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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Die Unfähigkeit zu makroökonomischer Vernunft – ein Kern unseres Problems
Datum: 16. September 2008 um 8:52 Uhr
Rubrik: Schulden - Sparen, Strategien der Meinungsmache, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Albrecht Müller
Gestern, an einem Montag gegen 16:30 Uhr besuchte ich einen Baumarkt. Verkaufsbereich leer, im Lagerbereich auch keine Kunden. Ich fragte den Lagerarbeiter, was los sei. Das sei einige Zeit schon so. Die Leute hätten offenbar kein Geld zum Bauen. – Zuhause im Laptop finde ich dann das Interview des SPD Haushaltsexperten Carsten Schneider (Anlage D) mit der saloppen Bemerkung, er sehe eine „konjunkturelle Delle“ statt einer Krise. Der Mann kommt aus Thüringen, einer Region, der es insgesamt sicher nicht besser geht als der Südpfalz. Dieser wichtige Mann hat offenbar weder einen Sensor für die wirkliche Lage noch begreift er wirtschaftliche Zusammenhänge. Das verbindet ihn mit dem Bundesfinanzminister. Wo ihre Schwächen, ihre Fehleinschätzungen und Manipulationsversuche liegen, soll anhand von vier Medienbeiträgen gezeigt werden. Albrecht Müller.
Im Beitrag A wird beschrieben, dass Steinbrück nach Meinung eines Kieler Finanzexperten sein Etatziel verfehlen wird. „Angesichts schwacher Konjunkturdaten wird es nicht möglich sein, den Haushalt so zu konsolidieren …“. Hier wird deutlich gesagt, dass der Konsolidierungserfolg vom Konjunkturablauf abhängt, dass also die Spar-Absicht des Finanzministers nicht identisch ist mit dem Spar-Erfolg. Unsere Finanzpolitiker glauben jedoch immer noch, ihre Absichten würden reichen. (Der Kieler Finanzexperte glaubt es übrigens auch)
Das wird auch sichtbar am Widerstand des „Haushaltsexperten“ Schneider gegen Konjunkturprogramme. Er hat nicht verstanden, dass der von ihm gewünschte Konsolidierungserfolg auch weiter ausbleibt, wenn die Bundesregierung und die Europäische Zentralbank die Konjunktur weiter in den Keller rasseln lässt. Und er hat eben noch nicht wahrgenommen, dass jede erfolgreiche Konsolidierung auch in anderen Ländern immer nur mit einem langanhaltenden konjunkturellen Aufschwung möglich war. – Seine Antwort zum Thema Konjunkturprogramm sollten Sie lesen. Sie ist selten einfältig. Darin wird sichtbar, dass der Abgeordnete die Wirkungszusammenhänge nicht zu analysieren vermag, also nicht sieht, dass ein konjunkturpolitischer Akt wiederum Folgen hat, die eine Berechnung, wie er sie anstellt, über den Haufen wirft. – Die belastende Crux unseres Landes wird auch an dieser Person sichtbar: wir haben es mit für die Gesamtwirtschaft zuständigen Person zu tun, die nur einzelwirtschaftlich zu denken vermögen.
Die Bundesregierung hat alle Warnungen vor einem Niedergang der Konjunktur, die schon im letzten Jahr an einem kräftigen Minus bei den Einzelhandelsumsätzen sichtbar geworden war, beiseite geschoben und nichts gegen den Niedergang unternommen. Diese Damen und Herren kennen offensichtlich nicht die in der Ökonomie verbreitete und gefestigte Erkenntnis, dass man im konjunkturellen Ablauf als Wirtschafts- und Finanzpolitiker wie auch als Geldpolitiker nicht erst tätig werden darf, wenn die Situation eingetreten ist. Die banale Erkenntnis von der Notwendigkeit rechtzeitigen Handelns ist nicht mehr vorhanden.
