Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (JW/AT)
Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:
- CETA
- „Die Leute haben Zukunftsängste“
- Hört die Signale: Prekäre und atypische Beschäftigung sind unerwünscht!
- Bundesregierung trickst bei Kassenbeiträgen
- USA: Krankenversicherungsbeiträge steigen um bis zu 25 Prozent
- “Der Großteil versteht die Sanktionen nicht”
- AWACS: Mit unklarem Mandat tritt die NATO in den Syrienkrieg ein
- Terror in München und anderswo
- Zaster für Cluster
- Interview mit Wilhelm Heitmeyer “Der Erfolg der AfD wundert mich nicht“
- Die nicht gekannte Eskalation rechts erblindeter Augen
- Gute Antideutsche, böse Antideutsche: Eine gänzlich ausgewogene Einführung für Schüler und Lehrer
- Realos für Reiche
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
- CETA
- Belgische CETA-Einigung hat es in sich
Der EU-Kanada-Gipfel, auf dem heute in Brüssel das Abkommen CETA unterzeichnet werden sollte, ist in letzter Minute abgesagt worden. Bis zum Mittag war nicht klar, ob Belgien das Abkommen unterzeichnen kann, da sich die Regionen Wallonien und Brüssel dagegen aussprachen. Nun aber gibt es eine Einigung zwischen den Regionen und der belgischen Bundesregierung. Warum sich CETA-Fans trotzdem nicht zu früh freuen sollten, erklären wir in unserer Analyse der belgischen Einigung: […]
Gestern Nachmittag saßen in Ottawa JournalistInnen im Flugzeug von Premier Trudeau und warteten auf ihren Regierungschef. Doch der kam nicht, weil eine Einigung in Brüssel noch ausstand. Für die EU-Kommission ist es peinlich, dass der EU-Kanada-Gipfel so kurzfristig abgesagt werden musste.
Doch an der Situation ist sie selbst schuld. Anstatt sich positiv zu den Verfahren innerhalb der EU zu bekennen, hat sie Trudeau in Geiselhaft genommen, um Druck auf die Wallonie auszuüben. Jetzt könnte die CETA-Ratifizierung noch sehr lange dauern. Und damit steigen unsere Chancen, das Abkommen noch zu verhindern.
Quelle: Umweltinstitut München e.V.
- Europa steht hinter der Wallonie
Es war ein Fehler, um jeden Preis am EU-Kanada-Gipfel festzuhalten. Es war aber auch ein Fehler, Ceta vorzeitig abzuschreiben. Dies zeigt die späte Einigung der belgischen Regionen. Sie haben einen Kompromiss gefunden, der das Abkommen mit Kanada doch noch möglich macht.
Möglich, mehr aber auch nicht. Ceta bleibt auf der Intensivstation – trotz der belgischen Zustimmung. Denn das „Oui“ ist mit vielen Vorbehalten versehen, die tiefes Misstrauen in das gesamte, angeblich so fortschrittliche Abkommen verraten. So behalten sich Wallonien und die anderen belgischen Regionen vor, aus Ceta auszusteigen, wenn ihnen die Umsetzung nicht passt. Sie vereinbaren, das umstrittene Investitionsgericht von EU-Richtern in Luxemburg prüfen zu lassen. Und sie führen Schutzklauseln für ihre Landwirte ein.
Ob diese Vorbehalte begründet sind, kann man anzweifeln. Schließlich hatte ja schon Deutschland die dicksten Brocken abgeräumt. Auf jeden Fall beweisen sie, dass es der EU-Kommission nicht gelungen ist, die Wallonen vom Nutzen des Abkommens zu überzeugen.
Quelle: Eric Bonse in der taz
- Es geht nicht nur um Ceta
Das Handelsabkommen der EU mit Kanada wird nun, da sich die belgischen Regionen geeinigt haben, doch zustande kommen. Später als geplant, aber immerhin.
War das ganze Schauspiel also das übliche Brüsseler Drama? Man verhandelt bis kurz vorm Abgrund und einigt sich dann doch. Die EU hat sich ja bisher immer noch durch alle Krisen durchverhandelt, auch dieses Mal scheint es gelungen. Ende gut, alles gut?
