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Titel: Brutale Heimsuchung – die Pensionsfonds der 500 größten börsennotierten amerikanischen Unternehmen
Datum: 28. Oktober 2008 um 11:55 Uhr
Rubrik: Finanzkrise, Rente
Verantwortlich: Albrecht Müller
Gerhard Kilper hat freundlicherweise für die NachDenkSeiten die wesentlichen Inhalte eines Artikels von Marie-Béatrice Baudet und Adrien de Tricornot in der Ökonomie-Beilage der Pariser Tageszeitung Le Monde vom 21.10.2008, Seite II (Originaltitel „Une mise à l’épreuve brutale – les fonds de pension des 500 premières entreprises américaines cotées ont perdu 205 milliards de dollars) zusammengefasst: Albrecht Müller.
Eine brutale Heimsuchung – die Pensionsfonds der 500 größten börsennotierten amerikanischen Unternehmen verloren innerhalb eines Jahres 205 Milliarden $
Der Zusammenbruch der Finanzmärkte bedroht nicht nur reale Wirtschaft, Kreditversorgung und Beschäftigung oder in Börsenpapieren angelegtes Sparkapital. In Ländern mit vorherrschend kapitalgedeckten Renten, wie den USA oder Großbritannien, gefährdet die Krise zunehmend auch das Rentenniveau insgesamt.
Nach Peter R. Orszag, dem Direktor des Congress Budget Office, belastete die Krise schon von Juni 2007 bis Juli 2008 die Aktiva der privaten und öffentlichen Rentenfonds mit ca. 1000 Milliarden $ und mit dem aktuellen Börsenkrach könne sich diese Summe leicht verdoppeln.
Der Wertverlust betreffe aber nicht nur die Pensionsfonds, sondern praktisch alle Finanzanlagen inklusive Obligationen und Anleihen, Warentermingeschäfte, Immobilien und Spekulationsfonds von Industrie- und Schwellenländern. Zudem hätten Bankrotte und Quasibankrotte von Spekulationsfonds tiefe Spuren bei den Anlegern hinterlassen. Durch Platzen der Immmobilienblase erreiche der aktuelle Immobilienindex an der Tokyoer Börse nur noch ein Viertel seines Wertes der ersten 1990-er Jahre
Nach Anne Lavigne, Wirtschaftsprofessorin an der Universität von Orléans, sind die Rentenfonds auch kurzfristig deswegen schwer von der aktuellen Krise getroffen, weil sie sich zur Erfüllung bestehender und täglich neu anfallender Rentenansprüche permanent Liquidität beschaffen müssen. Durch Kursverfall in Verbindung mit nach Tageswert vorgeschriebenen Neubilanzierungen in jedem Trimester büßten die Rentenfonds permanent an Wert ein.
In Ländern mit kapitalgedeckter Rente hätten die Arbeitnehmer grundsätzlich die Wahl zwischen Sparverträgen mit allgemeinen Renten- und sonstigen Sparfonds oder Beitragszahlungen an Betriebsrentenversicherungen ihrer Unternehmen. Bei letzteren richteten sich die vorausberechenbaren Rentenzahlungen nach den eingezahlten Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen je Versichertem. Betriebsrentenversicherungen mit festgelegtem Leistungsniveau böten für die Arbeitnehmer immer noch die größte Sicherheit. Allerdings müssen nach Agnès Bénassy-Quère, Direktorin des Prognose-Instituts Cepi, auch die hier Versicherten durch die Krise mit steigenden Beiträgen und geringeren Leistungen rechnen. Sie meint, Rentner und Sparer werden die großen Verlierer der aktuellen Krise sein. Amerikanische Betriebsrenten seien zwar prinzipiell sicherer als Renten aus Versicherungsfonds, doch hätten die Betriebsrentenfonds zu wenig Reserven zurückgelegt (zurzeit haben 85% der bestehenden Betriebsrentenfonds nur eine Leistungsabdeckung von durchschnittlich 86%)
Nach Goldman & Sachs bringen es die 500 größten börsennotierten US-amerikanischen Unternehmen gegenwärtig auf einen Leistungs-Abdeckungsgrad von durchschnittlich 91% gegenüber noch 108% im Jahr 2007. Sie hätten demnach aktuell ein Defizit von 115 Milliarden $ und verloren innerhalb eines Jahres Werte in Höhe von 205 Milliarden Dollar (ebenfalls nach Goldman Sachs verloren die Pensionsfonds in Europa 82 Milliarden Euro).
Nach Angaben der Agentur Standard & Poor’s vom Mai 2008 hat zudem der Durchschnittsamerikaner sehr schlecht für seine Rente vorgesorgt. So hätten nur noch 37% der Amerikaner überhaupt eine traditionelle Betriebsrente gegenüber noch 60% im Jahr 1983. Favorisiert von den in ihren Beitragszahlungen entlasteten amerikanischen Unternehmern sei die amerikanische Betriebsrente in großem Stil von individuellen, steuerabzugsfähigen Spar- und Rentenverträgen der Typen 401 (K) und 403 (b), sowie von Renten aus dem Individuellen Rentenfonds IRA verdrängt worden.
Im Jahr 2004 hatten 34% der Amerikaner weder Betriebsrenten- noch kapitalgedeckte Rentenansprüche. Sie waren im Alter ganz auf die jedem Amerikaner zustehende Mini-Rente der amerikanischen Sozialversicherung angewiesen.
Nach Prof. Lavigne sind von der Immobilienkrise besonders die 50 bis 60-jährigen Amerikaner betroffen, weil sie seit dem Platzen der Immobilienblase gleichzeitig höhere Tilgungsbelastungen, geringere Immobilienwerte und die Schwierigkeiten ihrer Pensionsfonds zu verkraften haben.
Die demographische Entwicklung mit der jetzt in Rente gehenden Baby-Boomer-Generation treffe besonders hart die kapitalgedeckten Rentensysteme. Wenn in großer Zahl bisherige Beitragszahler entfallen, die jetzt umgekehrt Rentenansprüche geltend machen, müssten die Rentenfonds zur Aufrechterhaltung ihrer erhöhten Liquidität in großem Stil Wertpapiere verkaufen, mit der Folge stark fallender Kurse / Renditen dieser verkauften Papiere.
Für die in den letzten Jahren auch in Kontinentaleuropa und in den Schwellenländern propagierten und verbreiteten kapitalgedeckten Rentenfonds sei als unmittelbare Folge der Finanzkrise ein Abbremsen dieses bisherigen Wachstumsmarktes zu erwarten.
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