NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: Stay-Behind – eine staatlich organisierte Terrorstruktur mit “unbelasteten” Paten

Datum: 1. Mai 2017 um 9:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Innere Sicherheit, Rechte Gefahr, Terrorismus
Verantwortlich:

Im sechsten Teil unserer Serie zum NSU-VS-Komplex nimmt Wolf Wetzel[*] den 50. Todestag von Konrad Adenauer zum Anlass, auf die ersten Jahre des Nachkriegsdeutschlands zurückzublicken. Wofür steht die 14 Jahre währende Adenauer-Ära (1949-1963)? Und was hat diese mit dem Nationalsozialistischen Untergrund zu tun?

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die vorangegangenen Beiträge finden Sie hier:

Das Bundeskanzleramt und der Auslandsgeheimdienst BND haben bisher geheimgehaltene Dokumente über die Adenauer-Ära zugänglich gemacht. Zum innersten Kreis des „beliebtesten Bundeskanzler Deutschlands“ zählten ehemalige Mitglieder der NSDAP und der Wehrmacht, die alles boten: von Spitzeldiensten, über den Aufbau eines parteieigenen Geheimdienstes, bis hin zu einem inneren Staatsstreich.

Besteht ein Zusammenhang zwischen dem ‚nationalsozialistischen Untergrund’ der Stunde Null und dem NSU, den wir seit 2011 kennen?

Stellen Sie sich folgende Kurzfassung eines Drehbuches vor:

Nazis, die das Dritte Reich überlebt haben, werden ab Mitte der 50er Jahre als irreguläre Truppen wiederbewaffnet, um hinter den Linien gegen die „kommunistische Gefahr“ zu kämpfen. Ausgebildet und geführt werden sie von der NATO, dem nordatlantischen Verteidigungsbündnis. Der Chef dieser irregulären Truppen wird in Deutschland der (Ex-)Nazi und Wehrmachtsoffizier Reinhard Gehlen, der nach der militärischen Niederlage des Dritten Reiches damit betraut wird, einen Auslandsgeheimdienst aufzubauen. Aus dieser ‚Organisation Gehlen’ wird später der Bundesnachrichtendienst (BND). Dieser bekommt als BND-Chef u.a. den Auftrag, das Privatleben des Staatsanwaltes Fritz Bauer auszuspionieren. Dieser will sich nicht abhalten lassen, einen Prozess gegen ehemalige KZ-Wärter zu führen. Außerdem verfolgt er eine wichtige Spur zu Adolf Eichmann, der „abgetaucht“ war. StA Bauer soll daran gehindert werden, mit lancierten Indiskretionen über sein Schwulsein und mit dem Versuch, ihm Landesverrat vorzuwerfen. Diese Vorhaben genießen hochkarätige Zustimmung und Protektion. Im Bundeskanzleramt hat man dafür den passenden Mann: Hans Globke. Dort hatte man ihn zum Kanzleramtschef gemacht. Davor gehörte Hans Globke zur Führungselite im Dritten Reich und schaffte es dort bis zum Ministerialrat im Reichsinnenministerium. Nun wird dieser Ex-Nazi damit beauftragt, das aus dem Weg zu räumen, was Bundeskanzler Konrad Adenauer für „Erbsenzählerei“ hält, tatsächlich Verfassungsrang hat: die notwendige Entnazifizierung Deutschlands.

Das Zusammenspiel von ehemaligen Nazifunktionären und „nicht belasteten“ Regierungsmitgliedern funktioniert hervorragend: Man hat „unbelastete“ Demokraten, wenn man sie vorzeigen muss und man hat erfahrene Nazis, wenn man sie braucht. Und falls doch etwas nicht ganz rund läuft, hat man einen parteieigenen Geheimdienst, der potenzielle Gegner ausfindig machen und ggf. neutralisieren soll.

Es wäre nicht verwunderlich, wenn Sie beim Lesen dieses Skriptes zu folgenden Schlussfolgerungen kommen: Es ist zu holzschnittartig, viel zu karikaturenhaft und völlig überzeichnet. Oder Sie werfen gleich das Lasso mit dem Namen „Verschwörungstheorie“ über die Angelegenheit und das Skript in den Papierkorb.