Das kann man so sehen, aber es wäre eine beschränkte Sichtweise. (…)
Russlands Wladimir Putin jedenfalls sieht die EU nicht als den freundlichen Riesen, der nichts Böses will und allein durch seine immense Soft Power immer neue Mitglieder gewinnt. Die EU ist in seinen Augen Konkurrent und Bedrohung zugleich. Sie macht ihm sein vermeintliches Einflussgebiet streitig und sie propagiert ein politisches Modell, das seiner Autokratie diametral entgegengesetzt ist. (…)
Es ist Marine Le Pens erklärtes Ziel, das – wie sie es nennt – Völkergefängnis EU zu zerstören. In ihren Augen ist die EU eine existenzielle Bedrohung für die französische Nation. Entweder Frankreich oder die EU. Für Le Pen ist es ein Kampf ums Überleben. Sie ist damit nicht allein. In allen Mitgliedsländern der EU gewinnen antieuropäische, nationalistische Parteien an Kraft.
Quelle: Zeit Online
Anmerkung Christian Reimann: Und wieder einmal muss der russische Präsident als Gefahr herhalten: Putin als Bedrohung für die EU? War es nicht Putin, der eine gemeinsame Freihandels- und Sicherheitszone zwischen Russland und der EU – von Lissabon bis Wladiwostok – ins Gespräch gebracht hat? Kann es nicht sein, dass die EU und die Regierungen der Mitgliedsländer selber viele Fehler gemacht haben, die nicht wenige Bürgerinnen und Bürger zumindest beunruhigen? Auf ein Beispiel haben die NachDenkSeiten gestern hingewiesen: Kanada würde auf Investorengerichte verzichten, aber die EU-Kommission nicht.
- „Die Leute haben Zukunftsängste“
Eine private Säule kann uns gar nicht aus diesen Schwierigkeiten heraus helfen, weil sie nicht den Produktionsfaktor Arbeit kreiert. Wir haben ja keinen Kapitalmangel. Ganz im Gegenteil würde ein weiterer Ausbau der Kapitaldeckung wirtschaftlich höchst unliebsame Folgen zeitigen, vor denen wir uns schwer in Acht nehmen müssen. Das können wir heute schon beobachten. Stellen Sie sich mal vor, sie wären ein Manager dieser Fonds, die diese Riesensummen anlegen müssen, die da zusammenkommen. Rein anlagetechnisch geht das nur, in dem sie die Summen an die börsenfinanzierten Unternehmen ausgeben. Sie stecken das in Aktienpakete. Das erleben wir heute. Wir haben eine Hyperinflation an den Börsen, an den Kapitalmärkten, und wir haben gleichzeitig Liquiditätsmangel, Kreditmangel bei den kleinen Mittelständern, vor allen Dingen bei den Handwerkern. Das zweite, was man sich überlegen muss: wenn wir alle sparen und den Gürtel enger schnallen – das bedeutet ja Kapitaldeckung –, dann müssten wir Konsumverzicht üben. Und Konsumverzicht bedeutet, dass der Hub und Schub der Volkswirtschaft – der ja aus Konsum, also Nachfrage, Investition und Staatsverbrauch besteht – dieser Aggregate aus dem Takt gerät. Und das bedeutet, dass wir mehr Arbeitslosigkeit haben.
