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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Volkstümlich verpackt – ein Bundespräsident für die Oberschicht
Datum: 1. Juli 2004 um 10:01 Uhr
Rubrik: Bundespräsident, Demografische Entwicklung, Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Albrecht Müller
Heute ist der neue Bundespräsident Köhler vereidigt worden und hat seine Antrittsrede gehalten. Der beste Kommentar dazu erschien schon heute früh in der Süddeutschen Zeitung, wenn auch ohne jeglichen Bezug auf das heutige Ereignis: „Auf zum letzten Gefecht“ von Heribert Prantl. Der Innenpolitiker der Süddeutschen Zeitung beschreibt darin die Folgen von Hartz IV für die betroffenen Arbeitslosen. Er kommentiert die Abwendung der SPD von den Schwächeren unserer Gesellschaft, die mit der Politik des „Umbaus des Sozialstaates“ verbunden ist, wie es beim Bundeskanzler und beim neuen Bundespräsidenten in gleicher Weise heißt. Es lohnt sich unbedingt, Prantls Kommentar zu lesen. Er enthält viele wichtige Informationen über die Folgen der Agenda 2010, die nach meiner Kenntnis auch viele politisch Interessierte noch nicht wahrgenommen haben. Es lohnt sich auch, die Rede des Bundespräsidenten zu lesen. Zu finden bei www.bundespraesident.de. Mit dieser Rede wird weiter deutlich, dass sich der Bundespräsident voll auf die Seite jener stellt, die eine Systemänderung zu Lasten der breiten Schichten unsres Volkes wollen und das beschönigend Erneuerung nennen.
Die Rede des Bundespräsidenten wurde in den Medien schon äußerst freundlich begrüßt. Das ist kein großes Wunder. Er spricht den Glauben der Mehrheit unsrer Medienschaffenden an die heilsame Wirkung der Reformern heilig und befreit diese Multiplikatoren so von der Unsicherheit, die sich langsam verbreitet, weil immer mehr Menschen und auch manche Multiplikatoren merken, wie unwirksam die Reformen sind und wie unsinnig es ist, unser Land andauernd in düsteren Farben zu malen, nur um damit begründen zu können, wir bräuchten Strukturreformen.
In Stichworten einige wenige Hinweise:
Nachtrag: Im Mittagsmagazin der ARD äußerte sich der liberal-konservative Parteienforscher Prof. Falter zur Köhler-Rede. Er erwartet nach dieser Rede, dass der neue Bundespräsident die Medien und vor allem das Fernsehen nutzt, um in die Politik hineinzuwirken, also die Agenda 2010 und die weiteren Strukturreformen einer Mehrheit schmackhaft zu machen. Falter hat wohl recht. Köhler, das zeigt seine Antrittsrede, wird alles daran setzen, um den Abschied von der Sozialstaatlichkeit unseres Landes populär zu machen. Ein Bundespräsident, der hilft, den Verfassungsbruch mehrheitsfähig zu machen! Soweit sind wir schon. Dass z.B. die Hartz-IV-Reform verfassungsrechtlich fragwürdig ist, sieht der Jurist Prantl (s.o.) genauso wie der Verfassungsrichter Siegfried Broß. Gegenüber dem „Tagesspiegel“ meinte er am 29.6.: „Das Grundgesetz stellt einen ganz engen Zusammenhang zwischen der Menschenwürde und dem Sozialstaat her..“ „Dieser Zusammenhang wird verletzt, wenn mindestens eine Million Arbeitslose auf einmal massiv schlechter gestellt werden, ohne dass ihnen der Staat adäquate Beschäftigungsmöglichkeiten in Aussicht stellen kann.“
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