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Titel: Tausende Menschen wären sofort tot
Datum: 7. März 2017 um 13:14 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Friedenspolitik, Interviews, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Redaktion
Interview mit der Friedensaktivistin Hildegard Slabik-Münter zu den US-Atombomben auf dem Fliegerhorst in Büchel
Anfang Februar brachte das ARD-Magazin „Panorama“ eine deutsche Atombombe in die öffentliche Diskussion. Angebliche Gründe hierfür: Russlands Aggressivität und Trumps Unberechenbarkeit. Die Nachdenkseiten kritisierten den Panorama-Beitrag bereits als einseitig und militaristisch. Er ließ keine Atomwaffen-Gegner zu Wort kommen, obwohl das TV-Team in Büchel bei Koblenz, wo 20 US-Atombomben auf einem Fliegerhorst lagern, lange mit Friedensaktivisten sprach. Die Kinderärztin Hildegard Slabik-Münter von der internationalen Ärzte-Organisation gegen den Atomkrieg (IPPNW) und ihre Kollegin Elke Koller von einer örtlichen Friedensinitiative hatten den Reportern ihre Position ausführlich dargelegt. Doch tauchten ihre Argumente im Beitrag nicht auf, wie die beiden Ärztinnen den NachDenkSeiten auch bereits in Form eines Leserbriefs mitteilten. Für die NachDenkSeiten sprach nun Stefan Korinth mit Hildegard Slabik-Münter.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Ende Januar war ein Team des ARD-Magazins “Panorama” bei Ihnen in Büchel, wo in Bundeswehr-Bunkern US-Atombomben lagern. Die Panorama-Reporter hatten sich dabei auch an Sie gewandt. Erzählen Sie doch bitte, was damals ablief.
Hildegard Slabik-Münter: Ja, am 24. Januar waren die Journalisten hier. Da haben wir morgens ein langes Gespräch geführt mit einem Redakteur und ein Kameramann war auch dabei. Wir waren natürlich sehr froh, dass die sich an uns gewandt hatten, weil es selten ist, dass überregionale Magazine über unser Problem berichten. Die Atomwaffen in Büchel werden ja immer noch totgeschwiegen. Die Bundesregierung und auch Politiker hier pflegen immer noch zu sagen: „die vermutlich dort liegenden Atomwaffen“, weil eben die Stationierungsvereinbarung vorschreibt, dass man nicht sagen darf, wo seine Atomwaffen sind. Aber es ist nachgewiesen, dass sie da sind.
Dann haben wir mit dem Panorama-Reporter ein sehr langes Gespräch geführt über unser Anliegen, für die Abrüstung und für die Ächtung der Atomwaffen und haben ihm auch Material gegeben über die Gefahren von Atomwaffen, die er auch eingefordert hatte. Und dann sind wir noch lange mit ihnen durch den Schnee gezogen und haben gezeigt, wo die Stellen sind, wo sie fotografieren können, weil sie sich örtlich nicht auskannten.
„Hätten wir das gewusst, hätten wir die Mitarbeit abgelehnt“
Bei der inhaltlichen Stoßrichtung hatte es sich schon angedeutet, dass der Hauptpunkt seiner Sendung sein würde, dass eben der Trump und seine Einlassungen zur Nato und zu Atomwaffen Angst auslöst, besonders hier eben vor Ort, wo die Atomwaffen liegen. Aber wie dann die Stoßrichtung des Beitrags war, das konnten wir uns so nicht vorstellen. Deswegen sind wir auch nicht auf die Idee gekommen, das konnten wir nicht spüren. Sonst hätten wir die Mitarbeit abgelehnt, da hätten wir nicht mitgemacht.
Und ein bisschen ungeheuer wurde mir die Angelegenheit, als ich da nur noch als zufällige Passantin auftreten sollte und nicht als politische Aktivistin. Ich habe dann aber die Frage, ob wir eine deutsche Atomwaffe sicherer finden würden, mit „nein“ beantwortet. Ganz klar habe ich gesagt: „Egal wer sie hat, wir wollen sie hier nicht. In jeder Hand ist sie eine tödliche Bedrohung.“ Das hat er aber herausgeschnitten. Sodass wir noch nicht mal an diesem kleinen Punkt zur Geltung kamen.
Wie haben sie sich gefühlt, als sie das zum ersten Mal im Fernsehen gesehen haben?
