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Titel: Aufklärung als neu-rechte Mythologie – Zu Jörg Bernigs Kamenzer Rede

Datum: 6. Januar 2017 um 9:23 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Rechte Gefahr
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Am 19. Dezember 2016 hatten wir auf die 3. Kamenzer Rede aufmerksam gemacht, gehalten von Jörg Bernig. Diese Rede hätte einer Analyse und eines Kommentars bedurft. Dazu kam ich in den Tagen vor Weihnachten nicht. Deshalb die Herausnahme des Hinweises, was einerseits zu Kritik und andererseits zu Lob durch NachDenkSeiten Leserinnen und Leser geführt hatte. Ein NachDenkSeiten-Leser hat es übernommen, die Rede von Bernig in einem Leserbrief zu kommentieren. Zugleich verlinken wir hiermit auf die PDF Version der Rede des Erzählers und Lyrikers Bernig. Damit hoffen wir dem Informationsbedarf unserer Leserinnen und Leser gerecht zu werden. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Leserbrief von Markus L. zur Kamenzer Rede von Jörg Bernig

Jörg Bernig, ein in Sachsen lebender, aber weit über die Grenzen dieses Bundeslandes hinaus bekannter Erzähler und Lyriker, hat im September dieses Jahres eine Rede gehalten, die in den neu-rechten Milieus unseres Landes mit Begeisterung aufgenommen worden ist. Auf einschlägigen Blogs und Diskussionsforen wurde die PDF-Fassung des Redemanuskripts unzählige Male verlinkt und auch der vielbewunderte (zuletzt von Springers Welt) ideologische Vordenker einer nationalen Revolution Götz Kubitschek, hat bei mehreren Gelegenheiten die Lektüre des Textes nachdrücklich empfohlen.

Umso erstaunter war ich, am 19.12.2016 ausgerechnet in den NDS einen Hinweis auf die besagte Rede zu finden. Albrecht Müller, der verantwortliche Herausgeber, hatte ihn in einem einführenden Text zwar mit einigen Vorbehalten versehen, aber den Leserinnen und Lesern die Auseinandersetzung mit den Überlegungen Bernigs ans Herz gelegt.

Bei einer oberflächlichen Durchsicht des Redetextes finden sich in der Tat zahlreiche Motive, die man aus der Arbeit der Nachdenkseiten kennt: die (berechtigte) Klage über die selbstherrliche Arroganz der Regierenden, welche die Demokratie in einem Gehäuse technokratischer Alternativlosigkeit stillzustellen versuchen, die Kritik an der wachsenden Aushöhlung der demokratischen Öffentlichkeit durch die manipulativen Strategien mächtiger Interessengruppen aus der Politik und der Medienindustrie, die Warnung vor den fatalen Folgen des Missbrauchs der hegemonialen Stellung Deutschlands im Verbund der europäischen Staaten, das Bestreben, das bedrohte Projekt der Aufklärung vor seinen politischen Totengräbern zu retten und produktiv fortzuschreiben usw..

