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Titel: Buchbesprechung: „Das Wissen vom Geld – Auf dem Weg zum Finanzbildungsbürgertum“ von Martin Schürz und Beat Weber
Datum: 17. Juli 2008 um 9:06 Uhr
Rubrik: Chancengerechtigkeit, Finanzen und Währung, Länderberichte, Rezensionen
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
„Das Bildungsbürgertum kehrt als Leitbild zurück. Doch das Wissen um den Kanon literarischer Klassiker, gepaart mit kultiviertem Auftreten, rückt zugunsten von Finanzwissen und souveränem Finanzverhalten beim Portfoliomanagement in den Hintergrund. Finanzwissen wird zum gesellschaftspolitischen Credo, Distinktionsmerkmal und zur Überlebenshilfe. Das Finanzbürgertum will sich vom unwissenden Pöbel unterscheiden, und sich im Gegenzug weniger an der Abfederung von dessen Unglück finanziell beteiligen“, so lautet das Fazit des Buches „Das Wissen vom Geld“ der beiden österreichischen Autoren Martin Schürz und Beat Weber. Eine Rezension von Klemens Himpele, Wien.
Die Individualisierung sozialer Risiken ist der zentrale Topos des neoliberalen Umbaus der Gesellschaft. „Jeder ist seines Glückes Schmied“ heißt es, und der Staat solle hier möglichst wenig eingreifen. Vielmehr sollen alle Lebensbereiche zunehmend dem Wettbewerb überlassen werden. Konsequenterweise setzen Verfechter/innen des Neoliberalismus daher auf Teilhabe- bzw. Chancengerechtigkeit und nicht auf das Ziel der Verteilungsgerechtigkeit. Mit der Rhetorik der „Eigenverantwortlichkeit“ werden dem/der Einzelnen die Verantwortung für allgemeine Lebensrisiken wie Arbeitslosigkeit, Alter und Krankheit zugeschrieben. An diesem Leitbild setzt das Buch von Schürz und Weber an, in dem die Autoren die Konsequenzen der „Finanzialisierung“ der Gesellschaft beschreiben. Ausgehend von der These, dass „individuelles Glücksstreben [.] heute über materiellen Erfolg normiert“ wird und somit der Erfolg soziale Privilegien im Nachhinein legitimiert (S. 15) zeichnen Schürz und Weber die zentralen Themen und diskursiven Verschiebungen der jüngsten Vergangenheit nach. Durch eine konsequente Ausrichtung auf eine formale Chancengleichheit (im Sinne der gleichen Spielregeln für alle) werde versucht, Verteilungskorrekturen und Transferleistungen zunehmend die Legitimation zu entziehen. Dass formale Chancengleichheit nicht die Lösung struktureller (und durch die Primärverteilung bestehender) Ungleichheiten sein kann, wird von den Autoren ebenso herausgearbeitet wie auch die vor allem auch von Sozialdemokrat/innen propagierte Chancengleichheit durch Bildung kein Ersatz für Umverteilungsmaßnahmen sein könne:
„In der öffentlichen Debatte konkurrieren strukturelle Erklärungen menschlichen Handelns mit individualisierten Zuschreibungen von Verantwortung. Soziale Ungleichheit kann verstanden werden als Resultat eines individuell zu verantwortenden Verhaltens, sodass Reichtum bzw. Armut den Betroffenen verdientermaßen zukommt. Oder die Position in der sozialen Hierarchie wird verstanden als Effekt von strukturellen Ursachen, wie etwa ungleicher Startbedingungen, unter denen Individuen am Markt aufeinander treffen. Von der Antwort auf diese Fragen hängt ab, wie die Wirtschaftspolitik auf soziale Ungleichheit reagiert. Individuelle Bildung oder Umverteilung sind dann die konkurrierenden wirtschaftspolitischen Lösungsansätze.“
Wie zentral die strukturellen Ursachen der Ungleichheit sind wird am Beispiel der Erbschaftssteuern ausgeführt. Über den Hebel des „verdienten“ Einkommens des Mittelstandes sei es gelungen, die Erbschaftssteuer in Österreich zu desavouieren. Diese läuft zum 1. August vollständig aus, auch weil es möglich gewesen sei, diese Steuer als eine leistungsfeindliche Mittelschichtsteuer darzustellen. Obwohl in Österreich 56 % des Erbschaftssteueraufkommens im Jahr 2006 von gerade einmal etwa 2.000 Personen oder 3 % der Erbfälle aufgebracht werden „mussten“ – die größten fünf Erbfälle zeichneten sich für 22,4 % der Erbschaftssteuereinnahmen verantwortlich – gelang eine Verengung des Diskurses auf Omis kleines Häuschen und die emotionsbeladene Behauptung, Erben sei Familiensache (S. 51f.). Die Familie habe schließlich etwas geleistet, und daher sei es auch nur gerecht, dass auf das Familienerbe keine Steuer zu bezahlen sei. Auch wenn der Großteil der Österreicherinnen und Österreicher nicht oder nur marginal von der Steuer betroffen war, gab es offenbar den Glauben, ebenfalls Reichtum anhäufen zu können und dann durch die Erbschaftssteuer um die eigene „Leistung“ gebracht zu werden. Schließlich habe jede und jeder das Recht, über sein bzw. ihr Eigentum frei zu verfügen; hierbei solle sich der Staat heraushalten.
