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Titel: Fake-News im Quadrat – SPIEGEL Online hat selbst Fake-News zu einer angeblichen russischen Fake-News-Kampagne gegen die Bundeswehr in Litauen in Umlauf gebracht
Datum: 18. April 2017 um 15:32 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
Verantwortlich: Jens Berger
Erinnern Sie sich noch an die schon beinahe hysterische Berichterstattung über eine „perfide russische Fake-News-Attacke“ gegen die Bundeswehr in Litauen? Dies war es, was SPIEGEL-Online-Journalist Matthias Gebauer am 16. Februar mit dramatischer Begleitmusik vermeldete. Obgleich es von Anfang an Zweifel an Gebauers Geschichte gab, übernahmen nahezu alle deutschsprachigen Medien kritiklos die SPON-Meldung. Dass die „konzertierte Desinformationskampagne, die offenbar von Russland gesteuert wurde“ (Zitat: SPON) in Wahrheit eine einzige E-Mail unbekannter Herkunft war, die an litauische Adressaten versandt und im Lande nahezu komplett ignoriert wurde, ergab nun eine Anfrage des Linken-Abgeordneten Andrej Hunko bei der Bundesregierung. Die Story über die angebliche russische Fake-News-Kampagne erweist sich damit selbst als lupenreine Fake-News. Wären die deutschen Medien so integer, wie sie es stets selbst von sich behaupten, würden sie diesen Fall nun thematisieren. Von Jens Berger mit einem Statement von Andrej Hunko.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Was genau in der Nacht zum 15. Februar in Litauen passiert ist, ist immer noch Gegenstand polizeilicher Ermittlungen. Fest steht, dass ein anonymer Absender offenbar eine Mail an den litauischen Parlamentspräsidenten, die litauische Polizei und einige Abgeordnete geschrieben hat, in der er von einer angeblichen Vergewaltigung einer 15-Jährigen aus einem Kinderheim der Stadt Jonava durch eine Gruppe betrunkener deutscher Soldaten berichtete. Natürlich wurde dieser Mail seitens der Behörden hohe Aufmerksamkeit geschenkt, da eine derartige Straftat durch die frisch eingetroffenen deutschen Soldaten auch ein politischer Skandal gewesen wäre. Glücklicherweise kamen die Ermittlungen jedoch sehr schnell zu dem Ergebnis, dass die Mail von vorne bis hinten ein reines Fantasieprodukt war. Über den gesamten Fall wurde in litauischen Zeitungen „am Rande“ berichtet und wenn berichtet wurde, dann im Kontext, dass schnell ermittelt wurde und es keine Vergewaltigung gegeben habe. Auch in den sozialen Netzwerken gab es keine Kampagne und in Russland wurde der Vorwurf ebenfalls nicht wahrgenommen. Das Ganze wäre also als unappetitliche, aber alltägliche Falschmeldung einer Straftat in die litauische Regionalgeschichte eingegangen, wäre nicht der SPIEGEL-Online-Journalist Matthias Gebauer auf die „Story“ gestoßen.
Auch wenn es kein einziges Indiz, geschweige denn einen Beweis für eine russische Urheberschaft der Mail gab, was auch Gebauer freimütig einräumt, machte SPIEGEL Online aus der unbedeutenden Meldung aus dem fernen Litauen einen großen Aufmacher: „Russland attackiert Bundeswehr mit Fake-News-Kampagne“. Im Artikel haut Gebauer dann auch richtig auf die Pauke: Die Bundeswehr sei Ziel einer „perfiden Kampagne“ geworden, die „Gerüchte“ würden „offenbar von Russland gestreut“. Dabei gab es noch nicht einmal ein Indiz, dass die Mail aus Russland, geschweige denn, dass sie von staatlichen Akteuren kam, was den Terminus „von Russland“ rechtfertigen würde. Aus der einzelnen Mail wurden dann auch gleich „gezielte E-Mails“ (Plural). Das Vorgehen würde, so Gebauer, „frappierend an den Fall Lisa erinnern“. Eine erstaunliche Bemerkung, da anders als beim Fall Lisa hier ja kein Medium überhaupt auf die Idee kam, die offizielle Widerlegung der Falschmeldung anzuzweifeln.
Laut SPIEGEL Online war „die Offensive gegen die Bundeswehr gut orchestriert“ – was bei einer einzigen anonymen Mail, die offenbar wahllos an verschiedene Parlamentarier verschickt wurde, schon eine sehr merkwürdige Einschätzung ist. Stellt eine Mail, die niemand ernstlich beachtet, eine „Offensive“ dar? Und kann eine einzelne Mail von einem einzelnen Absender überhaupt „orchestriert“ sein? Fragen über Fragen. Und wann ist die Grenze zwischen uninformierter Falschberichterstattung und Propaganda überschritten? Wenn Gebauer schreibt, dass „kleinere litauische Medien die angebliche Nachricht aufgriffen und veröffentlichten“ und offenbar wusste, dass dies lediglich im Kontext „Falschmeldung ging per Mail an Politiker“ geschah und diesen Kontext verschweigt, ist die rote Linie zwischen Fehler und Propaganda wohl bereits überschritten.