Steinbrück versucht jetzt, den Bankrott seiner Sparpolitik auf die internationale Finanzkrise zu schieben. Und der Spiegel hilft kräftig mit. (Siehe Anlage B) Diese Finanzkrise spielt sicher auch eine Rolle. Aber der größere Rest ist hausgemacht und diese hausgemachte konjunkturelle Schwäche, der andauernde Niedergang der Masseneinkommen und des Konsums, war schon vor Beginn der Finanzkrise sichtbar. Siehe dazu auch ein Interview mit Axel Trost in Anlage C.
Interessant ist bei dem Ganzen noch folgende Beobachtung: Uns wurde doch immer wieder erzählt, wir hätten kein Konjunkturproblem, sondern ein Strukturproblem und es bedürfe der Strukturreformen, um zur wirtschaftlichen Belebung zurückzukommen, sozusagen auf Dauer. Entsprechend wurden und werden immer noch die kleinen konjunkturellen Erfolge des Jahres 2006 und 2007 als Erfolg der Reformpolitik gefeiert. Wenn es diesen von mir immer bestrittenen Wirkungszusammenhang zwischen Strukturreformen und wirtschaftlicher Entwicklung gibt, dann müsste man logischerweise für den wirtschaftlichen Niedergang dieser neueren Zeit auch irgendwelche Strukturreformen verantwortlich machen.
Und nun zu den Anlagen:
„Der Bund hat seine Ausgabendisziplin aufgegeben. Nun dürfte er 2011 ein Loch von etwa drei Mrd. Euro im Haushalt haben“, sagte der Kieler Finanzexperte Alfred Boss dem Handelsblatt. In dieser Woche werden die Haushaltspläne des Bundes für das Wahljahr 2009 erstmals dem Parlament vorgelegt. Am Mittwoch steht die „Generaldebatte“ an, der traditionelle Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition.
Quelle: Handelsblatt
Im Aufschwung sind die Defizite gesunken. Kann das auch im Abschwung gelingen?
Nein. Wir können einem Abschwung nicht hinterher sparen. Das wäre wirtschaftspolitisch unsinnig, weil wir eine konjunkturelle Abschwächung damit noch verschärfen würden. Wir sollten die automatischen Stabilisatoren wirken lassen, also geringere Steuereinnahmen und höhere Arbeitsmarktausgaben über Kredite finanzieren. Mehr aber auch nicht.
Die Neuverschuldung könnte also höher ausfallen als geplant?
Ich sehe eher eine konjunkturelle Delle als eine Krise. Außerdem ist die Wirtschaft Anfang des Jahres so stark gewachsen, dass wir die Haushaltsziele auch bei einem sehr schwachen Wachstum im Rest diesen Jahres und im kommenden Jahr erreichen können.
Hat die Koalition versäumt, für schlechtere Zeiten vorzusorgen?
Wie war die Lage nach der letzten Abschwungphase? Es gab ein Defizit von 60 bis 70 Milliarden Euro. Wir sind mit der Konsolidierung gut vorangekommen und haben das Defizit deutlich reduziert. Gleichzeitig haben wir die Investitionen gesteigert und damit dazu beigetragen, dass die deutsche Wirtschaft innerhalb von Europa heute noch relativ gut dasteht.
Dennoch: Der Ruf nach Konjunkturprogrammen wird lauter. Haben Sie etwas in der Schublade?
Wer Konjunkturprogramme will, redet riesigen neuen Schulden das Wort. Nur um das Wachstum um einen Prozentpunkt zu steigern, müssten wir 24 Milliarden Euro in die Hand ausgeben. Eine solche Summe würde den Bundeshaushalt nicht nur in Konflikte mit der Verfassung bringen, sondern auch über Jahre so belasten, dass wir den schuldenfreien Haushalt 2011 nicht schaffen könnten. Dies aber bleibt unser zentrales Ziel.
(…)
Quelle: FR
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