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Titel: BRICS-Gipfel mit einem halben B

Datum: 26. Oktober 2016 um 16:53 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Finanzen und Währung, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Block ergreift neue Entwicklungs-Initiativen. Brasilien hat sich isoliert.
Von Frederico Füllgraf.

Mitte Oktober tagte im indischen Goa der 8. Gipfel der BRICS-Staaten. Das Akronym bezeichnet das 2009 gegründete Strategie-, Wirtschafts- und finanzpolitische Bündnis zwischen Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika.

Der weltumspannende Handels-und-Finanzblock ist Heimat von nahezu 50 Prozent der Weltbevölkerung, erzeugt 25 Prozent des globalen Bruttoinlandsproduktes (BIP) und sorgt für 17 Prozent der Welthandelsströme. Zwei seiner Gründungsmitglieder – Russland und Brasilien – zählen zu den größten Flächenausdehnungen und den zehn bedeutendsten Erdölförderern der Welt, zudem droht China, die USA als mächtigste Wirtschaftskraft des Globus abzuhängen.

Vorstoß gegen die “neue Weltordnung” der USA

Wenig bekannt ist die Gründung des BRICS-Bündnisses als Reaktion auf unterschiedliche, weltweite Entwicklungen.

Zum einen, wehrte sich Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gegen die neoliberale Schocktherapie und den Ausverkauf seiner Vermögenswerte. Zum anderen, rückte China in den ersten Jahren des neuen Milleniums zum wichtigsten Handelspartner der USA und Hauptinvestor in Lateinamerika und Afrika auf. In Parallelhandlung beanspruchte die Mitte-Links-Regierung Brasiliens, unter Luis Inácio Lula da Silva, eine unabhängige Außenpolitik von den USA und agierte als neuer Global Player. Schließlich, als klassischer Vertreter der blockfreien Staaten der 1970er Jahre, stieß Indien zur Runde.

Jedoch, aus russisch-chinesischer Sicht, hatte das Zusammenspiel auch entscheidende geopolitische Motive.

Hintergrund bildete die Ende der 1990er Jahre von Jimmy Carters ehemaligem Berater für die nationale Sicherheit, Zbigniew Brzezinski, der US-Führung empfohlene Strategie der Vorherrschaft Amerikas. Das imperiale Planspiel war eine Reaktion auf den Zerfall der Sowjetunion und des seit Ende des Zweiten Weltkriegs bestehenden bipolaren Weltsystems. Mit dem Aufstieg zur selbsternannten, “ersten, einzig wirklichen und letzten (sic!) Weltmacht”, spekulierte Brzezinski mit der Errichtung einer “neuen Weltordnung” unter dem US-Diktat.

In seinem 1997 erschienenen Buch “The Grand Chessboard: American Primacy and its Geostrategic Imperatives” (Deutsch: “Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft”) erhob der Carter-Berater den Mega-Kontinent Eurasien zum zentralen Schauplatz künftiger ökonomischer, geopolitischer und militärischer Dispute; der größte Wirtschaftsraum der Welt, den die USA unter keinen Umständen Russland und China überlassen, sondern als ihr vorrangiges Einflußgebiet bestimmen und notfalls mit Militärgewalt besetzen sollten.

Zwar revidierte Brzezinski inzwischen seine Thesen mit einer neuen Kooperationsstrategie, doch längst hatten die USA mit ihrem Wortbruch gegenüber Mikhail Gorbatschow die Osterweiterung der NATO, der Anzettelung von Stellvertreter-Kriegen – z.B. der Kaukasus-Konflikt mit Georgien im Jahr 2008 – und mit dem späteren Putsch in der Ukraine die “Einkesselung” Russlands vorangetrieben.

Die Welt aus der Sicht der BRICS

Ironischerweise, verdankt der heutige Block sein Akronym dem Goldman-Sachs-Manager Jim O´Neill, dessen Studie “Building Better Global Economic BRICs” ihm bereits 2001 Weltrang zusprach.

Nach einem ersten, informellen Treffen am Rande der Vollversammlung der Vereinten Nationen, im Jahr 2006, wurde das Bündnis im Sommer 2009 im russischen Yekaterinenburg gegründet. Südafrika wurde erst ein Jahr später aufgenommen und das Akronym BRIC um ein “S” erweitert.