Ich war absolut wütend und habe mich unglaublich geärgert. Elke Koller, die ja auch da war, aber im Bild nicht erschien, hat direkt hier angerufen und gesagt: „Was ist das denn?“ Also da fühlen wir uns betrogen und hintergangen. Und wir haben dann jeder jeweils eine E-Mail geschrieben an den Redakteur, wo wir unsere Empörung zum Ausdruck gebracht haben. Der war aber im Ausland und hat erst jetzt vor wenigen Tagen geantwortet. Weil lange keine Antwort kam, hatten wir unsere Stellungnahme an die Nachdenkseiten geschickt.
Panorama hat Intransparenz geschaffen
Und was hat der Panorama-Redakteur dann vor ein paar Tagen geschrieben?
Schon Panorama.de hatte geschrieben, dass sie das gemacht haben, um diese Dinge an den Tag zu bringen und damit sie diskutiert werden. Und der Redakteur sagte das auch. Er wollte sozusagen Transparenz schaffen, dass diskutiert wird, ob es europäische oder deutsche Atombomben geben soll. Aber in Wirklichkeit hat er ja Intransparenz geschaffen, weil er eben Gegenmeinungen nicht zugelassen hat.
Wir sind der Meinung, dass Frieden das höchste Gut ist und fanden das empörend, dass nur die eine Seite zu Wort kam und kein Experte der anderen Seite. Sie hätten ja zumindest das Gutachten des Physikers Malte Göttsche von der Princeton University in die Sendung einbinden können. Dann hätte das einen ganz anderen Klang gehabt. Der erklärt nämlich, warum jede Diskussion um atomare Aufrüstung brandgefährlich ist.
Die Argumentation des Beitrags sah ja so aus: Russland ist aggressiv, nur atomare Abschreckung wie im Kalten Krieg verhindert einen echten Krieg, Trump unterminiert diesen Abschreckungsgedanken, deswegen braucht Deutschland eigene Atombomben. Was halten Sie davon?
Da sagen wir eben ganz klar, dass die atomare Abschreckung nicht der Grund für Frieden und Sicherheit war oder ist. Es ist ja bekannt, dass wir Glück gehabt haben, dass uns die Atombomben noch nicht um die Ohren geflogen sind. Da gibt es ja das Beispiel von dem russischen Offizier Stanislav Petrow, der 1983 den Gegenschlag nicht auslöste, obwohl auf seinem Radar die aufsteigenden amerikanischen Atomraketen zu sehen waren. Es hat sich dann im Nachhinein herausgestellt, dass das Wolkenbildungen waren. Aber wenn er in dem Moment nach seinen Vorschriften gehandelt hätte, hätte er den Gegenschlag auslösen müssen. Da gibt es auch den Film darüber: „Der Mann, der die Welt rettete.“
Und solche Beispiele gibt es ja viele. Beispielsweise auch während der Kubakrise. Und deswegen denken wir, dass jede weitere Atomwaffe und jede weitere Atommacht den Weltfrieden nur noch mehr gefährden. Nur die Abrüstung kann dazu führen, dass Frieden bleibt. Frieden ist nicht durch die gegenseitige Bedrohung mit Atomwaffen da.
Westliche Staaten tragen nicht zum Weltfrieden bei
Und dann war ja in dem Beitrag immer die Rede davon, dass man sich gegen Russland aufstellen müsse. Und da sind wir eben der Meinung, dass sowohl im Osten wie auch im Westen die Oligarchen nicht unsere Freunde sind. Das Verhalten Russlands heißen wir sicher nicht gut, aber es hat ja auch seine Quelle in der Einkreisungspolitik durch die Nato. Der Raketenabwehrschirm war da ein Punkt, die Manöver im Baltikum, es gab die Osterweiterung, die eindeutig gegen westliche Zusicherungen an die damalige UdSSR verstößt. Und generell ist es so, dass das Verhalten der westlichen Staaten nicht zum Weltfrieden beiträgt.
Die Nato hat einen Rüstungsetat von 900 Milliarden US-Dollar, während Russland einen Rüstungsetat von 80 Milliarden hat. Und trotzdem wird es hier im Westen als großer Buhmann aufgebaut. Und wenn man dann noch weiß, dass die USA weltweit rund 1000 militärische Stützpunkte haben, über die sie jeder Zeit verfügen können, während Russland außerhalb der ehemaligen Sowjetstaaten nur zwei hat, nämlich in Syrien, dann ergibt das ein ganz anderes Bild als das Bedrohungs-Szenario, das bei uns immer aufgebaut wird.
Die 20 Bomben in Büchel – sind das nicht de facto schon deutsche Atombomben?
Nein, die würden zwar von deutschen Tornados geflogen, aber sie stehen unter Nato-Aufsicht. Und Deutschland kann nicht sagen: „Wir setzen sie ein oder wir setzen sie nicht ein.“ Darüber haben wir keine Macht nach diesen Regularien, die vorliegen.
