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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 9. Juni 2016 um 8:48 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (AT)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Friedensgutachten 2016: Fluchtursachen bekämpfen und Flüchtlingspolitik solidarisch gestalten
  2. “Hillary kann keinen Erdrutsch erwarten”
  3. Hat der IWF aus Erfahrungen gelernt?
  4. Endgültige Kapitulation oder gibt es Spielräume?
  5. Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns: Schriftliche Stellungnahme für die Mindestlohnkommission zu den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns
  6. Körzell: Bundesregierung gefährdet 3000 Jobs bei DB Cargo
  7. Wie Zeiten der Arbeitslosigkeit die Rentenhöhe mindern
  8. Schuld und Schulden II
  9. Internationaler Report zu käuflichem Sex: Das schäbigste Gewerbe der Welt
  10. Russland erdrücken
  11. Cyberwar und Inforaum
  12. Auf Konfrontationskurs
  13. Echsen sind nicht schuld
  14. „Unvereinbar mit dem Grundgesetz“
  15. Geh denken!
  16. Nachtrag zur Lobhudelei auf Gauck

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Friedensgutachten 2016: Fluchtursachen bekämpfen und Flüchtlingspolitik solidarisch gestalten
    Staatsversagen ist Ursache von Kriegen. Kriege treiben Menschen in die Flucht. Auf diese Formel bringen Friedensforscher der führenden deutschen Institute bei der Vorlage des ‘Friedensgutachtens 2016’ die aktuelle Situation. Sie fordern von der deutschen Politik, mehr Verantwortung zu übernehmen und die Fluchtursachen wirksamer zu bekämpfen. Die Möglichkeiten einer Einwirkung von außen seien überschätzt, wie die Beispiele in Afghanistan, Irak und Libyen zeigen. Die Beteiligung der Bundeswehr an der Bekämpfung des IS in Syrien kritisieren die Forscher. Sie votieren stattdessen für eine Stärkung der UN Peacekeeping Mission durch die deutsche Politik.
    Statt die EU-Mission Sophia auf das libysche Festland auzuweiten, müsse die Marine vorrangig für die Rettung von schiffbrüchigen Flüchtlingen eingesetzt werden. Vorbild sei die Mission Mare Nostrum der italienischen Marine, die in einem Jahr über 150.000 Menschen aus Seenot gerettet hat. Zivile Strategien und humanitäre Hilfsprojekte müssten gestärkt werden. Wo die Bundeswehr (überhaupt) an militärischen und zivilen Interventionen beteiligt werden, sei deren ergebnisoffene und unabhängige Evaluation unabdingbar.
    Der aktuelle Versuch der EU, die Flüchtlingsprobleme “outzusourcen”, sei problematisch. Die regierenden in Deutschland hätten zu lange die Tatsache geleugnet, dass Deutschland Einwanderungsland ist. Über das aktuell im Gesetzgebungsverfahren befindliche Integrationsgesetz hinaus fordern sie, noch in dieser Legislaturperiode die Vorlage eines Einwanderungsgesetzes, um Einwanderung zu legalisieren und zu steuern.
    Quelle: Cives.de

    Dazu: Kritik an deutscher Politik in Krisenherden
    Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik kommt in der Bewertung der Friedensforschungsinstitute nicht gut weg. So fordern die Friedensforscher ein Ende der Waffenlieferungen an die Peschmerga und kritisierten insgesamt die deutsche Beteiligung am militärischen Kampf gegen IS. Und bei einem arabischen Land sind sich alle einig.
    Bilanziert man die Forderungen der fünf beteiligten Friedensforschungsinstitute, dann fällt wenig Licht und viel Schatten auf die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik. In diesem 30. Friedensgutachten geht es vor allem um Fluchtursachen und Flüchtlingspolitik. Nicht immer sind sich die Autoren einig. Beispiel: das Abkommen mit der Türkei. Margret Johannsen vom Institut für Friedensforschung an der Uni Hamburg:

    „Die Mehrheit kritisiert die Delegation der Verantwortung als Begünstigung eines staatlich-organisierten Menschenhandels. Die Minderheit bewertet es als positiv, dass die EU versucht, zum gemeinsamen Handeln zurückzufinden und sie hofft, es könne gelingen, irreguläre Einwanderung zu verringern.“

    Quelle: Deutschlandfunk

    Dazu auch: Wie Flüchtlingskinder ausgebeutet werden
    Wenn Kinder es schaffen, dem Krieg zu entfliehen, sind sie längst nicht außer Gefahr. Sie werden ausgebeutet, als Soldaten rekrutiert, müssen in Fabriken oder auf Baustellen schuften – und manchmal verschwinden sie einfach, Schicksal ungewiss. Im sechsten Jahr des Syrienkrieges nimmt Kinderarbeit in den angrenzenden Staaten und entlang den Fluchtrouten durch Europa zu. Die Kinderhilfsorganisation Terre des Hommes (TdH) hat in Zusammenarbeit mit UN-Organisationen Belege dafür gefunden. Mehr als die Hälfte der befragten Kinder müssen demnach mindestens sieben Stunden täglich arbeiten. Ein Drittel arbeitet sieben Tage die Woche. Viele sind erst fünf oder sechs Jahre alt.
    Quelle: Süddeutsche

