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Titel: Wenn die rechten Sozis die Macht in der Partei nicht haben, wollen sie auch nicht regieren – bei Labour wie früher bei der SPD
Datum: 27. Juni 2016 um 15:17 Uhr
Rubrik: Parteien und Verbände, SPD
Verantwortlich: Albrecht Müller
Was sich bei Labour in Großbritannien jetzt abspielt (siehe Anlage 2), haben wir in Deutschlands SPD gleich reihenweise erlebt. Die eklatanten Fälle betrafen Andrea Ypsilanti und Willy Brandt. Das Strickmuster war so wie jetzt in Großbritannien. Dass der linke Corbyn noch dazu mit Unterstützung von Hunderttausenden – und vor allem junger Menschen – den Parteivorsitz und damit bei einem Wahlgewinn den Anspruch auf das Amt des Premierministers erobert hat, schmeckt den rechten Sozis nicht. Entweder Corbyn tritt zurück oder sie haben kein Interesse am Gewinn der nächsten Unterhauswahl. „Die wollen gar nicht gewinnen“ – so Willy Brandt in einer ähnlichen Situation im Juli 1972. Albrecht Müller
Die Abservierung von Andrea Ypsilanti:
Andrea Ypsilanti, die damalige Vorsitzende der hessischen SPD und SPD-Landtagsfraktion, hatte 2008 dem CDU-Ministerpräsidenten Hessens, Roland Koch, eine deutliche Niederlage beigebracht. Nach einem längeren Prozess der versuchten Regierungsbildung erklärten dann vier Mitglieder des rechten Flügels der hessischen SPD-Landtagsfraktion, sie würden Andrea Ypsilanti als Regierungschefin eines Minderheitenkabinetts nicht wählen. Die vorgeschobene Rolle spielte dabei ihre Bereitschaft, sich von der Linkspartei tolerieren zu lassen. Tatsächlich hatten die rechten Genossen schlicht und einfach kein Interesse an der Stärkung der linken SPD in Hessen und im Bund, was durch eine Ministerpräsidentschaft von Andrea Ypsilanti dokumentiert worden wäre. Eine Rolle dürfte auch die Tatsache gespielt haben, dass Hermann Scheer, der ökologisch engagierte linke Sozialdemokrat aus Baden-Württemberg, im hessischen Team von Ypsilanti eine einflussreiche Rolle spielte.
Willy Brandts Fall und seine Erfahrungen
1972 kam es zu einer Verkürzung der Legislaturperiode, weil der 1969 gewählte Bundeskanzler Brandt keine Mehrheit mehr im Deutschen Bundestag hatte. Ich war damals verantwortlich für den Wahlkampf der SPD und hatte zur Vorbereitung des Wahlkampfes am 8. Juli 1972 ein für unser Thema aufschlussreiches Gespräch mit dem Parteivorsitzenden und Bundeskanzler Brandt. „Die wollen gar nicht gewinnen“ – so lautete die Antwort Brandts auf meine Frage nach der Stellungnahme seiner Stellvertreter Helmut Schmidt und Herbert Wehner zu unserer Wahlkampfplanung und dem ihnen überlassenen Drehbuch. Darauf brauchte ich nicht zu warten, so Brandts Einschätzung.
Den gesamten Vorgang habe ich in meinem Buch „Brandt Aktuell. Treibjagd auf einen Hoffnungsträger“ 2013 beschrieben.
Die einschlägigen Seiten sind unten als Anlage 1 beigefügt. Dort finden sich weitere einschlägige Belege für das Desinteresse eines rechten Flügels einer sozialdemokratischen Partei am Wahlsieg ihrer Partei, wenn er, der rechte Flügel, nicht die Mehrheit und nicht das Sagen hat. Der Rücktritt Willy Brandts von 1974 und die zuvor stattgefundene Treibjagd sind typisch für das, was Corbyn jetzt in Großbritannien erlebt. Das kann man trotz aller Unterschiede zwischen Brandt und Corbyn festhalten. Nach anderen Gründen braucht man in dieser Situation gar nichts zu suchen.
Es gibt übrigens noch eine andere Parallelität: Willy Brandt hatte damals im Wahlkampf 1972 Hunderttausende von Menschen motiviert, sich politisch zu engagieren und sich mit politischen Fragen zu beschäftigen. Die hohe Wahlbeteiligung von über 91 % war ein sichtbares Zeichen dieses besonderen Engagements, ein anderes war der Anstieg der Mitgliedschaft in den Parteien.
Anhang 1:
Auszug aus Albrecht Müller: „Brandt aktuell. Treibjagd auf einen Hoffnungsträger“, Seite 36-41 [PDF]
Anhang 2:
Beispielhaft eine Meldung, hier von n-tv Montag, 27. Juni 2016:
Misstrauensantrag gegen britischen Labour-Chef
Jeremy Corbyn schließt trotz Kritik Rücktritt aus
Trotz parteiinterner Kritik hat der britische Labour-Chef Jeremy Corbyn einen Rücktritt ausgeschlossen. Er bedauere, dass mehrere Mitglieder seines Schattenkabinetts zurückgetreten seien, erklärte der Oppositionsführer in der Nacht zum Montag.
Er werde jedoch “nicht das Vertrauen derjenigen enttäuschen, die mich gewählt haben”. Wer die Parteiführung ändern wolle, müsse sich darum in einer demokratischen Wahl bewerben – “bei der ich kandidieren werde”, betonte Corbyn.
(…)
Auslöser der Rücktrittswelle war die Kritik an Corbyns Kampagne für einen Verbleib Großbritanniens in der EU. Viele Vertreter des rechten Flügels warfen dem Labour-Chef vor, nur halbherzig für den Verbleib geworben und damit viele Wähler aus dem eigenen Lager nicht überzeugt zu haben. Zwei Labour-Abgeordnete legten einen Misstrauensantrag gegen Corbyn vor. Dieser dürfte eine Fraktionssitzung von Labour am Montag dominieren.
(…)
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