NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: „Politiker müssen sich ernsthaft überlegen, ob unser Land noch nach einem Solidaritätsprinzip aufgebaut ist“

Datum: 16. Mai 2017 um 12:25 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Bildungspolitik, Chancengerechtigkeit, Interviews, Soziale Gerechtigkeit, Ungleichheit, Armut, Reichtum
Verantwortlich:

Zu Ihrer Information folgt hier ein Interview mit Julia Gajewski, der Leiterin einer „Brennpunkt-Schule“. Eigentlich hätten wir dieses Interview auch der Analyse der NRW-Wahl anfügen können. Hier wird nämlich sichtbar, dass die allgemein verbreitete Behauptung, es gehe uns gut, für einen bemerkenswerten Teil unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht gilt. Auf dieses Thema gehen wir übrigens in den nächsten Tagen noch einmal ein – mit einem Interview mit Professor Dörre. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Gebundener Asbest in Wänden, bröckelnder Beton an der Außenfassade, fehlende Fenstergriffe, fehlende Jalousien zum Schutz vor Sonne, eine Fluchttreppe, an der jede einzelne Stufe mit Pfeilern abgestützt wird: Die Verhältnisse an der Gesamtschule Bockmühle im Essener Stadtteil Altendorf lassen tief blicken.

Über viele Jahre haben politische Entscheider die Schule so vernachlässigt, dass die notwendigen Renovierungen teurer werden dürften als ein Neubau.

Die Schule, die zu Zweitdrittel von Schülern besucht wird, deren Eltern auf Transferleistungen angewiesen sind, steht für eine Entwicklung, die nicht nur im Stadtteil Altendorf sichtbar wird: Dort, wo die Armen und Abgehängten zu finden sind, schauen politisch Verantwortliche oft genug nicht hin.

Im Nachdenkseiten-Interview mit Marcus Klöckner gibt die Leiterin der „Brennpunkt-Schule“ Julia Gajewski einen verstörenden Einblick in den Alltag einer Schule, die man nicht in einem der reichsten Länder dieser Welt erwarten würde.

Schüler, die Probleme haben, mit einem Stift und Lineal einen geraden Strich zu zeichnen, Schüler, die in jungen Jahren bereits so schwere Probleme haben, dass sie sich selbst körperlichen Schaden zufügen, überfüllte Klassen, Inklusion, die sich unter den gegebenen Bedingungen kaum erfüllen lässt, und all das in einem verfallenen Gebäude, das wie ein Sinnbild auf die politischen Verfehlungen der Politik verweist.

Gajewski, die sich zusammen mit anderen Lehrern seit Jahren für die Schule einsetzt, musste eine Rot-Grüne Regierung beobachten, die sich allenfalls im Zeitlupentempo auf die Schule zubewegt hat.

Mit ihrem Gang an die Öffentlichkeit versucht Gajewski das, was politisch Verantwortliche offenbar nicht sehen wollen, sichtbar zu machen.

Im Interview merkt die Schulleiterin an, dass im Bereich Schule die Politik dem Willen der finanzstarken Eltern (und Wähler) folge.

„Es scheint so, als ob diesbezüglich jeder sich selbst am nächsten ist. Aufgabe eines Sozialstaates ist es doch, sich um alle Menschen – also auch die Armen – zu sorgen und zu kümmern”, sagt Gajewski.

Marcus Klöckner: Frau Gajewski, es wird immer gesagt, Deutschland sei ein reiches Land, „uns“ geht es gut. Wie sehen Sie das?

Julia Gajewski: Hier geht es meiner Meinung nach zunächst einmal um die Definition von „uns“. Wenn ich alle Menschen mit einbeziehe, kann ich diesen Satz nicht bestätigen. Es wird definitiv ein großer Teil der Kinder und Jugendlichen, die wir an unserer Schule unterrichten, nicht in Betracht gezogen, also solche mit Migrationshintergrund, die zum Teil auch aus den Parallelgesellschaften stammen (z. B. türkisch, syrisch, afrikanisch…), Kinder, deren Eltern arbeitslos sind, die Hartz IV beziehen (und das schon seit vielen Jahren). An unserer Schule sind etwa Zweidrittel von 1450 Schülerinnen und Schülern betroffen.