  2. “Hillary kann keinen Erdrutsch erwarten”
    Hillary Clinton fehlen nach Einschätzung des US-Politikwissenschaftlers Jackson Janes die jüngeren Wähler, die “Milleniums”. Die stünden eher hinter Bernie Sanders, ihrem demokratischen Mitbewerber um die US-Präsidentschaftskandidatur. “Clinton muss um jede Stimme kämpfen”, sagte Janes im DLF. […]
    Simon: Falls das demokratische Lager gespalten bleibt, weil genau das möglicherweise nicht gelingt, die Anhänger von Sanders nicht in Masse zu Clinton übergehen, wie stehen dann insgesamt die Chancen für Hillary Clinton, die Präsidentschaft zu gewinnen, gegen Donald Trump?
    Janes: Sie hat natürlich eine gewisse Sicherheit, dass bei gewissen Gruppierungen eine Unterstützung für sie mehr oder weniger dasteht, in den Minoritäten, in ethnischen Gruppen. Was eigentlich fehlt sind diese sogenannten jüngeren Gruppierungen hinter Bernie. Die sind berüchtigt dafür, dass sie nicht unbedingt wählen gehen, aber die haben bei Obama dann den Ausschlag gegeben, sowohl 2008 als auch in 2012, wenn auch nur wenige. Es ist tatsächlich nicht ein Erdrutsch, was Hillary Clinton erwarten kann am 8. November. Ergo muss sie um jede Stimme kämpfen und diese Millenniums, diese jüngere Gruppierung, und auch die Älteren, die für Bernie stehen, alle Stimmen sind für sie wichtig, weil man kann nicht davon ausgehen, dass das einfach eine gelaufene Sache ist.
    Quelle: Deutschlandfunk

    Dazu: Vorwahlfinale: Clinton erklärt sich zur Siegerin
    Eher geschadet dürfte ihr dagegen haben, dass CNBC am Dienstag offenbarte, was das Armani-Jäckchen kostet, das sie bei einer Rede über Ungleichheit trug: 12.495 US-Dollar. Der unisono sarkastische Social-Media-Tenor darauf war: Die Frau weiß, von was sie spricht. […]
    Die ehemalige Präsidentengattin schoss sich letzte Woche bereits auf den republikanischen Kandidaten Donald Trump ein, dem sie ein Faible für Diktatoren unterstellte und die Geeignetheit als Gebieter über Amerikas Waffenarsenal absprach. Trump wies im Gegenzug auf die realen Toten aus Clintons Libyenpolitik hin und meinte, die ehemalige Außenministerin gehöre wegen ihres sicherheits- und rechtswidrigen Umgang mit dienstlichen E-Mails eingesperrt. Dabei bekam er unerwartet Schützenhilfe von der Schauspielerin und erklärten Sanders-Unterstützerin Susan Sarandon, die mit der Bemerkung, Clinton sei ihrer Ansicht nach noch gefährlicher als Trump, Schlagzeilen machte.
    Quelle: Telepolis

  3. Hat der IWF aus Erfahrungen gelernt?
    Gelernt hat der IWF sicherlich ein wenig aus negativen Erfahrungen, man darf daraus aber nicht ableiten, dass er seine Fehler wirklich verstanden hat und seine Politik so radikal ändert, wie es notwendig wäre.
    Viele Leser haben uns gebeten, zu einer Veröffentlichung des Internationalen Währungsfonds Stellung zu nehmen, in der Mitarbeiter der Forschungsabteilung der Institution (unter dem Titel „Neoliberalism: Oversold?“) mit einigen Dogmen der Vergangenheit aufräumen (hier ist das relativ kurze Papier zu finden). In den wenigen Tagen seit Erscheinen des Papiers gab es weltweit eine enorme Resonanz, die auch bei kritischen Ökonomen von klarer Ablehnung bis zu großer Euphorie reichte.
    Beides ist meines Erachtens weit überzogen. Das Papier passt durchaus in die Tradition der letzten Jahre, in denen der IWF immer wieder einmal durch eine gewisse Lernfähigkeit positiv aufgefallen ist. Markus Diem Meier hat das hier sehr gut dokumentiert und ich will und muss das nicht wiederholen. Die beiden Kritikpunkte am Neoliberalismus (Kapitalverkehrsfreiheit und Austeritätspolitik), die von den Autoren explizit erwähnt werden, sind wirklich alte Bekannte.
    Auch wir haben immer wieder auf flassbeck-economics darauf hingewiesen (hier und hier zum Beispiel), dass es in dieser großen Institution durchaus vernünftige Stimmen gibt. Hinzu kommt auch, das habe ich in den vergangenen Wochen immer wieder gesagt (hier zum Beispiel), dass auch die amerikanische Administration einschließlich der Treasury, also des Finanzministeriums, sehr unsicher hinsichtlich einiger altbekannter Dogmen geworden ist. Und den Einfluss der Treasury auf den IWF kann man kaum überschätzen.
    Quelle: Makroskop
  4. Endgültige Kapitulation oder gibt es Spielräume?
    Die Finanzminister der Eurozone und der Internationale Währungsfonds (IWF) haben sich Ende Mai auf weitreichende Hilfen für Griechenland geeinigt. Die Geldgeber und die Regierung in Athen verständigten sich grundsätzlich auf die Auszahlung weiterer Mittel in Höhe von 10,3 Mrd. Euro. Eine erste Subtranche von 7,5 Mrd. Euro wird im Juni ausgezahlt werden, die übrigen Auszahlungen folgen nach der Sommerpause.
    Damit erhält die griechische Regierung rechtzeitig vor den im Juli anstehenden hohen Rückzahlungen alter Schulden an die EZB neue Finanzmittel. Mit dem Rest der Tranche kann und muss sie einige ihrer Zahlungsrückstände gegenüber Lieferanten u. Ä. begleichen. Mit der Einigung und der bevorstehenden Auszahlung einer weiteren Kredittranche wird eine weitere politische Auseinandersetzung über die Zahlungsfähigkeit Griechenlands abgewendet. Aber die Beteiligung des IWF ist keineswegs in trockenen Tüchern. Für die Schuldenerleichterungen sind erst Methoden und Ziele vereinbart worden. Beim 2018 anstehenden Beschluss über die konkreten Maßnahmen kann es zu neuen Friktionen unter den Euro-Staaten und mit dem IMF kommen.
    Die Gläubigerländer haben akzeptiert, dass Griechenland das vereinbarte Spar- und Reformpaket umgesetzt hat. Als im letzten August das dritte Rettungspaket für Griechenland in Höhe von 86 Mrd. Euro ausgehandelt wurde, hatte sich die linksgeführte Regierungskoalition zu Spar- und Reformmaßnahmen in Höhe von 5,4 Mrd. Euro verpflichtet – was in etwa 3% des Volkseinkommens entspricht.
    Quelle: Sozialismus Aktuell
  5. Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns: Schriftliche Stellungnahme für die Mindestlohnkommission zu den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns
    Kurz gefasst

