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Titel: Von wegen „billiger“ Atomstrom
Datum: 11. August 2008 um 8:25 Uhr
Rubrik: Atompolitik, Bundesregierung
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE [PDF – 72 KB] nach den volkswirtschaftlichen Kosten der Atomenergie gibt die Bundesregierung [PDF – 76 KB] an, dass die Quantifizierung, insbesondere externer Kosten, mit erheblichen Unsicherheiten verbunden sei. Dennoch zeigt die Auflistung der bisher aufgebrachten Kosten allein für den Bund (also ohne Länder), dass – jenseits der Stromkosten für die Verbraucher – Atomstrom für die Steuerzahler alles andere als eine billige Energie darstellt. In der Antwort der Bundesregierung werden bei weitem nicht alle Kosten der öffentlichen Hand aufgelistet, etwa die Aufwendungen der Länder oder die Forschungskosten an Hochschulen oder öffentlichen Forschungseinrichtungen oder die Sicherungskosten für die Atomtransporte. Überhaupt noch nicht kalkulierbar sind die Kostenrisiken für die künftige Stilllegung alter abgeschalteter Kraftwerke. Die künftigen Belastungen für die Steuerzahler dürften die bisher aufgelaufenen Beträge noch um ein Vielfaches übersteigen – es sind „Unendlichkeitslasten“. Wolfgang Lieb
Hier zunächst einige der in der Antwort aufgeführten Kostenblöcke aus dem Haushalt des Bundes (wie viel Geld die Länder eingesetzt haben, ist dabei natürlich nicht erfasst):
(Alle Angaben aus Antwort der Bundesregierung Drucksache 16/10077 [PDF – 76 KB] und Deutscher Bundestag)
Mit den Kosten für den sicheren Einschluss und den Rückbau des – gemessen an den Großkernkraftwerken – mit einer elektrische Nettoleistung von 13 Megawatt winzigen Versuchsreaktors in der Kernforschungsanlage Jülich war ich schon vor 10 Jahren beruflich als stellvertretender Verwaltungsratsvorsitzender der KfA persönlich befasst.
Der Reaktor hatte schon 1988 ausgedient und wurde stillgelegt. Doch nach wie vor war die Betriebsbesatzung mit dem stillgelegten beschäftigt, denn nur sie hatte das Know-how, auch mit dem abgeschalteten Reaktor umzugehen. Der Reaktor „rostete“ jedoch vor sich hin und wurde zu einer Gefahr vor allem für das Grundwasser. Zunächst wurde ein „sicherer Einschluss“ entschieden. Die geschätzten Kosten beliefen sich im Jahre 2003 auf weit über 200 Millionen Euro. Für den Rückbau (Herstellung einer grünen Wiese) wurden damals weitere 300 Millionen Euro angenommen. Die „Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor Jülich“ (AVR), eine Betreibergesellschaft von 15 kommunalen Elektrizitätsversorgungsunternehmen, war natürlich nicht in der Lage für diese Kosten gerade zu stehen, sie hatte schon Mühe die Kosten für den stillgelegten Reaktor aufzubringen.
Hätten die Gesellschafter der Kernforschungsanlage Bund (90 %) und NRW (10%) die AVR in Anspruch genommen, so wäre sie sofort insolvent gewesen, und die öffentliche Hand hätte auch noch das Betriebspersonal übernehmen müssen. Noch mehr, bei einer Pleite der AVR hätte der Reaktor keinen Betreiber mehr gehabt und wäre im ordnungsrechtlichen Sinne als „störendes Objekt“ voll und ganz in die Verantwortung der Öffentlichen Hand übergegangen.
Wie viele Jahre der Rückbau in Anspruch nehmen würde, wie langwierig die verschiedenen Genehmigungsverfahren dauern würden, war völlig unkalkulierbar. Man rechnet heute bis 2013.
Wie und wo die kontaminierten Bauteile endgelagert werden können ist völlig offen.
Ähnlich stellte sich die Sachlage auch nach der Stilllegung des Thorium-Hochtemperator-Reaktors in Hamm-Uentrop. Die Betreibergesellschaft wäre bei einer Inanspruchnahme für die Stilllegungskosten sofort insolvent gewesen und konnte für die Kosten nicht herangezogen werden. Der Vertrag war so ausgestaltet, dass auch kein Rückgriff auf die Energiekonzerne möglich war. Die Kosten wurden anfänglich auf eine halbe Milliarde Euro geschätzt und liegen derzeit bei 1,776 Mrd. Euro – die gleichfalls beim Steuerzahler hängen blieben. Der Rückbau wird noch mindestens 20 Jahre beanspruchen. Wie hoch der Rückbau schließlich den Steuerzahler noch belasten wird, ist nicht absehbar.
In Deutschland werden derzeit 17 KKW betrieben. Sie alle müssen irgendwann stillgelegt und (hoffentlich) zurückgebaut werden. Ob die Rückstellungen der Energiekonzerne ausreichen, um den sicheren Einschluss oder den Rückbau finanziell abzudecken, muss man nach den bisherigen Erfahrungen bezweifeln. Ich kenne natürlich die vertraglichen Ausgestaltungen der Haftung die Kraftwerke nicht. Die Genehmigungen sind jedoch alle erteilt worden, als ein kernenergieförderliches Klima herrschte, und das heißt die Politik und die zuständigen Genehmigungsbehörden waren mit Sicherheit ähnlich großzügig wie beim AVR und beim THTR. Es dürfte mit Sicherheit Haftungsbegrenzungen geben, so dass auch für diese privat betriebenen Anlagen letztlich die öffentliche Hand haftet und für deren Sicherheit zu sorgen haben wird.
Beim Kohlebergbau spricht man von den „Ewigkeitskosten“ für die Altlasten. Bei den Atomkraftwerken sollte man genauer von „Unendlichkeitskosten“ sprechen, die über eine nach menschlichem Ermessen unüberschaubaren Zeitraum anfallen.
Darüber reden diejenigen, die heute vom „billigen“ Atomstrom schwadronieren, natürlich nicht.
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