Ich verrate nicht zu viel: Im ersten Fall ist die Wirklichkeit (manchmal) blühenden Fantasien und dem antizipatorischen Vorstellungsvermögen weit voraus. Im zweiten Fall wird sich das ausgeworfene Lasso um den eigenen Hals legen.

Ex-Nazis und Jungnazis als geheime Armee im „neuen“ Deutschland

Ende der 50er Jahre wurde auf NATO-Ebene beschlossen, Faschisten in einem geheimen Programm zu bewaffnen und auszubilden, um sie als irreguläre Einheiten einzusetzen. Das Szenario, das die Wiederbewaffnung von Faschisten in Europa rechtfertigen sollte, ging von einem militärischen Überfall der Sowjetunion auf den friedliebenden Westen aus. Die Faschisten sollten darin die Aufgabe übernehmen, sich ›überrollen‹ zu lassen, um dann hinter den Linien den kommunistischen Feind zu bekämpfen. Aus dieser Zeit stammt auch der Name dieses Programms: stay behind. Dazu legte man über die ganze Bundesrepublik verteilt geheime Waffendepots an und unterrichtete Ex-Nazis und Neofaschisten in Techniken des Nachrichtenwesens und der Sabotage. Zu deren Aufgaben zählte man das Ausschalten von ›Kollaborateuren‹, die man in Deutschland bis in linken SPD-Kreisen hinein und in der aufkommenden Friedensbewegung vermutete.

Die von der CIA aufgebauten Söldner-Netzwerke wurden 1956 vom BND übernommen, wodurch der Auslandsgeheimdienst rechtswidrig im Inland tätig wurde.

»Reinhard Gehlen teilte noch 1956 als Chef der US-geführten ›Org‹ und wenige Tage, bevor er BND-Präsident wurde, den Amerikanern mit, dass er Stay-Behind-Truppen im Innern gegen deutsche Politiker einsetzen würde, falls diese Westdeutschland auf Neutralitätskurs bringen würden.« (Ulrich Stoll, Filmemacher, Journalist und Mitautor des Buches: ›Die Partisanen der NATO‹)

Zur Größe dieses staatlich-organisierten Terrornetzwerkes führt Ulrich Stoll aus:

»Die größte frühe Stay-Behind-Organisation, der BDJ-TD, hatte 2.800 Kämpfer ausgebildet und plante, bis zu 7.000 Antikommunisten als Partisanen zu rekrutieren. Die vom BND geführte Stay-Behind-Organisation hatte anfangs rund 500 ›Schläfer‹, die als Partisanen im Kriegsfall aktiv werden sollten. Deren Zahl sank bis in die 1980er Jahre auf rund 100 Personen. Es gab aber eine unbekannte Zahl von Helfern und ein paar Dutzend hauptamtliche Offiziere. Der militärische Arm der Stay-Behind-Organisation, die als Bundeswehreinheit getarnte Lehr- und Ausbildungsgruppe für das Fernspähwesen der Bundeswehr, sollte auf bis zu 375 aktive Fallschirmspringer ausgebaut werden.« (Ulrich Stoll, Filmemacher, Journalist und Mitautor des Buches: ›Die Partisanen der NATO‹, Interview auf NDS vom 27.11.2015)

In den 70er Jahren passte man das Bedrohungsszenarium den veränderten Bedingungen an. Die ›Russen‹ kamen nicht – aber der Feind, der die ›rote Gefahr‹ ersetzen sollte, war schon da. Durch die zahlreichen Proteste und Bewegungen in Europa in Anschluss an die 68er-Revolten sah man Regierungen oder gar die kapitalistische Ordnung in Gefahr. Was mit legalen Mitteln nicht mehr unterdrückt werden konnte, sollte mit Hilfe dieser faschistischen Reserve bekämpft werden. In Italien bekam diese Form des Staatsterrorismus den Namen ›Gladio‹. Faschisten sollten durch gezielte Angriffe auf AntifaschistInnen die Linke schwächen, und durch Anschläge auf linke Parlamentarier ein Klima schaffen, das der Regierung freie Hand dabei geben sollte, Schutzrechte außer Kraft zu setzen oder gar einen Militärputsch zu legitimieren (wie dies als Worst Case geplant war). Hunderte von Toten und Dutzende von Bombenanschlägen gehen auf das Konto dieser ›stay-behind-Operationen‹.

