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Titel: „Trump: Berlin soll NATO-Schulden zahlen“ – Diese dreiste Forderung sollten wir mittelfristig mit dem Austritt aus der NATO beantworten.
Datum: 22. März 2017 um 9:20 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Aufrüstung, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Militäreinsätze/Kriege
Verantwortlich: Albrecht Müller
„Berlin soll NATO-Schulden bezahlen“ – das war die Titelschlagzeile der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom vergangenen Sonntag. Trump hatte in einem Tweet verlautbart: „Deutschland schuldet der NATO große Summen & die Vereinigten Staaten müssen mehr Geld für die starke und sehr teure Verteidigung erhalten, die sie Deutschland zur Verfügung stellen.“ Das ist eine unglaubliche Einlassung, sie stimmt hinten und vorne nicht. So geht der Chef eines Imperiums mit dem Vasallen um, er fordert Tribut. Ohne Rücksicht auf die wahren Verhältnisse. Albrecht Müller.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Deutschland hat keine Schulden an die NATO. Dass die USA so hohe Militärausgaben haben (2016: 664 Milliarden $, zum Vergleich Deutschland: 41,67 und Russland 2015: 66,4 Milliarden $), ist die Folge dessen, dass sie unentwegt Kriege in der Welt führen. Das ist die eigene Entscheidung der bisherigen Regierungen der USA.
Die NATO war eindeutig als Verteidigungsbündnis gegründet.
Dieser NATO sind wir beigetreten. Mit dem Ende des West-Ost-Konfliktes 1989/1990 war diese Funktion beendet. Zwischen dem Westen und dem größten Nachfolgestaat des Warschauer Paktes, Russland, bestand damals die Absicht, die gegenseitige Aggression zu beenden und gemeinsam für Sicherheit zu sorgen. Die Rüstungsetats hätten dann in allen Staaten Europas einschließlich Russlands und der NATO-Staaten USA und Kanada sinken können.
Der Denkfehler des Herrn Trump oder sein Trick: Er tut so, als sei die NATO nach wie vor ein Verteidigungsbündnis und nicht das in weiten Teilen der Welt tätige militärische Interventionsbündnis
Auf Betreiben der USA ist die NATO vom Verteidigungsbündnis an der Grenze nach Osten zu einem weltweit tätigen Militärbündnis umgebaut und auch in den Dienst imperialer Absichten der USA gestellt worden. Das lag und liegt nicht in deutschem Interesse und auch nicht in europäischem Interesse. In allen maßgeblichen Parteien, in der SPD, in der CDU und CSU, in der FDP und bei den Grünen und den Linken sowieso gab es zunächst ältere Politikerinnen und Politiker, die diese Wende nicht mitmachen wollten. Aber der Druck war groß. Die Regierung Clinton hat die Regierung Schröder 1999 gezwungen, Deutschland am Krieg gegen das Restjugoslawien zu beteiligen. Das war der erste Sündenfall. Weitere folgten in Afghanistan, in Syrien, in Afrika. Motor dieser Militäreinsätze und der damit verbundenen anwachsenden Rüstungskosten waren nicht die Europäer, auch nicht die Deutschen – von Einzelpersonen und von Großbritannien und Frankreich abgesehen.
Deutschland hat sich auf Wunsch und Drängen der USA an den Militäraktionen beteiligt. Die USA und die NATO-Administration haben uns um die sogenannte Friedensdividende gebracht. Wir haben dabei laufend draufgezahlt und zahlen weiter drauf:
Verehrter Herr Präsident der USA: Was zahlen die USA für alle diese Dienstleistungen, die auf deutschem Boden abgewickelt werden? Wir haben keine Schulden an die NATO. Die USA schulden uns einen Ausgleich für die Nutzung hiesigen Geländes und deutscher Einrichtungen für ihre kriegerischen Zwecke.
Unsere Sicherheit kann nicht auf Rüstung und Militär gründen. Wir brauchen dauerhaft die Verständigung mit Russland und wir müssen das nach dem Fall von Mauer und Konfrontation formulierte Projekt verwirklichen: Gemeinsame Sicherheit.
