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Titel: „Ich glaube, dass deshalb keine offene Debatte mehr zustande kommt, weil viele sich schon privat nicht mehr trauen, ihre Meinung zu äußern.“
Datum: 21. Oktober 2016 um 9:14 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Albrecht Müller
Das schreibt ein Psychologe und Psychoanalytiker in einer Mail zum Artikel Was den “freien” Westen zusammenhält: Ein strammes Feindbild und Scheinheiligkeit. Und als Schlagobers eine ordentliche Portion Propaganda. – Uns erreichen glücklicherweise immer wieder interessante und weiterführende Reaktionen auf unsere Beiträge. Zwei Mails auf den Artikel von vorgestern geben wir komplett wieder. Albrecht Müller.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Liebes Nachdenkseiten-Team,
eine Wahrnehmung, die alle drei o. g. Schlagworte (Feindbild. Scheinheiligkeit. Propaganda) bestens bedient, besteht im Ergebnis des Vergleichs der Angriffe auf Ost-Aleppo und der jetzt laufenden Mossul-Offensive. Hier kriegsverbrecherische russische Bomben, da heilbringende amerikanische Koalitionssprengkörper und jubelnde befreite Christen. Während man über einen vermutlich weitgehend entvölkerten Stadtteil Krokodilstränen vergießt, hat man kein Problem, die Bombardierung einer 1,5 Mio. Stadt zu bejubeln.Es ist zum verzweifeln, besonders, wenn ich mich als Psychologe und Psychoanalytiker in meinem Umfeld umhöre. Das Äußern abweichender Gedanken kann selbst im Freundeskreis mittlerweile zu Rückzug und Kontaktabbruch führen. Unsere Freiheit wird hauptsächlich im Kopf beschränkt, was sehr wirkungsvoll scheint.
Ich glaube, dass deshalb keine offene Debatte mehr zustande kommt, weil viele sich schon privat nicht mehr trauen, ihre Meinung zu äußern. Das führt dazu, dass aber vermutlich auch für die Profis die öffentliche Meinung nicht mehr einschätzbar sein dürfte. So verstrickt sich Propaganda zunehmend in sich selbst, mit dem Risiko die aufgebaute Scheinrealität für voll zu nehmen und auf diese konstruierte (Kriegs-)wirklichkeit zu reagieren. tiefenpsychologisch würde man das als Projektion bezeichnen.
Mit dem Rückzug aus der freien öffentlichen Meinungsäußerung sind wir wohl schon mitten im neuen Biedermeier angekommen. Ob Krieg die Folge daraus sein wird?
Mit besten Grüßen,
J. H.
Sehr geehrter Herr Müller,
wenn Sie über das “stramme Feindbild und (die) Scheinheiligkeit”, die das Weltbild des Westens zusammenhält, schreiben und zur Erklärung vom “Rückgriff auf alte Vorurteile gegen die Slawen” und davon sprechen, dass das, “was uns früher der Jude war, ist uns heute der Russe. Noch nicht ganz so schlimm. Aber ebenfalls mit rassistischen Untertönen und Grundmustern”, dann ist diese Beobachtung m.E. richtig. Allerdings müßte man die wieder belebten “Vorurteile gegen die Slawen” noch etwas genauer benennen. Ich will insofern nur auf drei Aspekte hinweisen: Zunächst zu Beginn des 20. Jhh. die von konservativer Seite geschürte Furcht vor den Russen, als den bolschewistischen Revolutionären. Unter den Nazis mutieren diese dann bruchlos zu den russischen Untermenschen (eine Bezeichnung, die ausschließlich für die Völker der Sowjetunion, nicht jedoch die slawischen Völker, verwendet wurde). Diese Frontstellung setzte Adenauer dann nach 1945 bruchlos mit seinem Gerede von “den Sovjiets” bruchlos fort.
Noch eine Anmerkung: Die Erfindung des Untermenschen geht auf den amerikanischen Anthropologen, Rassetheoretiker und Eugeniker Lothrop Stoddard zurück (s. “Untermensch“).
MfG
G.S.
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