Quelle: der Freitag
Dazu: “Auf der falschen Spur – Private Vorsorge ist kein Rezept gegen Altersarmut”
Die Bundesregierung rät allen Ernstes zu mehr privater Vorsorge fürs Alter. Dabei spricht inzwischen dermaßen viel dagegen, dass man es für einen Anflug geistiger Umnachtung halten könnte – oder für einen Witz. Unsere Volksvertreter ermahnen dazu, private Rentenversicherungen abzuschließen – obwohl hohe Gebühren die Renditen in den ersten Jahren oft komplett auffressen. Obwohl für die meisten Kunden am Ende eine mickrige bis gar keine Rendite herausspringen wird – bis hin zum Verlustgeschäft. Obwohl die Versicherer von unrealistisch hohen Lebenserwartungen ausgehen, was die Renten noch geringer ausfallen lässt. Und obwohl diejenigen, die eine Absicherung am nötigsten brauchen, oft kein Geld dafür übrig haben. Wahrscheinlich glaubt kein Experte in der Koalition tatsächlich noch, dass mehr Aufträge für die Versicherungsindustrie auch eine bessere Absicherung der künftigen Rentner bedeuten. Sie trauen sich nur nicht, ihre eigene politische Linie zu verlassen. In ihrem “Alterssicherungsbericht 2016” kommt die Regierung zu der bahnbrechenden Erkenntnis, dass vor allem Geringverdiener, die nicht zusätzlich vorsorgen, in der Altersarmut landen werden. So viel ist gesunder Menschenverstand. Wichtiger ist, woran das liegt.
Quelle: Nürnberger Nachrichten
- Hört die Signale: Prekäre und atypische Beschäftigung sind unerwünscht!
Aus den aktuellen Befunden wie auch aus den genannten Bedenken und Kritiken der angehörten Bürgerinnen und Bürger müsste die Bundesregierung eigentlich einen klaren Handlungsauftrag ableiten: Die mutwillig zerstörte Ordnung am Arbeitsmarkt muss wieder hergestellt werden. Die mit der jahrzehntelang betriebenen Deregulierungspolitik bewusst herbeigeführte Spaltung des Arbeitsmarktes, die Etablierung und Aufrechterhaltung eines ausufernden Niedriglohnsektors und die Ausweitung prekärer Beschäftigungsformen, all dem muss, nimmt man die Kritik der Menschen ernst, grundsätzlich ein Ende gesetzt werden. Das, und nur das, wäre eine Arbeitsmarktpolitik, die die Lebensqualität der Bevölkerung zum Maßstab nimmt.
Diesen einfachen logischen Schluss kann und/oder will die Regierung nicht ziehen, dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man die abschließenden Ausführungen des Kapitels zu Arbeit und Teilhabe betrachtet. Aus ihrer Sicht war die Strategie der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes gut und richtig. Nun gehe es noch darum, dabei entstandene „Regulierungslücken“ zu schließen. Das ist kein Strategiewechsel, das ist ein „Weiter so“, von dem die prekär Beschäftigten längst die Nase voll haben.
Quelle: annotazioni
- Bundesregierung trickst bei Kassenbeiträgen
Wider Erwarten wird der durchschnittliche Kassenbeitrag für die Versicherten im kommenden Jahr nicht steigen. So jedenfalls die jüngste Prognose des so genannten „Schätzerkreises“ der Bundesregierung. Der Grund dafür: Die Bundesregierung zapft die „eiserne“ Reserve des Gesundheitsfonds an. Offensichtlich ein taktisches Manöver. Was im Wahljahr dem Bundesgesundheitsminister Kritik ersparen soll, kommt allerdings die Versicherten in den Folgejahren teuer zu stehen. Denn der Trend zu steigenden Zusatzbeiträgen bleibt ungebrochen. Deshalb fordert die IG Metall die Rückkehr zur Parität und sieht sich durch eine aktuelle Umfrage bestätigt.