Die Forderung nach einem Zuwachs der Rüstungsausgaben bis zu 2 % des Bruttoinlandsproduktes ist das Produkt der Lobbyarbeit der Rüstungswirtschaft und nicht das Ergebnis vernünftiger und auf Frieden setzender Überlegungen.
Am 2. September 2014 schrieb der frühere Planungschef im Verteidigungsministerium und Publizist Theo Sommer eine Kolumne für die „Zeit“ mit dem Titel „Fünf vor acht / Verteidigungsetat: Die Nato-Militärausgaben sind nicht durchdacht“.
Die Kolumne beginnt mit der Feststellung:
„Zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts soll jedes Nato-Land in den eigenen Wehretat stecken. Warum folgen wir – ohne nachzudenken – der amerikanischen Sicherheitsmanie?“
Und dann nimmt Sommer die immer wieder erhobene Forderung nach einem Lastenausgleich zwischen den USA und den Europäern auseinander. Er zeigt, dass diese Forderungen schon von Obamas Verteidigungsminister Gates irreführend begründet wurden. Er habe die Rechnung aufgemacht, die USA hätten während des kalten Krieges 50 % der NATO-Militärausgaben getragen, nach dem Fall der Mauer seien daraus 75 % geworden. Und deshalb müsse Europa jetzt mehr zahlen.
Sommer entgegnet, und weil seine Argumente aktuell sind und zu Trumps dreister Forderung passen, zitiere ich sie einschließlich der immer noch einschlägigen Zahlen:
„Propagandistisch war das eine geschickte Masche – aber es war eine Milchmädchen-Rechnung. Natürlich haben die Europäer nach 1990 ihre Wehrbudgets schrumpfen lassen – der Feind war weg, die Front verschwunden, die direkte Bedrohung hatte sich aufgelöst. Doch die Steigerung des US-Anteils aus den Nato-Militärausgaben war nicht auf die verringerten europäischen Verteidigungsbudgets zurückzuführen, sondern in erster Linie auf die ständige Erhöhung des Pentagon-Etats in den Jahren 2000 bis 2010.
Die Zahlen sprechen für sich:
- Streitkräfteumfang 2000: 1,274 Millionen Soldaten und Soldatinnen, Verteidigungsetat: 280 Milliarden Dollar gleich 3,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
- Streitkräfteumfang 2010: 1,563 Millionen, Etat: 712 Milliarden Dollar gleich 4,9 Prozent des BIP.
Es waren George W. Bushs Wunschkriege und, damit einhergehend, eine sträfliche Übermilitarisierung und Sicherheitsmanie, die zu der finanziellen Unwucht in der Nato führten.
Inzwischen haben die Amerikaner den Wehretat etwas reduziert – auf 618 Milliarden Dollar, 3,8 Prozent des BIP. Doch kommen dazu Sicherheitsausgaben für Heimatschutz (59 Milliarden Dollar), Nachrichtendienste (55 Milliarden), Atomwaffenentwicklung, untergebracht im Haushalt des Energieministeriums (2011: 17 Milliarden), weitere verteidigungsrelevante Posten in den Budgets anderer Ressorts (2011: 7 Milliarden) und Veteranenversorgung (140 Milliarden) – immer noch rund 900 Milliarden.
Das ist heller Wahnsinn. Obama hat ihn nicht einzudämmen verstanden. Nachahmenswert ist er jedenfalls nicht.“
Soweit Theo Sommer schon 2014.
Die Konsequenz für unser Land: wir müssen uns aus der Umklammerung durch die USA lösen. Das kann nur mittelfristig gehen. Aber wir müssen heute mit der Planung beginnen. Dabei ist vieles zu bedenken. Aber das Ziel ist nach den Erfahrungen der letzten Jahre und der deutlich erkennbaren Fehlentwicklung der USA ziemlich klar und unumstößlich.
Übrigens: Diese Planung voranzutreiben, wäre eine einschlägige Aufgabe der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ in Berlin. – Es ist absehbar, dass diese Aufgabenzuweisung dort Kopfschütteln auslösen wird. Ein weiterer Beleg dafür, wie fremdbestimmt die deutsche Außenpolitik und die Beratungseinrichtungen sind.