Gleichzeitig entschied man sich, dieses terroristische Potenzial für eine ›Strategie der Spannung‹ einzusetzen: Mit furchtbaren Terroranschlägen, die auf den ersten Blick wahllos und sinnlos erschienen (wie der Bombenanschlag in Bologna am 2. August 1982 oder der mörderische Anschlag auf das Oktoberfest in München am 26. September 1980), sollte ein Klima der Angst herbeigeführt werden, in dem die Bevölkerung bereit ist, weitere Einschränkungen von Freiheits- und Schutzrechten hinzunehmen – bis hin zur Ausrufung des Staatsnotstandes. Gleichzeitig nutzte man diese verheerenden Terroranschläge, indem man linke Gruppierungen (in Italien die Roten Brigaden, in Deutschland die RAF) dafür verantwortlich machte, um so weitere repressive Maßnahmen gegen Linke zu legitimieren. Im Prinzip ging es darum, militante Gruppen der Linken, die man nicht mehr parlamentarisch einhegen konnte, mit extra-legalem Terror zu bekämpfen, auszuschalten. Diese Symbiose aus neofaschistischen Kadern, militärischen Führungsstäben und Geheimdiensten bekam in Italien den Namen ›Gladio‹. Eine Anspielung auf das römische Kurzschwert, das man bevorzugt im Nahkampf eingesetzt hatte.

Die daran beteiligten Regierungen legten sich auf diese Weise, neben dem existierenden Gewaltapparat, eine Terrorstruktur zu, die hinter den legalen Linien bzw. Grenzziehungen operierte.

In einigen Ländern wurde die Geschichte dieses Staatsterrorismus politisch aufgearbeitet, zumindest in Angriff genommen, wie in Italien, der Schweiz und zuletzt in Luxemburg. In Deutschland herrscht bis zum heutigen Tag parteiübergreifendes Schweigen.

Konrad Adenauer – der beliebteste Bundeskanzler und der Pate von Gladio

„Man schüttet kein schmutziges Wasser weg, solange man kein sauberes hat.“ (Konrad Adenauer, 1953)

Das Magazin DER SPIEGEL überrascht in seiner April-Ausgabe 2017 mit einer Titelstory: Die Geheimakte Konrad Adenauer.

In dem siebenseitigen Beitrag sind viele Ostereier dabei. Zum einen fragt man sich, warum es eine Geheimakte deutscher Geheimdienste über Konrad Adenauer gibt. Er war kein Untergrundchef, sondern der erste Bundeskanzler nach dem Dritten Reich. Er wurde zum „beliebtesten“ Bundeskanzler erkoren. Er galt – mit Blick auf das Dritte Reich – als „unbelastet“ und in seinem ganzen Auftritt besonnen und altersweise.

Was gibt es also bei einem solchen Mann zu verheimlichen? Warum wurden diese Akten zum „Staatsgeheimnis“ erklärt? Und warum werden sie (wahrscheinlich in Auszügen) jetzt öffentlich gemacht? Und: Was will man mit den selektiv veröffentlichten Dokumenten sagen bzw. erreichen?

Auch wenn man ganz sicher von einem sehr kontrollierten, also gesteuerten Aufklärungswillen ausgehen darf, ist das jetzt veröffentlichte Material durchaus bedeutsam, wenn man es mit anderen Puzzlestücken zusammenbringt, die die „dunkle“ Seite der 50er und 60er Jahre beleuchten.

Dass die Geheimakten, also all das, was geheimgehalten werden soll, nur in homöopathischen Dosen in die Öffentlichkeit gespielt werden, kann man eindeutig belegen: Gladio, wovon eingangs gesprochen wurde, wurde in den 50er Jahren aufgebaut – auch in Deutschland. Gehen wir von der unfreundlichsten Variante aus, dann wurde Gladio bzw. stay behind“ ohne Zustimmung und Einbindung durch US-Behörden in die Welt gesetzt.