Quelle: IGM Sozialpolitik [PDF]
- USA: Krankenversicherungsbeiträge steigen um bis zu 25 Prozent
Ein Kompromiss ist nicht immer die optimale Lösung – vor allem dann nicht, wenn bei den Verhandlungen eine der Voraussetzungen für sein Funktionieren weg fällt. Das scheint bei der Obamacare-Krankenversicherung der Fall gewesen zu sein, bei der die Beiträge jetzt um bis zu 25 Prozent steigen sollen. Das dürfte zahlreiche Amerikaner mit anderen finanziellen Verpflichtungen dazu bringen, trotz einer Versicherungspflicht auf die Krankenversicherung zu verzichten, die sie sich dann (subjektiv oder objektiv gesehen) nicht mehr leisten können. Die Strafen, die bei Verstößen gegen die Versicherungspflicht drohen, sind nämlich häufig deutlich niedriger als die Prämien, die Versicherte zahlen müssten. (…)
Darunter dürften vor allem jüngere Menschen sein, die oft noch nicht sehr viel verdienen, aber gesünder sind als ältere. Sie haben oft das Gefühl, dass sie billiger wegkommen, wenn sie für ihre (durchschnittlich noch relativ seltenen) Arztbesuche und Medikamente selber aufkommen – und bei Unfällen und lebensbedrohenden Situationen müssen amerikanische Krankenhäuser auch dann eine Notfallversorgung gewähren, wenn jemand nicht versichert ist. Ältere Menschen und solche mit chronischen Krankheiten bleiben dagegen in ihren Versicherungen – für die sie immer höhere Prämien zahlen müssen, weil der Durchschnitt der Versicherten durch diese Negativauslese immer kränker wird.
Die Ursache dafür, dass sich Obamacare auf diese Weise immer dysfunktionaler und unbeliebter macht, liegt daran, dass im Kongress ein Kompromiss ausgehandelt wurde, der die Aufgabe einer allgemeinen Single-Payer-Krankenversicherung privaten Unternehmen übertragen wollte, deren Interesse es ist, Profite für ihre Anteilseigner zu erwirtschaften (vgl. Obamas ungesunder Handel). Die Aufgabe und das Interesse können sich manchmal decken, wenn die Voraussetzungen stimmen. Dass das bei Obamacare eher nicht der Fall ist, zeigt alleine die Tatsache, dass sich gerade drei große Anbieter aus dem System verabschiedet haben, weil ihre Versicherungsmathematiker einen zu erwartenden Verlust in Höhe von zusammengerechnet zwei Milliarden Dollar errechneten.
Quelle: Telepolis
- “Der Großteil versteht die Sanktionen nicht”
Russland-Sanktionen Der ehemalige deutsche Staatssekretär Willy Wimmer war gestern Stargast beim Fernsehkanal Rossija 24.
Nein, an etwas Ähnliches kann ich mich nicht erinnern. Fast eine halbe Stunde lang wurde Willy Wimmer gestern Abend live im Moskauer Studio des Fernsehkanals Rossija 24 interviewt (ab Minute 21:40). Solch lange Interviews mit Politikern zur besten Sendezeit sind höchst ungewöhnlich, insbesondere bei Ausländern.
Hier ein paar Stichpunkte zur Sendung: Wimmer wurde als ehemaliger stellvertretender Vorsitzender der OSZE (1994 bis 2000) und ehemaliger Bundestagsabgeordneter vorgestellt. In Deutschland gäbe es eine “sehr starke Stimmung gegen jede Art von Sanktionen” gegen Russland, erklärte der Gast. Das Volk verstehe nicht, wozu die Sanktionen dienen, “zur Kriegsvorbereitung oder um bestimmten Staaten wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen”.
Der Gast nahm Merkel in Schutz, als er sagte, wenn die Kanzlerin nicht in Minsk mit einer anderen Meinung (als der amerikanischen) aufgetreten wäre, dann “hätten wir jetzt vielleicht schon einen großen Krieg”.