NATO-Austritt undenkbar?
Vermutlich halten selbst Leserinnen und Leser der NachDenkSeiten die Empfehlung, den Austritt aus der NATO zu erwägen und zu planen, für zu radikal. Für die große Mehrheit unserer sogenannten Eliten gilt das sowieso. Das ist schon aus einem einfachen Grund sehr eigenartig:
Die Zugehörigkeit zu einem kriegführenden Militärbündnis ist ja kein Pappenstiel. Zu einem solchen Bündnis, verbunden mit einer Beistandsverpflichtung in absehbar kritischen Situationen zu gehören, ist gefährlich und setzt eine bewusste Entscheidung voraus. Wann ist diese Entscheidung in Deutschland demokratisch diskutiert worden? Wann ist sie demokratisch gefällt worden?
Es gab in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts eine ausführliche Debatte um den NATO-Beitritt Deutschlands. Immerhin. Der Beitritt Westdeutschlands zur NATO war zwar zuvor de facto von Adenauer und der Union (CDU/CSU) entschieden und dem Westen versprochen worden. Aber immerhin wurde darüber ausführlich debattiert und de facto in Bundestagswahlen mitentschieden. Die damals in der Opposition befindliche SPD wie auch herausragende Persönlichkeiten wie der spätere Bundespräsident Heinemann haben gegen die einseitige Westbindung opponiert. Die SPD hat ihren Frieden mit der NATO mit einer Rede Herbert Wehners im Jahre 1960 öffentlich verkündet. Das war die Zustimmung zu einem Verteidigungsbündnis.
Über die Veränderung der NATO hin zu einem militärischen Interventionsbündnis wurde in Deutschland weder ausführlich debattiert noch demokratisch entschieden.
Darüber wurde in den gesamten neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts, als die Regierung Clinton und das konservative Establishment der USA die gemeinsame Linie verließ, in Deutschland nicht öffentlich debattiert, obwohl uns die sich abzeichnende Veränderung direkt betreffen musste.
Auch im Bundestagswahlkampf für die Wahl im September 1998 kam dieses Thema nach meiner Erinnerung nicht zur Sprache. Die zum Bundeskanzler und zum Vizekanzler nominierten Personen Gerhard Schröder und Joschka Fischer wurden offensichtlich bei einem Besuch in Washington, der im Oktober 1998 nach der Bundestagswahl und vor der Wahl der beiden Personen zum Kanzler und Vizekanzler durch den Deutschen Bundestag stattfand, auf die Veränderung des Charakters der NATO eingeschworen. Im März 1999, also ein halbes Jahr später, beteiligte sich Deutschland an der militärischen Intervention außerhalb des NATO-Bereichs gegen Restjugoslawien, dem sogenannten Kosovokrieg. Dabei spielten erkennbar US-amerikanische Interessen eine besondere Rolle. So haben die USA danach im Kosovo eine ihrer großen Militärbasen außerhalb ihres eigenen Landes aufgebaut. Nebenbei: So etwas verursacht Kosten. Und der neue US-Präsident möchte, dass wir uns daran beteiligen.
Wenn wir uns jetzt auf den Weg machen würden, die nicht demokratisch zustande gekommene Entscheidung, einem Bündnis anzugehören, das in erster Linie nicht mehr Verteidigungsbündnis, sondern militärisches Interventionsbündnis ist, zu korrigieren, dann ist das keine radikale Tat, sondern eher eine Selbstverständlichkeit.
Nachtrag 23.3.2017:
Ein NachDenkSeiten-Leser schreibt:
Bei der Rechnung, die Sie in Ihrem gestrigen Artikel: “Trump: Berlin soll Nato-Schulden zahlen…” aufmachten, haben Sie vergessen die Kosten zu erwähnen, die den europäischen Nato-Ländern, darunter auch der BRD, dadurch entstehen, dass die USA fremde Länder ohne Uno-Mandat bombardiert und andere Länder die Flüchtlinge aufnehmen und versorgen müssen, die vor der Zerstörung ihrer Heimat durch die Bomben der USA fliehen.
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