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Titel: Ergänzung zum Beitrag über „Reporter ohne Grenzen“ und die Messung von Pressefreiheit

Datum: 30. Juni 2016 um 9:08 Uhr
Rubrik: Medien und Medienanalyse, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien, Strategien der Meinungsmache
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Es gab wieder eine Reihe von interessanten Leser-Mails und darunter auch solche, die für alle Leserinnen und Leser der NachDenkSeiten von Interesse sind. Ein Leser, von Beruf Journalist, machte darauf aufmerksam, dass ich die wichtige Funktion der Presseagenturen vergessen hatte. Das ist richtig. Deshalb habe ich ihn gebeten, von seinen Erfahrungen zu berichten (Siehe A.). Ein anderer Leser würdigt die Arbeit von „Reporter ohne Grenzen“ (B.). Eine Leserin weist darauf hin, es sei bekannt, dass „Reporter ohne Grenzen“ von einer einschlägigen U.S.-NGO mitfinanziert werde. (C.) Albrecht Müller

Wir geben Ihnen diese drei Texte zur Kenntnis:

  1. Die Rolle der Presseagenturen

    Dazu die Einschätzung eines NachDenkSeiten Lesers und Journalisten:

    Albrecht Müllers Aufzählung kritischer Punkte zur Pressefreiheit in Deutschland möchte ich noch einen wichtigen Aspekt hinzufügen: die Flaschenhals-Funktion der Nachrichtenagenturen. Auch dieser Mechanismus schränkt nämlich die journalistischen Freiheiten hierzulande ein. Nachrichtenagenturen werden bei Medienkritiken oft vergessen, obwohl ihre Bedeutung kaum unterschätzt werden kann. Eine Studie, auf die kürzlich auch die Nachdenkseiten hinwiesen, nannten die Agenturen “das unsichtbare Nervenzentrum des Mediensystems”. Selbst viele Medienbeiträge, die nicht als Agenturtexte (bspw. durch das Kürzel “dpa”) gekennzeichnet sind, gehen auf Agenturmaterial zurück.

    Nachrichtenagenturen können so durch politisch motivierte Themenauswahl Schwerpunkte setzen bzw. ganze Themen wirksam unterdrücken. Redakteure müssen sich dessen nicht mal bewusst sein. Was von den Agenturen nicht vermeldet wird, kommt auch in den meisten Medien nicht vor. Die Agenturen gelten ja mit ihrer neutral-sachlichen Sprache als seriöse Organe und sind interessiert daran, diese Charakterisierung auch zu pflegen, um für Medien weiter abonnierbar zu sein. Umso kleiner die Agenturen sind, desto stärker dieser selbstgemachte Druck. Das fördert den Konformismus unter den dort tätigen Redakteuren und deren Bereitschaft bestimmte Informationen als “unseriös” wegzuwischen. Letztlich reproduzieren Agenturen genau deshalb vor allem sowieso schon dominante Interpretationsmuster, Sprachregelungen und orthodoxes Wissen.

    Ich selbst arbeite als freier Autor seit Jahren für eine deutsche Nachrichtenagentur. Ich hatte nie Probleme, dass die zuständigen Redakteure dort mir auch mal nicht-vereinbarte, thematisch-harmlose Texte abnehmen. Aber in der Phase des Maidan musste ich erleben, dass Meldungen von mir nicht angenommen wurden, weil ein zuständiger Redakteur die Vermutung hatte, dass diese “russische Propaganda” seien.

    Alles, was nicht in die hiesige politische Deutung passte, wurde so abgewehrt. Bei einer dieser Meldungen, über die Angst jüdischer Ukrainer vor rechtsradikalen Angriffen, war dies besonders absurd, da sich meine Meldung auf die israelische Haaretz und die Jüdische Allgemeine aus Berlin bezog (auch die israelische Botschaft war beteiligt) und selbst die Zeit sich des Themas annahm (hier). Die Meldung war total gewöhnlich und qualitativ völlig in Ordnung – aber wenn der Redakteur “nein” sagt, kommt sie eben nicht in den Ticker… ganz offensichtlich aus politischen Gründen.

    Diese “Agentur-Schranke” ist eine der effektivsten Formen der Informationsunterdrückung, aber auch der Disziplinierung freier Journalisten. Die Missstände, die aus solchen Mechanismen in Deutschland resultieren, lassen “Reporter ohne Grenzen” bei ihrer Landkartenproduktion gern unter den Tisch fallen.

  2. Ein Leser rechtfertigt die Einteilung auf der Weltkarte von „Reporter ohne Grenzen“ so:

    … Grundsätzlich begrüße ich Ihre kritische Anmerkung zur Bewertung der Darstellung von Pressefreiheit durch Reporter ohne Grenzen. Der von Reporter ohne Grenze angewandte Kriterienkatalog scheint vordergründig in der Tat eine Eingrenzung des Ranking auf das Kriterium „staatlicher Einfluss“ auf die Pressefreiheit vorzunehmen. 
    Diese Eingrenzung kann ich jedoch nachvollziehen, weil die staatlichen Eingriffe offensichtlich auch die Arbeit von Journalisten am direktesten – und in vielen Ländern von Gefängnis, Folter und Todesgefahr bedroht – einschränkt oder verhindert.

    Durch wissenschaftliche und publizistische Arbeiten wie die des Dr. Uwe Krüger (Auf den Nachdenkseiten vom 10. März 2016 wird Dr. Uwe Krüger, der Autor des Buches „Meinungsmacht – Einfluss der Eliten“, interviewt zu seinem neuesten Buch: „Mainstream: Warum wir den Medien nicht mehr trauen“) wissen wir um weitere Einflussfaktoren, die Pressefreiheit zu gefährden.