So weit, so gut. Bernigs Überlegungen zielen gleichwohl auf etwas anderes. Fernab aller Emphase, die Fackel der Aufklärung im Sinne Lessings und Kants weiterzutragen, entwerfen sie eine Art Mythos, eine große Erzählung, deren Versatzstücke man aus den Diskussionen in den nationalkonservativen und neu-rechten Kreisen dieser Republik nur zu gut kennt: Danach stünden die politischen und zivilgesellschaftlichen Eliten des Landes unter der Führung der Bundeskanzlerin im Begriff, das tradierte gesellschaftliche Gefüge Deutschlands in ein „Versuchslabor einer ethnischen Modifizierung“ zu verwandeln (S. 10). Der Kern der flüchtlingspolitischen Anstrengungen der Gesellschaftsingenieure bestehe in einer alles umgreifenden biopolitschen Regulierung, welche darauf ziele, „das Volk durch eine (multikulturelle, Hinzufügung des Verf.) Bevölkerung zu ersetzen“ (ebd.). In seiner kategorischen Unbedingtheit und hypermoralischen Legitimation, die jede Kritik von vornherein als rassistisch und fremdenfeindlich denunziere, trage dieses Projekt totalitäre Züge, die an die extremistischen Gesellschaftsexperimente der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gemahnten. Angetrieben werde dieses Projekt durch eine in den herrschenden Schichten des Landes weit verbreitete „autoaggressive“ Verachtung des eigenen Volkes und all jener kulturellen Überlieferungen, die „als deutsch abgelehnt“ werden (ebd.; vgl. S.16). Mit der Masseneinwanderung von Menschen aus den islamisch geprägten Kulturen Nordafrikas und Arabiens stehe letztlich die Identität des deutschen Volkes auf dem Spiel. Im Gegensatz zu anderen monotheistischen Weltreligionen habe der Islam keine kritische Brechung durch den Prozess der Aufklärung erfahren (vgl. S.12). Nicht nur erhebe er in seinen politischen Ausbildungen den „Anspruch auf Weltherrschaft“ (ebd.) – die in ihm gedeihenden Wertvorstellungen, Lebensstile und Habitusformen seien mit dem kulturellen Selbstverständnis des deutschen Volkes letztlich unvereinbar. Am Horizont des politischen Umbauprojekts stehe ein (bereits von dem neokonservativen Kulturtheoretiker Samuel Huntington beschworener) „Kampf der Kulturen“, dessen ersten Manifestationen wir in den Vorkommnissen der Kölner Silvesternacht im Jahr 2015 begegnet seien und der bestenfalls in einer (unbefriedigenden) Bildung von Parallelgesellschaften stillgestellt werden könne. In dieser Situation stelle sich unserer Gesellschaft die „Identitätsfrage“ (S. 13): Für Bernig besteht sie in der notwendigen Entscheidung zwischen „Bundesrepublik“ und „Deutschland“, multikultureller „Bevölkerung“ und kulturell homogenem „Volk“ (S. 13ff.) Letztere Option sei übrigens das Identitätsangebot, das die Ostdeutschen dem wiedervereinigten Deutschland unterbreitet hätten. Es anzunehmen, hält Bernig vor dem Hintergrund der veränderten geopolitischen Stellung Deutschlands, seiner ihm in den letzten 20 Jahren zugewachsenen weltpolitischen „Verantwortung“ und im Interesse guter Beziehung zu den Staaten Mittel- und Osteuropas für unabdingbar.

Auch wenn man das alles schon einmal gehört zu haben glaubt (u.a. aus den Mündern der Herren Gauland und Höcke), wird es durch die sublimierte Fassung aus der Feder eines Vertreters des intellektuellen Establishments nicht besser. Problematisch erscheint nicht nur die absurde Annahme, die politischen Eliten planten aus Verachtung des eigenen Volkes einen groß angelegten Bevölkerungsaustausch oder die bornierte Vorstellung geschlossener „Kulturkreise“, die keine Veränderung kennten und das Verhalten derer, die in ihnen aufgewachsen sind, für alle Zeiten determinierten. Gravierender ist das Schweigen über den wahren Konflikt unserer Tage, über den die NDS täglich informieren: Dieser besteht nicht in der Alternative zwischen „Bevölkerung“ oder Volk“, sondern in der Frage, ob es gelingt, der neoliberalen Zerstörung unserer natürlichen, sozialen und kulturellen Lebengrundlagen das Projekt einer freien, demokratischen, gerechten und solidarischen Gesellschaft entgegen zu stellen. Ein solches Projekt ist (ganz im Sinne des Kantischen „öffentlichen Vernunftgebrauchs”, dessen Implikationen Bernig in seiner Rede einfach unterschlägt) universalistisch angelegt. Es begreift die „Verdammten dieser Erde“, die vor den Verheerungen des globalen Kapitalismus fliehen, ausdrücklich mit ein. Herr Bernig wird hoffentlich nicht traurig sein, wenn ich sein (angeblich ostdeutsches) „Identitätsangebot“ zurückweise.


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