Quelle: der Freitag
- AWACS: Mit unklarem Mandat tritt die NATO in den Syrienkrieg ein
Die NATO steigt tiefer in den syrischen Bürgerkrieg ein. Nach Medienberichten begann die NATO bereits am 20.Oktober (erneut) mit Aufklärungsflügen durch die bündniseigenen AWACS-Flugzeuge, die auch als fliegende Leitstellen für den Luftkampf verwendet werden können. Hierfür wurde eines dieser Aufklärungsflugzeuge, dessen Besatzung normalerweise einen Bundeswehr-Anteil hat, zuvor vom deutschen Stützpunkt Geilenkirchen in die Türkei verlegt. Die Flugzeuge sollen zunächst nur in türkischem und internationalem Luftraum operieren und „den Luftraum über Syrien und dem Irak überwachen. Eine direkte Beteiligung an der Steuerung von Angriffen ist dagegen vorerst ausgeschlossen worden“, wie Welt.de und zahlreiche andere deutsche Medien berichten. Tatsächlich traf NATO-Generalsekretär Stoltenberg auf Nachfrage eine entsprechende Aussage: „I can say that the AWACS planes will not be part of combat operations but they will provide information, surveillance and air picture for the coalition forces which is important for them and which increases air safety for the coalition forces.“
Angesichts dessen ist befremdlich, dass sich die Bundeswehr bislang noch gar nicht an dem Einsatz beteiligt und die Bundesregierung den Bundestag in der zweiten Novemberhälfte über die deutsche Beteiligung abstimmen lassen will. Wenn eine Einbeziehung in bewaffnete Einsätze nicht vorgesehen war, hielt die Bundesregierung in der Verangenheit eine Beteiligung des Bundestags nicht für nötig. Im mittlerweile vorliegenden Antrag der Bundesregierung ist eine Beteiligung an der Zielfindung für Luftangriffe der Anti-IS-Koalition auch keineswegs ausgeschlossen. Hier heißt es zum Zweck der AWACS-Einsätze: „Ziel ist, mittels der Aufklärungsflüge und Weitergabe der dabei gewonnen Daten in Echtzeit an die internationale Anti-IS-Koalition zur Verdichtung des Lagebilds beizutragen“.
Quelle: Informationsstelle Militarisierung e.V.
- Terror in München und anderswo
„Terror“ ist derzeit in aller Munde, auf allen Kanälen, zwischen allen Blättern – aber wovon ist die Rede? Ein Blick in die jüngere Geschichte ist ebenso aufschlussreich wie eine kritische Sicht aktueller Meldungen (s.u.) – historisch steht „Terror“ für die Schreckensherrschaft, wahlweise für die Herrschaft des Schreckens. Terrorisiert werden die politischen Gegner des Staates und/oder die Zivilbevölkerung zum Zwecke der Einschüchterung und Verunsicherung. Erst in der 1970er Jahren kommt es zur terminologischen Umkehr: Seitdem ist es der Staat selbst, der die Definitionsmacht darüber ausübt, was als „terroristisch“ gilt und was nicht. Das wirkt nach …
Am 26. September 2016 jährte sich zum 36. Mal der Terroranschlag auf das Münchener Oktoberfest. Terroranschlag? Wie soll man es sonst nennen, wenn abends am Haupteingang des Oktoberfests eine Rohrbombe zur Explosion gebracht wird, die wahllos 13 Menschen tötet und 211 verletzt, davon 68 schwer. Das ist Terror, sowohl in der Zielrichtung (wahllos möglichst viele völlig unbeteiligte Opfer treffen) als auch in den Auswirkungen. Der Anschlag gilt heute eigentlich als mit Abstand schwerster Terrorakt der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte, und doch wurde er beizeiten als Werk des Einzeltäters Gundolf Köhler (der dabei selbst ums Leben kam: ein Selbstmordattentäter?) abgehakt, der private Probleme gehabt habe. Dass er auch Kontakte zu rechtsextremistischen Kreisen – insbesondere zu der ehemaligen Wehrsportgruppe Hoffmann – hatte, wurde bereits zwei Jahre später zu den Akten gelegt. Terror von rechts war nicht angesagt, noch war die RAF Staatsfeind Nr. 1.
Quelle: Komitee für Grundrechte und Demokratie
- Zaster für Cluster
Die 2005 ins Leben gerufene Exzellenzinitiative zur gezielten Förderung einzelner Hochschulen spielt die Universitäten gegeneinander aus und führt in der Breite zu einer Verschlechterung der Lehre
Die Exzellenzinitiative zur Förderung des Wettbewerbs zwischen den Universitäten und Hochschulen ist nach den letzten Beschlüssen der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern endgültig als dauerhafte Einrichtung etabliert. Umso wichtiger ist es, ihre bisherigen Auswirkungen nüchtern zu analysieren. Dabei kann man anders als früher sogar auf eine offizielle Bestandsaufnahme zurückgreifen, den Bericht der sogenannten Imboden-Kommission, benannt nach ihrem Leiter, dem Schweizer Umweltphysiker und Wissenschaftsmanager Dieter M. Imboden. Sie war im September 2014 von der Politik mit einer Bewertung der ersten drei Runden der Initiative beauftragt worden. Da ihre Mitglieder fast durchweg erklärte Anhänger der Exzellenzinitiative waren, wiegt es umso schwerer, wie kritisch der im Januar diesen Jahres publizierte Bericht ausgefallen ist.