Da in Deutschland aber insgesamt mehr als genug vorhanden ist, stimmt die Aussage im Allgemeinen. Die Situation der wirtschaftlich Schwachen in unserem Land, die wir an unseren Schülerinnen und Schülern beobachten können, macht aber klar, dass in diesem Land die Armen alleine gelassen werden.

Sehen Sie Armut an ihrer Schule?

In erster Linie fehlt den Kindern ein Elternhaus mit Bildungshintergrund. Da viele Eltern selbst keine Förderung erhalten haben, sind sie leider auch nicht in der Lage, ihre Kinder zu fördern und das formuliere ich ohne Vorwurf an die Eltern und Kinder. Hier geht es konkret z. B. um eine angemessene Zahl von Vorlesestunden, um Erziehung – also der Sicherung von demokratischen Grundlagen und Grundwerten, sozialem Miteinander, Empathie, Durchhaltevermögen, Wecken von unterschiedlichen Interessen beim Kind (Kreativität, Sport usw.). Eltern, die selbst wenig Empathie besitzen, können diese auch nicht vermitteln.

Der verpflichtende Besuch von Kindergärten könnte die fehlende frühkindliche Förderung ausgleichen und einen wichtigen Beitrag zur Chancengleichheit leisten.

Was stellen Sie denn im Umgang mit Kindern, die aus diesen schwierigen familiären Verhältnissen stammen, fest?

Die Kinder sind häufig emotional verwahrlost, was im täglichen Miteinander zu vielen Konflikten führt. Unterricht kann erst stattfinden, wenn die Konflikte bearbeitet sind. Die Kinder kommen als Bildungsverlierer aus den Grundschulen zu uns, das heißt, sie haben bisher fast ausschließlich schulischen und sehr häufig auch sozialen Misserfolg erlebt. Sie versuchen, das zu kompensieren, indem sie auffälliges Verhalten zeigen.

Was heißt „auffälliges Verhalten“?

Ich beobachte eine niedrige Aggressionsschwelle, Hilfestellungen und Anweisungen werden nicht akzeptiert, Verhaltensänderungen finden nur bei intensiver Betreuung statt. Hinzu kommen beispielsweise häufige Fehlzeiten, die Kinder sind schnell krank.

Durch einige dieser Verhaltensweisen erfahren die Schüler, dass sich unsere Lehrer und Sozialpädagogen stärker um sie kümmern (müssen).

Aber noch etwas: Die sprachlichen Fähigkeiten sind unabhängig vom Migrationshintergrund sehr basal. In einem Sprachstandstest des jetzigen 5. Jahrgangs zeigt sich, dass der Durchschnitt unserer Kinder nicht nur die altersentsprechenden Fähigkeiten nicht erreicht, sondern sogar Förderbedarf hat!

Den Schülerinnen und Schülern fehlen motorische und feinmotorische Grundfertigkeiten im Bereich des Schreibens. Wie wird ein Stift gehalten, wie ziehe ich eine gerade Linie mit einem Lineal usw. Hier geht es noch nicht darum, ob korrekt geschrieben wird, sondern zunächst nur darum, ob die Schrift lesbar ist. Dies ist eine Form von Armut, die man nicht unbedingt vermutet.

Bei allen Beschreibungen liegt mir sehr daran, dass unser Kollegium diese schwierige Aufgabe im Umgang mit den Kindern und Jugendlichen mit viel Herzblut meistert. An unserer Schule ist den Schülerinnen und Schülern Wertschätzung gewiss. Circa 50 Schülerinnen und Schüler verlassen pro Jahr die Schule mit dem Abitur als Abschluss, obwohl wir etwa 80 Prozent Kinder mit Hauptschulempfehlungen aufnehmen.

Erzählen Sie uns bitte etwas mehr von Ihren Beobachtungen. Was fällt Ihnen weiter ins Auge?

Häufig geht es nicht darum, dass die Kinder zu wenig besitzen. Sie scheinen vielmehr sich selbst überlassen zu sein und leben so nach ihren eigenen Regeln. Mich erinnern sie an Straßenkinder, die ihre eigenen Regeln festlegen. Bei ihnen gilt das Recht des Stärkeren und nicht das Recht des sozial Kompetenteren.

Eltern erscheinen nicht zu Elternabenden oder zu vereinbarten Terminen, sind telefonisch kaum zu erreichen, wechseln häufig ihre Adresse oder Telefonnummer. Dies macht die Zusammenarbeit schwierig und sehr zeitintensiv.

