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Titel: Trotz Rezession – angebotsorientierte Wirtschaftspolitik im alten Trott
Datum: 17. Oktober 2008 um 9:19 Uhr
Rubrik: Finanzkrise, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Bundeswirtschaftsminister Glos nimmt natürlich das Wort „Rezession“ nicht in den Mund, er sprach gestern lieber beschönigend davon, „dass sich die deutsche Wirtschaft in vielen Bereichen nicht widerstandsfähig gegenüber den Rückwirkungen der Finanzkrise gezeigt hat“.
Was ist es aber anderes als eine Rezession, wenn die Wirtschaft von einer Prognose des realen Wirtschaftswachstums von 1,7 % in diesem Jahr auf 0,2 % im kommenden Jahr abstürzt?
Auch Glos sieht Handlungsbedarf, doch er macht im alten Trott weiter und tut so, als hätte die Finanzmarktkrise nichts mit der Ideologie der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik zu tun. Ihm fällt nichts anderes ein als die alte Leier von Deregulierung („ein generelles Belastungsmoratorium“ für die Unternehmen), Senkung von Steuern und „Lohnzusatzkosten“ und die Kürzung von Sozialleistungen (Senkung von „konsumtiven Verwendungen“). Von Wolfgang Lieb
In der derzeitigen fragilen außen- und binnenwirtschaftlichen Situation verträgt die deutsche Wirtschaft keine zusätzlichen Belastungen. Die von mir seit längerem geforderte konjunkturgerechte Wachstumspolitik muss in den Mittelpunkt aller Anstrengungen gestellt werden. Wir brauchen über die bisher beschlossenen Maßnahmen hinaus die Entlastung der Bürger von Steuern und Abgaben, insbesondere vom Zugriff der kalten Progression durch eine durchgehende Abflachung des Lohn- und Einkommensteuertarifs. Dazu gehört auch die vollständige steuerliche Abzugsmöglichkeit der Sozialversicherungsbeiträge bereits ab dem Jahr 2009. Ich schlage ein generelles Belastungsmoratorium vor. Wir sollten auf absehbare Zeit alle für Unternehmen und private Haushalte belastenden Maßnahmen unterlassen. Konkret geht es z. B. darum, unsere Automobilindustrie jetzt nicht noch weiter durch überzogene europäische CO2-Zielwerte für PKWs zu belasten und im Falle einer drohenden Kreditverknappung z. B. im Mittelstand die Instrumente der KfW verstärkt einzusetzen und damit mehr Investitionen und Beschäftigung weiter zu ermöglichen. Die Investitionen im Bundeshaushalt dürfen auf keinen Fall gekürzt, besser zu Lasten der konsumtiven Verwendungen sogar dauerhaft erhöht werden.
Das verlautbarte heute Wirtschaftsminister Glos als er die drastische Senkung der Wachstumsprognose für 2009 bekannt gab.
Weltweit werden zur Bekämpfung des Übergreifens der Finanzkrise auf die „Realwirtschaft“ Konjunktur- und Investitionsprogramme in Milliardenhöhe angeschoben. Doch für Deutschland ist das ein Tabu.
Mann kann ja über Steuerentlastungen der Bürger durchaus reden, warum aber dann nicht eine Rücknahme der Mehrwertsteuererhöhung oder warum gibt man nicht denjenigen, die ohnehin ihr Einkommen komplett konsumieren (müssen) Schecks in die Hand, damit man den Konsum ankurbelt?
Glos will nur die Einkommensteuertarife abflachen, die Frage bleibt nur für wen. Für die Besserverdienenden etwa? Warum dann nicht eher die Anhebung des Eingangssteuersatzes?
Man kann ja über ein „Belastungsmoratorium“ für Unternehmen und private Haushalte reden, aber warum gleich ein „generelles“. Warum sollten nicht diejenigen ein stückweit zur Finanzierung des staatlichen Rettungspakts zur Finanzmarktkrise herangezogen werden, die durch ihre Zockereien Millionen und Milliarden ins Trockene brachten?
Wie sollen überhaupt, bei stagnierender Wirtschaft und ohnehin geringeren Steuereinnahmen, die Milliarden gegenfinanziert werden, die jetzt zur Rettung der Banken vom Staat bereitgestellt werden müssen?
Das Erlösungswort für Glos ist mal wieder „Deregulierung“. Denn was ist mit einem „Belastungsmoratorium“ für die Unternehmen oder mit der Verhinderung der CO2 Zielwerte im Interesse der Autoindustrie anderes gemeint?
Es geht im Wesentlichen ausschließlich wieder darum, die Unternehmen zu entlasten. Was hat aber die Milliarden-Entlastung der Unternehmen in den letzten Jahren gebracht außer, dass die Gewinne hauptsächlich in die Finanzmärkte geflossen sind und das Spielgeld im Finanz-Casino erhöht haben?
Natürlich wäre es schön, wenn investiert würde. Aber warum sollten die Unternehmen investieren, wenn ihnen Glos zwar Entlastung und Investitionshilfen der KfW anbietet, aber gleichzeitig konstatiert, dass das Geschäftsklima und die Auftragseingänge deutlich zurückgegangen sind? Oder wenn der Wirtschaftsminister weiter darauf hinweist, dass der „Außenhandel im kommenden Jahr als Wachstumsmotor ausfällt“ und sich die schwächere wirtschaftliche Aktivität auch auf den Arbeitsmarkt niederschlage?
Warum sollte die Wirtschaft angesichts geringerer Auslastung der Kapazitäten (Verlängerung der Ferien und Produktionsstopp in der Automobilindustrie) zu Investitionen angereizt sein?
Glaubt Glos tatsächlich an einen Konsumrausch durch die Absetzung der Krankenversicherungsbeiträge von der Steuer?
Wenn es nicht so ernst stünde, könnte man sich über solche Borniertheit nur noch lustig machen.
Es ist dieselbe bornierte Denkungsart wie bei der Verursachung der Finanzkrise: Es gilt das Prinzip, der Markt regelt alles zum Besten und der Staat soll sich möglichst weitgehend raushalten. Alles was nach staatlicher Rahmensetzung oder staatlicher Aktivität riecht, gilt als „Belastung“. Es muss nur alles getan werden, um die Investoren zu locken – koste es, was es wolle.
Mit dieser Denkungsart sind wir in die Finanzmarktkrise geschlittert und damit rutschen wir jetzt auch noch in die (real-)wirtschaftliche Krise.
Um angesichts so hoher Denkblockaden nicht zu verzweifeln, hilft einem nur noch die Flucht in die paradoxe Ironie: Vielleicht sollten sich Oskar Lafontaine und die Linke, statt für eine 50-Milliarden Investitions- und Beschäftigungsprogramm, vehement gegen jedes Konjunkturprogramm aussprechen, vielleicht würde die Regierung dann einmal mehr das Gegenteil davon machen und endlich investieren.
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