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Titel: Kaum im Amt des Kanzlerkandidaten hat Martin Schulz schon einen Doppelgänger
Datum: 1. Februar 2017 um 9:02 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Manipulation des Monats, SPD
Verantwortlich: Albrecht Müller
Als ich am 25. Januar einen skeptischen Artikel zu seiner Nominierung schrieb (Der zweifache Schock: Schulz soll Kanzlerkandidat und obendrein Parteivorsitzender werden.), hatte ich gewissenhaft recherchiert, mich an fragwürdige Äußerungen von Schulz zu Griechenland und Russland, seine Haltung zur Agenda 2010 und seine Rolle bei der Installation des unseligen Junkers erinnert, Jetzt machen die euphorischen Äußerungen anderer Zeitgenossen sichtbar, dass ich mich offensichtlich mit einem anderen Schulz beschäftigt hatte, als jenem, der am vergangenen Wochenende in Berlin gefeiert wurde. Albrecht Müller.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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In der Süddeutschen Zeitung erschien am 30. Januar ein Kommentar – schon der zweite Kommentar diese Art – von Heribert Prantl, dem berühmten Innenpolitik-Chef des berühmten überregionalen Blattes. Siehe hier. Das müssen Sie lesen, am besten vollständig, um die Dimension der Bewunderung zu erfühlen. Hier ein Auszug:
Schulz hat, was Merkel fehlt
Überschwang, Feuer, Begeisterung – das sind die Gaben des Martin Schulz. Der Kanzlerkandidat der SPD ist ein Mann mitten aus dem Leben, ein Populist im besten Sinne.
Kommentar von Heribert Prantl
Martin Schulz ist ein Populist. Das ist nichts Schlimmes. Im Gegenteil: Schulz ist ein demokratischer Populist. Er kann sich und andere schwindlig reden, wenn es um Gerechtigkeit und Europa, um die Grundwerte und die Bürgerrechte geht. Er kann sehr populär predigen, sodass ihn die Leute verstehen und spüren, dass Leidenschaft in ihm steckt.
Nicht das Wort Populismus ist nämlich schlecht – das Wort also, mit dem sich die sogenannten Rechtspopulisten schmückend tarnen und mit dem sie sich gern tarnen lassen. Schlecht ist das, was sich hinter dieser Tarnung verbirgt: Nationalismus, Ausgrenzung und Ausländerfeindlichkeit. Es ist nicht der Populismus, der die Gesellschaft kaputt macht, sondern ein populistischer Extremismus. Einer wie Schulz ist gut geeignet, dagegen anzutreten.
Ein wirklicher Hoffnungsträger, der Doppelgänger Schulz. Das sieht die Vorsitzende der DL 21 – das sind die Linken innerhalb der SPD – sehr ähnlich. Hilde Mattheis schreibt, schon vor der Bekanntgabe der Nominierung von Martin Schulz durch den Parteivorstand der SPD seien
„die Zustimmungswerte für unsere Partei gestiegen. Im direkten Vergleich mit der Kanzlerin liegt er in den Umfragen gleich auf. Das lässt uns mit Hoffnung auf den kommenden Urnengang blicken. Auch die Presse (etwa die SZ und der Tagesspiegel in ihrer heutigen Ausgabe) berichtet wieder positiv über die SPD.“
So keimt die Hoffnung auf einen Wechsel in Berlin. Wunderbar.
Aber dann trübt sich das Bild leider wieder. Der andere Schulz betritt die Bühne. Von ihm ist zu hören, dass er Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder in eine Reihe stellt. Gerhard Schröder, das ist der sozialdemokratische Bundeskanzler, der die Bundeswehr zum ersten Mal außerhalb des NATO-Bereichs zum Militäreinsatz brachte – völkerrechtswidrig, wie er Jahre später einsieht und bekennt; Schröder, das ist jener sozialdemokratische Bundeskanzler, der sich nach Installation der Agenda 2010 dessen rühmte, Deutschland habe den besten Niedriglohnsektor.
Ich hatte in meinem Beitrag vom 25. Januar vorgerechnet, dass Martin Schulz und mit ihm die SPD und eine neue Koalition als Alternative zu Frau Merkel nur eine Chance haben, wenn er die Menschen wieder zurückgewinnt, die der SPD ihre Sympathie aufgekündigt haben, weil sie für Militäreinsätze gewesen ist, weil sie damit ihre eigene erfolgreiche Entspannungspolitik verraten hat und verrät, und weil sie im Auftrag der neoliberalen Ideologie die Agenda 2010 durchgeboxt hat – mit der Konsequenz, dass viele Menschen in prekäre Arbeitsverhältnisse verschoben worden sind, eben in den Niedriglohnsektor.
Dass der Doppelgänger Schulz so viele positive Stimmen von erstaunlichen Absendern eingeheimst hat, ist schon ein Stück weit bewundernswert. Es ist beachtlich, wie seine Ernennung in Berlin in den vergangenen Tagen inszeniert worden ist: ein volles Willy-Brandt-Haus, junge Gesichter, Aufbruchsstimmung, Jubel – das kann schon dazu verleiten, Hoffnung zu schöpfen und mitgezogen zu werden.
Übrigens bleibt an dieser Stelle anzumerken, dass der Schulz-Bewunderer Heribert Prantl dem richtigen Schulz und dem Doppelgänger begegnet ist. Er schreibt über den Doppelgänger:
„Überschwang, Feuer, Begeisterung – das sind die Gaben des Martin Schulz. Der Kanzlerkandidat der SPD ist ein Mann mitten aus dem Leben, ein Populist im besten Sinne.“
Aber dann begegnet er dem anderen Schulz und muss gleich zweimal den Eindruck vom Doppelgänger relativieren:
„Seine erste Rede als SPD-Kanzlerkandidat und als designierter neuer SPD-Vorsitzender war nun nicht so, dass man in Begeisterung verfallen müsste …“
Und:
„Er ist zwar, das zeigt seine erste Rede nach der Nominierung, nicht gerade ein Jürgen Habermas. Aber er kann die sozialdemokratische Orgel behände schlagen; und er beherrscht das Registerwerk so, dass es braust. Am Sonntag war das noch kein großes Orgeln, es war gute Routine.“
Na, watt nu?
Es tut mir leid, Wasser in den Wein gießen zu müssen, indem ich auf den wichtigsten Gedanken im Beitrag vom 25. Januar hinweise: Angela Merkels mediale Kanonen schweigen zurzeit. Man lässt Martin Schulz, dem Doppelgänger, freien Lauf. Die Medienbarriere gegen ihn ist noch nicht installiert. Aber das wird auf Knopfdruck möglich sein. Und dann wird Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung mit seiner Begeisterung eine einsame Stimme sein.
Und dann käme es darauf an, die Medienbarriere zu überwinden und unbedeutend werden zu lassen – mithilfe von Millionen Menschen, die weitersagen, dass wir eine Alternative zu Frau Merkel brauchen und dass Martin Schulz der richtige „Anführer“ ist. Martin Schulz, der Doppelgänger hat zwar davon gesprochen, dass er dieses Land „führen“ wolle, aber alleine mit der Parole „soziale Gerechtigkeit“ geht das nicht. Da muss Butter bei die Fische, damit die notwendige Volksbewegung in Gang kommt. Mit Sprüchen alleine und mit einem hohlen „Führungs“anspruch wird das nicht gelingen, jedenfalls nicht bis zum Wahltag halten.
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