    Dennoch ist in den von Reporter ohne Grenzen weiß gekennzeichneten Ländern für jedermann die Möglichkeit gegeben, Informationen und Meinungen zu äußern und zu verlegen (siehe exemplarisch die Nachdenkseiten) oder Blogs wie  die von Heiner Flassbeck oder Norbert Häring.. Dieses qualitativ positive Potenzial, das in den „weißen Ländern“ zum Tragen kommen kann, spricht insofern für die zutreffende Grobkategorisierung der Weltkarte der Pressefreiheit.

    Es ist zutreffend, dass die Besitzverhältnisse der Presse und deren Konzentration bei wenigen Familien Bedingungen von Macht schaffen, das eigene Weltbild nur noch durchzusetzen und nicht mehr in den Diskurs zu treten. Diese Erkenntnis mag sich in der Weltkarte der Reporter ohne Grenzen nicht widerspiegeln. Wie schwierig die Umsetzung des gesellschaftlichen Diskurses ist, nämlich „als ein Ringen von Interessen gegen Interessen“ (siehe Uwe Krüger), zeigen genügend Beispiele zu den aktuellen Themen der Weltpolitik.

    Es sei zugestanden, dass die neoliberalen Weltbilder bei den Medienunternehmern äquivalent denen der global agierenden Unternehmen sind und ihr Handeln leitet und der Druck auf die Arbeitnehmer (festangestellten Redakteure) und noch mehr auf den freien Mitarbeitern brutal groß ist. Der Organisationsgrad auf Seiten der abhängig Beschäftigten Journalisten ist parallel dazu niedrig, was ein Übriges dazu tut, dass Widerstand und Verhandlungsmacht in Sachen Verträge gleich Null geworden ist. Dass die vertraglichen Gestaltungen von Arbeitsverhältnissen dieses Machtverhältnis widerspiegeln, ist leider ebenfalls Alltag. Selbst eine „Zensur“ der gelieferten Texte der Freien wird nicht selten durch die Redakteure vorgenommen, meistens durch Streichung von kritischen Passagen, begründet damit, dass der eingeräumte Platz für das Thema nicht reiche. Zu oft spielt dabei die Schere im Kopf des angestellten Redakteurs eine größere Rolle, als eine direkte Anweisung der Verlagsleitung. (Selbstgemachte Erfahrungen). Die Konsequenz kann dann nur sein, auszusteigen, will das eigene Selbstverständnis nicht beschädigt werden.

    Trotz dieser Gängelung kann ich auf Alternativen ausweichen und dem Mainstream andere Modelle entgegenhalten. (Beispiel: Krautreporter). Sich in Berufsverbänden wie Freischreiber zu organisieren, ist ein weiterer Schritt der Selbstverantwortlichkeit und der Beteiligung zum Erhalt von Pressefreiheit. 

    (…)

    Die Schlussfolgerung muss ob dessen dann wohl heißen, in den Diskurs mit Reporter ohne Grenzen zu treten, um notwendige Ergänzungskriterien einfließen lassen zu können.

    Freundliche Grüße
    Johannes B.

  3. Eine Leserin und ein Leser weisen darauf hin, es sei bekannt, dass „Reporter ohne Grenzen“ von einer einschlägigen U.S.-NGO und aus anderen fragwürdigen Quellen mitfinanziert werde.

    Dazu einige Hinweise auf Quellen:

    1. Zu RoG gibt es von dem Politikwissenschaftler Jörg Becker einen zwar älteren, aber immer noch aktuellen Beitrag. Erschienen im Neuen Deutschland vom 30.April / 1. Mai 2011 unter der Überschrift “Weder NGO noch kritisch”. Zum Beispiel nennt Becker die “Sponsoren” von RoG und das ist sehr aufschlußreich.
      Hier ein Link zum Beitrag. Und hier noch mehr Infos und Hintergründe in den “Einzelnachweisen”.
    2. der Hinweis auf einen Artikel bei Telepolis vom 8.5.2005:

      Reporter ohne Grenzen im Dienste des US-Außenministeriums?
      Der Leiter der Journalistenorganisation, Robert Ménard, sieht in den Geldern vom National Endowment for Democracy kein Problem
      “Ganz genau, wir erhalten Geld von der NED und das bereitet uns kein Problem”, hat der Chef von Reporter ohne Grenzen Robert Ménard in einem Diskussionsforum des Nouvel Observateur Mitte April zugegeben. Doch ist das National Endowment for Democracy (NED) nicht irgendeine Organisation. Sie – und die ihr untergeordneten Stiftungen – unterstehen dem US-Außenministerium. Gegründet wurde die Stiftung 1983 im Kalten Krieg unter der Reagen-Administration, um weltweit den Kommunismus zu bekämpfen und die Demokratie zu stärken. Das hieß zunächst, zielgerichtet eine Politik zur Destabilisierung Kubas und des sandinistischen Nicaraguas zu betreiben.
      (…)
      Quelle: Telepolis

Fazit: Mein Vertrauen in „Reporter ohne Grenzen“ ist gestört, nach weiteren Recherchen noch mehr als beim Schreiben des ursprünglichen Artikels. Und das Vertrauen in meine Gewerkschaft ver.di Medien, die für „Reporter ohne Grenzen“ wirbt, auch. Offensichtlich lassen sich alle reihum einspannen. Unerträglich.


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