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Titel: Vorwahlen der französischen Sozialisten – Bonjour Tristesse
Datum: 26. Januar 2017 um 13:43 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Länderberichte, Wahlen
Verantwortlich: Jens Berger
Das „linke Lager“ Frankreichs ist nach der katastrophalen Präsidentschaft François Hollandes zersplittert wie noch nie. Egal wie die offenen Vorwahlen der Sozialisten ausgehen: Am Ende werden wohl drei Kandidaten des „linken Lagers“ bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen antreten. Die Chancen auf das Erreichen der zweiten Runde sind eher bescheiden und so „links“ ist das „linke Lager“ auch nicht mehr. Da ist es für die Medien schon eine Sensation, dass ein Kandidat des linken PS-Flügels die erste Runde der Vorwahlen der PS gewonnen hat. Das ändert jedoch nichts an der Gemengelage. Sofern kein Wunder geschieht, stehen Frankreich triste Zeiten bevor. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Während bei der SPD einige wenige einflussreiche Parteifunktionäre nach wie vor hinter verschlossenen Türen ihren Kanzlerkandidaten auskungeln, lässt die französische Schwesterpartei PS ihren Präsidentschaftskandidaten in offenen Vorwahlen ganz nach dem Vorbild der USA vom Wähler küren. Die Wahl ist dabei offen für freie Kandidaten und Kandidaten anderer Parteien. Wählen dürfen freilich auch Sympathisanten des „linken Lagers“, die keine Parteimitglieder sind. Die USA lassen grüßen. Anders als in Deutschland gibt es bei unseren Nachbarn übrigens auch einen echten Wettbewerb um dieses Amt. Mit Benoît Hamon, Vincent Peillon und Arnaud Montebourg warfen drei ehemalige Minister und mit Manuel Valls sogar ein ehemaliger Regierungschef ihre Hüte in den Ring. eim Volk stieß diese, im besten Sinne, offene Vorwahl jedoch eher auf Desinteresse. Insgesamt nutzten lediglich 1,6 Millionen Mitglieder und Sympathisanten des „linken Lagers“ die Möglichkeit. 2011 waren es noch rund 2,7 Millionen. Den ersten Wahlgang konnte überraschend Benoît Hamon mit 36% der Stimmen vor Manuel Valls mit 31,5% der Stimmen für sich entscheiden. Die beiden Kandidaten müssen nun am kommenden Sonntag in die zweite Wahlrunde, die Stichwahl. Dann entscheidet es sich, wer als Kandidat der PS bei den Präsidentschaftswahlen am 23. April und am 7. Mai teilenehmen wird.
Montebourg – der gescheiterte Wirtschaftsexperte
Für das mangelnde Interesse gibt es zwei Erklärungen. Zum einen hat die PS in den fünf Jahren Hollande nicht nur das Land, sondern vor allem auch sich selbst kräftig abgewirtschaftet. Startete Hollande noch mit einer gemäßigt linken Programmatik und dem Vorhaben, der neoliberalen Austeritätspolitik Deutschlands Einhalt zu gebieten, landete er schon schnell als Bettvorleger Angela Merkels, der eifrig die „Anregungen“ aus Berlin und Brüssel umsetzte. Wegen dieser Wende kam es innerhalb der PS zu Rücktritten und Personalwechseln. Im Sommer 2014 trat Wirtschaftsminister Montebourg zurück, der zum linken Parteiflügel zählt. Albrecht Müller kommentierte den Rücktritt damals mit den Worten, Montebourg sei offenbar „einer der letzten Sozialdemokraten“. Da Montebourg in der erste Runde der Vorwahlen mit 17,5% nur Dritter wurde, ist er aus dem Rennen. Seinen Wählern und Unterstützern gab er bereits die Empfehlung, nun einem weiteren ehemaligen Minister vom linken Parteiflügel ihre Stimme zu geben: Benoît Hamon.
