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Titel: Koalitionsplanungen zeichnen sich ab – Spitzenkandidaten der Grünen favorisieren eine Koalition mit der FDP.

Datum: 9. März 2009 um 9:15 Uhr
Rubrik: FDP, Grüne, Wahlen
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Am vergangenen Freitag ereignete sich einiges, was von Bedeutung für die kommende Wahlauseinandersetzung und dann für die Koalitionsbildung sein wird. Da unter unseren Leserinnen und Lesern vermutlich viele mit Kontakten zu Sympathisanten und Mitgliedern von Grünen und SPD sind, regen wir an, mit diesen zu sprechen. Denn was sich hier abzeichnet, ist erstaunlich und lässt wieder einmal befürchten, dass es mit der bisherigen, neoliberal eingefärbten Politik weitergeht. Albrecht Müller

Der Reihe nach einige Informationen, Fragen und Kommentare:

Am vergangenen Freitag, am 6. März, erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Interview mit Jürgen Trittin, einem der Spitzenkandidaten der Grünen. Das Interview wurde mit der Bemerkung eingeleitet, die beiden Spitzenkandidaten Renate Kühnast und Jürgen Trittin trommelten für eine Ampel aus SPD, FDP und Grünen. Jürgen Trittin hält das für die einzig mögliche Option, um die große Koalition zu beenden. In einem Interview mit ZDF/ARD am gleichen Morgen meinte er zur Beteiligung einer Koalition mit der Linken, die Option Rot-Rot-Grün liege nicht auf dem Tisch. Damit ist klar, dass auch die Spitzenkandidaten der Grünen für die Ausgrenzung von zurzeit mindestens 10 % der Wähler eintreten und das Projekt einer leicht linken Mehrheit aufgegeben haben. Damit zeichnet sich ab, das sich inhaltlich keine entscheidende Änderung der Politik ergeben wird.

Bemerkenswert sind die Äußerungen und Erwartungen von Trittin gegenüber der FDP. In der Morgensendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens des 6.3.2009 um ca. 8 Uhr meinte er, die FDP würde eine Verstaatlichung von Banken mitmachen. Das ist eine erstaunliche Erwartung, die eindeutig kontrastiert zum Auftritt der beiden FDP-Repräsentanten Solms und Brüderle am gleichen Vormittag im Deutschen Bundestag. Dort stand die erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz – FMStErgG) Drucksache 16/12100 an. Hier der Beratungs-Gegenstand [PDF – 155 KB] und das Bundestagsprotokoll.
Es geht bei diesem Gesetz um die Möglichkeit der Enteignung, konkret vor allem um die Hypo Real Estate und darum, wie man zum Beispiel den mit rund 25 % beteiligten Amerikaner Flower zur Übergabe seines Aktienpaketes bringen könnte.

Nach den Reden von Hermann Otto Solms und Rainer Brüderle (beide FDP) meinte Alexander Bonde, Bündnis 90/Die Grünen: “Nach den heutigen Reden habe ich den Eindruck, dass FDP die Abkürzung für Flowers Deutsche Pudel ist.”

Der Grünen-Abgeordnete beschreibt damit treffend, was von der FDP zu halten ist. Sie findet es richtig, dass wir Steuerzahler zum Beispiel im konkreten Fall um rund hundert Milliarden enteignet werden, das aber der Großaktionär Flower, dessen Aktien trotz Steuerzahlerstützung gerade noch 25% von rund 180 Millionen wert sind, nicht enteignet werden darf und uns weiter erpressen darf.

Wie die Grünen mit dieser Partei eine neue Politik einleiten wollen und von der Linie wegkommen wollen, die heute von der Großen Koalition getragen wird, erschließt sich mir nicht.

Die Grünen merken offenbar zudem nicht oder es ist ihnen gleichgültig, dass sie mit ihren Avancen an die FDP deren Wählerpotenzial fördern.
Wer auch beim politischen Gegner begehrt ist, steigt im Ansehen. Das erklärt ein bisschen das für jeden vernunftbegabten Menschen nicht mehr zu verstehende hohe Wählerpotenzial der FDP.

Auch Jürgen Trittin hat in der Debatte im Deutschen Bundestag übrigens die stigmatisierenden Stichworte gegen die Linkspartei bedient: Sie bedienen „schlechten Populismus“. Trittin wandte sich damit gegen Lafontaines Anmerkungen zu den finanziellen Leistungen der Finanzindustrie für CDU, CSU, SPD, FDP und Grüne. Über politische Korruption darf man offenbar auch nach Meinung des Spitzenkandidaten der Grünen nicht mehr sprechen.

Die Mithilfe bei der Stigmatisierung ist besonders beachtlich angesichts der eigenen Geschichte der Grünen. Sie haben unter einer ähnlichen Stigmatisierung in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gelitten. Und auch damals wurde die Option für eine Koalition links der rechtskonservativen Mehrheit aus Union und FDP ausgeschlossen. Wenn man diese Methoden bei der eigenen Partei erlebt hat, sollte man eigentlich andere Konsequenzen daraus ziehen.

Wir haben es also insgesamt mit der Konstellation zu tun, dass die Linkspartei aus der politischen Koalitionsmöglichkeit ausgeschlossen wird – bei CDU, CSU, SPD und FDP sowieso – jetzt auch bei den Grünen.

Für Koalitionen kommt es offenbar nach Meinung der Spitzengrünen nicht auf möglichst große Schnittmengen sondern auf Ergänzungen an

Eine Einlassung von Jürgen Trittin in der erwähnten Fernsehsendung am Morgen des 6. März fiel mir auf, weil sie besonders eigenartig ist und sie uns bei der Vorbereitung der schwarz-grünen Koalition in Hamburg auch schon begegnet ist: Die Koalitionsmöglichkeit mit der FDP trotz gravierender inhaltlicher Unterschiede lässt man auch dadurch als schlüssig erscheinen, dass man behauptet, es sei bei Koalitionen nicht nötig, dass es möglichst viele Schnittmengen programmatischer Art gibt. Jetzt wird von grüner Seite aus (wie im Falle von Schwarz-Grün auch von Seiten von Vertretern der Union und der Wissenschaft) behauptet, potentielle Koalitionsparteien würden sich gut „ergänzen“ müssen.

Das ist ein wirklich abwegiges Argument. Wie will man sich mit von großen Interessen bestimmten und zugleich von Ideologien gekennzeichneten Vorstellungen eines FDP Politikers Solms und Brüderle ergänzen? Wie will man die notwendige Kurskorrektur zur Agendapolitik, wie will man die notwendige Neuordnung des Bankenwesens hinbekommen, wenn die Vorstellungen der Partner sich grundlegend unterscheiden? Wie will man sich von den Grundforderungen der neoliberalen Bewegung (Liberalisierung, Deregulierung, Privatisierung) verabschieden, wenn der kommende Partner genau dies nicht will, sozusagen „ergänzend“? Solche Unterschiede sind doch keine produktiven Ergänzungen. Diesen Eindruck vermitteln aber Personen wie Trittin.

Die Debatte vom vergangenen Freitag war im übrigen auch in vielerlei anderer Hinsicht interessant. Wenn Sie die Zeit aufbringen können, dann sollten sie den Text überfliegen und in Teilen lesen.


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