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Titel: Leiser Optimismus im Mittleren Osten?
Datum: 23. August 2016 um 14:20 Uhr
Rubrik: Militäreinsätze/Kriege, Rezensionen, Strategien der Meinungsmache, Terrorismus
Verantwortlich: Jens Berger
Der australische Politologe Tim Anderson hat ein fundiertes Buch über den Krieg in Syrien und über die Manipulationen dieses Krieges vorgelegt. Er sieht Kräfte im Mittleren Osten im Aufstieg, die das Potential für eine neue Friedensordnung in sich bergen könnten. Von Jens Wernicke.
Nun ist es also amtlich: nach Erkenntnissen des Bundesnachrichtendienstes unterhält die Regierung der Türkei, also Erdogan und seine islamistische Hausmacht AKP, enge Kontakte zu Terroristen im Mittleren Osten. Die Anfrage der linken Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen wurde in einem Bericht beantwortet, von dem wir als Volk nur wenige magere Sätze überhaupt erfahren dürfen. Das Bundesministerium der Inneren lässt uns wissen, dass die türkische Regierung islamistische Terrorgruppen unterstützt, und die Mainstream-Presse lenkt unseren Blick auf die palästinensische Hamas. Deren Hauptquartier sei aus Syrien ins türkische Istanbul umgezogen. Immerhin ist Hamas im Gazastreifen durch demokratische Wahlen und nicht durch Massaker an die Regierung gekommen. Genannt wird weiterhin die Moslembruderschaft in Ägypten, dessen Präsident Mursi ebenfalls durch demokratische Wahlen in die Regierungsverantwortung gelangt ist und dann durch einen Militärputsch gestürzt wurde. Genannt werden humanitäre Schiffslieferungen in den eingeschlossenen Gazastreifen durch türkische Aktivisten. Bemerkenswert, dass mit Roderich Kiesewetter und Katrin Göring-Eckardt zwei ausgewiesene Transatlantiker am lautesten diese vom BND beobachteten Tatsachen skandalisiert haben.
Man wüsste jetzt gerne, was denn nun im geheimen Teil der Antwort auf die Fragen der Volksvertreterin Dagdelen noch alles zu lesen steht. Offenbar sind nur Sachverhalte in die Presse lanciert worden, die nach dem Putsch gegen die Regierung Erdogan und dessem Schwenk hin zu Putin als rhetorische Munition öffentlich verwendbar sind. Frau Dagdelen hat völlig Recht, wenn sie sagt, diese und noch viel ungeheuerlichere Tatsachen seien längst bekannt. Wir erfahren eher beiläufig in der aktuellen Berichterstattung über die Vertreibung der islamistischen Terroristen im Grenzgebiet Syriens zur Türkei, dass mit der Absperrung der Grenze den Terrorgruppen ISIS und Jabhat al-Nusra die Nachschubwege abgesperrt werden. Es ist also wahr, was auch Karin Leukefeld in ihren Berichten immer wieder sagt: die Terrormilizen werden aus der Türkei beliefert.
Die Wahrheit wird uns immer nur scheibchenweise verabreicht. Und so langsam werden die wahren Zusammenhänge des real existierenden Horrors im Mittleren Osten bekannt.
Wir können den Weg der Erkenntnis ein wenig abkürzen und gleich das aktuelle Buch des australischen Professors für Politik an der Universität Sydney, Tim Anderson, zur Hand nehmen. Sein Buch „The Dirty War on Syria“ kam Anfang dieses Jahres auf den Markt und ist jetzt auf Deutsch erschienen als „Der schmutzige Krieg gegen Syrien“.
Gleich vorweg: Andersons Buch will keine Chronologie der Ereignisse des Krieges in Syrien erzählen. Es entsteht allerdings ein anderes Bild, wenn Anderson akribisch darstellt, wie die Ereignisse in Syrien durch ein Zusammenspiel von islamistischen Fundamentalisten, US-amerikanischen Geostrategen, wahhabitischen Steinzeit-Königreichen, westlichen Mainstream-Medien und Nichtregierungsorganisationen massiv manipulativ umgedeutet und umgeschrieben wurden. Bis 2011 zum Beispiel war der syrische Präsident Bashar al-Assad ein von westlichen Regierungen und Konzernen umworbener Mann, dem man die Durchführung marktradikaler Reformen in seinem Land nahelegen wollte. Um Assad sodann ganz plötzlich zum neuen Hitler umzudichten, der sein eigenes Volk massakriert.
Karin Leukefeld, Markus Matzel: „Was von Kriegen übrig bleibt“
Die Geschichte begann nach Anderson mit der ehemaligen US-Außenministerin Condoleezza Rice, die davon sprach, im Mittleren Osten ein ‚kreatives Chaos‘ zu schaffen. Soll heißen: die Nationalstaaten sollten destabilisiert und zerschlagen werden, um sodann neue sektiererische oder ethnisch definierte Zwergstaaten zu schaffen, die den Diktaten der westlichen Staaten und Konzerne nichts Eigenes entgegensetzen können. Eine Balkanisierung des Orients sozusagen. Auf der Todesliste Washingtons und seiner transatlantischen Verbündeten standen sieben Staaten, angefangen mit Afghanistan und dem Irak. Libyen wurde zerlegt, Syrien war vorgesehen, und am Schluss würde man sich dann den Iran vornehmen.