    • Mit 8,50 € wurde das Niveau des Mindestlohns in Deutschland im Vergleich zu den ähnlich entwickelten westlichen Nachbarländern eher niedrig angesetzt. Trotzdem lag die Betroffenheit hier mit 18,9 Prozent wesentlich höher als in anderen EU-Ländern (dort meist deutlich unter 10 Prozent). Nach IAQ-Berechnungen verdienten 2013 rund 6,3 Millionen abhängig Beschäftigte weniger als 8,50 € pro Stunde.
    • Der Mindestlohn hat ganz offensichtlich zu deutlichen Lohnerhöhungen im unteren Einkommensbereich geführt. Zum Teil kam es zu zweistelligen Erhöhungen der Stundenverdienste, wie etwa bei den vollzeitbeschäftigten Frauen im ostdeutschen Handel und Gastgewerbe. Die überdurchschnittlichen Verdienstzuwächse im unteren Lohnbereich belegen nachdrücklich, dass der Mindestlohn bei vielen Geringverdienern angekommen ist.
    • Zu dem befürchteten Beschäftigungseinbruch auf dem Arbeitsmarkt infolge des Mindestlohns ist es nicht gekommen. Im Gegenteil: die Beschäftigung wächst weiterhin und kein Trendbruch ist erkennbar. Die Zunahme erfolgte vor allem bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung.
    • Probleme ergeben sich zum Teil bei Umsetzung und Kontrolle des Mindestlohns. Die unzureichende Präzisierung der Anrechenbarkeit von Zulagen und Sonderzahlungen erschwert die Umsetzung. Wichtige Voraussetzungen für eine Kontrolle des Mindestlohns sowie abschreckende Sanktionen sind im Mindestlohngesetz mit der Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeit bei geringfügig Beschäftigten, der Generalunternehmerhaftung sowie den Bußgeldvorschriften geschaffen worden.
    • Umgehungen des Mindestlohns scheinen überwiegend durch eine unzureichende Aufzeichnung der Arbeitszeit zu erfolgen. Dabei geht es nicht nur um die tägliche und wöchentliche Arbeitszeit und unbezahlte Überstunden, sondern vor allem auch um die Bezahlung von Urlaub, Feier- und Krankheitstagen. Da viele Betriebe den rechtlichen Sonderstatus der geringfügig Beschäftigten zum Anlass nehmen, diese gesetzeswidrig anders zu behandeln, muss eine Reform der Minijobs auf die Tagesordnung gesetzt werden.

    Quelle: IAQ

    Anmerkung Christian Reimann: Die Stellungnahme von Gerhard Bosch können Sie hier herunterladen.