Deutschland war an atomarer Teilhabe interessiert
Warum liegen die eigentlich auf einem deutschen Fliegerhorst und nicht auf einer US-Militärbasis, davon gibt es ja auch genügend in ihrer Region.
Ja, weil Deutschland an der Teilhabe interessiert war. In den frühen Anfängen der Bundesrepublik wollte Deutschland ja schon auch selber Atomwaffen bauen. Das wurde aber von den Siegermächten nicht zugelassen. Aber es wurde diese Teilhabe eingeräumt. Das war ja anfangs nicht nur in Büchel, sondern auch an anderen Orten. Aber wir in Büchel sind die letzten, wo die noch nicht abgezogen wurden.
Wie sehen ihre konkreten Forderungen aus?
Wir fordern, dass die Atomwaffen aus Büchel abgezogen werden. Wir sind auch gegen den Drohnenkrieg, der von Ramstein aus geführt wird. Und wir sind auch gegen Spangdahlem, das ist hier ein anderer amerikanischer Stützpunkt, von dem aus immer die Transporte fliegen in die verschiedensten Kriegseinsätze der USA. Also wir sind hier sozusagen der Flugzeugträger für die amerikanischen Flugzeuge.
Jetzt gibt es verschiedene Katastrophen-Szenarien, wenn man an die Bomben in Büchel denkt. Das eine wäre ein Unfall, also dass sie irgendwie hochgehen.
Ja, sie sind ja beispielsweise nicht feuerfest. Wenn ein Brand in dem Lager ausbrechen würde, dann würden die explodieren. Die sind in Bunkern in der Erde. Die Bomben sind nicht feuerfest, denn sie sind schon sehr alt. Sie sollen ja auch modernisiert werden. Das heißt, es gibt dann neue Waffen, die kleiner sind und besser lenkbar. Dadurch wäre man aber auch eher bereit, diese Waffen einzusetzen. Die Bundesregierung hat schon ihr Einverständnis zur Modernisierung gegeben.
Neben dieser Gefahr gibt es ja auch die Möglichkeit, dass Büchel, falls es denn zu einem Krieg käme, als allererstes ins Visier der russischen Raketen käme.
Ja, das wäre auf jeden Fall so. Und ein terroristischer Angriff ist als weitere Möglichkeit auch denkbar.
Inzwischen sind viele Menschen hier sehr nachdenklich geworden
Inwiefern gibt es denn in der Region ein Bewusstsein für all diese Gefahren?
Also es wächst mit jedem Jahr, auch weil wir immer wieder darauf hinweisen. Am Anfang ist die Elke Koller mit ihrer Initiative sehr angefeindet worden, weil eben dieser Luftwaffenstützpunkt ein großer Arbeitgeber ist. Und alle Bürgermeister und auch Bundestagsabgeordneten wie der Herr Bläser von der CDU immer gesagt hatten, wenn die Atomwaffen abgezogen werden, dann besteht die Gefahr, dass der Stützpunkt aufgelöst wird. Dass er quasi nur wegen der Atomwaffen erhalten würde. Was unserer Ansicht nach so aber nicht stimmt. In jedem Fall hatten wir deswegen wenig Unterstützung von den Menschen vor Ort. Aber inzwischen haben wir so viel aufgeklärt über die Gefahren, dass doch sehr viele nachdenklich geworden sind. Aber die Beteiligung der Bevölkerung vor Ort an Protesten ist noch sehr gering.
Also die Einwohner werden von den Politkern dort vor die Wahl gestellt: Atomwaffen oder Arbeitslosigkeit…
…genau und es sind 600 bis 800 Zivilangestellte, die dort arbeiten. Also in der Region ist das schon ein großer Arbeitgeber.
Da wir jetzt diese Katastrophen-Szenarien kurz angedacht haben, können sie erklären, was passieren würde, wenn eine oder mehrere dieser Bomben hochgingen? Was wäre das für ein Schadensbild? Was wären die Folgen für die Region?
Also wenn man sich jetzt vorstellt, dass da eine dieser 170-Kilotonnen-Atombomben losgeht, dann würde es ungefähr zehn Sekunden dauern, bis der Feuerball seine ganze Kraft entwickelt hätte. In einem Drei-Kilometer-Radius tötet der radioaktive Feuerball, der heißer als die Sonne ist, das ganze Leben und zerstört auch sonst alles in dieser Zone. Alles dort wird völlig aufgelöst – ins Nichts. In einer Umgebung von fünf Kilometern würde die große Mehrheit der Menschen sofort sterben. Entweder durch die Druckwelle und die Verletzungen, die dadurch verursacht werden oder an der Strahlenkrankheit. Und im Zehn-Kilometer-Radius stirbt die Hälfte der Menschen sofort an Wunden, Verbrennungen und Strahlung. Obwohl die Region dünn besiedelt ist, würde das mindestens zehntausend Menschen direkt betreffen.