Gibt es besonders schwere oder schlimme Fälle, die Ihnen in Erinnerung geblieben sind, also Beispiele, die zeigen, was Armut im Hinblick auf ihre Schüler bzw. deren Familien konkret bedeutet?

Hier gibt es aus meiner Sicht viele Beispiele.

Eine Schülerin, die vor Weihnachten nicht nach Hause wollte (dies ist leider kein Einzelfall), fügte sich selbst Ritzverletzungen zu und „zwang“ so unsere zuständigen Kolleginnen und Kollegen und die Sozialpädagogen am letzten Schultag vor Weihnachten, sich bis 18.00 Uhr um eine anderweitige Unterbringung zu kümmern, was glücklicherweise auch klappte.

Der Absturz ins Drogenmilieu eines alleinreisenden, minderjährigen Flüchtlings, dessen Eltern nicht nachkommen konnten, war eine nachhaltige Erfahrung.

Wir haben Schulverweigerer, die wir nicht mehr erreichen. Sie verlassen irgendwann ohne einen Abschluss die Schule. Was dann aus ihnen wird, wissen wir nicht. Das ist eine dauerhaft belastende Situation für Kolleginnen und Kollegen.

Eine Mutter einer Schülerin stürmte das Gebäude und beleidigte diverse Schülerinnen und Schüler sowie auch Kolleginnen und Kollegen. Sie weigerte sich, das Gebäude zu verlassen, tat es nach 45-minütigem Beleidigungsschwall der derbsten Art. Wir erfuhren, dass die Mutter von ihrem Mann entsprechend behandelt wird, sie ihm nicht entkommen kann und ihre Wut bei uns ablässt. Das Schlimme ist, dass die Tochter den Habitus der Mutter übernimmt. Einfluss haben wir in solchen Fällen quasi keinen.

Bei diesen Beispielen lege ich natürlich mein vorher beschriebenes Armutsverständnis zugrunde.

Nun ist Ihre Schule ja bereits rein optisch nicht unbedingt eine Schule, die man sich in einem „reichen“ Land vorstellen würde.
Woran mangelt es denn an Ihrer Schule?

Seit der Gründung 1972 wurde baulich immer nur an den nötigsten Stellen investiert, es wurde ständig Flickschusterei betrieben. Vorhaben, wie eine Sanierung der Außenfassade, wurden im Haushalt ständig verschoben. Es fehlen z. B. Verdunklungen an den Fenstern mit der Konsequenz, dass nicht die Methode die Sitzordnung im Unterricht bestimmt, sondern bei sonnigem Wetter die wenigen Schattenplätze in der Klasse. Methoden des kooperativen Lernens bedingen jedoch auch variierende Sitzordnungen in der Klasse, die den kompletten Klassenraum einnehmen – nicht nur eine schattige Hälfte. Unterricht nach modernen Standards ist unter diesen Bedingungen also nicht möglich. Projektionen von Beamern sind nicht lesbar. Das schränkt die Unterrichtsqualität massiv ein.

Undichte, blinde Fenster, fehlende Fenstergriffe, bröckelnder Beton an der Außenfassade, eine Fluchttreppe, an der jede einzelne Stufe mit Pfeilern abgestützt werden muss, gebundener Asbest in Wänden mit der Folge, dass kein Nagel in dieselbe geschlagen werden darf – usw.

Gut aussehende erneuerte Decken gibt es im Zusammenhang mit gesetzlich vorgeschriebenen Brandschutzmaßnahmen, wenn die alten nicht mehr nutzbar sind.

Immerhin drei Dusch- und Waschräume von insgesamt sieben wurden in den letzten vier Jahren in den Sporthallen sehr ansprechend erneuert. In den übrigen vier Waschräumen funktioniert zum Teil nur noch ein Wasserhahn. Der Ablauf ist kaputt und das Wasser läuft direkt auf den Boden.

Das, was Sie aufzählen, sind jetzt aber keine Probleme, die von heute auf morgen entstehen.
Wie kann es sein, dass es solche Zustände an Ihrer Schule gibt?

Eltern unserer Kinder sind keine potenziellen Wähler. Das Engagement der Eltern in der Schulpflegschaft beginnt gerade erst zu wachsen.

Fehlende Wertschätzung gegenüber allen an unserem Schulleben Beteiligten.

Es gibt das Sprichwort: Wo ein Wille, da ein Weg.
Was meinen Sie: Woran liegt es, dass ihre Schule offensichtlich von den politisch Verantwortlichen im Stich gelassen wird?
Fehlt es am Willen?