  6. Körzell: Bundesregierung gefährdet 3000 Jobs bei DB Cargo
    Einen harten Sparkurs mit Stellenabbau will die Unternehmensberatung McKinsey der Deutsche-Bahn-Tochter “DB Cargo” verordnen. Gegen diese Sparpläne im Güterverkehr macht die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) mobil. DGB-Vorstand Stefan Körzell sieht auch die Bundesregierung in der Pflicht: “Als Eigentümer der DB AG ist sie mit ihrem orientierungslosen Kurs verantwortlich für die Gefährdung von rund 3.000 Arbeitsplätzen.”
    Anlässlich der heutigen Sitzung des Ausfichtsrats der Deutschen Bahn erklärte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell zu den Sparplänen im Güterverkehr:
    “Der DGB fordert ein umfassendes Zukunftskonzept für den Schienengüterverkehr: mehr Güter auf die Schiene, mehr Beschäftigung und weniger CO2-Emissionen. Um die wachsenden Gütermengen in Deutschland effizient und umweltverträglich abzuwickeln, muss die Bundesregierung endlich eine Wachstumsstrategie vorlegen. Als Eigentümer der DB AG ist sie mit ihrem orientierungslosen Kurs verantwortlich für die Gefährdung von rund 3.000 Arbeitsplätzen. Alle Ziele der Bundesregierung, den Anteil der Schienentransporte zu erhöhen, wurden in den letzten Jahren klar verfehlt. Nun sollen über 200 Güterverladestellen im deutschen Schienennetz geschlossen und Stellen abgebaut werden. Dieser Schrumpfkurs ist perspektivlos. Wir werden das nicht hinnehmen und unterstützen die Proteste der Beschäftigten.
    Quelle: DGB

    Dazu: DB Cargo: Massiver Protest gegen geplanten Stellenabbau
    Massiver Protest der Beschäftigten von DB Cargo vor dem Bahn-Tower in Berlin gegen den geplanten Stellenabbau und den Schrumpfkurs des Unternehmens. „So nicht“, so die klare Botschaft des EVG-Vorsitzenden Alexander Kirchner an die Vorstände der DB AG und der DB Cargo AG. „Wir brauchen kein McKinsey, die uns sagen, wie spät es ist. Wir sagen: Hört auf die Menschen in eurem Unternehmen – die wissen, wie Eisenbahn geht.“ Die EVG und die Betriebsräte seien bereit, sich einzubringen. Wir sind keine Verweigerer. Wir wissen, dass sich was ändern muss, aber in die richtige Richtung und nicht in die falsche.“ Die EVG werde der vorgelegten Strategie des Konzerns keine Zustimmung geben.
    Quelle: EVG

    Anmerkung Christian Reimann: War von der Unternehmensberatung McKinsey ernsthaft etwas anderes zu erwarten?

