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Titel: Das beste Mittel gegen die rechte Gefahr: Endlich eine wirkliche Alternative bieten, damit die Menschen sich wieder für Politik interessieren. Sahra Wagenknecht gegen Angela Merkel – das wäre eine solche Konstellation

Datum: 5. September 2016 um 9:24 Uhr
Rubrik: AfD, Audio-Podcast, Aufbau Gegenöffentlichkeit, SPD, Wahlen
Verantwortlich:

Albrecht Müller

Seit dem Auftreten und den Erfolgen der AfD wird auf unseren Bildschirmen immer das gleiche Theater gespielt: in der Abgrenzung zu dieser rechten Partei beschönigen Medien und Parteienvertreter der anderen Parteien ihre eigene Politik. Schuld ist das falsch wählende Volk, so wird unterstellt. Tatsächlich ist der angepasste Einheitsbrei und die auch bei Konkurrenten der CDU spürbare und nicht zu begreifende Verehrung für Merkel und insbesondere für ihre Flüchtlingspolitik verantwortlich für die Verzweiflung vieler Wählerinnen und Wähler. – Es gäbe eine Strategie, die die Wählerbasis der AfD dezimieren würde: eine programmatische, personelle und emotional angereicherte und vermittelte Alternative. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Zunächst zu den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern. Hier das Ergebnis:

Die SPD bleibt stärkste Partei. Sie hat 5 % verloren und gilt dennoch als Sieger. Die CDU hat von niedrigem Niveau aus 4 % verloren. Die Linke hat mit 5,2 % am meisten verloren. In Mecklenburg-Vorpommern bestimmen die sogenannten Reformer die Linie und das Bild dieser Partei. Die AfD kommt auf 20,8 % und liegt vor der CDU.

In den Wahlanalysen am Wahlabend war viel davon die Rede, das Thema Flüchtlinge habe die landespolitischen Themen überlagert. Das ist vermutlich richtig. Dass dies so gekommen ist, hat nicht nur mit der AfD zu tun, sondern auch mit unseren Medien, die die Flüchtlingsfrage immer wieder aufheizen.

Die Sitzverteilung:

Der Landtag hat insgesamt 71 Sitze. Die Mehrheit ist also mit 36 Sitzen erreicht.

  • Eine Koalition aus SPD und CDU hätte 42 Sitze.
  • Eine Koalition aus SPD und Linkspartei hätte 37 Sitze.
  • Eine Koalition aus AfD und CDU hätte 34 Sitze. Das würde nicht reichen, ist auch nicht geplant

Die Wahlbeteiligung lag bei 61,6 % und ist damit um mehr als zehn Punkte gestiegen. Sie lag 2011 bei 51,5 %.

Das muss doch zu denken geben. Wenn das Auftreten der AfD mit hoher Wahrscheinlichkeit die Ursache für diese stärkere Beteiligung der Menschen an politischen Wahlen ist, dann wird daran auch sichtbar, dass die Wählerinnen und Wähler bei der letzten Landtagswahl offenbar ein Defizit verspürten. Die Wahlbeteiligung lag 1998 übrigens bei dem beachtlich hohen Wert von 79,4 %.

Es ist abwegig anzunehmen, der neuerliche Anstieg der Wahlbeteiligung ginge darauf zurück, dass jetzt ein verstecktes rechtes Potenzial an Wählerinnen und Wählern mobilisiert wird. Das kann man meinen. Realistisch ist das nicht; realistisch ist etwas ganz Anderes:

Viele Wählerinnen und Wähler in Mecklenburg-Vorpommern wie auch in anderen Teilen Deutschlands fühlen sich von den tonangebenden Politikern und den sie begleitenden Medien nicht ernst genommen.

Dazu eine kleine Geschichte: Ich habe einen Freund, der aus der früheren DDR kommt und jetzt im Ausland lebt. Diesen traf ich zufällig am vergangenen Donnerstag; wir sprachen über die politische Entwicklung und auch über die AfD. Er berichtete von seinem Vater, der in Sachsen-Anhalt lebt und von dem ich wusste, dass er politisch sehr interessiert ist und das auch schon zu Zeiten der DDR war und insgesamt progressiv eingestellt ist. Er werde beim nächsten Mal AfD wählen.