Quelle: junge Welt
Anmerkung Christian Reimann: Die NachDenkSeiten haben diese “Exzellenzinitiative” stets kritisch begleitet – dazu zwei Beispiele:
- Elite bleibt Elite
- Michael Hartmann: Die Exzellenzinitiative – ein Paradigmenwechsel in der deutschen Hochschulpolitik
- Interview mit Wilhelm Heitmeyer “Der Erfolg der AfD wundert mich nicht“
Als Wissenschaftler wundert man sich nicht über die Erfolge wie die der AfD. Man wundert sich darüber, weshalb sich bei den politischen und medialen Eliten so viele plötzlich wundern. Man konnte es schon lange wissen. Aber man wollte es nicht wissen. Es gab und gibt einen weit verbreiteten politischen Autismus. Die prekäre Zivilität wollte man nicht wahrnehmen. Und auch für intelligente Wochenblätter war das „Bielefelder Alarmismus“.
Kommen bei Ihnen da nicht Zweifel an Ihrer Arbeit auf?
Man wird mürbe. Ich hatte 1987 meine erste Untersuchung zu rechtsextremistischen Orientierungen bei Jugendlichen vorgelegt. Damals sagte man mir: „Hör auf damit. Unsere Jugend hat ihre historische Lektion gelernt.“ 1997 machte ich die erste Untersuchung zu islamistischen Einstellungen bei türkischen Jugendlichen. Mit z. T. unerfreulichen Ergebnissen. Damals attackierten mich massiv Migrationsforscher und Islamverbände, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Es war eine empirische Untersuchung. Ihre Kernaussage war der Hinweis auf die negativen Folgen von Desintegration und fehlenden Anerkennungen. Mitte der 80er-Jahre untersuchten wir die nationalistischen und gewaltorientierten Einstellungen bei Fußballfans. Zahlreiche Bundesligavereine beschimpften uns massiv. Natürlich kommen Zweifel an der eigenen Arbeit auf angesichts dieses gesellschaftlichen Selbstbetruges. Und es ist kein Trost, dass er in fast allen Bereichen stattfindet. […]
Wir haben auch auf das Phänomen einer „rohen Bürgerlichkeit“ hingewiesen, weil wir feststellten, dass sich hinter der glatten Fassade wohlgesetzter Worte oft ein Jargon der Verachtung verbirgt. In neuerer Zeit zeigt sich auch die Tendenz, Menschengruppen nach Kriterien der Effizienz, Verwertbarkeit und Nützlichkeit zu bewerten. Das sind Gesichtspunkte, die in der kapitalistischen Wirtschaft funktional sind. Das Fatale ist, dass sich diese Maxime in die sozialen Lebenswelten hineingefressen haben. Es ist eine der verhängnisvollsten Entwicklungen der letzten Jahren. Der Kapitalismus ist übergriffig geworden.