  7. Wie Zeiten der Arbeitslosigkeit die Rentenhöhe mindern
    Zwar sind Arbeitnehmer auch während einer Arbeitslosigkeit in der gesetzlichen Rentenversicherung abgesichert, dennoch wirkt sich die erwerbslose Zeit auf die Rentenhöhe aus. Welche Folgen genau zu erwarten sind, zeigt eine Broschüre der Deutschen Rentenversicherung.
    Jeder Arbeitnehmer, der seinen Job verloren hat und für die Zeit der Arbeitslosigkeit Arbeitslosengeld I von der Agentur für Arbeit erhält, bleibt in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert.
    Allerdings übernimmt die Agentur für Arbeit die entsprechenden Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nur automatisch, wenn der Betroffene die notwendige Vorversicherungszeit vorweisen kann.
    Dazu muss er im Laufe des Jahres vor Eintritt der Arbeitslosigkeit und dem Bezug von Arbeitslosengeld I zumindest für kurze Zeit rentenversicherungs-pflichtig gewesen sein.
    Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, erhält der Betroffene aber Arbeitslosengeld I, kann er einen Antrag auf Rentenversicherungs-Pflicht bei der Agentur für Arbeit oder bei der Deutschen Rentenversicherung Bund stellen. In diesem Fall werden die Rentenversicherungs-Beiträge ebenfalls übernommen. (…)
    Allerdings erhöhen die von der Agentur für Arbeit übernommenen Rentenbeiträge die gesetzlichen Rentenansprüche nicht in dem Maße, wie es bei einer vor Eintritt der Arbeitslosigkeit ausgeübten versicherten Beschäftigung der Fall gewesen wäre.
    Denn Personen, die Anspruch auf Arbeitslosengeld I haben, sind rentenrechtlich so gestellt, als wenn sie nur mit 80 Prozent ihres bisherigen monatlichen Bruttoarbeits-Verdienstes weiterarbeiten würden.
    Quelle: VersicherungsJournal.de
  8. Schuld und Schulden II
    Worum ging’s noch mal? Ach ja, Sexstrafrecht. Sieben Gesetzesreformen in 18 Jahren. Alle verschärfend. Keine Einzige reichte aus, um das ganze Ausmaß der realen, allgegenwärtigen, die ganze Gesellschaft beherrschenden, bisher nicht enthüllten, unvorstellbaren, verharmlosten, nicht zur Kenntnis genommenen, verborgenen “sexuellen Gewalt” darzustellen, zu kriminalisieren, Zeichen zu setzen. Daher muss das letzte Mittel her: Ein “Paradigmenwechsel”! “Paradigma” ist ein schöner Begriff. Er bedeutet: Es muss ein ganz neuer Maßstab her.
    Begründung 1: Die “Istanbul-Konvention” (Art. 36) verlangt das.
    Antwort: Falsch. Sie verlangt nichts dergleichen.
    Begründung 2: Die BGH-Rechtsprechung ist zu lasch. Sie “verlangt”, dass Opfer von Sexualdelikten “sich wehren”, stellt hohe Hürden auf, erfasst Nötigungen in einem “Klima von Gewalt” nicht.
    Antwort: Falsch, trotz ständiger Wiederholung, selbst durch das für den Bundesgerichtshof zuständige Ministerium, das seinem eigenen Obersten Gerichtshof in selten erlebter Penetranz notorisch in den Rücken fällt.
    Begründung 3: “Köln hat uns die Augen über die Lücken geöffnet.”
    Antwort: Nicht nur falsch, sondern auch blöd. “Köln” steht nicht für den Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht, sondern für den im Januar 2016 anstehenden Paradigmenwechsel im Migranten- und Flüchtlingsrecht. […]
    Wer einfach nur in einer “Gruppe” steht (etwa auf dem Kölner Bahnhofsplatz in einer Gruppe von 600 Personen) und sonst nichts Böses tut, ist bislang nicht strafbar. Wenn er ein Sexualdelikt begeht, ist er als Täter strafbar. Wenn er es als Mittäter begeht, ist er besonders strafbar (siehe oben). Wenn er andere in der Gruppe dabei unterstützt, eines zu begehen, ist er als Gehilfe strafbar (siehe oben). Wenn er bemerkt, dass eine Person in eine Notlage gerät, zum Beispiel Opfer eines Sexualdelikts wird, ist er zur Hilfe verpflichtet, andernfalls macht er sich strafbar (Paragraf 323c StGB). Auf diesem Rundumpaket an langjährigen Gefängnisstrafen platziert das “Eckpunktepapier” nun das Schleifchen: ein Monat bis fünf Jahre Freiheitsstrafe für jene Person, die sich an einer Gruppe “beteiligt”, “aus der heraus” ein Sexualdelikt begangen wird.
    Quelle: Fischer im Recht auf Zeit Online
  9. Internationaler Report zu käuflichem Sex: Das schäbigste Gewerbe der Welt
    Die französische Stiftung (“Sexuelle Ausbeutung untersuchen, erklären, bekämpfen”) versteht sich als Informationszentrum, als Förderer der Juristenausbildung und Anlaufstelle für Opfer. Ihr vierter Bericht zur Prostitution ist ein 550-Seiten-Kompendium mit 38 Länderanalysen, gestützt auf die Arbeit von Sozialarbeitern, Juristen, Ärzten. Das Motiv: Aufklärung durch solide, objektive Informationen, mit dem Ziel käuflichen Sex einzudämmen und zu bannen. Der Report, (“Prostitution: Explotations, Persecutions, Repressions”, Ecomomica, Paris: 2016) ist das Ergebnis 18-monatiger Forschung.
    Er schildert im Detail die weltweite, sexuelle Ausbeutung von Kindern, Jugendlichen, Frauen: Prostitution als globalisierte Wachstumsbranche, die floriert – dank Krieg, Vertreibung und den neuen Mitteln der digitalen Vermarktung. Betrieben wird sie von Drahtziehern des organisierten Verbrechens oder Handlangern des internationalen Terrors, der sich damit finanziert. Es ist demnach ein Riesengeschäft mit Profiten von rund 91 Milliarden Euro jährlich.
    Dahinter steht Menschenhandel von Millionen Menschen und ihre Entwürdigung und Einschüchterung durch brutale Gewalt. Sie werden schon im Vorschulalter zur Prostitution angeleitet und sind damit ihren Profiteuren ausgeliefert: Kinder-Sex-Sklaven, verkauft von Bordellketten, Minderjährige als Opfer von Vergewaltigung, junge Frauen als Opfer von Gewalt und Mord. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Prostituierten liegt laut der internationalen Untersuchung bei 33 Jahren. (…)
    Die Porno- und Prostitutions-Multis halten dagegen, versuchen den käuflichen Sex als banales Gewerbe zu beschreiben, das allenfalls geregelt oder besteuert gehört. Der Kunde als Unterdrücker, der Zuhälter als Ausbeuter? Fehlanzeige. Charpenel: “Die Lobby der Sex-Industrie bemüht sich, alle Aktivitäten rund um die Prostitution zu normalisieren, zu liberalisieren, zu legalisieren.”
    Der juristische Kampf gegen die Unmenschlichkeit ist folglich kompliziert, zumal fast immer länderübergreifend; die Ermittlungen dauern in der Regel vier Jahre. Und wenn es zum Prozess kommt, scheuen die Opfer oft die Aussage. “Anders als bei anderen Formen der Gewalt, kooperieren die Frauen selten mit den Gerichten”, weiß Charpenel aus seiner Praxis als ehemaliger Strafrichter: “Sie sind gelähmt aus Angst von den Zuhältern.”
    Repression kann jedoch funktionieren, sagt Charpenel und beschreibt das Beispiel Schwedens. Dort haben resolute Verbote die Nachfrage nach Prostituierten drastisch vermindert. Eine Botschaft, abgefangen zwischen rumänischen Menschenhändlern und Zuhältern, konstatierte die Wende: “Der schwedische Markt ist tot.”
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung Christian Reimann: Es ist bedauerlich, dass die deutsche Bundesregierung – trotz der offenbar einhelligen Meinung von Experten – Schweden als Vorbild ablehnt: Kabinett beschließt Strafen für Freier. Sie – und d.h. leider auch die SPD – bleibt damit dem Interesse von “Arbeitgebern” der Branche wohl gesonnen.