Ganz sicher lässt sich jedoch sagen, dass spätestens 1956 die Führung und Anleitung dieser „faschistischen Reserve“ in die Hände des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND gelegt wurde. Da auch der BND nicht führerlos agierte, sondern dem Bundeskanzleramt unterstellt war und ist, darf man ab diesem Zeitpunkt von einer direkten Verantwortung der Bundesregierung ausgehen, also auch im Wissen des Bundeskanzlers Konrad Adenauer.

In diesem Kontext ist ein Verweis ganz besonders interessant, den das Magazin in seinen Beitrag eingebaut hat, obwohl dieser vom US-amerikanischen Geheimdienst CIA bereits vor Jahren freigegeben wurde:

„Im März 1956 schlägt Gehlen (…) den Amerikanern vor, gemeinsam einen Plan für den Fall auszuarbeiten, dass in Bonn eine Regierung aus Sozialdemokraten und „Anti-Adenauer Elementen der Rechten“ zustande kommt. (…) Eine solche Regierung sei laut Gehlen „anfällig für politische Zersetzung und schließlich Kontrolle durch den Osten“. Der Geheimdienstler sieht sich laut CIA „dann moralisch berechtigt, alle möglichen Schritte zu unternehmen, einschließlich der Etablierung eines illegalen Apparats in der Bundesrepublik, um alle Elemente zu bekämpfen, die eine pro-sowjetische Politik verfolgen“. Im Klartext: Gehlen will eine Untergrundoperation etablieren, um gegen eine Bundesregierung vorzugehen, die ihm nicht genehm ist.“ (s.o. S.13/14)

Wie bereits erwähnt, hatte der BND unter Führung des Ex-Nazis Gehlen im gleichen Jahr die stay-behind-Geheimarmee übernommen. All das weiß auch das Magazin DER SPIEGEL. Warum bringt es den „illegalen Apparat“, den Staatsstreichgedanken nicht mit der bereits existierenden Untergrund-Reserve zusammen?

Wieso fragt es nicht nach, warum sich dazu nichts in den jetzt freigegebenen Unterlagen findet? Warum deckt sie diesen Zusammenhang mit Schweigen? Warum fällt in diesem Zusammenhang nicht einmal das Wort „stay-behind“?

Davor und danach kommt alles, was man ansonsten ins Reich der Verschwörungstheorien ausweisen würde.

Ein Ex-Nazi, der sich in der FDP versteckt, dort als Lothar Weirauch Karriere macht, für die CDU Spitzeldienste unternimmt und vom BND „ein monatliches Fixum von mindestens 2000 Mark“ erhält.

Ein von der CDU eingerichteter „Parteigeheimdienst“, der u.a. „belastendes Material“ gegen den SPD-Kanzlerkandidaten Willy Brandt sammeln soll.

Die Streuung von Falschmeldungen, um ungeliebte politische Gegner auszuschalten.

Die Einrichtung eines „geheimen Dispositionsfonds“, „um das Wohlwollen von Politikern oder Diplomaten zu erlangen.“ (s.o.).

Der Kanzlerauftrag an den Geheimdienst, „die Medien zu manipulieren und auszuforschen“.

Selbst das, was heute als „false flag“, also Operationen unter falscher Flagge, bezeichnet wird, hatte die Adenauer-Regierung im Repertoire: Als ihr zugetragen wurde, dass „DER SPIEGEL“ in Geldnot sei, hat man überlegt, diesen einfach zu kaufen: „Die SPIEGEL-Leute sollen dann so tun, als wären sie unabhängig. Man könne das Blatt ‚ruhig weiter als Oppositionsblatt laufen lassen, jedoch gewisse Dinge verhindern’, hofft Adenauers Adlatus Globke.“ (s.o.)

Wenn man an diese filetierten Erkenntnisse die inbrünstige Empörung Bonner Politiker über die Spitzeltätigkeiten der Staatssicherheit (Stasi) in der DDR hält, ist es sicherlich nicht übertrieben, diese mit einem vorgetäuschten Höhepunkt zu vergleichen.

Zu der Frage, warum gerade jetzt und genau diese Dokumente nicht mehr als geheim eingestuft werden, hat sich Der SPIEGEL auch so seine Gedanken gemacht und sieht gerade im sichtbar gewordenen Dunkel das Helle. Und dieser Lichteffekt geht so: Gerade weil die Adenauer-Zeit so autoritär war und bis nahe an eine Kanzler-Diktatur heranreichte, beweise dies doch vor allem, dass die demokratischen Institutionen dem standgehalten hätten, anderenfalls würden wir ja heute im Vierten Reich leben.

