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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hessen streicht „sozial“ aus dem Sozialministerium
Datum: 16. Februar 2009 um 9:21 Uhr
Rubrik: Das kritische Tagebuch, Sozialstaat, Wertedebatte
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
„Als bisher einziges Bundesland hat Hessen das Wort Soziales aus dem bisher kurz „Sozialministerium“ genannten Ressort getilgt. Auf ausdrücklichen Wunsch des neuen Ressortchefs Jürgen Banzer heißt es nun offiziell: „Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit“… „Sozialministerium klingt abstrakt, theoretisch und nach Metaebene“
Der CDU-Politiker, der das Ressort von der acht Jahre lang nur „Sozialministerin“ genannten Parteifreundin Silke Lautenschläger übernahm, hat inoffiziell sogar einen noch neueren Namen kreiert. Im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagte Banzer: „Es ist für mich das ,Gesellschaftsministerium`, es ist das Haus, in dem Gesellschaftspolitik gemacht wird“, berichtet die FAZ. Dem Wirtschaftsministerium steht somit in Hessen kein Sozialministerium mehr gegenüber. Die hessische CDU streicht also das „Soziale“ aus der „sozialen Marktwirtschaft“. Wolfgang Lieb
In Artikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes heißt es:
Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.
Die Fundamentalenscheidungen des Artikels 20 GG, nämlich für die republikanische Staatsform, für das demokratische Prinzip, für die Bundesstaatlichkeit und für den Sozialstaat, unterliegen also der so genannten „Ewigkeitsgarantie“.
„Sozial“ ist nach unserer Verfassung auch nicht nur eine programmatische Aussage, sondern eine „alle Staatsgewalten bindende Staatsleitlinie“, schrieb einstmals der konservative Roman Herzog in seinem Kommentar zum Grundgesetz.
Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach zur Auslegung des „Sozialen“ in Art. 20 GG entschieden. Danach ist Ziel des Sozialstaates der Abbau erheblicher sozialer Unterschiede und die Sicherung eines angemessenen Lebensstandards für alle Teile der Bevölkerung. Ausgefüllt wird das Sozialstaatsprinzip durch die Fürsorge für Hilfsbedürftige, die Schaffung sozialer Sicherungssysteme (BVerfGE 28, 324, 348ff), die Herstellung von Chancengleichheit und einer gerechten, für Ausgleich der sozialen Gegensätze sorgenden Sozialordnung (BVerfGE 22, 180, 204).
Das alles ist dem neuen Ressortchef Jürgen Banzer (CDU) zu „abstrakt“ und theoretisch“; sozial klingt für ihn „nach Metaebene“. Eine „Metaebene“ ist laut Wikipedia eine von der grundlegenden Ebene abstrahierte Ebene, oder umgekehrt gesagt: das Soziale hat nach Banzer mit der konkreten Politik keinen unmittelbaren Zusammenhang. Er will ein „Gesellschaftsministerium“ ohne verpflichtende soziale Orientierung.
Da wirbt die Kanzlerin angesichts der Finanzkrise „für internationale Regeln, die sich an den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft orientieren. Ich werde nicht locker lassen, bis wir solche Regeln erreicht haben.“, und die Hessen nehmen dem Sozialen seinen Kabinettsrang. Aus dem nun offiziell als „Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit“ genannten Ressort ist die bindende Leitlinie „sozial“ getilgt.
Bei der Arbeit gilt also die Sicherung eines angemessenen Lebensstandards oder des Existenzminimums, wie es das Bundesverfassungsgericht fordert (BVerfGE 82, 60, 80), nicht mehr als politischer Gestaltungsauftrag. Bei Familie und Gesundheit soll es auf eine gerechte, für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze sorgende Sozialordnung nicht mehr ankommen.
Deutlicher als durch die Umbenennung des „Sozialministeriums“ kann man die Hinwendung zu einer Politik der sozialen Kälte programmatisch nicht ausdrücken. Wenn Ministerpräsident Koch den Begriff der „sozialen Marktwirtschaft“ künftig noch einmal in den Mund nimmt, sollte jeder wissen, dass dies eine glatte Lüge ist, denn das Soziale wurde in seiner Regierung ausdrücklich getilgt.
Solche „Wort-Brüche“ werden wohl nicht zu einer Medienkampagne führen, wie sie gegen seine frühere Herausforderin Ypsilanti inszeniert worden ist.
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