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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Der Ruf nach einer deutschen Atombombe – wir stehen am Beginn einer Kampagne, die uns noch längere Zeit beschäftigen wird
Datum: 22. März 2017 um 14:20 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Aufbau Gegenöffentlichkeit, Aufrüstung, Friedenspolitik, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech
Verantwortlich: Jens Berger
Zu Albrecht Müllers kritischem Beitrag über den abscheulichen NDR-Panorama-Beitrag vom 2. Februar dieses Jahres, in dem das Magazin manipulativ die Notwendigkeit einer deutschen Atombombe ausmalt, haben wir sehr viele konstruktive Zuschriften von unseren Lesern bekommen. Das ist wunderbar, zeigt es doch, dass die Falken beim Thema „deutsche Atombombe“ eine klare rote Linie überschreiten. Und es ist wichtig, dies der Politik zu zeigen, ist doch die Sorge vor der öffentlichen Empörung der einzige Schutz vor einem neuen nuklearen Rüstungswettlauf auf deutschem Boden. Die Kampagne für eine nukleare Bewaffnung Deutschlands ist offenbar hinter den Kulissen bereits im Gange und Trumps Wahlsieg war wohl der lange gesuchte Aufhänger, um eine längst vergessene Irrsinnsdebatte wieder aufleben zu lassen. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Adenauers Träume
Heute wird gerne vergessen oder verdrängt, dass es der jungen Bundesrepublik keinesfalls vorherbestimmt war, nie eine Atommacht zu werden. Konrad Adenauer hätte die junge BRD, angefeuert durch Franz Josef Strauß, liebend gerne atomar bewaffnet. Der 25. März 1958 markierte dabei den vorläufigen Höhepunkt und gleichzeitig auch das Ende dieser Ambitionen. Nach einer langen, sehr emotionalen Debatte beschloss damals der Deutsche Bundestag die atomare Ausrüstung der Bundeswehr im Rahmen der NATO. Dazu wäre es nie gekommen, hätten sich Adenauer und Strauß durchgesetzt. Die beiden Unionspolitiker wollten eine deutsche Atombombe, über deren Einsatz in Bonn und nicht in Washington entschieden wird. Da ein deutsches „Solo-Projekt“ von den Siegermächten nicht bewilligt worden wäre, suchte und fand man den entscheidenden Partner im schwachen französischen Premier Félix Gaillard, mit dem man bei den Verhandlungen über eine deutsch-französische Bombe schon einig war. Dann kam es zu einer weiteren Ausweitung des Algerienkrieges und die Vierte Republik stand am Rande eines Militärputsches, der nur durch die Machtübernahme von Charles de Gaulle abgewendet werden konnte. Mit der Gründung der Fünften Republik starb jedoch auch die deutsche Hoffnung auf eine gemeinsame Bombe. De Gaulle dachte gar nicht daran, die Deutschen an der späteren Force de frappe zu beteiligen.
1960 zündete Frankreich in der algerischen Wüste seine erste Atombombe und rückte damit neben den USA, der Sowjetunion und Großbritannien in den Klub der Atommächte auf. De Gaulle forderte nun von den USA, den Franzosen auch die US-Bomben, die auf französischem Boden stationiert waren, zu unterstellen. Die USA lehnten ab und Frankreich trat 1966 aus den operativen Strukturen der NATO aus.
Die deutschen Atombombenträume sollten sich zum Glück jedoch nie erfüllen. Stattdessen erhielt die Bundesrepublik die „nukleare Teilhabe“. Trägersysteme der Bundeswehr dürfen also taktische US-Bomben in ihr Ziel befördern – die Abschusscodes verbleiben jedoch bei den USA. „Da lässt man den kleinen Kasperl mit der Kindertrompete neben der Militärmusik herlaufen und ihn glauben, er sei der Tambourmajor“ – so unverblümt kommentierte Franz Josef Strauß in seinen Erinnerungen das Konzept der nuklearen Teilhabe. Strauß konnte sich jedoch zeitlebens nicht durchsetzen und seit der Auflösung des Warschauer Paktes wurde es naturgemäß auch ruhig an der Front der Befürworter einer deutschen Atommacht.
Die Debatte kehrt zurück
Wie von Geisterhand nahm die längst vergessen geglaubte Debatte jedoch spätestens im letzten Jahr wieder Fahrt auf. Hinter den Kulissen wurde eine nukleare Aufrüstung Deutschlands immer wieder in Think Tanks und auf wehrtechnischen Kongressen am Rande thematisiert. Nun schwappte die Debatte aber – wenn auch noch zaghaft – in die Öffentlichkeit.