Hamon – der Überraschungssieger des ersten Wahlgangs
Rein rechnerisch kann sich Hamon daher bereits zurücklehnen. Er selbst erzielte 36% im ersten Wahlgang und zusammen mit den Montebourg-Stimmen sollte er den zweiten Wahlgang locker gewinnen können. Das ist eine faustdicke Überraschung, lag Hamon in den Umfragen doch bis vor wenigen Tagen noch weit, weit abgeschlagen hinter seinen Konkurrenten. Erst die drei TV-Debatten konnten ihn auch in den Umfragen nach vorne bringen.
Wer ist dieser Benoît Hamon? So einfach ist diese Frage nicht zu beantworten. Hamon ist ein Wanderer zwischen den linken Welten, der auch gut im „Kipping-Flügel“ der deutschen Linkspartei unterkommen würde. Er kritisiert die wirtschaftsliberale Politik von Hollande scharf und tritt dafür ein, die Austeritätspolitik zu beenden, expansiv zu investieren und die neoliberalen Reformen der letzten Jahre rückgängig zu machen. Ansonsten teilt er auch andere klassisch linke Positionen, wie die Forderung nach einer Legalisierung des Cannabis-Konsums, eine relativ offene Flüchtlingspolitik und einen liberalen Umgang mit dem Islam. Er ist jedoch auch ein Anhänger des bedingungslosen Grundeinkommens und spricht immer wieder vom Ende der Wachstums- und Industriegesellschaft. Nun ja.
All diese Punkte würden es verdienen, sich differenziert mit Hamon auseinanderzusetzen. Vor allem die deutschen Medien sehen das natürlich wieder einmal ganz anders. Seine Forderungen sind für die FAZ „radikal“, für die WELT ist er ein „Utopist“ und für die NZZ ist Harmon schlicht ein „linker Reaktionär“. Fest steht: In der ewigen Schlacht zwischen dem Guten und dem Bösen ist Hamon zumindest für unsere Edelfedern ein Schurke; ein Schurke jedoch, der den strahlenden weißen Ritter in den Vorwahlen auf Platz zwei verdrängt hat.
Manuel Valls – der Posterboy der „Reformer“
Nach dem Rückzug von François Hollande war für die allermeisten Beobachter eigentlich klar, dass niemand anderes als Manuel Valls als Spitzenkandidat der PS ins Rennen geht. Als Hollande im Frühjahr 2014 seine „Wende“ vollzog und die Minister des linken Parteiflügels die Regierung verließen, war es der damalige Innenminister Manuel Valls, den Hollande zum neuen Regierungschef ernannte. Der Mann der sich selbst als „Blairist“ bezeichnet, ist ein aalglatter Vertreter dessen, was euphemistisch als „Reformer“ bezeichnet wird – ein neoliberaler Überzeugungstäter, der ganz in der Tradition von Blair und Schröder die klassische Sozialdemokratie zu Grabe tragen und den Sozialstaat durch neoliberale „Reformen“ schwächen will.
Valls will den Begriff „Sozialismus“ aus dem Parteiprogramm streichen – wir reden hier wohlgemerkt von der PS, also der Parti socialiste, der „Sozialistischen Partei“. Er ist gegen jegliche Umverteilung von oben nach unten, gegen „zu hohe“ Transferleistungen für die Armen der Gesellschaft und sozialstaatliche Hindernisse für den freien Wettbewerb. Als Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg Schäuble und das „deutsche Modell“ scharf kritisierte, fiel ihm Valls in aller Öffentlichkeit in den Rücken und entschuldigte sich bei Schäuble für „seinen“ Wirtschaftsminister, der sich „im Ton vergriffen“ habe. Valls reichte den Rücktritt seiner Regierung ein, um von Hollande mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt zu werden – diesmal ohne linke Störenfriede.