Quelle: Berliner Zeitung
- Die nicht gekannte Eskalation rechts erblindeter Augen
Ein Rechter schießt in Bayern Polizisten nieder und der Innenminister spricht von einer »nicht gekannten Eskalation« – trotz der fünf NSU-Morde im Freistaat
Wenn man den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU) so hört, glaubt man einen überraschten, ja überrumpelten Menschen vor sich zu haben. Jemanden, der nicht damit gerechnet hat, dass es solche Aktionen wie jene aus der letzten Woche, als ein Reichsbürger mehrere Beamte niedergestreckt hatte, normalerweise nicht geben könne. Sein Statement hört sich an, als kämen da die Konsequenzen von etwas bislang völlig Undenkbarem über den Freistaat. Rechte Gewalt, rechter Terror: Eine »in Bayern nicht gekannte Eskalation«. Wenn man sich zwei Finger vor das rechte Auge hält, dann sieht man offenbar nur auf Werbeplakaten mit dem zweiten besser. In der Wirklichkeit hat man seine halbe Sehkraft verloren und muss damit leben, dass man auf dem rechten Auge faktisch blind ist. Herrmanns kurzes Überraschtsein belegt nur wieder mal den alten Vorwurf, dass deutsche Konservative bestimmte Tendenzen mit Vorliebe verdrängen.
Quelle: Heppenheimer Hiob
- Gute Antideutsche, böse Antideutsche: Eine gänzlich ausgewogene Einführung für Schüler und Lehrer
Die Bundeszentrale für politische Bildung ist eine Behörde des Innenministeriums. Sie soll unter anderem Schüler und Lehrer staatstragend politisch bilden. Es gibt viele gute Texte auf ihrer Website. Manche davon durfte ich selber schreiben. Rudolf von Hüllen klärt über Antideutsche Strömungen im deutschen Linksextremismus auf. Der ehemalige Leiter des Referats Linksextremismus im Bundesamt für Verfassungsschutz definiert zwei Wurzeln der Bewegung. Die erste ist ein starkes Anti-Nazi-Sentiment. (…) Aus der zweiten geistigen Heimat der Antideutschen ist dagegen nach Ansicht van Hüllens überwiegend Gutes gesprossen. Das ist die Zuneigung zu Israel. (…) Auch wenn das Bundesverfassungsgericht die Bundeszentrale 2010 zur „Ausgewogenheit und rechtsstaatlichen Distanz“ ermahnt hat, ist der Beitrag van Hüllens nicht zu beanstanden. Zugegeben: entgegen einem oben schon genannten anderen Verdikt des Bundesverfassungsgerichts stuft er pauschal eine große Partei, ihre Politiker und ihre Medien als verfassungswidrig und linksextrem ein. Aber darum geht es ja in dem Beitrag nicht hauptsächlich. Was das Hauptthema angeht, so macht van Hüllen über weite Strecken seines Aufsatzes ausgewogen deutlich, dass der Baum „Antideutsche“ zwei unterschiedlich zu bewertende Wurzeln hat, dass neben süßen antilinken Früchten auch manch Ungenießbares, Antideutschnationales darauf wächst. Erst ganz zum Schluss lässt er ganz zart durchscheinen, dass diese Bewegung, alles in allem, das Beste ist, was aus Sicht eines extremistischen, linkenhassenden Verfassungsschützers seit dem Radikalenerlass passiert ist.
Quelle: Norbert Häring
- Realos für Reiche
Baden-Württembergs Realos verstehen sich als Vordenker der grünen Bewegung. Jetzt behaupten ausgerechnet sie, eine sinnvolle Ausgestaltung der Vermögenssteuer sei nicht machbar. Das kann nur einen einzigen Grund haben: Sie wollen gar nicht ran ans Geld der Superreichen. Tagelang ist hinter den Kulissen gezogen und geschoben worden. Grüne Schwergewichte aus der Republik oder aus dem Europaparlament haben sich für einen Kompromiss beim heiklen Gerechtigkeitsthema stark gemacht – aus Sorge, eine Vermögenssteuer werde ihnen wieder als eine Art Klassenkampf ausgelegt und bei der Bundestagswahl heimgezahlt, wie 2013. Damals war die Partei nach einem giftigen und unlauteren, weil mit falschen Fakten geführten Steuerwahlkampf hart bei 8,4 Prozent aufgeschlagen. Diesmal sollte alles besser werden. Stattdessen stehen der Bundesvorstand, die Bundestagsfraktion und all jene, die den offenen Streit auf der Bundesdelegiertenkonferenz Mitte November in Münster vermeiden wollten, vor einem Scherbenhaufen.
Quelle: Kontext: Wochenzeitung