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Titel: Frankreich: Der Widerstand geht in die Sommerpause

Datum: 5. Juli 2016 um 9:20 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Europäische Union, Länderberichte
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Am 28. Juni kamen wieder sehr viele Menschen zu der mittlerweile 11. Großdemo nach Paris. 15.000 waren es nach Angaben der Polizei, die Gewerkschaften sprechen hingegen von 55.000. Nach meiner Einschätzung müssten es aber deutlich mehr gewesen sein. Nuit Debout ist hingegen mittlerweile eingeschlafen und existiert eigentlich nur noch auf dem Papier. Abends treffen sich einige wenige Hundert und diskutieren. Die große Welle vom April und Mai ist vorbei. Der Plan von Valls, den Sommer zu nutzen, geht also auf. Die Opposition ist „reformbereit“, zu viel zu vielen Kompromissen bereit und befindet sich bereits im Wahlkampfmodus. Von Alexander Pohl.

Am Sonntag den 26. Juni war auf dem Place de la République wieder einiges los. Nachdem nachmittags eine Art Spielplatz aufgebaut wurde, kamen am Abend einige Hundert Menschen, um dem Vortrag des bekannten Volkswirts Frédéric Lordon zu lauschen. Es ging um das Thema Brexit, EU und Euro. Man diskutierte über mögliche Verbesserungen und über einen Systemwechsel. Man war sich einig, dass diese EU asozial sei und ein Neustart notwendig ist. Nach Ansicht der Meisten, die zu Wort kamen, sei der Euro ein gescheitertes Projekt, das nicht mehr zu retten ist. Man diskutierte auch über den Sinn oder Unsinn von lokalen Währungen. Es kam auch zu einem Zwischenfall, denn ein Mann, der sich in der Commission France-Afrique engagiert, konnte sich mit den Aussagen von Frédéric Lordon nicht abfinden und warf den ganzen Gästen Rassismus vor. Die meisten waren genervt. Als der Mann wutentbrannt nach Hause ging, war die Lage wieder ruhig und der Gedanken- und Meinungsaustausch zum Thema Währung konnte fortgeführt werden.

Nach dem Vortrag von Frédéric Lordon sprach eine Frau von DIEM25 über die neue Bewegung, die von Yanis Varoufakis initiiert wurde. Diese Fragenrunde zeigte deutlich, was DIEM25 tatsächlich ist: Eine reformistische Bewegung, die das System nicht im Kern angreift. DIEM25 steht für Democracy in Europe Movement 2025. Sie haben sich konsequent für den Verbleib Großbritanniens in der EU eingesetzt. Sie wollen diese EU beibehalten. Die Kritik hält sich in Grenzen. DIEM25 lehnt nicht das System als Ganzes ab. Sie wollen keine Revolution. Die Bewegung ist reformistisch und greift das Finanzsystem beispielsweise nicht grundlegend an. Man versucht schon etwas zu verbessern, nur bleibt man da zu oberflächlich. 

Während die Frau von DIEM25 erklärte, worum es ihrer Partei denn ginge, plante man an einer anderen Stelle der Place de la République den Verlauf und mögliche nächste Aktionen. Man besprach Besetzungen von Plätzen und ähnliches. Auch im Sommer kann man sich also auf spannende Aktionen freuen. Sie werden aber sicherlich deutlich kleiner sein. 

Für den 28. Juni wurde wieder für eine Demo mobilisiert. Diese Demo war, wie auch nicht anders zu erwarten, sehr groß. Soweit ich das sehen konnte, waren Hunderttausend(e) auf der Straße. Die Gewerkschaften sprachen hingegen von 55.000. Das ist eine ernüchternde Zahl, wenn man bedenkt, wie viele Menschen am 14. Juni aktiv in Paris gegen die neoliberalen Reformen protestiert haben. 

Repression

Es wurden massive Sicherheitsvorkehrungen getroffen. So wurden mehrere Metrostationen um die Bastille gesperrt. Auch die Arbeiter der lokalen Verkehrsgesellschaft waren genervt. Jeder, der in die Nähe der Demo kam, wurde von oben bis unten komplett durchsucht. Den Kollegen von RT wurde es untersagt, ihren Helm und ihre Gasmaske zum Schutz vor Pfefferspray und Tränengas mitzunehmen. Ich musste beim Aussteigen aus der Metro meine Gasmaske abgeben, obwohl ich natürlich einen Presseausweis vorzeigen konnte. Mir wurde gesagt, ich könne diese bei der Préfecture de police abholen. Als ich aber dort war, wurde ich weitergeleitet. Meine Maske wird wohl nicht mehr auftauchen. Die Polizisten haben mir meine Maske gestohlen.

Interessant war außerdem ein Kommentar eines Polizisten, mit dem ich kurz plauderte. Ich meinte  „Jetzt werde ich sicher viel Tränengas abbekommen!“ Er antwortete mir: „Nein, heute wird nichts kommen!“ Das ist doch ein klares Indiz dafür, dass die Gewalt von oben gewollt ist und die Polizei genau weiß, was los ist. Die Polizei verhielt sich weitgehend ruhig, dennoch gab es Szenen der Provokation. Diese gingen aber ausschließlich von der Polizei oder Gendarmerie aus. Die Demo war sehr ruhig und entspannt. 