Anders ist auch die Volte kaum zu erklären, mit der SPIEGEL Online die Russen als „Tatverdächtige“ aus dem Hut zaubert. Als Zeugen der Anklage nimmt man dafür einen namentlich nicht genannten „Nato-Diplomaten“ ins Spiel, der von einer „erneuten Provokation der Russen“ fabulieren darf und „solche Attacken als erste Stufe der sogenannten hybriden Kriegführung durch die Russen“ einstuft“. Starker Tobak, nicht wahr? Aber es geht noch stärker: „Moskau [habe] gezielt versucht, den Einsatz der Nato zu kriminalisieren und die Unterstützung der Litauer für die Verlegung der Truppen zu untergraben“, so SPIEGEL Online. So schnell wird aus einer kleinen unbedeutenden Falschmeldung aus der litauischen Provinz ein hybrider Kriegsakt der Russen.
Wenn man sich die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Bundestagabgeordneten Andrej Hunko, Sevim Dagdelen und Annette Groth genau durchliest, kann man sich des Eindruckes nicht verschließen, dass SPIEGEL Online hier nicht fahrlässig, sondern seinerseits mit Vorsatz Fake News fabriziert. Die alternative Deutung, nach der SPIEGEL Online von einem einzigen Informanten genarrt wurde und sich freiwillig zum Lautsprecher für dessen Fake News gemacht hat, ist aus journalistischer Sicht kein Jota besser. Wenn wir künftig von Fake News sprechen, sollten wir also nicht mehr von Sozialen Medien oder von russischen Staatssendern, sondern von SPIEGEL Online und der versammelten deutschen Medienlandschaft sprechen. Denn die von SPIEGEL Online fabrizierte Falschmeldung kursiert immer noch beim who is who der deutschen Medienlandschaft.
Ob wir nun, da die SPON-Version von der Bundesregierung selbst ad absurdum geführt wurde, eine Korrektur oder gar eine Entschuldigung bekommen? Das wäre doch mal ein Job für die „Faktenfinder“ der Tagesschau, auf deren Seiten die Fake News made by SPIEGEL immer noch ohne Korrektur oder Anmerkung stehen. Wie war es noch mal beim Fall Lisa? Da haben sich die deutschen Medien doch als letzte Frontlinie in der Schlacht gegen Fake News verstanden. Warum sollte dies nun anders sein? Weil die Fake News von den Kollegen vom SPIEGEL kommen? Aber nicht doch.
Dazu ein Statement von Andrej Hunko:
Die Antwort des Verteidigungsministeriums zeigt, wie der Cyberraum vom Westen zum Schauplatz eines neuen Kalten Krieges gemacht wird. Meistens wird Russland für alle Arten von „Cyberangriffen“ oder „Beeinflussung“ verantwortlich gemacht. Im Falle der angeblich russischen Desinformationskampagne in Litauen war es aber genau andersherum.
Agenturen und große Medienhäuser übernahmen eine tendenziöse Meldung des Spiegel-Journalisten Matthias Gebauer, in der verleumderische Mails über die Bundeswehr der russischen Regierung („Russland“) angedichtet wurden. Die Überschrift des faktenarmen Artikels wurde später von der Redaktion in „NATO vermutet Russland hinter Fake-News-Kampagne gegen Bundeswehr“ geändert. Dabei ist auch dies noch übertrieben. Denn nicht die NATO, sondern ein namentlich nicht genannter Offizier vermutet den Kreml hinter der Mail. Nun kommt heraus: Die besagte Mail fand selbst in Litauen überhaupt keine Verbreitung.
Immer wieder werden dem Kreml außerdem Desinformation, Beeinflussung von Wahlen oder Anwerbeversuche zur Spionage vorgeworfen. Die Aktivitäten werden kampagnenartig zu einer „hybriden Bedrohung“ stilisiert. Belege für die Anschuldigungen gibt es nicht, stattdessen wird mit Annahmen und vermeintlichen Indizien hantiert.
Dass Cyberattacken aus Russland erfolgen, ist ebenso wenig ein Geheimnis wie die digitale Spionage der Geheimdienste aus den USA oder Westeuropa. Dass es sich um Angriffe von staatlichen russischen Stellen handelt, ist in den meisten konkreten Fällen jedoch reine Spekulation. Das Bild des russischen Cy-Bär soll aus meiner Sicht militärische und geheimdienstliche Maßnahmen im Cyberraum rechtfertigen und zugleich die Aufrüstungspläne der NATO legitimieren. Neben Heer, Luftwaffe und Marine stellt die Bundeswehr derzeit eine neue Teilstreitkraft auf. Zu ihren Aufgaben gehört das „Wirken gegen und in gegnerischen Netzen“. Dass dieser „Kampf in der fünften Dimension“ nicht nur in bewaffneten Konflikten eine Rolle spielt, sondern auch an der deutschen Medienfront, hat die Bundeswehr mit dem Aufbauschen einiger Mails in Litauen abermals bewiesen.
Anhang: So stellen deutsche Qualitätsmedien den Fall noch heute dar …
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