Man könnte auch den gegenwärtigen Kanzleramtschef Peter Altmaier zitieren und die dort verpackte Parabel weiterdenken:

“Konrad Adenauer gab uns Kompass und legte die Gleise …” (Der SPIEGEL, Nr. 15/2017, S.11)

„Wenn ich mein Dienstzimmer verlasse, betrete ich Feindesland.“ (StA Fritz Bauer)

Als klar war, dass der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer Anfang der 60er Jahre nicht nur Prozesse gegen SS-Mitglieder im KZ Auschwitz führen wollte, sondern auch beim Auffinden von Adolf Eichmann beteiligt war, tauchte der nationalsozialistische Untergrund der „Stunde Null“ auf seine Weise wieder auf: Der deutsche Auslandsgeheimdienst BND, ein Sammelbecken von ehemaligen Nazis und Gestapo-Mitgliedern, platzierte in der Umgebung von Fritz Bauer einen Spitzel mit dem Auftrag, sowohl kompromittierendes Material über Fritz Bauer zu sammeln (auch, was seine Homosexualität anbelangte), als auch den Stand der Fahndung nach Adolf Eichmann in Erfahrung zu bringen, um so gegebenenfalls den „Kameraden“ Adolf Eichmann zu warnen. Zu den mächtigsten Feinden von Fritz Bauer zählte der Chef des Bundeskanzleramtes, Hans Globke. Auch und gerade er hatte massives Interesse daran, dass die „Entnazifizierung“ ein systemischer Reinfall wurde. Hans Globke gehörte zur Führungselite im Dritten Reich, arbeitete an den „Nürnberger Rassengesetzen“ mit, war also ein lupenreiner Faschist und Antisemit.

Die Absicht von Fritz Bauer, Globke wegen seiner NS-Vergangenheit anzuklagen, gab er auf. Seine Hilfe beim Auffinden von Eichmann war hingegen erfolgreich.

Fritz Bauer hat das Recht und die Pflicht zum Widerstand, „zum persönlichen Nein gegenüber staatlichen Verbrechen“ betont und gelebt.

Wenn eine Nicht-Existenz vollständig aufgelöst wird

Wer in den 70er oder 80er Jahren eine organisatorische Zusammenarbeit von Geheimdienst und (Ex-)Nazis behauptet hätte, hätte bestenfalls Schulterzucken geerntet, im schlechtesten Fall Stirnrunzeln.

Spätestens seit 2013 verfügt genau dieses Horrorszenario über ein staatliches Hoheitssiegel:

Man fühlt sich an die ›Banalität des Bösen‹ (Hannah Arendt) erinnert, wenn man die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Partei DIE LINKE liest, die im Plenarprotokoll 17/236 dokumentiert ist. Auf die parlamentarische Anfrage des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko (DIE LINKE), »welche eigenen Anstrengungen (…) die Bundesregierung in den letzten 20 Jahren unternommen (hat), um die Beteiligung ihrer Behörden an weiteren Tätigkeiten der besagten ›Gladio/Stay behind‹-Truppe der NATO auszuschließen oder zu bestätigen«, erklärte der Staatsminister Eckart von Klaeden:

»Infolge der weltpolitischen Veränderungen hat der Bundesnachrichtendienst in Abstimmung mit seinen alliierten Partnern zum Ende des 3. Quartals 1991 die Stay-behind-Organisation vollständig aufgelöst.« (Plenarprotokoll 17/236, Anlage Nr.15, S. 64 vom 24.4.2013)

Was hier in einem Satz ad acta gelegt wird, ist keine Verordnung für alte Glühbirnen, sondern die jahrzehntelange Zusammenarbeit von (Ex-)Nazis und Geheimdienst, mit einer Blutspur, die sich durch ganz Europa zieht.

