat die Deutsche Bahn kaputt saniert.“
Die Antwort darauf war kurz und lapidar: „Das stimmt doch nicht. Die Bahn macht heute Milliardengewinne.“
Ich versuchte, meinen Bekannten zu erklären, wie die Milliardengewinne der Bahn zustandegekommen sind: Fahren auf Verschleiß, Lohndumping, Auslagerung von Personal in Servicegesellschaften, Ausdünnung des Netzes usw., und dass schließlich der Gewinn nur durch Zuschüsse des Bundes erzielt wurde.
Das alles ließ er nicht gelten. Trotzig meinte er, das liege doch alles daran, dass der Mehdorn nicht all das tun durfte, was notwendig gewesen sei. Die Bahn müsse unbedingt an die Börse gebracht werden, damit sie weiter erfolgreich sein könne und auf dem Weltmarkt konkurrieren könne. Ja, Weltmarkt hat er gesagt.
Zum Schluss fragte ich ihn nur noch: „Weißt Du eigentlich, dass der Börsengang vielleicht vier, fünf Milliarden einbringt? Und weißt Du, dass die Deutsche Bahn mit allen Anlagen und allen Einrichtungen ein vielfaches dieser paar Kröten wert ist?”„Nein“, meinte er, „das glaube ich nicht, dass die Deutsche Bahn mehr wert ist.“
Was fällt einem denn da noch ein? Es ist zum Verzweifeln. Die Menschen in diesem Land sind gleichgeschaltet, quatschen den Unsinn nach, der ihnen jeden Tag von gleichgeschalteten Medien präsentiert wird, hinterfragen nichts und niemanden mehr und begreifen nicht, dass die Merkels, Steinmeiers, Münteferings, Pofallas, Kochs, Köhlers und wie sie alle heißen die Totengräber unserer Gesellschaft und der Demokratie in Deutschland sind. Mich beschleicht das schreckliche Gefühl, dass es für eine radikale Kehrtwende mehr braucht als gute Argumente. Wenn das so weiter geht, dann braucht es die totale wirtschaftliche Katastrophe. Das kann es aber doch nicht sein, oder? Ich finde, der seit Jahren bereits andauernde Angriff auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung muss ein Ende haben. Für einen solchen Fall sieht das Grundgesetz in Art. 20 Abs. 4 das Recht zum Widerstand vor. Dass jetzt auch Beamte zu streiken beginnen, ist ein Anfang.
Viele Grüße und lassen Sie in Ihren Bemühungen bitte nicht nach!
C. B.
Teil II
Einige Beobachtungen und Überlegungen zu erstaunlichen Möglichkeiten der Meinungsmache beim Thema Finanzkrise und Wirtschaftskrise und dem großen Versagen der meisten Medien:
In der Debatte um die Wirtschafts- und Finanzkrise zeigt sich eine erstaunliche Bereitschaft zur Anpassung an gängige Denkmuster. Wenn die politische Führung und die Hauptmedien die gleichen Parolen verkünden und Denkmuster anbieten, dann wird das auch in breiten Kreisen geglaubt, selbst dann, wenn an jeder Ecke Zweifelhaftes sichtbar ist. Im Bericht des NachDenkSeiten-Lesers ist von Nachplappern und Gleichschaltung die Rede. Das entspricht auch meiner Beobachtung.
Im Bericht wird auch die trotzige Reaktion auf Zweifel und Kritik beschrieben. Auch das entspricht meiner Erfahrung. Man will sich ungern die gerade angelernten Erklärungen aus der Hand nehmen lassen.
Vermutlich spielt bei der bereitwilligen Konzentration auf die angebotenen Denkmuster auch eine Rolle, dass man sich in kritischen Situationen gerne mit der Mehrheit um die Führung versammelt.
Diese Neigung wird zunehmend zu einem großen Problem: Die demokratische Kontrolle setzt aus, es gibt keine Sanktionen mehr auf Fehler, selbst auf schlimmes Versagen nicht. Das hat viel mit der Ausbreitung von Public Relations-Agenturen und ihrem Einfluss auf die Medien zu tun.
Wir haben in den NachDenkSeiten schon oft auf diese Entwicklung hingewiesen. Wir tun dies mit Absicht immer wieder.