Hier kann ich nur mutmaßen. Wir haben die schulpolitischen Sprecher der Parteien aus dem Landtag zu uns eingeladen, um ihnen unsere Gesamtsituation zu verdeutlichen. Hier gab es durchaus Betroffenheit, die in einem Fall Frau Sylvia Löhrmann auch zurückgemeldet wurde. Hier ist mein Eindruck, dass sich die Verantwortlichen extrem weit von der real existierenden Basis entfernt haben und es ist Ihnen zum Teil sehr schwergefallen, Lösungsansätze zu formulieren. Sie wirken wie gefangen in ihrem System.

Im Interview mit Reinhold Beckmann hat sich Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung in NRW, zu Ihrer Schule geäußert. Wie haben Sie die Einlassungen von Löhrmann wahrgenommen?

Wir wurden von ihr für unsere pädagogisch erfolgreiche Arbeit gelobt – was für mich die Frage aufwirft: Woher weiß sie das? Sie hatte sich selbst nie überzeugt. Es wirkte auf mich, wie eine Rechtfertigung ihrerseits. Zudem sprach sie von den ca. 6300 Stellen, die die Landesregierung ins „System“ gebracht hat. Dies führte aber nicht dazu, Ungleiches ungleich zu behandeln bzw. den überfälligen Sozialindex (z.B. verbesserter Personalschlüssel) umzusetzen.

Was bedeutet es denn, wenn Kinder aus armen Familien auf eine Schule gehen, die alleine schon vom baulichen Zustand eine Zumutung darstellt?

Absolut keine Wertschätzung, was von den Schülerinnen und Schülern auch genauso wahrgenommen wird.

Wie viel Geld würden Sie denn konkret benötigen, um Ihre Schule in Schuss zu bekommen, vorzeigbar zu machen?

Wahrscheinlich werden wir mehr Geld benötigen, als ein Neubau kosten würde. 35 Millionen Euro werden wir aus dem Paket Gute Schule 2020 erhalten. Im Vergleich dazu würde aber die Renovierung eines großen Flachdachs schon 12 Millionen Euro kosten. Dieses Beispiel relativiert die erstgenannte Zahl. Eine Sanierung halte ich für fahrlässig, einen Neubau für die einzig sinnvolle Lösung.

Welche Rolle spielt das Thema Inklusion an Ihrer Schule?

Eine sehr wichtige Rolle, da wir uns vor 6 Jahren überzeugt auf den Weg zum Gemeinsamen Lernen gemacht haben. Inzwischen lernen über 140 Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf bei uns. Wir haben aber erleben müssen, dass die personelle Unterstützung von Jahr zu Jahr geringer wurde und wir damit große Sorgen haben, den Kindern und Jugendlichen nicht mehr gerecht werden zu können. Beispiel: Kinder mit dem Förderbedarf E-S (emotional-sozial) müssen auf der Beziehungsebene eng betreut werden. Wenn ein Sonderpädagoge aber 15 Kinder in unterschiedlichen Klassen und Jahrgängen zu betreuen hat, ist es ihm nicht möglich, diese Beziehung aufzubauen. Somit ist die Prognose für eine erfolgreiche Arbeit negativ. Wer hält das dauerhaft aus?

Ein Gedankenspiel: Mal angenommen, Sie wären auf politischer Ebene in entscheidender Position tätig. Was würden Sie tun, um dieser Schule zu helfen?

Ich würde als erstes den Sozialindex umsetzen, indem ich die personelle Ausstattung massiv erhöhen würde. Konkret bedeutet dies eine Klassenstärke von höchstens 20 Kindern mit dauerhafter Doppelbesetzung. Langfristig gesehen muss sich die Zusammensetzung der Schülerschaft ändern, denn gerade Schülerinnen und Schüler mit schlechteren Voraussetzungen benötigen positive Vorbilder, um schulisch erfolgreicher zu agieren.

Nun mal ein Blick auf die Bundespolitik.
Was müsste getan werden, um Armut in Deutschland entgegenzutreten?