Ganz Rheinland-Pfalz wäre vom Fallout betroffen
Effektive Hilfe wäre nicht möglich, weil alles zerstört wäre, also auch Kommunikations- und Transportsysteme. Feuerwehrausrüstung, Krankenhäuser und Apotheken wären nur noch Schutt und Asche. Feuerwehrleute und medizinisches Personal wären ja auch tot oder schwer verletzt. Notfallhelfer, die von außen kämen, müssten sich hohen Strahlendosen aussetzen. Ganz Rheinland-Pfalz wäre durch den radioaktiven Fallout betroffen. Der würde – je nach Windrichtung – auch große Städte wie Köln erreichen. Wenn mehrere dieser Bomben explodierten, wäre die Zerstörung noch gewaltiger. Die Region wäre über Generationen hinweg unbewohnbar. Der ganze Grund und Boden wäre verstrahlt.
Sie sagten, Sie haben in den vergangenen Jahren in der Region schon Aufmerksamkeit für die Gefahren geweckt. Erklären Sie doch nochmal, was machen sie konkret und was steht als nächstes für eine größere Aktion bei Ihnen an?
In diesem Jahr gibt es wieder eine 20-Wochen-Aktion. Das heißt 20 Wochen für 20 Bomben. Wir sind dann also fast täglich vor dem Tor des Fliegerhorstes. Und es findet mindestens einmal in der Woche der Versuch von Blockaden statt, dass also rundherum die Tore blockiert werden und die Soldaten nicht in den Stützpunkt einfahren können. Der Beginn ist der 26. März und es geht dann bis zum Hiroshima-Tag. Und dazu kommen aus der ganzen Bundesrepublik Gruppen, die da zelten, Transparente aufhängen und verschiedene Aktionen machen. Leider immer unter wenig Beachtung der bundesweiten Öffentlichkeit.
Die Auftaktveranstaltung ist in Cochem. Da sprechen dann auch Politiker von der SPD, von der Linken und von den Grünen. Und dann beginnen ja am 27. März die Verhandlungen in der UNO. Das wird ein großer Schwerpunkt sein.
Viele Deutsche wissen gar nicht, dass hier Atombomben liegen
Haben Sie denn die Hoffnung, dass sich große bundesweit agierende Medien demnächst mehr für Büchel interessieren werden?
Na ja, dafür könnten vielleicht die Panorama-Sendung, der Herr Trump und die ganzen Diskussionen um ihn ein Anlass sein. Bekannt ist ja, dass die Bevölkerung der Bundesrepublik die Atomwaffen ablehnt. Aber viele wissen gar nicht, dass die hier liegen. Wir fordern unbedingt, dass sich die Bundesregierung beteiligt an diesen Gesprächen in der UNO. Da haben ja 123 Staaten den Antrag gestellt, am 27. März zu diskutieren, dass Atomwaffen wie biologische und chemische Waffen auch als inhuman geächtet und verboten werden.
2010 gab es ja schon mal einen Beschluss des Bundestages, dass die Regierung sich dafür einsetzen soll. Da stand auch im Koalitionsvertrag, dass die Bomben abgezogen werden und auch der Landtag hat schon in diesem Sinne entschieden. Aber da hat sich dann die Politik drüber hinweggesetzt.
Ich habe den Herrn Röttgen (CDU), als er hier während des Landtagswahlkampfes war, dazu befragt. Da hatte er gesagt, er sei sehr stolz auf den Abrüstungsvertrag mit dem Iran. Dann habe ich gesagt: „Herr Röttgen, Sie wissen ja nun, wie gefährlich die Atomwaffen sind, was ist denn nun mit denen in Büchel?“ Da hat er dann gesagt: „Abrüstung war einmal. Das ist jetzt vorbei.“ Das ist unglaublich.
Und auch unsere Ministerpräsidentin hier, Malu Dreyer (SPD), hat gesagt, wenn es so sein sollte, dass die Atomwaffen modernisiert werden, dann werden wir uns dagegen einsetzen. Im Wahlkampf habe ich ihr auch diese Frage gestellt, ob sich die Landesregierung nicht mal dafür einsetzen wolle, dass die Waffen hier wegkommen? Da hat sie geantwortet: „Ja ich glaube, Politik ist so nicht.“
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