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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Ist die Geldschwemme Ursache der Finanzmarktkrise? Ein Anstoß zu ein paar Zweifeln an einer gängig werdenden These.
Datum: 25. November 2008 um 16:03 Uhr
Rubrik: Banken, Börse, Spekulation, Finanzkrise, Ungleichheit, Armut, Reichtum
Verantwortlich: Albrecht Müller
Man bekommt in der öffentlichen Debatte, in Talkshows und Interviews des Öfteren zu hören, weltweit strömten Billionen um den Globus und suchten nach Anlagemöglichkeiten. Die Geldschwemme stehe in keinem Verhältnis zu der Realwirtschaft. Jetzt bin ich einer ähnlichen Argumentation in Werken zweier Personen begegnet, die ich bisher als verlässlich analysierende Volkswirte kennen und schätzen gelernt habe: Michael Schlecht und Axel Troost. Ihre These kurz zusammengefasst: Die ungerechte Einkommensverteilung habe eine Geldschwemme verursacht, die wiederum verantwortlich sei für die Aufblähung der Finanzmärkte und die jetzige Krise. Ich fürchte, dass diese These auf einigen Denkfehlern beruht. Sicher bin ich mir nicht. Deshalb stelle ich meine Beobachtungen und Zweifel zur Diskussion. Albrecht Müller
Um Missverständnissen vorzubeugen, muss ich vorweg bekennen, dass ich zum Beispiel die Vorschläge von Michael Schlecht und seiner Abteilung Wirtschaftspolitik bei ver.di für ein großes Investitionsprogramm seit Beginn an teile und unterstütze. Und ich beklage genauso wie Axel Troost und Michael Schlecht die miserable Verteilung der Einkommen und Vermögen.
Aber: Muss man für eine gute Sache – eine Korrektur der Einkommens- und Vermögensverteilung – mit schlechten Argumenten streiten?
Nun aber zunächst zu den Dokumenten, die der Stein des Anstoßes sind:
A.
Axel Troost MdB
Folienvortrag zur Finanzmarktkrise
Hierbei insbesondere die Folien 20 und 21 und die dazugehörigen Texte.
B.
Michael Schlecht, Mitglied im Parteivorstand DIE LINKE hat in den letzten Tagen zwei Texte veröffentlicht, zunächst eine Kurzfassung seiner Thesen in der „jungen Welt“ unter dem Titel:
B1: Ein Schirm für Beschäftigte
Die Binnennachfrage muß zur Überwindung der Rezession gestärkt werden. Ein durch eine Reichensteuer mitfinanziertes Investitionsprogramm schafft mittelfristig ein Wirtschaftswachstum von drei Prozent und eine Million Arbeitsplätze
Quelle: junge Welt
und dann die ausführliche Fassung unter dem Titel:
B2: Absturz
Quelle: Die Linke [PDF – 544 KB]
Axel Troosts Folien (Folie 21) enthalten eine Abbildung mit dem Titel „Weltweite Kapitalströme“. Dort wird mit Bezug auf die Quelle „Grefe, Schumann 2008“ gezeigt, dass das „Weltweite Finanzvermögen“ von 1980-2005 von 12 Billionen US-Dollar auf 140 Billionen US-Dollar angestiegen sei. Auf der anderen Folie (20) heißt es: „Privater Reichtum: Deutsches Geldvermögen“. Es wird auf der Abbildung gezeigt, dass das Nettogeldvermögen sich in 17 Jahren, nämlich von 1991-2007, verdreifacht habe.
Die Zweifel – auch an Axel Troosts Folien – werden im folgenden als Kommentar zu einem Auszug aus dem Papier „Absturz“ von Michael Schlecht formuliert. Dort heißt es auf den Seiten 7-9:
Auszug:
(…)
Geldschwemme – Grundlage der Finanzmarktkrise
Die Schwäche der Binnennachfrage ist nicht neu. Gleichwohl ist sie in den letzten zehn Jahren besonders ausgeprägt. Im Verhältnis zu den Profiten steigen die Löhne schon seit Jahrzehnten viel zu wenig an. Selbst wenn man als Maßstab eine Konstanz des Teilungsverhältnisses des jeweils erarbeiteten jährlichen Reichtums zwischen den Unternehmern und den Beschäftigten nimmt – der sogenannte verteilungsneutrale Spielraum aus Produktivitäts- und Preissteigerungsrate – fällt die Bilanz ernüchternd aus. Heiner Flassbeck – ehemaliger Staatssekretär bei Lafontaine – hat gemeinsam mit Friederike Spiecker ausgerechnet, dass die Lohnerhöhungen in den 1980er und 1990er Jahren um rund 20 Prozent zu niedrig waren. Für den Zeitraum 1997 bis 2007 liegt das Minus wiederum bei 20 Prozent. Damit sind allein in den letzten zehn Jahren rund 500 Milliarden Euro zugunsten der Kapitalseite umverteilt worden. Die Steuerpolitik von Rot-Grün und auch von Schwarz-Rot hat darüber hinaus für eine weitere Umverteilung von unten nach oben in der Größenordnung von 500 Milliarden Euro gesorgt. Damit sind allein in den letzten zehn Jahren der Kapitalseite rund eine Billion Euro zugeflossen.
