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Titel: Wirtschaftsnobelpreis 2016 – Neoklassik reloaded
Datum: 14. Oktober 2016 um 8:46 Uhr
Rubrik: Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Jens Berger
Den Wirtschaftsnobelpreis[1] haben in diesem Jahr die Ökonomen Oliver Hart und Bengt Holmström für ihre Beiträge zur Vertragstheorie erhalten. „Die neuen theoretischen Werkzeuge, die Hart und Holmström entwickelt haben, sind wertvoll für das Verständnis von Verträgen und Institutionen – aber ebenso für mögliche Fallstricke bei der Vertragsgestaltung“, teilte die Königlich-Schwedische Wissenschaftsakademie in Stockholm am Montag mit. Die Preisträger hätten mit ihren Forschungen dabei geholfen, Probleme zu analysieren und Lösungen zu formulieren – etwa bei der Entlohnung von Führungskräften oder bei der Ausgestaltung von Versicherungsverträgen. Von Thomas Trares[*].
Sowohl Hart als auch Holmström stammen aus Europa, lehren aber beide an der Ostküste der USA, Hart an der Harvard University, Holmström am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Zusammen hatten sie im Jahre 1987 den Aufsatz „The Theory of Contracts“ verfasst. Hart und Holmström sind Vertreter der Institutionenökonomik, ein Forschungszweig, der der neoklassischen Schule zuzuordnen ist. Institutionenökonomen gehen davon aus, dass in einer Ökonomie nicht nur die Produktion von Gütern und Dienstleistungen Kosten verursacht, sondern auch die Inanspruchnahme des institutionellen Rahmens, also all der Organisationen, Institutionen, Normen und Vorschriften, die eine Gesellschaft ausmachen.
Im Zentrum der Vertragstheorie, für die Hart und Holmström ausgezeichnet wurden, steht die Analyse „unvollständiger Verträge“. Hier sind bei Vertragsabschluss nicht alle Modalitäten und Eventualitäten des Geschäfts bekannt. Beispielsweise kann ein Patient die Leistung eines Arztes mangels Fachwissens nur unzureichend einschätzen, ein Kfz-Versicherer hat in der Regel keine Kenntnisse über den Fahrstil des Versicherungsnehmers, der Aktionär weiß nicht, inwieweit der angestellte Manager tatsächlich in seinem Sinne handelt, und der Arbeitgeber kann nicht alle Handlungen des Arbeitnehmers überblicken. Das unvollständige Wissen des Vertragspartners kann die jeweilige Gegenseite ausnutzen. Ein geschicktes Vertragsdesign soll hier helfen, die Vertragskosten zu minimieren. Bekannt ist all dies unter dem Schlagwort Prinzipal-Agenten-Theorie.
Kritiker behaupten nun gern, dass die Neoklassiker damit ihre realitätsferne Modellwelt nur etwas näher an die Realität heranrücken wollen, ohne jedoch ihre grundlegende Gleichgewichtsorientierung aufzugeben. Bei der Prinzipal-Agenten-Theorie handelt es sich allerdings noch um eine harmlosere Variante der Institutionenökonomik. Zu dem Fach zählen nämlich auch Bereiche wie die Ökonomie des Rechts, die Ökonomie der Familie oder die Ökonomie der Religion. Ein Vertreter dieser Richtung ist Gary Becker, der der ultraorthodoxen Chicago School angehörte und 1992 den Wirtschaftsnobelpreis erhielt. Becker wurde dafür ausgezeichnet, dass er das ökonomische Nützlichkeitskalkül auf alle Lebensbereiche ausdehnte; auf die Rechtsprechung, die Ehe oder auch die Diskriminierung und das Verbrechen. Man bezichtigte ihn deswegen auch des „ökonomischen Imperialismus“.
Im Vergleich dazu sind Hart und Holmström eher gemäßigtere Vertreter ihrer Fachrichtung. Gleichwohl knüpft das Nobelkomitee mit seiner Entscheidung vom vergangenen Montag nahtlos an die Tradition Anfang der der neunziger Jahre an, als quasi jedes Jahr ein Neoklassiker mit den Forschungsschwerpunkten Institutionenökonomik oder Kapitalmärkte mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Man erinnere sich: Damals war gerade der real existierende Sozialismus zusammengebrochen, und der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama verkündete das „Ende der Geschichte“ (im Hegelschen Sinne). Der Kapitalismus schien obsiegt zu haben.
Dass es mit der neoklassischen Theorie aber vielleicht doch nicht so weit her ist, dürfte das Nobelkomitee spätestens 1998 gemerkt haben. Damals brach der Hedgefonds Long-Term Capital Management (LTCM) zusammen, eine handfeste Finanzmarktkrise konnte gerade noch abgewendet werden. Im Direktorium des LTCM saßen aber ausgerechnet die US-Ökonomen Myron Scholes und Robert C. Merton, die ein Jahr zuvor den Nobelpreis erhielten und nach deren Erkenntnissen der LTCM konstruiert war. Ihre hochmathematischen Modelle hatten einfach nicht die russische Währungskrise auf dem Schirm, die zu der Zeit die Finanzmärkte erschütterte.
Ein besonders fanatischer Kritiker des Wirtschaftsnobelpreises ist allerdings Nassim Nicholas Taleb, Finanzanalyst und Autor des Bestsellers „Der Schwarze Schwan“. Taleb hält die Königlich-Schwedische Akademie in Stockholm gar für eine „Gefahr für die Gesellschaft“. Diese habe nämlich erst jene Ökonomen populär gemacht, deren Theorien die Welt in die Finanzkrise stürzten. Gemeint hat Taleb damit die US-Wissenschaftler Harry Markowitz, Merton Miller und William Sharpe, die 1990 für ihre Portfolio-Theorie prämiert wurden. Deren Modelle würden extreme Risiken unterschätzen und die Menschen in riskante Anlagen treiben. Und über die LTCM-Bankrotteure Merton und Scholes will Taleb gleich nach deren Preisverleihung gesagt haben: „In einer Welt, in der diese beiden den Nobelpreis bekommen, kann alles passieren. Jeder kann Präsident werden“.
[«*] Thomas Trares ist Diplom-Volkswirt. Studiert hat er an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Danach war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur vwd. Seit über zehn Jahren arbeitet er als freier Wirtschaftsjournalist in Berlin.
[«1] Dazu schreibt uns unser Leser A.H.: Der eigentliche Name des allgemein so bezeichneten Wirtschaftsnobelpreises lautet Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften und hat nichts mit Alfred Nobel zu tun. Der gute Name Alfred Nobels wird streng genommen missbraucht, um das Ansehen der Wirtschaftswissenschaften zu steigern. Die Wirtschaftswissenschaften schmücken sich mit fremden Federn, die von der Schwedischen Reichsbank seit 1968 gestiftet werden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Es steht einiges Interessantes dazu bei Wikipedia.
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