Die beiden ersten BRICS-Gipfel standen unter der Schockwirkung des westlichen Bankencrashs von 2008. Sie erarbeiteten Vorschläge für die Reform des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank, und beschlossen weitreichende Kooperationsformen zur gemeinsamen Abwendung der Crash-Folgen, durch Erhöhung gegenseitiger Importe, sowie Investitionen zur Expansion ihrer Binnenmärkte und Stabilisierung ihrer unterschiedlichen Währungen.

Der Wiederaufstieg Russlands zur militärischen Weltmacht, der Vormarsch Chinas auf dem Weltmarkt und die wachsende Autonomie der brasilianischen Außenpolitik – zum Beispiel als Unterhändler mit der Türkei im internationalen Disput um das iranische Atomprogramm – konvergierten bald in der gemeinsamen Forderung nach einer multipolaren Weltordnung anstelle der US-Dominanz in Wirtschaft, Finanzen und Militärwesen.

Die BRICS-Bank, China und der Dollar

Folgerichtig, empfahlen die BRICS-Staaten im März 2013, auf ihrem 5. Gipfel im südafrikanischen Durban, die Gründung einer eigenen Entwicklungsbank. Der Grundstein wurde ein Jahr später, auf dem 6. Gipfel im brasilianischen Fortaleza gelegt. Mit einem Startkapital von 50 Milliarden US-Dollar, das bis 2021 auf das Doppelte aufgestockt werden soll – 40 Prozent davon als chinesischer Anteil -, einem Währungsreservefonds (Contingency Reserve Arrangement-CRA) mit zusätzlichen 100 Milliarden US-Dollar und Hauptsitz in Shanghai, dient die New Development Bank (NDB), auch BRICS-Bank genannt, der Finanzierung von Infrastruktur und Entwicklungsprojekten nicht nur in den Bündnisstaaten, sondern, in armen Entwicklungsländern schlechthin, doch zu günstigeren Konditionen als die Weltbank.

Widersprochen werden muss jedoch der in verschiedenen Medien aufgestellten Behauptung, die NDB und der CRA stellten eine Herausforderung, gar eine Bedrohung der Dollar-Hegemonie dar, die mittelfristig durch eine neue globale Leitwährung ersetzt würde. Gegen diese Spekulation spricht die bisherige, komplette Dollarisierung der BRICS-Bank und ihres Reservefonds, sowie der bislang allein auf den russisch-chinesischen Handel begrenzte Zahlungsverkehr mit Eigenwährungen.

Allerdings ist als Parallelhandlung zur Finanzarchitektur der BRICS nicht die Rolle der chinesischen Asia Infrastructure Investment  Bank (AIIB) zu übersehen, die anderen Medienberichten zufolge, mit der Anziehung und Umleitung der globalen Finanzströme nach Peking und Shanghai, die Führungsrolle Wallstreets und der Londoner City bedrohen wird.

Gedämpfte Erwartungen

Zwar überschattet vom weltweiten und langandauernden Rohstoff-Preisverfall, dem Krieg in Syrien, dem Terrorismus und den Wirtschaftssanktionen gegen Russland, gelang dem 8. BRICS-Gipfel in Goa dennoch die Verabschiedung bedeutender Initiativen, wie die langfristige Sicherung der Lebensmittelproduktion mit der Schaffung eines internationalen Zentrums zur Erforschung der Landwirtschaft, den logistischen Ausbau des Eisenbahn-Transports in den BRICS-Ländern und die Errichtung der vom US-Finanzmarkt unabhängigen, eigenen Rating-Agentur. Gegenstände multi- und bilateraler Vereinbarungen waren unter anderem bilaterale Rüstungsgeschäfte und der Beschluss, die sibirische Kliuchévskoye-Goldmine am Baikal-See – mit einem geschätzten Jahresertrag von 2,0 Millionen Tonnen Mineralien und einem 400 bis 500 Millionen Dollar schweren Investitionsbedarf – gemeinsam auszubeuten. Bestärkt wurde zudem die bereits 2015 beschlossene Kooperation mit fremden Foren von Schwellen- und Entwicklungsstaaten wie der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, der Eurasischen Wirtschaftsunion, sowie der afrikanischen Staaten.