Bereits kurz nach Trumps Wahlsieg dachte FAZ-Mitherausgeber Berthold Kohler schon mal „das ganz und gar Undenkbare“ vor, forderte eine „Revision“ der deutschen Sicherheitspolitik bis hin zu einer „roten Linie“, die „für deutsche Hirne ganz und gar undenkbar“ sei – die „Frage der eigenen nuklearen Abschreckungsfähigkeit“. Schließlich sei auf „Amerikas Garantien“ kein Verlass und die französischen und britischen Arsenale seien dafür zu schwach, während „Moskau aufrüste“. Kohlers Aufsatz ist geradezu typisch für eine ganze Reihe ähnlicher Schriften. Russland wird dämonisiert und es wird bar jeder Grundlage vorausgesetzt, dass „Putin“ schon morgen mindestens im Baltikum, wenn nicht gar in Polen oder gleich in Deutschland „einfallen“ könnte. Davor könnten „wir“ uns nur schützen, wenn „wir“ eine eigene „Abschreckungskapazität“ besitzen.
Diese Logik hinkt aber selbst dann, wenn man sich in die Denkgebilde der MAD-Strategen hineinversetzt. Die unsinnige Behauptung vom Russen, der mal wieder vor unserer Tür stünde und nur darauf wartet, sich Europa unter den Nagel zu reißen, kann man dabei getrost beiseite lassen. Derlei dummes Gerede ist nicht satisfaktionsfähig. Kohler und Co. sollten jedoch auch einmal die Frage beantworten, warum die US-Garantien plötzlich nichts mehr wert sein sollen und warum es eine deutsche Bombe braucht … sind Großbritannien und Frankreich denn nun auch von einem Tag auf den anderen unzuverlässig geworden?
Panoramas Erstschlag
Eine „Steilvorlage“ für die Falken lieferte Donald Trumps falsch verstandene Äußerung von der Obsoleszenz der NATO. Natürlich ist Trump kein Isolationist, der plötzlich auf die Idee kommt, dass es nach dem Ende des Kalten Krieges keine NATO mehr bräuchte oder die NATO in eine neue Sicherheitsarchitektur überführt werden müsste, die nun auch Russland beinhaltet. Trump geht es „nur“ darum, den Rest der NATO stärker zur Kasse zu bitten – ein Ruf, der von Aufrüstungsfreunden wie Angela Merkel und Ursula von der Leyen nur zu gerne gehört wird. Mit den Garantien aus dem NATO-Vertrag hat dies jedoch nichts zu tun und als Argument für eine deutsche Atommacht eignet es sich schon gar nicht.
Dennoch nahm die Debatte nun endgültig an Fahrt auf. Zwei Wochen nach Trumps Äußerungen führte Panorama den publizistischen Erstschlag aus, brachte die Kampagne vor ein Millionenpublikum und löste damit eine ganze Lawine aus. Drei Tag nach der Ausstrahlung forderte plötzlich der starke Mann Polens, Jarosław Kaczyński, in einem FAZ-Interview die deutsche Bombe – die europäische Atommacht „[müsse] mit Russland mithalten können“, so der Pole. Zufall? Koinzidenz? Aber nicht doch. Es wirkt vielmehr, als sei Kaczyńskis Forderung sorgfältig orchestriert.
Major Terhalle – die Debatte wird schriller und irrer
Vier Tage nach Kaczyński eröffneten die Think Tanks die „nötige Atom-Debatte“. Thorsten Benner vom Global Public Policy Institute (GPPi) empfahl der Bundesregierung, nach den Wahlen in Frankreich erst einmal auf die neue Regierung zuzugehen und eine Kooperation in Sachen Atommacht vorzuschlagen. Davon hält Major a.D. Maximilian Terhalle gar nichts. Der ehemalige Referent für Sicherheitspolitik und Strategie im Verteidigungsministerium machte im Tagesspiegel eine Woche vor der Panorama-Sendung bereits durch schrille und wirre Thesen auf die Debatte aufmerksam. Putin wolle „das Trauma von 1991 revidieren“ und Europa von Wladiwostock bis nach Lissabon mit seiner „Friedensordnung“ überziehen – wie „zuletzt in der Ukraine“. Daher brauche Deutschland Atomwaffen, mit denen es „Putins Macht militärisch und damit nuklear“ begrenzen kann. Wo bekommt der Tagesspiegel eigentlich solche Autoren her? Zufall? Kampagne? Absicht?