Wo sind die geblieben? Der Personenkreis, dem dieser Reichtum zugeflossen ist, ist viel zu klein, dass dieser Betrag auch nur ansatzweise konsumiert werden könnte. Soviele Maseratis, Rolls-Royce und Privatflugzeuge kann man sich gar nicht anschaffen, um eine Billion ernsthaft in Konsum umzusetzen. Der allergrößte Teil dieses Geldes ist zusätzlich in die Finanzmärkte geflossen. Ähnliche Entwicklungen sind in vielen anderen Ländern gelaufen. Und dies ist die entscheidende Ursache für eine wahre Geldschwemme.
1980 betrug das Volumen auf den weltweiten Finanzmärkten gerade einmal zehn Billionen Dollar. Heute liegt es bei rund 170 Billionen Dollar. Der weltweit geschaffene Reichtum hat sich in dem gleichen Zeitraum von rund zehn auf 60 Billionen Dollar erhöht. Während die Reichtumsproduktion in der Realwirtschaft um das sechsfache angestiegen ist, sind die Finanzmärkte mit dem Faktor 17 aufgebläht worden.
Die Umverteilung von unten nach oben ist eine entscheidende Ursache für die Aufblähung der Finanzmärkte. Jeder Euro, der in Lohnkämpfen nicht durchgesetzt wurde, stärkt das vagabundierende Kapital auf den Finanzmärkten. Jeder Euro, den wir uns nicht erkämpfen konnten, befördert die Anarchie der relativ verselbständigen Finanzmärkte. Jetzt in der Krise schlagen die Turbulenzen auf die Realwirtschaft zurück. Die Finanzmarktkrise hat bis zu einem bestimmten Punkt ihr anarchisches Eigenleben, aber sie ist letztlich nur möglich geworden weil in der Produktionssphäre die Beschäftigten in immer stärkerem Maße enteignet wurden. Große Teile des von
ihnen erarbeiteten Reichtums ist ihnen vorenthalten worden. Oder anders ausgedrückt: Die Beschäftigten haben sich nicht hinreichend durchsetzen können, bzw. haben die kapitalistische Verfasstheit der Produktionsweise mit all ihren Verwerfungen hingenommen. Insoweit ist die Finanzmarktkrise eine Krise der Produktionsweise.Es gibt eine weitere Quelle für die Geldschwemme. Die Privatisierung der Altersvorsorge, vorwiegend in den angelsächsischen Ländern. Aber auch in Deutschland ist dieser verhängnisvolle Weg eingeleitet worden durch Riester. Allein ein Drittel des weltweit angelegten Vermögens steckt in Pensionsfonds – 30 bis 40 Billionen Dollar. In den USA müssen jetzt zwei Generationen von Rentnerinnen und Rentnern befürchten, dass sich ihre scheinbar sicher geglaubten Rentenansprüche zumindest zum Teil in Luft auflösen. Tüten packen im Supermarkt und Kloputzen zum Hungerlohn mit 70 Jahren, das wird für immer mehr alte Menschen die verbleibende Lebensperspektive. Deshalb muss die Privatisierung der Alterssicherung durch Kapitaldeckung gestoppt und umgekehrt werden. Viel besser ist es das solidarische Umlageverfahren zu stärken und auszubauen.
Fragen, Zweifel und Kommentar (AM):
Fazit: Die Passage bei Michael Schlecht, wonach der allergrößte Teil dieses Geldes zusätzlich in die Finanzmärkte geflossen sei und dies die entscheidende Ursache für eine wahre Geldschwemme gewesen sei, ist nicht sonderlich schlüssig.
Die beiden Autoren mögen mir verzeihen, wenn ich zur Erheiterung der Leserinnen und Leser an dieser Stelle eine sehr viel bessere Erklärung des Kabarettisten Schmickler noch einmal verlinke.
Die Firma Friedrich Grohe zum Beispiel könnte ein solcher Fall sein. Das Unternehmen wurde in den neunziger Jahren – also zwischen 1980 und heute – eine Aktiengesellschaft. Wenn das Unternehmen vorher eine Einzelfirma oder eine Personengesellschaft war, dann fand im Kontext der Umwandlung die beschriebene und als dramatisch betrachtete Vermehrung des Finanzvermögen statt.
Der als exorbitant empfundene Anstieg von 12 Billionen auf 140 Billionen dürfte sich also bei näherer Betrachtung als nicht besonders exorbitant erweisen. Aber das wäre zu prüfen.
Vermutlich gibt es noch sehr viel mehr dazu zu sagen. Ich wollte mit meinen Anmerkungen die Debatte über die hier skizzierte Erklärung der Finanzkrise anstoßen und im übrigen wie immer in den NachDenkSeiten unsere Leser dazu ermuntern, wieder zweifeln zu lernen.
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