Sanktionen wären spätestens beim Wahltermin Ende September fällig. Wenn die beobachteten und beschriebenen Vorgänge weiter so ablaufen, dann wird auch dieser ganz konkrete Mechanismus eines einigermaßen demokratisch organisierten Landes kläglich versagen. Keine schöne Perspektive.
Und dennoch machen wir weiter, hier zunächst mit einer stichwortartigen Auflistung der gängigen Denkmuster, Klischees, Legenden und Lügen.
Was man uns so alles erzählt, bis der Tag zu Ende geht:
Das sind im wesentlichen die Botschaften und Aussagen, mit denen man uns malträtiert – leider mit Erfolg. Denn ein Großteil dieser Botschaften wird geglaubt.
Es gab am Beginn der Offenlegung der Finanzkrise im Netz eine kleine Debatte darüber, ob die politisch führenden Personen und die in der Finanzindustrie maßgeblichen neoliberalen Kreise diese Krise politisch überstehen werden. Es gab Stimmen, die meinten, jetzt wären sie zu packen; Merkel „im Schaubstock“, wie ein Blogger schrieb. Ich habe daran nie geglaubt. Es war eigentlich klar,
Die Mehrheit der Medien hat im Verein mit der Wissenschaft jämmerlich versagt:
Maßgebliche Medien erzählen bis heute die Mär, wir seien von einer in den USA ausgelösten Krise überrascht worden
Sie haben ungeprüft nachgebetet, dass die Finanzkrise maßgeblich in den USA entstanden und plötzlich über uns gekommen ist. Sie erkennen und beschreiben nicht, dass schon die Vervierfachung der DAX-Werte zwischen 1995 und dem März 2000 keine wunderbare Wertschöpfung, sondern das Ergebnis maßloser Spekulation gewesen ist. Sie berichten nicht darüber, dass sich einige Banken und Versicherungen damals schon verzockt haben. Dass Hans Eichel als Finanzminister der Versicherungswirtschaft so nebenbei 5 Milliarden zugeschoben hat, dass die Spitzen der Banken und Versicherungen schon Anfang 2003 von der Bundesregierung die Unterstützung einer so genannten Bad Bank zur Sammlung schlechter Risiken verlangt hat, dass im gleichen Jahr die HypoVereinsbank dann ihre schlechten Risiken auf die neu gegründete HRE verlagert hat, ist in den meisten deutschen Medien kein Thema. Dass die bei der HRE inzwischen angehäuften Risiken in dreistelliger Milliardenhöhe hausgemacht sind und nicht in den USA – dies alles wird geschluckt.
Die Mehrheit der Medien hat nicht kritisch beschrieben, in welch hohem Maße die Bundesregierung selbst die Türen für Hedgefonds und Privat Equity, für Verbriefungen und Zweckgesellschaften geöffnet und die Transaktionen steuerlich gefördert hat – und wie sehr die Bankenaufsicht und die Deutsche Bundesbank alle Augen zugedrückt haben. Der Bankenaufsicht hätten die Zweckgesellschaften doch auffallen müssen. Der Bundesfinanzminister selbst hätte intervenieren müssen, wenn öffentliche und halböffentliche Banken sich in Steueroasen tummeln.
Die Medien haben mehrheitlich auch das dreiste Spiel mitgemacht, den öffentlichen Banken, den Landesbanken und Sparkassen, die Hauptrolle zuzuschieben. Sie haben, obwohl dies glatt gelogen ist, die Botschaft weiter getragen, die gescheiterte IKB sei eine öffentliche Bank gewesen. In den NachDenkSeiten konnten sie schon 2007 lesen, wie die massiven Manipulationsversuche in dieser Sache gestrickt waren.
Das Elend der Mehrheits-Medien beginnt schon damit, dass sie seit Jahren den absonderlichen ökonomischen Theorien der Neoliberalen verfallen sind. „Konjunkturprogramme sind Strohfeuer“ war ein anerkannter Glaubenssatz.