Während seiner gesamten Amtszeit erwies sich Valls als zuverlässiger Exekutor der Austeritätspolitik aus Berlin und Brüssel. Das kommt natürlich auch bei den deutschen Massenmedien hervorragend an. Quer durch die Bank wird er von WELT, FAZ und Co. als „reformorientierter“ „Pragmatiker“ und „Realist“ gelobt. Valls soll also „unser Mann in Paris“ werden? Dies ist jedoch kaum mehr als ein frommer Wunsch. Bei den aktuellen Umfragen zur ersten Runde der Präsidentschaftswahlen liegt er komplett abgeschlagen im einstelligen Prozentbereich und hat damit keine Chancen, die zweite Runde zu erreichen. Valls´ Problem ist, dass es in „der Mitte“ zu eng ist und der Posterboy der „Reformer“ von einem neoliberalen Shooting-Star überflügelt wird.
Emmanuel Macron – der französische Guttenberg
Emmanuel Macron ist der Liebling der französischen Klatschpresse. Der Sohn aus besserem Hause, der die Eliteschulen und Eliteuniversitäten des Landes durchlaufen hat, fing seine Karriere als Investmentbanker an und wurde bereits in jungen Jahren zum Partner bei der berühmten Bank Rothschild & Cie. Nach Hollandes Wahlsieg verließ er das Bankhaus, um als „Chefberater“ in Hollandes Stab in den Élysée-Palast zu ziehen. Als Valls die „linken Störenfriede“ aus der Regierung warf, stand Macron bereits Gewehr bei Fuß und löste Arnaud Montebourg als Wirtschaftsminister ab. Und nun startete der neoliberale Shooting-Star, den Montebourg einmal nur halb im Scherz den „stets frisch gekämmten Labrador Hollandes, der hinter den Gardinen des Élysée-Palasts sitzt“ nannte, so richtig durch.
Kurz nach seiner Amtseinführung übergab er ein von ihm entworfenes Gesetzespaket („Loi Macron“) an die Nationalversammlung – der Vergleich mit den Hartz-Gesetzen liegt auf der Hand. Doch das Parlament nahm das Loi Macron nicht einfach an, sondern brachte rund 3.000 Änderungsanträge ein. Was am Ende dabei herauskam, war zwar für die politische und gesellschaftliche Linke und die Gewerkschaften eine Kampfansage, aber für den neoliberalen Dandy Macron viel zu wenig.
Nach diesem Misserfolg zeigte sich Macron mehr und mehr dünnhäutig. Im Mai 2016 kam es dann im Umfeld der Demonstrationen des französischen Gewerkschaftsbundes CGT zu einem Eklat, als der wie stets im teuren Maßanzug flanierende Macron einem mit einem T-Shirt gekleideten Gewerkschafter riet, doch lieber zu arbeiten anstatt zu demonstrieren, sonst könne er sich nie so einen schicken Anzug wie er selbst leisten. Nun platzte auch Hollande der Kragen und sogar die Öffentlichkeit sah den 39jährigen Hoffnungsträger auf einmal etwas skeptischer.
Macron wäre jedoch nicht Macron, wenn er sich so einfach von einer Partei kritisieren lassen würde. Also gründete Macron mit „En marche!“ seine eigene Ein-Personen-Partei und kündigte kurze Zeit später an, bei den Präsidentschaftswahlen zu kandidieren. Diese Kandidatur ist vor allem für Manuel Valls und damit das Parteiestablishment der PS der größte anzunehmende Unfall, da Macron und Valls sich nicht so großartig unterscheiden und beide die gleiche Klientel ansprechen. Valls hat die PS im Rücken, Macron konnte binnen kürzester Zeit mehrere Millionen Euro Spenden sammeln, deren Herkunft er verschweigt. Der T-Shirt-Eklat ist auch schon wieder vergessen. Macron ist (nicht nur) in der Klatschpresse omnipräsent.
Aber ist das das „linke Lager“?