Die Antwort könnte ja Bücher füllen. Ich versuche es: Zunächst muss jeder einzelne Politiker dieses Thema zu seinem eigenen machen und sich dann ernsthaft überlegen, ob unser Land noch nach einem Solidaritätsprinzip aufgebaut ist. Dies erscheint mir nicht der Fall. Im Bereich Schule folgt die Politik dem Elternwillen der finanzstarken Eltern der Gymnasien. Es scheint so, als ob diesbezüglich jeder sich selbst am nächsten ist. Aufgabe eines Sozialstaates ist es doch, sich um alle Menschen – also auch die Armen – zu sorgen und zu kümmern. Gelder müssen also umverteilt werden, um sie in Bildung zu investieren, damit tatsächlich jedes Kind auch eine Chance hat, angemessene Bildung zu erhalten. Die Idee der Gesamtschule ist eine, in der leistungsstärkere Kinder als Vorbild für die anderen fungieren. So profitieren erwiesenermaßen alle Lernenden mehr als im Vergleich zu einem selektiven Schulsystem. Angemessene Bildung sorgt für eine aktive und reflektierende Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und diese hat jedes Kind verdient. Auch Deutschland hat die UN-Konvention über die Rechte des Kindes, insbesondere das Recht auf Bildung Artikel 28 ratifiziert. Da unser Staat Verantwortung für alle Kinder hat, muss er sich entsprechend um alle Kinder kümmern – auch um die armen.

Nun setzen Sie und die Lehrer der Schule sich sehr ein.
Wie gehen Sie denn vor, was unternehmen Sie, um den Schülern Hilfestellung auf ihrem Bildungs- und Lebensweg zu geben?

Wir versuchen als erstes, unser System Schule für die Schülerinnen und Schüler mit Lernerfolgen – also positiven Erfahrungen – zu verknüpfen. Zudem muss jeder Schüler und jede Schülerin lernen, für sein eigenes Handeln und Lernen verantwortlich zu sein, es hilft ihnen nicht, wenn die Lehrenden diese Verantwortung übernehmen. Seit 2006 sind wir Teamschule (das bedeutet z. B. wenige, aber stabile Bezugspersonen in den Klassen mit einem hohen Anteil an für den Lehrer fachfremden Unterricht) und vor zwei Jahren haben wir unser pädagogisches Konzept grundlegend verändert. Mit diesen Maßnahmen erhoffen wir uns, auch die Kinder mit Förderbedarf – trotz der mangelnden personellen Ressourcen – halbwegs angemessen fördern zu können.

Was tun Sie noch?

Wir haben begonnen, die Problematik öffentlich zu machen, was zu vielen Gesprächen und Diskussionen, aber noch zu (zu) wenigen konkreten Ergebnissen geführt hat. Die Thematik muss im Land und im Bund eine zentrale Rolle spielen, ansonsten wird sich meiner Meinung nach die Spaltung zwischen Arm und Reich weiter dramatisch verschlechtern. Das Thema Integration – hier bezogen auf Förderkinder, Kinder mit Migrationshintergrund aus den Parallelgesellschaften, Kinder aus armen Verhältnissen; Flüchtlingskinder – sprechen wir beständig mit an.

Wir sind im Gespräch mit der Stadt und arbeiten gemeinsam an einem Stadtteilkonzept, in dem die Schule eine wesentliche Rolle spielt.

Sie kennen die Schüler, Sie dürften auch einen Einblick in deren Gedanken und Psyche haben.
Wie gehen Ihre Schüler mit ihrer Lebenssituation um?

Sie wissen sehr genau, wo sie in der Gesellschaft stehen und wie wenig Wertschätzung ihnen entgegengebracht wird.

Wie ist es um die Chancengleichheit in Deutschland bestellt?

Chancen(gleichheit) in Deutschland sind/ist abhängig von der Herkunft. Das ist in diversen Studien nachgewiesen und wird immer wieder bestätigt. Somit gibt es in Deutschland keine Chancengleichheit. Wenn es sie gäbe, hätten wir kein selektives Schulsystem, sondern eine Schule für alle Kinder. Für schwierige Standorte in Brennpunkten würde es eine bessere personelle Ausstattung geben, da die Kinder eine intensivere Betreuung benötigen, um deren Chancen zu wahren. Solch ein Vorgehen wäre Konsens in der Politik, da alle dies für grundlegend in einem Sozialstaat halten würden.

Wie wichtig für das spätere Vorwärtskommen im Leben sind gute Ausgangsvoraussetzungen?

Ohne diese gibt es keine adäquate Teilhabe am gesellschaftlichen Leben auf allen Ebenen!


Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=38327