Die Medien haben uns im Verein mit Politik, Wirtschaft und der Mehrheit der Wissenschaft seit Jahren erzählt, es gäbe keine Konjunkturprobleme mehr, es seien alles Strukturprobleme, und mit Reformen, mehr Flexibilität, niedrigeren Löhnen und sinkenden Lohnnebenkosten würden wir unsere Probleme lösen können. Wer beim Niedergang der Konjunktur antizyklische Maßnahmen und Programme verlangte, wurde mit dem Schimpfwort „Keynes“ belegt. Keynes ist out, hieß es. Keynesianer hieß so viel wie „von gestern“, Traditionalist, die Zeichen der Zeit nicht erkannt habend.
Ich selbst habe mehrere öffentliche Debatten mitgemacht, auch im Fernsehen, bei denen man mitleidig belächelt wurde, weil man den Einsatz aller möglichen Instrumente der Wirtschaftspolitik forderte und vor allem eine antizyklische Politik anmahnte.
Als auswärtige Wissenschaftler wie der Nobelpreisträger Robert Solow und der Ökonom Jim O’Neille 2004 beklagten, in Deutschland würde keine vernünftige Makropolitik gemacht, als sie warnten vor dem Niedergang der Binnennachfrage und dem Risiko eines sinkenden Dollar, da wurden sie schlicht und einfach ignoriert. Ein Interview in der Zeit oder in der Wirtschaftswoche, basta. Das war’s dann auch. Den NachDenkSeiten und meinen Büchern erging es nicht viel anders Heute erkennen immerhin einige, dass sie sich getäuscht haben, dass es wichtig gewesen wäre, die Binnennachfrage zu stärken. Heute erkennen einige, dass es so etwas wie eine konjunkturelle Bewegung gibt, nach unten und nach oben. Und während nahezu alle in der Vergangenheit riefen: „Konjunkturprogramme sind Strohfeuer!“, nimmt eine wachsende Zahl immerhin schon das Wort Konjunkturpaket in den Mund. Und auch den Namen Keynes darf man wieder aussprechen.
Bis heute hält sich jedoch in Deutschland auch dank der Meinungsführerschaft des Bundesfinanzministers Steinbrück der Glaube, Konjunkturprogramme führten zu mehr Schulden. Dieses eingeübte Denken in einzelwirtschaftlichen Schemata lässt sich wohl nicht ausrotten. Das wird zum Problem, weil wir hierzulande zur Überwindung der Talsohle zu wenig tun, und dieses auch noch zu spät. Wenn Steinbrück sagt, er wolle nicht mehr Schulden und deshalb auch kein drittes Konjunkturprogramm, dann steht ein maßgeblicher Teil der Medien stramm. Und wenn Frau Merkel sagt, wir wollen erst abwarten, dann erscheint dies trotz aller schlechten Erfahrung mit den schrägen Theorien schlüssig. Das Vorurteil gegen Konjunkturprogramme ist tief eingeübt. Es fehlt am Denken in gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen. Hierzulande wird ein Bundesfinanzminister dann populär, wenn er dem Volk mitten im Niedergang sagt, er sei der Sparkommissar und er wolle weiter sparen. Dass er den Sparerfolg damit selbst zunichte macht, haben in Deutschland immer noch nur wenige Medien begriffen.
Auf der Basis des Vorurteils, Konjunkturprogramme seien Strohfeuer und brächten nur Schulden, sind inzwischen äußerst eigenartige Theorien akzeptiert: 480 Milliarden Rettungsschirm für die Banken und die dafür aufgenommenen Schulden sind gute Schulden, 14 Milliarden vom Bund für ein armseliges Konjunkturprogramm sind gefährlich. Dagegen muss man sofort mit einer mitten in der Krise vereinbarten Föderalismusreform und einer Schuldenbremse einschreiten. Wendehälse sind eben nicht so ganz berechenbar.
Es wird behauptet, alle Banken seien systemrelevant, systemisch, ein dolles Wort. Keine einzige Bank dürfe mehr eingehen. Das haben wir fast durchgehend geglaubt.
Die Medien haben diese Formeln bereitwillig transportiert. Nur wenige haben sie hinterfragt:
Der Begriff Systemrelevanz und seine Anwendung in der staatlichen Politik führt zu einer Art Zwei-Klassen-Wirtschaft.