40 Jahre lang wurde mit viel Aufwand und noch mehr Rechtsbrüchen etwas betrieben, was selbst einer stasi-gesteuerten Horrorgeschichte zu plump vorgekommen wäre. Dass dies gegen alle bestehenden Gesetze, gegen die noch junge Verfassung und an allen parlamentarischen Kontrollinstanzen vorbei aufgebaut wurde, ist bis heute wohl die stillste und folgenloseste Schlussfolgerung. Dass keine der im Bundestag vertretenen Parteien Strafanzeige erstattet oder einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss beantragt hat, spricht für den Gleichschritt aller regierungswilligen Parteien bzw. ihre Bereitschaft, in Fragen des “Staatswohles” auch Rechts- und Verfassungsbrüche zu begehen und zu decken.

Warum selbst die Partei DIE LINKE, die als einzige Partei in diese Form des Staatsterrorismus nicht eingebunden war, politisch keine Schritte unternimmt, um dieses bis heute geltende Gesetz des Schweigens zu durchbrechen, muss sie selbst beantworten.

Denn es geht in der Aufarbeitung dieses staatsterroristischen Untergrundes nicht nur um die Straftaten und Verbrechen, die im Kontext von stay-behind begangen wurden. Die Art und Weise, wie stay-behind bis heute nicht aufgeklärt wird, wirkt bis in die Gegenwart hinein – auch mit Blick auf den Nationalsozialistischen Untergrund/NSU.

Dass man kurz nach Ende des Faschismus in vielen europäischen Staaten auf Faschisten zurückgriff, sie brauchte und in wichtige politische und staatliche Funktionen brachte, hat mit einer bis heute virulenten Übereinstimmung zu tun. Faschisten und “Demokraten” teilen sich sowohl einen Antisemitismus, als auch einen Antikommunismus. Das kann in manch politisch brisanten Situationen genug sein, um sie an die Macht zu bringen/an die Macht kommen zu lassen. In anderen, eher stabileren Zeiten bleiben Faschisten dann “nur” eine Option.

Wenn also ab den 50er Jahren Faschisten Teil einer geheimen terroristischen Armee wurden, um den Kommunismus zu bekämpfen, dann ist es zwingend, dass man faschistische Organisationen und Parteien eher behutsam behandelt, anstatt sie mit allen Mitteln zu bekämpfen. Schließlich hat man – neben den ideologischen Übereinstimmungen – vor allem ein Geheimnis zu hüten, das beide Seiten auf gewisse Weise bindet.

Dass es z.B. die neonazistische “Wehrsportgruppe Hoffman” (WGH) geben konnte, die über Jahrzehnte hinweg weitgehend unbehelligt agieren konnte, hat also nicht nur etwas mit möglichen und wahrscheinlichen Sympathien für diese “nationale Kameradschaft” und paramilitärischen Gruppen zu tun. Die Wahrscheinlichkeit, dass genau diese WGH personell bzw. organisatorisch ein Bindeglied zwischen staatseigenem Untergrund und “nationalsozialistischem Untergrund” war, liegt auf der Hand:

Gundolf Köhler, der allein für den mörderischen Anschlag auf das Oktoberfest in München 1980 verantwortlich gemacht wird, war Sympathisant der WGH und war dabei, einen Ableger der WGH zu gründen. Von damals bis heute tat man alles, um den politischen, also neonazistischen Hintergrund dieser Tat zu verschleiern. Mit noch größerem Fleiß präsentierte man einen verwirrten und unpolitischen Einzeltäter, obwohl das allermeiste auf eine Tat einer Gruppe hinweist.

Die Bereitschaft, mit Ex-Nazis und Faschisten einen Untergrund zu bilden, bedeutet zwangsläufig, in anderen Fällen “den Ball flach zu halten” – bevor er genau dorthin rollt, wo sich “stay–behind” befindet.

Die Pogrome Anfang der 90er Jahre, die aus dem Boden schießenden neonazistischen Kameradschaften, die wenig später ausgerufene Strategie, “Zellen” zu bilden, in den “Untergrund” zu gehen, ist ohne diese staatliche Unterstützungs- und Deckungsarbeit nicht zu verstehen.

Ein ausführlicher Beitrag über den hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer findet sich hier.


[«*] Der Rechtsstaat im Untergrund |Big Brother, der NSU-Komplex und notwendige Illoyalität, PapyRossa Verlag, Köln 2015


Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=38063