Dieses Verhalten mag man unlogisch finden. Aber man kann es auch als Hilferuf verstehen. Denn was muss sich ein solcher Mensch in diesen Zeiten anhören und ansehen:

  • Er hört tagaus tagein, es gehe uns allen gut. So verlautbaren die politischen Funktionäre und so verlautbaren die Medien und dieser Irrglaube ist die Basis der großen medialen Bewunderung für Angela Merkel. Sie nehmen keine Notiz davon, dass es sehr vielen Menschen in Deutschland nicht gut geht: Sie müssen Angst haben um ihren Arbeitsplatz, oder sie haben gar keinen, oder nur ein prekäres Arbeitsverhältnis. Oder sie sind hoch verschuldet, während sie in unseren Medien und auf unseren Straßen unentwegt mit dem üppigen Leben der Reichen konfrontiert werden.
  • Da der Vater meines Freundes politisch interessiert und sozial eingestellt ist und sich informiert, weiß er zum Beispiel auch, welches Elend Angela Merkel und Wolfgang Schäuble in unseren Nachbarländern und insbesondere auf dem Balkan, wo sein Sohn lebt und arbeitet, angerichtet haben: mit der Austeritätspolitik den sozialen Kahlschlag und die Privatisierung wichtiger öffentlicher Einrichtungen und Unternehmen sowie mit den gefeierten deutschen Exportüberschüssen den Ruin großer Teile der Industrie in diesen Ländern.
  • Er hat sehr wohl gesehen, dass sich unsere Bundeskanzlerin mit ihren offenen Armen für Flüchtlinge vor allem selbst geschmückt hat. Sie hat mit den offenen Armen ihr schlechtes internationales Image aufpoliert, das ihr die aggressive Politik gegenüber Griechenland und anderen Völkern des südlichen Europa eingebracht hatte. Sie hat die Mehrheit der Menschen in Deutschland nicht mitgenommen und wir laufen mit dieser ungeplanten Politik hohe Risiken. Er weiß das oder er ahnt das, und er spürt und hört, dass man darüber nicht reden darf, wenn man nicht Gefahr laufen will, als Rechter oder als Rechtspopulist stigmatisiert und abgekanzelt zu werden. „Rechtspopulisten im Nordosten“ – so tönt Spiegel Online und ist damit repräsentativ für den Grundtenor der meisten deutschen Medien. Diese pauschale Diffamierung verstärkt die innere Wut und macht zugleich blind für den eigentlichen Charakter der AfD, also jener Partei, die man aus Protest wählt.

    Dazu noch eine Ergänzung: Der Vorsitzende der Grünen, Cem Özdemir sagte auf Phoenix wörtlich: „Alle demokratischen Parteien mussten Verluste erleiden […]“. – Das ist genau die Arroganz, die der AfD ihre Stimmen beschert und auch ansonsten bemerkenswert.

  • Der Vater meines Freundes sieht zugleich, wie sich Politiker jener Partei, der Linkspartei, die er bisher gewählt hat, über jene hermachen, die seine Sorgen noch zu artikulieren wagen: Kipping und van Aken rücksichtslos gegen Wagenknecht, genauso der Spitzenkandidat der Linkspartei in Mecklenburg-Vorpommern, Holter. Als Protestwähler kann er also nicht mal mehr die Linkspartei wählen, so sein Eindruck.

Es gibt vermutlich sehr viele Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und in sich hineingefressen haben.

Sie warten auf eine politische Alternative. Eine solche ließe sich leicht beschreiben und auch umsetzen, wenn es den Willen dazu gäbe. Träumen wir davon, SPD und Linkspartei würden begreifen, dass sie eine solche wirkliche Alternative formulieren und präsentieren müssen, wenn sie nicht in der Versenkung der Bedeutungslosigkeit verschwinden wollen.

Nehmen wir Sigmar Gabriel. Er ist als Vorsitzender der SPD in der Rolle des Spielführers und wenn er diese Rolle ernst nähme und es ihm nicht egal wäre, ob die SPD überlebt oder nicht, dann müsste er folgendes überlegen:

  1. Wer Wahlen gewinnen will, der muss in der Sache und emotional eine Alternative bieten. D.h. heute konkret in Deutschland eine politische Alternative, die der Mehrheit der Menschen und nicht nur den Oberen hilft. (Gabriel spricht manchmal schon so, als hätte er das verstanden. Er warnt zum Beispiel davor, nicht nur den Banken zu Diensten zu sein.)
  2. Wer Wahlen gewinnen will, weiß, dass es ohne Emotion nicht geht. Das Mindeste wäre eine klare Wertorientierung der Politik dieser alternativen Formation. Eben nicht nach der Leitlinie, jeder sei seines Glückes Schmied, sondern getragen von der Einsicht, dass wir alle aufeinander angewiesen sind und dass die Sozialstaatlichkeit eine moderne Gestaltungsrichtlinie ist. Zum Streben nach eigenem Vorteil muss die Solidarität hinzukommen. So sehen das viele Menschen. Egoist ist man nicht von Natur aus, sondern dann, wenn es einem als die gesellschaftlich hoffähige Weltanschauung eingehämmert wird. Diese Erkenntnis bietet eine große Chance.
  3. Wer Wahlen in Deutschland gewinnen will, kann vermutlich immer noch darauf hoffen und zählen, dass die Mehrheit der Deutschen keinen Krieg will. „Nie wieder Krieg“ ist eine noch nicht ganz vergessene Grundeinstellung. Jedenfalls kann man darauf aufbauen und das ist dann ein Teil einer wichtigen emotionalen Komponente der zu entwickelnden politischen Alternative.
  4. Wer Wahlen in Deutschland gegen Frau Merkel gewinnen will, muss leider wahrnehmen, dass er oder sie auf die Mehrheit der Medien nicht zählen kann. Diese sind in geradezu unwürdiger Weise auf die jetzige Bundeskanzlerin abonniert. Dagegen hilft kein Klagen, dagegen hilft nur die Mobilisierung einer Volksbewegung. Potenzial dafür gibt es, wenn die anderen Elemente stimmen – also Programm und die Person und die Emotion.
  5. Wer Wahlen gewinnen will, muss wissen, dass die Personalisierung und damit die Person, die die Gegenbewegung anführt, nicht unwichtig ist. Sehr wichtig sogar. Diese Person muss fähig sein, Menschen zu bewegen und zwar Menschen aus allen Schichten und aus allen sozialen Lagern.