Wie weit diese, von den Neoliberalen gepredigte Ideologie der „Wahlfreiheit“ inzwischen verankert sei, beschreiben Schürz und Weber auch am Beispiel der Rentenversicherung: Nicht der Staat solle über diese Verfügen, sondern das Individuum selbst. Man solle also „frei“ seine Altersvorsorge wählen können – mit allen Risiken. Da dieses Alterssparen nicht so richtig in Schwung komme, werde nun über eine verpflichtende Altersvorsorge nachgedacht: „Der Zwang zur Wahlfreiheit ist ein ungewollt ironischer Kontrapunkt zur naiven emphatischen Rede von der individuellen Freiheit“ (S. 63). Zwar sei die Unsicherheit über das staatliche Rentensystem und nicht die Erwartung einer höheren Rendite das Movens vieler Sparer/innen (vgl. S. 65), die Stoßrichtung sei aber klar: Jede/r, der/die nur etwas Risikobereitschaft aufweise, könne es schaffen – Chancengleichheit eben. Im Gegensatz zu vermögenden Menschen, die im Falle einer Fehlinvestition noch immer Vermögen hätten, das sie investieren könnten – der Schaden also begrenzt sei und evtl. wieder gut gemacht werden könne – stehe „der Arbeiter“, der sein mühsam Erspartes in die „falsche“ Pensionskasse gesteckt hat, am Ende ohne Rente da. Die staatlichen Systeme seien schließlich der Wahlfreiheit geopfert worden. Schürz und Weber machen am Beispiel Großbritanniens deutlich, was es heißt, die Rente zu privatisieren. Neben Betrügereien haben hier Pleiten von Pensionsversicherungen zur Altersarmut beigetragen. Auch bei der Rente gelte also: Die Privatisierung der Altersvorsorge ist nicht im Interesse der breiten Masse – aber mit dem Pathos der Freiheit und der Eigenverantwortung wird dieses Interesse übergangen.
Die Individualisierung sozialer Risiken schreite immer weiter voran und zur Legitimierung dieser Privatisierungen bedürfe es jedoch neuer Techniken. Die Vermittlung von finanzwissenschaftlichen Kenntnissen, sei dabei eines der Instrumente. Eine finanzwissenschaftlich geschulte Bevölkerung lerne, dass sie selbst für ihre Risiken haften müsse und der Wohlfahrtsstaat immer weniger für soziale Risiken aufkommen könne und sollte. Finanzbildung ist daher ein zentraler Topos der Neoliberalen und dementsprechend nähmen die Forderungen, Wirtschaftswissenschaften schon in der Schule zu unterrichten, zu. Das Ziel dieser Anstrengungen beschreiben die Autoren wie folgt: „Sofern alle in Frage kommenden Gruppen Finanzbildung erhalten haben, ist jede/r Betroffene selbst dafür verantwortlich, dieses Wissen zum persönlichen Nutzen einzusetzen, und hat sich etwaiges Versagen selbst zuzuschreiben“ (S. 108). Wir sollen uns und unser (nicht vorhandenes) Geld also selbst managen, anstatt auf den Sozialstaat zu vertrauen, so sei die Botschaft. Das Risiko der absoluten Verarmung gehöre eben zum Leben dazu und statt dieses staatlich abzusichern werde den Laien ein vermeintliches Finanzwissen „beigebracht“, dass sie aber noch lange nicht vor Fehlentscheidungen, Betrug und falschen Überlegungen schütze. Die Chancen – so heiße es in der Propaganda – seien schließlich für alle gleich.
Martin Schürz und Beat Weber gebührt das Verdienst, ein wichtiges Thema aufgegriffen und gut leserlich dargestellt zu haben. Das Buch eignet sich dabei insbesondere auch für Leserinnen und Leser, die einen Einstieg in die Thematik suchen.
Martin Schürz/Beat Weber: Das Wissen vom Geld: Auf dem Weg zum Finanzbürgertum. Wien: Nausner & Nausner Verlag. Wien: Promedia Verlag, 2008. 123 Seiten. 12 € . ISBN 978-3-901402-13-5.
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
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