Wir haben also den „offiziellen“ PS-Kandidaten Harmon oder Valls und den als unabhängigen Kandidaten antretenden Emmanuel Macron. Harmon kommt in aktuellen Umfragen zum ersten Wahlgang auf 8%, Valls auf 9%. Sollte sich kein Wunder ereignen, wird der PS-Kandidat also nicht die geringste Chance haben, in den zweiten Wahlgang zu kommen. Macron steht besser da. Er kommt in den Umfragen auf rund 20% und liegt damit nur knapp hinter dem konservativen François Fillon (26%) und der rechtsextremen Kandidatin Marine Le Pen (27%). Auffällig ist jedoch vor allem eins: Macron und Valls zählen nur wegen der klassischen Einordnung überhaupt zum „linken Lager“; weil sie Politiker der ehemals sozialdemokratischen PS sind bzw. waren. Natürlich ist an ihren Positionen so ziemlich nichts „links“. Das sieht bei Benoît Hamon freilich ein wenig anders aus, aber da Hamon ziemlich chancenlos bei der Präsidentschaftswahl ist, lohnt sich vielleicht ein Blick auf den umfragestärksten Kandidaten der politischen Linken.
Jean-Luc Mélenchon – der französische Oskar Lafontaine
Wenn deutsche Medien über die französische „Linke“ schreiben, dann ist damit eigentlich immer die PS gemeint. Das ist freilich absurd, da es in Frankreich sehr wohl eine Linkspartei gibt, die in den Umfragen sogar noch vor der PS steht. Die Parti de Gauche, also „Linkspartei“, wurde 2009 von enttäuschten ehemaligen Mitgliedern der PS und der Grünen unter Führung von Jean-Luc Mélenchon gegründet, einem Senator, der im Jahr zuvor aus Protest aus der PS ausgetreten ist und seitdem als Europaabgeordneter und begnadeter Redner die Frontfigur der Linkspartei ist. Mélenchon vertritt als einziger der Kandidaten echte linke Positionen und wäre inhaltlich ohne Vorbehalt ein wünschenswerter Präsident. Doch auch in Frankreich leiden die Linken darunter, dass ihre Themen in der öffentlichen Debatte kaum stattfinden und die Öffentlichkeit sich nur noch um Flüchtlinge, Terroristen und den Islam interessiert.
2012 holte Mélenchon in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen mit 11% den vierten Platz. Die Umfragen sehen ihn in diesem Jahr bei 14 bis 15% und damit vor den beiden möglichen PS-Kandidaten. Das ist vor allem dann ärgerlich, wenn Hamon die Kandidatur erringen sollte. Denn dann teilen sich zwei Kandidaten der politischen Linken rund 25% der Stimmen – ein Ergebnis, das je nach dem Abschneiden der andern Kandidaten vielleicht sogar reichen könnte, um in die zweite Runde zu kommen.
Fillon, Valls oder doch Le Pen? Sie haben die Wahl zwischen Pest, Cholera und Typhus
So hat auch Mélenchon nur schlechte Karten, die erste Runde zu überstehen. Das „linke Lager“ ist im eigentlichen Sinne zerfasert und die Franzosen werden in der entscheidenden zweiten Runde wohl nur die Wahl zwischen Pest und Cholera haben. Als gesetzt darf Marine Le Pen gelten, die in den Umfragen leicht vorne liegt und ziemlich sicher zumindest als Zweitplatzierte den ersten Wahlgang überstehen wird. Ob der in gesellschaftspolitischen Fragen erzkonservative und in Wirtschaftsfragen neoliberale François Fillon oder der der in gesellschaftspolitischen Fragen liberale und Wirtschaftsfragen ultra-neoliberale Emmanuel Macron als zweiter Kandidat in die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen geht, ist die große und entscheidende Frage. Denn gegen beide Kandidaten hätte Marine Le Pen den Umfragen zufolge nicht den Hauch einer Chance. Gegen Fillon würde sie demnach mit 35% zu 62% und gegen Macron mit 36% zu 64% verlieren. Fillon, Valls oder doch Le Pen? Die Tristesse der Franzosen wird sich nicht so schnell legen.
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