Im Gegensatz zu Afghanistan und Irak verzichtete man in Syrien auf den militärischen Einmarsch. Als der arabische Frühling auch Syrien erreichte, wurden die legitimen Proteste der demokratischen Opposition genutzt, um im Schutz der Masse durch islamistische Scharfschützen auf Zivilisten und Polizisten zu schießen. Die westliche Erzählung von der syrischen Polizei, die auf friedliche Demonstranten schießt, und von den friedfertigen Demonstranten, die quasi innerhalb weniger Stunden und Tage zu Soldaten mit professionellen Schutzanzügen amerikanischer Fertigung und mit Waffen, deren Munition aus israelischer Produktion stammt, mutierten, ist nicht plausibel. Der Konflikt eskalierte. Die demokratische Opposition blieb eingeschüchtert zuhause, und die Söldnermilizen übernahmen ganze Regionen. Über 100.000 syrische Soldaten sind mittlerweile von ‚moderaten Rebellen‘ ermordet worden. Die angeblich syrischen Rebellen stammen aus über achtzig Ländern der Welt.
Als die Geschichte von den zu Kämpfern mutierten, friedlichen Demonstranten nicht mehr haltbar war, konstruierten die westlichen Medien den Mythos von den ‚moderaten Rebellen‘, die man gegen die harten Islamisten von ISIS und Moslembruderschaft einsetzen müsse.
Andersons Handwerkszeug ist die Textprüfung und Textkritik. Er nimmt fast nur Texte aus westlichen Mainstreamquellen und Eingeständnisse aus dem Westen, die er nach jedem Kapitel genau nachweist. So kann Anderson mit Hilfe von Befunden des Massachussetts Institute of Technology aufzeigen, dass Raketenangriffe nicht auf das Konto der syrischen Regierungstruppen gehen können. Zudem hatte Assad UN-Mitarbeiter nach Syrien eingeladen, um die Herkunft des Nervengases Sarin genau zu untersuchen. Das berüchtigte Hula-Massaker wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit von islamistischen Rebellen angezettelt. Es passt vom Timing her perfekt zu einer Bemühung der USA, im UN-Sicherheitsrat die Genehmigung für eine militärische Intervention zu erlangen, die sie aber aufgrund der dubiosen Beweisdarlegung nicht erhielten.
Das Erschreckende ist, dass sogenannte Premiumzeitungen wie der englische „Guardian“ Falschbehauptungen über die Ereignisse in Syrien auch dann noch aufrechterhalten, wenn diese schon lange widerlegt sind. Ihnen schließen sich als links verortete Zeitungen wie die „taz“ an. Anderson zeigt die Drehtürkarriere von Mitarbeitern von NGOs wie „Human Rights Watch“, die zuvor in der US-Regierung gearbeitet hatten und die nun eifrig am Spin vom Massenmörder Assad mitweben. Untersuchungsausschüsse der Vereinten Nationen werden aufgelöst, weil sie nicht das Bild vom Völkermörder Assad mitzeichnen wollen. Um sodann durch einen Ausschuss ersetzt zu werden, dem ein US-Diplomat vorsitzt, der Syrien nie inspiziert hat.
Der Fernsehsender „Al Jazeera“ in Katar hatte vor dem Kriegsbeginn in Syrien im Jahre 2011 berichtet, dass eine Revolution in Syrien keine Aussicht auf Erfolg habe, da Assad eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung genießt. Seitdem jedoch das autoritäre Königreich Katar pseudoislamische Söldner nach Syrien geschickt hatte, um Assad zu stürzen, musste Al Jazeera wider besseres Wissen am Bild vom Monster Assad mitarbeiten. Katar unterstützt nämlich zusammen mit der Türkei pseudoislamische Blutsöldner. Während die wahhabitischen Scheichtümer unter Führung von Saudi-Arabien die Kopfabschneider von ISIS unterstützen.
Dezent im Hintergrund agieren die „Terrorpaten“ USA und Israel. Israel befindet sich mehr oder minder intensiv im Dauerkrieg mit Syrien und pflegt in israelischen Krankenhäusern islamistische Terrorsöldner aller Couleur gesund, um sie über die Golanhöhen wieder in neue Einsätze zu entlassen. Die USA liefert die zentrale Strategie des ‚kreativen Chaos‘ und versorgt die islamistischen Söldner mit der neuesten Bewaffnung. Das kommt der US-Rüstungsindustrie zugute, die ihre neuesten Waffen bei internationalen Rüstungsmessen mit dem Siegel „combat proven“, also: „kampfgeprüft“ aufwerten möchte.
Ein finsteres Bild, könnte man sagen, das Anderson hier zeichnet. Doch er übt sich in leisem Optimismus: die internationale Koalition der Chaos-Willigen, die noch in Afghanistan, Irak und Libyen so leichtes Spiel hatte, hat sich nun in Syrien die Zähne ausgebissen. Es ist, so Anderson, eine neue ‚Achse des Widerstands‘ aus dem Stahlgewitter hervorgegangen. Die syrische Armee, die enorme Verluste hinnehmen musste, sei jetzt besser organisiert als je zuvor. Das Bündnis mit dem Iran, der libanesischen Hisbollah und den palästinensischen Widerstandsgruppen sei jetzt so fest wie nie. Und der Irak, dessen Regierung lange als Kreatur der USA angesehen wurde, habe sich dieser Achse angeschlossen. Irak und Iran arbeiten jetzt vertrauensvoll zusammen. Im Hintergrund sei Russland durch eine umsichtige Diplomatie und begrenzte militärische Aktionen ein hilfreicher Partner. Die Ereignisse der letzten Monate mit der Befreiung von Palmyra und anderen Orten scheinen Andersons Einschätzung Recht zu geben.
Tim Anderson: „Der schmutzige Krieg gegen Syrien. Washington – Regime Change – Widerstand“. Marburg 2016.
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