  10. Russland erdrücken
    Unter dem Titel »Anakonda« startet in Polen größtes NATO-Manöver seit Ende des ersten Kalten Krieges […]
    Das diesjährige Sommermanöver der NATO ist von der Zahl der Teilnehmer und der Art der einbezogenen Waffen her das größte der westlichen Kriegsallianz seit dem Ende des (ersten) Kalten Krieges überhaupt. Sein Ziel ist eingestandenermaßen, Russland einzuschüchtern. »Endlich entsteht eine NATO-Armee«, jubelte der Militärkorrespondent der polnischen Zeitung Rzeczpospolita; Russland habe allen Anlass, sich zu fürchten. Gleichzeitig ist das massive Auftreten der NATO der Versuch, über die Tatsache hinwegzutäuschen, dass etwa die Staaten des Baltikums in einem wirklichen Kriegsfall wegen mangelnder strategischer Tiefe gegen einen russischen Angriff nicht zu verteidigen wären und deshalb objektiv von zweifelhaftem Wert sind. So jedenfalls Anfang des Jahres eine Studie des CIA-nahen US-Thinktanks Rand Corporation.
    Quelle: junge Welt

    Dazu: “Es gibt keine Bedrohung aus Russland”
    In Polen haben 24 NATO-Partner eine der größten Militär-Übungen im letzten Vierteljahrhundert gestartet. Der Gesandte der Russischen Botschaft in Berlin, Oleg Krasnitskiy, zeigt sich beunruhigt anlässlich des Manövers. Dies beinhalte ein “großes destabilisierendes Potenzial”. […]
    Frenzel: Warum hadert Russland so sehr mit der NATO? Warum wollen Sie nicht den Pfad fortsetzen, der ja unter Präsident Jelzin begonnen wurde, Russland als Partner des Westens zu begreifen?
    Krasnitskiy: Das hat Russland immer versucht. Und die Antwort auf unsere Vorschläge, also ein kollektives System, ein kollektives Sicherheitssystem in Europa zu entwickeln, war immer die NATO-Erweiterung. Wir haben sie gewarnt, dass die Erweiterungsrunden der NATO destabilisierend wirken werden auf die europäische Sicherheit.
    Frenzel: Aber die NATO-Erweiterung hat ja stattgefunden, nicht weil sich das jemand in Brüssel oder Washington ausgedacht hat, sondern weil die Länder in die NATO wollten, Polen und die anderen mittel- und osteuropäischen Länder. Das ist doch ein legitimer politischer Wunsch, wenn Länder sich dazu frei entscheiden.
    Quelle: Deutschlandradio Kultur

    Anmerkung André Tautenhahn: Über die Frage, warum Russland so sehr mit der NATO hadere, muss man schon staunen. Schließlich macht das Bündnis selbst keinen Hehl aus der Tatsache, dass die an der Übung beteiligten Soldaten in Polen die Reaktion auf einen russischen Angriff durchspielen. Wer würde da nicht verärgert reagieren, wenn er permanent und plump zum Aggressor gestempelt wird.