Es droht Schwarz-Grün mit Merkel und Kretschmann. Es ist Zeit für eine Gegenbewegung im Stile von Corbyn und Sanders. Gabriel muss auf die Suche gehen.

„Spielführer“ Sigmar Gabriel muss überlegen, ob er persönlich fähig ist, diese Forderungen zu erfüllen. Ausschließen will ich das nicht, aber es sieht nicht danach aus, dass er den wichtigsten Anforderungen, die zuvor formuliert worden sind, gerecht werden würde. Er muss also auf die Suche gehen. Er und die Spitze der SPD müssen überlegen und prüfen und nach einer Persönlichkeit suchen, die die zuvor formulierten Anforderungen einigermaßen erfüllt. Das ist die Suche nach einem Corbyn oder einem deutschen Sanders.

Es müsste in der verbliebenen SPD oder irgendwo in ihrem Umfeld eine Person geben, die den Anforderungen, die man an eine solche Spitzenkandidatur stellen muss, gerecht würde.

Wenn Gabriel in den eigenen Reihen nicht fündig wird, dann müsste er sich außerhalb umsehen. Dieses ungewöhnliche Vorgehen ist nötig, weil andernfalls die SPD dem Ende zugeht. Vom vergleichsweise guten Ergebnis in Mecklenburg-Vorpommern sollte man sich nicht einlullen lassen. Umfrageergebnisse von 20 % für die nächste Bundestagswahl sind ein Alarmsignal.

Wenn der SPD-Vorsitzende klug wäre, dann würde er bei Sahra Wagenknecht anfragen. Ihr wünsche ich persönlich diese Tortur nicht. Aber die Gefahr für unser Land und die Gefahr für Europa und insbesondere die Gefahr eines forcierten Konfliktes zwischen dem Westen und Russland ist so groß, dass man auch Ungewöhnliches und Unkonventionelles wagen muss.

Sahra Wagenknecht gegen Angela Merkel

Käme es zu einer solchen Konstellation, noch dazu mit dem Anhängsel Kretschmann bei Angela Merkel, wie das im „Spiegel“ letzter Woche als schwarz-grüne Perspektive für die Bundestagswahl 2017 angekündigt worden ist, dann würde daraus eine enorme Politisierung unseres Landes folgen können. Menschen aller Altersgruppen würden sich wieder für Politik interessieren. Wichtige Probleme, die die Mehrheit der Menschen bedrücken – unsichere Arbeitsverhältnisse, Altersarmut, Kriegsgefahr, soziale Ungerechtigkeiten und einiges mehr – kämen auf den Tisch.

Das Bündnis sollte bei den bisherigen Wählerinnen und Wähler von Linken und SPD und Grünen nicht haltmachen. Zur heute fälligen politischen Alternative gehören auch die früheren sozial engagierten CDU/CSU-Wählerinnen und Wähler und die Arbeitnehmergruppen der CDU und CSU. Hinzu gehören die früher als konservativ geltenden Experten und Politiker aus der CDU/CSU und FDP, die sich der Verständigung zwischen West und Ost nach wie vor verpflichtet fühlen und diese für ein Lebenselixier unseres Landes und Europas halten.

Noch eine Anmerkung zur Person: wenn uns jemand anderes einfällt, warum nicht. Es geht um das Ganze, es geht um unser aller Anliegen, eine Alternative zu haben.

P.S.: Aus der Traum. Der Spielführer will keine wirkliche Alternative präsentieren. Für diese Einschätzung spricht eine Meldung, die gestern Abend noch kam:

Freihandelsabkommen

SPD-Spitze sagt Ja zu Ceta

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) bringt Ceta auf den Weg.

Das SPD-Präsidium stimmt einstimmig für den umstrittenen Ceta-Vertrag. Es gebe jedoch noch Präzisierungsbedarf, heißt es in einer Beschlussvorlage.

Fazit: Wir wissen, was wir brauchen, aber wir bekommen keine Chance. Also müssen wir wohl die Stellenausschreibung für einen deutschen Corbyn selbst formulieren.


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