Trotz eines 2-prozentigen Einbruchs seines BIP ist der Faktor China auch im BRICS-Bündnis nicht zu übersehen. Das von China angeführte Wirtschaftswachstum der Länder-Gruppe soll nach Schätzungen der Weltbank 2016 die 4,6 Prozent-, und 2017 die 5,3 Prozent-Marke erreichen.

Die Prognose wird selbstverständlich von China begünstigt, dessen Exporte 2015 allein in die USA die schwindelerregende Stumme von 482 Milliarden Dollar einbrachten, und steht in hartem Kontrast zum Einbruch der Handelsbilanz sämtlicher commodity-Exporteure, allen voran des Erdöl und Gas ausführenden Russlands und des von Rezession und hoher Verschuldung gebeutelten Brasilien.

“BRICS, was war das?”: die Propaganda der Deutschen Welle

Hingegen, für Astrid Prange, Kommentatorin der Deutschen Welle – die seit 2014 dafür bekannt ist, “das Ende” der Mitte-Links-Regierungen Lateinamerikas herbeizubeten – ist die unterschiedliche Kapital- und Ressourcenausstattung der Bündnisstaaten Grund, um mit dümmlichem Humor zu feiern, “die BRICS-Familie ist tot, es leben die BRICS-Staaten!”.

Das offizielle Berlin maßt sich solche Töne nicht an, dafür darf sich im medialen Propaganda-Krieg der Staatssender Deutsche Welle ungetadelt als Totengräber betätigen.

Bei ihrem Gipfeltreffen in Goa, so die Propagandistin, “sollten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika das Märchen vom gemeinsamen Aufstieg beenden” (DW | Wirtschaft on Twitter: “#BRICS – war da was?”).

Stein den Anstoßes für Prange ist das im Vergleich zum beachtlichen US-chinesischen Handel, bescheidene Handelsvolumen zwischen allen BRICS-Staaten, das sich im vergangenen Jahr auf 244 Milliarden Dollar beschränkte.

Die Kommentatorin im Staatssender bemühte sich um keinerlei Recherche und solide Erkenntnisse.

Zum Beispiel, dass den BRICS, wegen dem von der illegitimen Temer-Regierung wieder eingeschlagenen pro-amerikanischen Kurs Brasiliens, bald das B aus der Reihe springen und verheerenden Schaden zufügen könnte. Das Brasilien post-Rousseff will sich auf Geschäfte beschränken und hat mit der geopolitischen Strategie des Bündnisses wenig am Hut.

Ein Gruppenfoto des Goa-Gipfels und ein ironischer Satz des indischen Premiers, Narendra Modi, sprachen Bände: alle gaben sich die Hand, nur Wladimir Putin ließ Michel Temers fünf Finger in der Luft schweben und verweigerte Rousseffs illegitimen Nachfolger jede bilaterale Verhandlung. Modi zitierte obendrein eine russische Volksweisheit: “nichts ist besser als ein alter, statt zwei neuer Freunde”.

Aus guten Gründen war Temer die persona non grata in Goa. Denn, als schlimmstes Szenario ist denkbar, dass Brasilien zwar die BRICS nicht verlassen, so doch unter dem Druck der USA das Bündnis unterminieren und seine politischen Resolutionen hintertreiben könnte.

Seit dem parlamentarischen Putsch gegen Präsidentin Dilma Rousseff, betreibt ihr Nachfolger im Bündnis mit Argentinien die Aushöhlung des Gemeinsamen Marktes Südamerikas (MercoSur) durch die Aufnahme bilateraler Verhandlungen mit der EU, der Pazifischen Handelsallianz und der Absicht, dem von den USA gesteuerten Freihandelsabkommen, genannt Transpazifische Partnerschaft (TPP), beizutreten – Assoziierungsabkommen, die sich allesamt nicht mit der BRICS-Mitgliedschaft vertragen und in Goa Misstrauen erregten.


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