  11. Cyberwar und Inforaum
    Die NATO und der Krieg auf dem fünften Schlachtfeld
    „Der erste Schuss im nächsten großen Krieg wird im Web fallen”. Rex Hughes, Sicherheitsberater der NATO im Bereich der Cyber-Verteidigung, weiß die zentrale Bedeutung der Cyber-Kriegsführung für die Mitglieder des Nordatlantikbündnisses in Szene zu setzen. Neben klassischen militärischen Schauplätzen wie dem Krieg zu Land, in der Luft, im Meer und im Weltall wird der Cyberspace innerhalb der NATO längst als neues fünftes Schlachtfeld gehandelt. Der Begriff Cyberwar bezeichnet dabei kriegerische Aktionen im virtuellen Raum. Diese neuen Angriffstaktiken umfassen unter anderem Attacken auf feindliche Infrastruktur über das Internet, das Einschleusen fehlerhafter Hardware in Kommunikationsnetze und die gezielte Störung elektronischer Geräte durch Mikrowellen- oder elektromagnetische Strahlung. Das Bedrohungsszenario, dem sich die NATO-Verbündeten bei der Thematisierung des Cyberkriegs bedienen, reicht von der bloßen industriellen oder diplomatischen Spionage bis zur vollständigen Sabotage kritischer ziviler und militärischer Infrastruktur. Die politischen und militärischen Entscheidungsträger_innen suggerieren, dass Cyberangriffe auf Krankenhäuser, Kraftwerke oder Kriegsgerät – vor allem jene, die über das Internet erfolgen – äußerst niedrigschwellig, „kostengünstig und effektiv” und daher auch von Staaten mit begrenzten militärischen Mitteln oder Hacker_innenkollektiven durchführbar sind. Suleyman Anil, der Leiter des NATO-Zentrums zur Reaktion auf Computerzwischenfälle, konstatiert: „Cyberverteidigung wird nun in den höchsten Rängen zusammen mit der Raketenabwehr und der Energiesicherheit in einem Atemzug genannt”. Dass allerdings eine Struktur zur Cyberverteidigung auf NATO-Seite jemals ohne die gleichzeitige Planung von Cyberangriffen gedacht wird, ist höchst unwahrscheinlich – denn innerhalb der NATO dominiert folgende Auffassung zum „Wert“ solcher Offensivkapazitäten: „[K]ann irgendeine militärische Macht glaubwürdig versichern, dass sie zukunftsweisende Fähigkeiten besitzt, wenn sich in ihrem Arsenal nicht auch offensive Cyberoperationen befinden?”
    Quelle: Informationsstelle Militarisierung e.V.
  12. Auf Konfrontationskurs
    Die Spannungen im Südchinesischen Meer sind Ausdruck eines umfassenderen geopolitischen Konflikts zwischen den USA und China, der auch die EU in seinen Bann zieht –
    Der Streit um die Machtansprüche im Südchinesischen Meer überschattete den am Montag eröffneten zweitägigen strategischen und wirtschaftlichen Dialog (SED) zwischen China und den USA. Die Vereinigten Staaten warnten dabei Peking vor „einseitigen Aktionen“ in der Meeresregion. „Wir beziehen keine Position hinsichtlich der Ansprüche“, sagte US-Außenminister John Kerry. „Die einzige Position, die wir einnehmen, ist, dass dies nicht durch einseitige Aktionen gelöst werden sollte.“
    China beansprucht etwa achtzig Prozent des rohstoffreichen Seegebiets, teils bis vor die Küsten der Nachbarstaaten Philippinen, Vietnam und anderer Länder. Zu deren Verdruss hatte China Ende 2014 damit begonnen, Inseln im Südchinesischen Meer durch künstliche Landgewinnung zu vergrößern, um dort Militäranlagen einzurichten. Die Inseln liegen an einer der wichtigsten Schiffshandelsrouten.
    Die Spannungen um die Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer nehmen unverkennbar zu, auch wenn die chinesische Seite bemüht ist, diese herunterzuspielen. Differenzen zwischen beiden Ländern seien „ziemlich normal“, sagte Staats- und Parteichef Xi Jinping während des bilateralen Treffens. Auch Chinas Botschafter in den USA, Cui Tiankai, betonte die gemeinsamen Interessen und sagte, die Meeresregion dürfe nicht zum „Wettkampfplatz“ zwischen China und den USA werden.
    Der Territorialstreit hatte bereits am Wochenende die Shangri-La-Dialog genannte asiatische Sicherheitskonferenz in Singapur dominiert, wo scharfe Gegensätze zwischen beiden Seiten deutlich wurden. So hatte US-Verteidigungsminister Ashton Carter am Samstag erklärt, man werde weitere Landaufschüttungen und Bauten auf umstrittenen Riffen nicht akzeptieren. „Dies würde dazu führen, dass die USA und andere Staaten in der Region handeln.“
    Quelle: Hintergrund

    Dazu: Ostasiens Mittelmeer (I)
    In der EU beginnt eine Debatte über gemeinsame Marinepatrouillen im Südchinesischen Meer. Dies geht aus Berichten vom “Shangri-La Dialogue”, einer am Wochenende durchgeführten hochkarätigen Konferenz zur Außen- und Militärpolitik in Asien, hervor. Hintergrund sind die schnell eskalierenden Auseinandersetzungen zwischen dem Westen und der Volksrepublik China um die “Navigationsfreiheit” im Südchinesischen Meer. Sie knüpfen an Territorialstreitigkeiten um dortige Inseln und Inselgruppen an, bei denen sich die meisten Anrainer als Rivalen gegenüberstehen. Während die Philippinen und Vietnam schon vor Jahrzehnten begonnen haben, militärische Stützpunkte auf einzelnen Inseln zu errichten, zieht die Volksrepublik China seit einigen Jahren nach – und wird dafür von den NATO-Staaten einseitig kritisiert. Obwohl der chinesische Stützpunktbau laut einer Analyse der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) erkennbar defensive Ziele verfolgt, rüsten die NATO-Mitglieder, darunter auch die Bundesrepublik, Anrainer des Südchinesischen Meeres auf – gegen China.
    Quelle: German-Foreign-Policy.com

    Anmerkung Christian Reimann: Bitte lesen Sie dazu auch bzw. erneut diese Hinweise:

    1. Washington warnt China vor neuen Bauten im Südchinesischen Meer
    2. Der Konflikt im Südchinesischen Meer
    3. Kommentar: US-Kurs in Vietnam zielt auf Schwächung Chinas ab
  13. Echsen sind nicht schuld
    Stuttgart 21 wird teurer und später fertig. Für den Münchner Verkehrsplaner Martin Vieregg kommt das nicht überraschend. Schon in wenigen Wochen werde der Kostendeckel gesprengt, sagt er im Interview mit Kontext – und erklärt auch die Geschichte mit den Eidechsen.
    Herr Vieregg, laut Vorlage für die Sitzung des Bahn-Aufsichtsrats am 15. Juni soll der Tiefbahnhof rund 6,5 Milliarden Euro kosten, 623 Millionen mehr als Ende 2012 von der Bahn angegeben. Überrascht?
    Nicht wirklich. Man ist es von der Deutschen Bahn inzwischen gewohnt, dass Mehrkosten immer nur in kleinen Schritten eingestanden werden. Bei Stuttgart 21 wird es nicht das letzte Eingeständnis gewesen sein. Wir werden in Zukunft noch weitere Kostengeständnisse erleben.
    Quelle: Kontext: Wochenzeitung
  14. „Unvereinbar mit dem Grundgesetz“
    Die AfD verstößt in ihrem Grundsatzprogramm gegen die Menschenwürde, sagt Jurist Joachim Wieland. Dabei arbeite die Partei absichtlich mit unklaren Begriffen. […]
    Was ist aus Ihrer Sicht der deutlichste Verstoß?
    Aus juristischer Sicht muss man unterscheiden, was die AfD als Forderung zur Änderung der Verfassung fordern und auch umsetzen könnte, wenn sie im Bundestag und im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit hinter sich bringen würde, und was gegen den Menschenrechtskern des Grundgesetzes verstößt, der änderungsfest ist. Da sehe ich vor allen Dingen die Diskriminierung des Islams als Religion und die Religionsausübung. Wenn man sich Ersteres anschaut, also das, was nach dem jetzt geltenden Grundgesetz nicht mit dem Programm vereinbar ist, findet man natürlich mehr. Das ist aber ein schwieriger Maßstab, auch andere Parteien setzen sich für Verfassungsänderungen ein.
    Die AfD bekennt sich in ihrem Programm „uneingeschränkt zur Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit“ und fordert dann, der Religionsausübung seien durch „unsere Werte“ Schranken zu setzen.
    Das ist ein Widerspruch in sich. Man versucht, sich durch die Formulierung „wir akzeptieren die Religionsfreiheit“ abzusichern, in den Einzelheiten aber macht man genau das nicht. Die Religionsfreiheit ist im Grundgesetz uneingeschränkt gewährleistet, auch die Freiheit, diese Religion auszuüben. Dazu gehören auch die Freiheit, religiöse Gebäude zu bauen, und der Muezzinruf – solange die allgemeinen Gesetze eingehalten werden. Das Baurecht gilt für Minarette und Kirchtürme, das Emissionsschutzgesetz für den Muezzinruf und die Kirchenglocken gleichermaßen. Die Religionsfreiheit hängt nicht davon ab, dass man eine Überzeugung hat, die den Werten der AfD entspricht. Das ist eindeutig unvereinbar mit dem Grundgesetz.
    Quelle: taz

    Dazu: AfD: Was ist sie? Was will sie? Worauf beruht der Zuspruch?
    Wie lässt sich das Phänomen AfD nach dem vorläufigen Stand der Dinge charakterisieren, welche Ziele verfolgt die Partei, welche Gruppen spricht sie an, und wo liegen die strukturellen Gründe für ihren aktuellen Erfolg? Anhand von acht zunehmend komplexer werdenden Aussagen soll eine erste Antwort skizziert werden.
    Quelle: annotazioni

  15. Geh denken!
    Für den Bundestag sind die Armenier jetzt ein Volk, das durch einen Genozid dezimiert wurde. Das ist keine schlechte Entwicklung. Für eine Mehrheit desselben Bundestages sind die Syrer hingegen ein Volk, vor dem man sich wehren muss, wenn es in zu großer Zahl zu uns kommt. Wenn notwendig mit Gewalt. Dessen Dezimierung hin oder her. Nicht ausgeschlossen, dass eine der nachfolgenden Generationen in vielen Jahren beschließen wird, die Ignoranz gegen syrische Bürgerkriegsflüchtlinge auch zu einem Gedenken zu führen. Um immer daran zu erinnern, was für gravierende Fehler geschehen, wenn man nicht zu jeder Zeit die Augen offen hält. Um daran zu erinnern, dass man den Anfängen wehren müsste. Heute die Armenier, später die Syrer. Immer zu spät, immer erst, wenn das Sujet lange verrottet in der Konkursmasse menschlicher Geschichtsschreibung. Nie zu rechten Zeit. Armenisches Leid, das als roter Faden in das aktuell syrische mündet, ist nicht vorgesehen. Der Bundestag macht es mal so und mal so. Grundsätzliche Prinzipien sind ausverkauft. Außerdem ist Konklusion ganz offenbar nicht die Stärke einer Kultur, die sich dem Andenken verschreibt, aber die daraus gezogenen Lehren nicht gebraucht, um sie in der Gegenwart zu einer Haltung zu deklarieren. Aus Geschichte lernen? Schön wäre es …
    Quelle: ad sinistram
  16. Nachtrag zur Lobhudelei auf Gauck
    Als Nachtrag zur Lobhudelei auf Gauck passt eine Diskussion, die am frühen Morgen im Deutschlandfunk lief, unter dem Titel “Amt und Würden”, moderiert von Stefan Dethjen.

    Anmerkung C.D./A.M.: Die horrendeste Formulierung darin lautete, dass Gauck uns vom friedenspolitischen Mehltau befreit habe, dieses Stichwort, friedenspolitische Mehltau, ist wörtlich. Es ist unglaublich.


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