Die Banken und Versicherungen bekommen Hunderte von Milliarden, ohne die Kanäle und die dahinter steckenden Akte, auch kriminelle Akte, offenlegen zu müssen. Die Finanzwirtschaft wird zu einem besonderen Wirtschaftssektor erkoren. Der ist sie eigentlich nicht. Sie ist ein Sektor wie andere Sektoren auch. Im Kern nicht wichtiger als der Maschinenbau oder die Chemie oder das Handwerk oder die Müllwerker. In einer arbeitsteiligen Wirtschaft haben alle ihren prinzipiell gleichen Stellenwert.
Die wertschöpfende Wirtschaft ist zweitrangig, so wird suggeriert. Innerhalb ihrer Reihen geht es dann wieder nach Größe und der angeblich zentralen Relevanz für die Branche. Der eigentliche Coup aber ist der Ritterschlag für die Finanzbranche. Das ist schon ein unglaublicher Vorgang, wenn man bedenkt, dass dieser Wirtschaftssektor geadelt wird in einer Phase und für ein Verhalten, bei dem man eigentlich den Staatsanwalt losschicken müsste. Die Mafia erhält das Adelsprädikat. Das ist eigentlich auch nichts Neues: Auch die mittelalterlichen Raubritter waren später die Geadelten.
Gut und intensiv geplante Meinungsbeeinflussung
Vermutlich sind die Begriff „systemrelevant“ und „systemisch“ die Erfindung von Public Relations-Agenturen oder der Stäbe in den Spitzen der Finanzwirtschaft. Wer sich diese beiden Begriffe ausdachte, hat sich vermutlich eine goldene Nase verdient. Jedenfalls haben diese Inspiratoren ihren Auftraggebern Milliarden eingebracht.
Es sieht so aus, dass das Geflecht von Botschaften – siehe 1-14 – sorgfältig geplant und geknüpft worden ist und dass dann auch mit den entsprechenden Mitteln die Vervielfältigung und die Penetranz der Vermittlung der immer gleichen Botschaft gefördert wurde. Dafür spricht auch die Tatsache, dass einige Botschaften ausgesprochen eigenartig sind – typische Beispiele aus dem Katalog der „Methoden der Meinungsmache“.
Zum Beispiel: Die neoliberalen Macher wissen, dass die Krise der sozialen Marktwirtschaft sie ein ordentliches Quäntchen Image kosten wird. Also übernehmen sie den Begriff und tun so, als ob es ihnen um eine Verbesserung der sozialen Marktwirtschaft ginge. Das ist der jedenfalls versuchte Trick, die eigene Verantwortung zu vertuschen.
Zum Beispiel: Die völlig unmotivierte Behauptung Angela Merkels, wir kämen gestärkt aus der Krise. Diese eigenartige Botschaft soll unterschwellig nur vermitteln, dass diese Frau es schaffen wird.
Zum Beispiel: Das wie im Gebetbuch immer wieder vorkommende Anhängsel an die staatliche Hilfe und Intervention, der Staat ziehe sich so schnell wie möglich wieder zurück. Das ist eine auf eigentümliche Weise bescheuerte Einlassung, jedenfalls in der ständigen Wiederholung. Sie soll aber vermitteln, dass der Staat eigentlich der Schuldige ist. Der Manipulationsprozess läuft hier ganz ähnlich wie bei früheren Aufforderungen von Merkel und Steinbrück an die Bankenwelt, diese möge doch bitte unser Geld nehmen. Diese Attitüde hatte, worauf ich schon einmal hinwies, die Funktion, die Banken aus der Bittstellerrolle herauszubringen und den Staat in diese Rolle hineinzudrängen.
Gut geplant scheint mir auch die Konzentration der Vorschläge und Forderungen nach „Transparenz“ und „Regulierung“
Damit ist es gelungen, die grundsätzliche Infragestellung des Casinobetriebs und die Diskussion seiner Schließung zu vermeiden. Tatsächlich hat der Finanzsektor in einigen Ländern einen absonderlich großen Umfang angenommen. Er beschäftigt sich mit dem Transfer von Vermögenswerten, mit Spekulationen, mit Wetten, mit der Erfindung immer neuer Produkte – lauter Dinge, die für das Gedeihen einer Volkswirtschaft nicht wichtig sind. Wer das Glücksspiel sucht, kann zur nächsten Spielbank fahren.