Am Ende der Demo wurde ich von einem Mitglied der CGT geschlagen. Ich hatte noch nicht die Chance gehabt meinen Helm, den ich ausnahmsweise behalten durfte, abzunehmen. Er schlug mich, weil ich ja zur „Lügenpresse“ gehöre. Das ist dieselbe Ideologie wie bei Rechten. Es sind solche Idioten, die die ganze Bewegung in den Schatten stellen. Ich wollte den Mann fotografieren, um ihn anzeigen zu können. Zwei Freunde des Gewalttätigen hinderten mich vehement und drohten, meine Kamera zu zerschlagen. Ich entfernte mich vom Geschehen. Und ging zur Metro. Die Polizei riet mir von einer Anzeige ab, denn es würde nichts bringen. Man sieht an solchen Hooligans, wieso es keinen Erfolg in der sozialen Bewegung geben kann. 

Was ist eigentlich aus den Streiks geworden? Diese finden so nicht mehr statt. Die Gewerkschaften halten sich da zurück. Eigentlich hätte man durch die EURO eine gewaltige Chance, seine Forderungen durchzusetzen. Da zeigt sich der wahre Geist der Gewerkschaften. Die Gewerkschaften – die anarchosyndikalistische CNT sei hier ausgenommen – riefen nie wirklich zum Generalstreik auf. Der Generalstreik ist die einzige Chance, um diese 49.3-Regierung zum Handeln zu zwingen. (49.3 ist der Verfassungsbestandteil, der es dem Präsidenten erlaubt, ohne Zustimmung des Parlaments ein Gesetz zu verabschieden. In letzter Zeit immer beliebter bei Valls und Hollande.) 

Opposition

Wie ist die Opposition in Frankreich aufgebaut? Es gibt die Front de Gauche (Linksfront). Diese besteht aus der Kommunistischen Partei und dem Parti de Gauche (Linke Partei). Der Parti Communiste ist vergleichbar mit einem eher linken Flügel der deutschen Grünen oder einem rechten Flügel der Linkspartei. Der Notstand, der die meisten Demonstranten enorm stört, wurde auch von Teilen der Linksfront unterstützt. Der Notstand hat es erlaubt, zum ersten Mal seit 1962 eine Demonstration zu verbieten. Das wurde später nach großem Druck zwar zurückgenommen, ist aber ein deutliches Zeichen für den autoritären Staat. Die Linksfront hat sich nie für einen Generalstreik eingesetzt. Bei den Protesten nehmen sie eher die Rolle der Opportunisten ein. 2017 steht eine Wahl bevor und bei der möchte man gut abschneiden. Jean-Luc Mélanchon, Chef der französischen Linkspartei und Chef der Linksfront, ist bei den meisten Gewerkschaftlern sehr beliebt. Er möchte den Kampf gegen die Loi El Khomri dazu ausnutzen, um mit seiner Linksfront die PS zu ersetzen. Aktuell ist Francois Hollande extrem unbeliebt. Er ist wohl der unbeliebteste Präsident in der Geschichte Frankreichs. Die PS wird bei den nächsten Wahlen sicher sehr schlecht abschneiden. Es sieht danach aus, dass der nächste Staatschef entweder von Sarkozys Partei den Republikanern oder von Marine Le Pens Front National kommen wird. Es wird also entweder eine fast rechtsextreme oder eine tatsächlich rechtsextreme Partei gewinnen. Wer dritte Kraft wird, ist auch offen. Wahrscheinlich wird es sich um Mélanchons Linksfront handeln. 

Eine weitere Partei sind die Grünen. Diese stellen im Kabinett Valls II seit 2016 eine Ministerin. Dennoch kann man auf den Demos immer einige wenige Mitglieder der Partei sehen, die als Gruppe zusammengeschlossen sind. Die ehemaligen Fraktionschefs der Grünen wollten eigentlich der Linksfront beitreten. Das wurde in der Partei wohl aber abgelehnt und so traten sie aus und gründeten eine neue Partei.

Eine Partei, die sich sehr für die Arbeiterklasse einsetzt, ist die Neue Antikapitalistische Partei (NPA). Sie besteht hauptsächlich aus Trotzkisten. Sie haben sich konsequent gegen den Notstand eingesetzt. Sie unterstützen die Arbeiterkämpfe und den Generalstreik. Sie wollen einen Klassenkampf erreichen. Sie versuchen, die „Arbeiterklasse“ zu einigen. Aktuell haben sie aber nur wenig Erfolg. Sie sind eine Partei für die eher jungen Leute. Anfang 2015 hatten sie nur 2100 Mitglieder. Es dürften in der Zwischenzeit sicher mehr geworden sein, trotzdem bleibt die Partei sehr klein. Sie ist aber momentan für viele junge Menschen die einzige echte Alternative zur „Loi El Khomri und seiner Welt“. Die Partei hat eine Art Partnerschaft mit der trotzkistischen Nachrichtenseite Révolution Permanante, der Schwesterseite von Klasse gegen Klasse. Révolution Permanante ist zu einer Stimme der Proteste geworden. Sie bleiben konsequent und kritisch.

Sommerpause

Die Bewegung verabschiedet sich nun in die Sommerpause. Man könnte streiken, verzichtet aber. Die Linksfront hat nur das Ziel, bei den nächsten Wahlen erfolgreich zu sein. Wird es nach der Sommerpause mit Streiks weiter gehen? Wird es wieder Massenprotesten geben? Das ist unwahrscheinlich. Die Führer der Opposition sind müde geworden (oder waren es vielleicht schon immer) und rufen nicht mehr zum Kampf auf. Was ist eigentlich aus dem kämpferischen Geist der Franzosen geworden? Wurde er eingeschläfert von korrupten Pseudooppositionellen, die auch in der Basis sitzen?


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