Ja, das ist starker Tobak und sicher auch genau so geplant. Gegen Terhalle wirken die beiden ZEIT-Journalisten Peter Dausend und Michael Thumann mit ihrer Forderung nach einer „EU-Bombe“, die zwei Wochen nach der Panorama-Sendung veröffentlicht wurde, schon fast „seriös“. Aber genau das ist die Taktik. Ohne die irren Tiraden eines Maximilian Terhalle würden die Atomphantasien der ZEIT-Männer ihrerseits komplett verrückt wirken – was sie ja auch sind. Neben Terhalle wirken sie jedoch schon beinahe gemäßigt – was im Sinne der Kampagne sein dürfte, aber für sich betrachtet natürlich Nonsense ist.
Oberst Kiesewetter – oder wie ich liebte, die Bombe zu lieben
Die Kampagne für eine atomare Bewaffnung Deutschlands ist übrigens beileibe kein Gedankenspiel, das nur von Journalisten gespielt wird, die zu viel Zeit haben und von Rüstungsfirmen über die Think Tanks zu viel Geld zugesteckt bekommen. Ein großer Fan der nuklearen Bewaffnung Deutschlands ist auch Roderich Kiesewetter, seines Zeichens Oberst a.D., Bundestagsabgeordneter der CDU, ehemaliger Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss und Angehöriger unzähliger Wehrkunde- und Lobbyismus-Verbände.
Ginge es nach Kiesewetter würde die neue europäische Atommacht auf dem Gerüst der französischen Nuklearstreitkräfte entstehen. Dafür müsste Frankreich die Waffen der EU unterstellen und sie in der gesamten EU stationieren. Deutschland solle sich dafür im Gegenzug an der Finanzierung beteiligen. Aber dies sei nur der erste Schritt, eine Auflösung der Denkblockaden, so Kiesewetter. Zu einer echten Abschreckung gehöre dann auch eine gemeinsame Doktrin, die es ermöglicht, die Waffen auch in einem nicht-nuklearen Konflikt einzusetzen. „Dies sind politische Waffen. Ihr Gebrauch muss unvorhersehbar sein“, so der CDU-Abgeordnete. Nach eigenen Aussagen hat Kiesewetter für seine Atompläne sowohl von einigen „relevanten“ Ministerien in Berlin, dem NATO-Hauptquartier als auch den Regierungen in Polen und Ungarn bereits Rückendeckung.
War „Panorama“ nur ein Vortasten?
Es geht hier also um viel mehr als um eine schlechte Panorama-Sendung. Wir befinden uns mitten im Beginn einer Kampagne, die uns sicher auch noch lange begleiten wird. Klare Linien sind dabei noch nicht zu erkennen. Die „üblichen Verdächtigen“ aus den transatlantischen Think Tanks halten sich einstweilen noch bedeckt, während vor allem Fußsoldaten aus dem Umfeld der „Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik“ (DGAP) die verbale Speerspitze bilden. Das wird sich aber sicher in den nächsten Monaten und Jahren noch ändern. Laut Jana Pulgerin von der DGAP sei es ohnehin „überraschend“, dass diese Debatte öffentlich geführt wird. Schließlich sei die Öffentlichkeit „komplett dagegen“.
Dieses Argument zieht sich auch wie ein roter Faden durch weitere Statements zum Thema. Auch Roderich Kiesewetter will lieber öffentlich nichts mehr zum Thema sagen und die beiden ZEIT-Journalisten Dausend und Thumann gestehen ein, dass sämtliche Wahlkampfexperten von diesem Thema abraten. Das ist gut so und sollte auch so bleiben. Es kann leider kaum ein Zweifel daran bestehen, dass es einflussreiche Kreise in Deutschland gibt, die nach einer deutschen Atombombe streben. Wie weit diese Pläne bereits sind und ob die hier zitierten Artikel, Sendungen und Interviews nur ein zartes Vortasten sind, wie weit man schon gehen kann; oder ob die Kampagne schon gestartet ist und nach den Wahlen so richtig an Fahrt aufnimmt, ist momentan noch nicht absehbar. Wir bleiben auf jeden Fall am Ball. Und dafür brauchen wir Sie! Mailen Sie uns bitte auch künftig einschlägige Fundstücke, sodass wir sie unseren Lesern präsentieren und kommentieren können. Denn nur durch eine möglichst große und kritische Gegenöffentlichkeit lassen sich derlei Dummheiten vielleicht noch verhindern.
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