Das Problem der Konversion der Finanzwirtschaft ist mit Merkels Konzentration der Vorschläge auf Transparenz und Regulierung weggedrückt. Und unsere famosen Medien und die Wissenschaft diskutieren und hinterfragen diesen Vorgang von sich aus leider nicht, wenn auch mit ganz wenigen Ausnahmen. (Siehe zum Problem Konversion auch den Tagebucheintrag zu Finanzkrise Teil I vom 7.1.2009, zur gesamten Problematik Finanzkrise die Beiträge in der Rubrik Sachfragen/Kapitalmarkt)
Die Medien lassen sich mit ihrer Anpassung an die Meinungsführer von Politik und Finanzwirtschaft reizvolle Felder der Recherche und der Debatte entgehen.
In der bei uns laufenden Debatte um die Finanzkrise und die Wirtschaftskrise insgesamt werden eine Fülle von spannenden Themen und Fragen einfach weggedrückt. Totschweigen, was nicht genehm ist, scheint die Parole zu sein. Welch ein fantastisches Feld für die Arbeit von Journalisten.
Ich will ein paar Beispiele dafür nennen:
Zum ersten: Der Verkauf der ostdeutschen Banken an die westdeutschen Banken für Bruchteile des echten Wertes. Wie viel Milliarden haben die westdeutschen Banken dabei gutgemacht? Was war die Rolle von Horst Köhler genau? Was ist der detaillierte Inhalt des Gutachtens des Bundesrechnungshofes, das immer noch nicht offen zugänglich ist?
Zum zweiten: Ende April 2004 gab es eine eigenartige Begegnung. Bundeskanzler Schröder hatte den Professor für Ökonomie, Peter Bofinger, zu einem Gespräch mit ihm und den beiden für die Belange der Bundesbank zuständigen Ministern für Wirtschaft und Finanzen, Clement und Eichel, eingeladen. Erklärtes Ziel der Einladung: mit Bofinger seine Ernennung zum Präsidenten der Deutschen Bundesbank zu besprechen. Das geschah wohl auch. Am Ende weigerte sich Eichel, als zuständiger Minister eine Kabinettsvorlage für diese Entscheidung vorzulegen. Provokant für Bofinger, peinlich für Schröder. Dann wurde auf Vorschlag Eichels der „Lehrer“ des damaligen Abteilungsleiters im Bundesfinanzministerium, Jörg Asmussen, der Professor Axel Weber zum Bundesbankpräsidenten erkoren. Schröder ließ das mit sich machen, was schon etwas eigenartig ist. Wahrscheinlich schien ihm das einen Konflikt nicht wert. Interessant daran ist, dass wir bis heute diesen Deal zu spüren bekommen. Jedenfalls erscheint es lohnenswert nachzuforschen, ob die mangelnde Kontrolle durch die Bundesbank etwas mit diesem Beziehungsgeflecht zu tun hat.
Die Medien beschäftigen sich nahezu nicht mit dem kriminellen Charakter vieler Finanzgeschäfte.
Wer faule Forderungen verpackt und sie als Wertpapiere weiterverkauft, ist aus meiner Sicht ein Betrüger. Diese Ansicht wird auch von Fachleuten geteilt. Wer solche Wertpapiere kauft, wie die IKB, ist ein Hehler. Dieser kriminelle Charakter der Hintergründe und Ursachen der Finanzkrise wird von den Medien nicht recherchiert und auch von der Wissenschaft mit Ausnahme einiger weniger Fachleute nicht hinterfragt.
Dieses Versagen der Medien ist ein wichtiger Grund für die Unsicherheit und die Nachplapperei, von welcher der Leser der NachDenkSeiten in seinem zu Anfang wiedergegebenen Text berichtet. Die Mehrheit der Menschen ist Opfer dieses Versagens, und die Mehrheit hat vermutlich weder die Zeit noch die Kraft, ausreichend Widerstand gegen die tägliche Gängelung und Manipulation zu leisten. Das macht die Perspektive so wenig rosig.
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