Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Anmerkungen zu den Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Qualitätsverbesserung von Lehre und Studium
Datum: 9. Juli 2008 um 9:08 Uhr
Rubrik: Hochschulen und Wissenschaft
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Nach Jahren umwälzender Hochschulreformen hin zur „unternehmerischen“ Hochschule, nach einer weitgehend vollzogenen grundsätzlichen Umstrukturierung des Studiums in konsekutive Bachelor- und Masterstudiengänge im Rahmen des sog. Bologna-Prozesses, nach einer mit hohem propagandistischen Aufwand durchgeführten „Exzellenz-Initiative“ nimmt sich endlich ein wissenschaftspolitisch bedeutsames Gremium der neben der Forschung zentralen Aufgabe der Hochschulen an: der Lehre und dem Studium. Das ist für sich genommen schon ein Gewinn.
Aus vielen Feststellungen ergibt sich ein ziemlich kritisches Urteil über die zurückliegenden Reformen. Vielen Forderungen und Empfehlungen kann man nur zustimmen, sie sind allerdings altbekannt. Neues, wie die Einführung von Lehrprofessoren, ist kritisch zu bewerten. Der WR hat einen ganzen Bauchladen an unverbindlichen Vorschlägen vorgestellt, woraus sich jeder bedienen kann, ohne dass sich viel ändern dürfte. Eine Konzentration auf das Wesentliche wäre wirkungsvoller gewesen.
Nun ist der Wissenschaftsrat (WR) alles andere als eine Speerspitze des Fortschritts. Er setzt sich aus Mitgliedern zusammen, die von den etablierten Forschungseinrichtungen vorgeschlagen werden, also der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) dem größten öffentlichen Forschungsförderer, den außeruniversitären Forschungsorganisationen, wie der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (HGF), der Fraunhofer Gesellschaft (FhG), der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz (WGL) und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) zusammen. Bis auf die Rektoren, allesamt Einrichtungen, die nun nicht gerade viel mit der Lehre an den Hochschulen zu tun haben und alles Organisationen bei denen das Old-Boys-Network einen zentralen Stellenwert hat.
Zum Wissenschaftsrat gehören ferner vom Bundespräsidenten berufene „Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“, darunter überwiegend Vertreter forschungsintensiver Unternehmen, wie etwa Andreas Barner von der Boehringer-Ingelheim GmbH, Catrin Bludszuweit-Philipp, Geschäftsführerin der ASD Advanced Simulation & Design GmbH, Peter Draheim von der Philips GmbH, Nicola Leibinger-Kammüller von der Trumpf GmbH oder Corinna Nienstedt von der Handelskammer Hamburg. Dazu gehören noch die ZEIT-Journalistin Nina Grunenberg und als gewerkschaftliches „Gegengewicht“ Nikolaus Siman von der Hans-Böckler-Stiftung.
Dazu entsendet die Bundesregierung 11 hochrangige Beamte aus forschungsnahen Ressorts in den WR und „geborene“ Mitglieder sind die 16 Wissenschaftsminister der Länder.
Schon aus dieser Zusammensetzung lässt sich erkennen, dass im WR eher die etablierten Vertreter der Wissenschaft vertreten sind. Und die politische „Bank“ sorgt im Regelfall dafür, dass die Politik von den Beschlüssen und Empfehlungen des WR gewiss nicht überfordert wird.
So nimmt es auch nicht weiter Wunder, dass die Ratschläge und Empfehlungen des WR in aller Regel dem wissenschaftspolitischen Mainstream folgen. So auch bei jüngsten Empfehlung zu Studium und Lehre. Da werden natürlich die Mantras des herrschenden Reformsprechs rezitiert:
Dass „Autonomie und Wettbewerb zwischen den Hochschulen (…) Prozesse der Qualitätsverbesserung“ antreiben. Es wird ein „stärker differenziertes Hochschulwesen“ gefordert (genauer sollte man von einem hierarchisierten Hochschulwesen sprechen). Die Studienreform im Zuge des Bologna-Prozessen (also die Einführung von konsekutiven Bachelor- und Masterstudiengängen) werden nachdrücklich befürwortet und natürlich die heilsame Wirkung von „Studienbeiträgen“ betont.
Die Empfehlungen des WR zur Qualitätsverbesserung von Lehre und Studium sind dementsprechend wesentlich vom Bemühen bestimmt, nicht als eine allzu massive Kritik an den zurückliegenden Hochschulreformen verstanden zu werden.
Dennoch ergibt sich aus vielen Feststellungen ein ziemlich vernichtendes Urteil über die Versprechungen der Hochschulreformer. Es scheint jedenfalls nicht sehr weit her zu sein, mit der „nachfrageorientierten Qualitätsverbesserung“ der Lehre durch die Einführung von Studiengebühren, wenn sich jetzt der Wissenschaftsrat um die Qualität von Studium und Lehre sorgt.
Nachdem im Zuge des Bologna-Prozesses die Studiengänge vielfach maßlos überfrachtet, Studieninhalte und Studienqualität allenfalls noch am „work-load“ gemessen wurden, nachdem statt auf die Strukturierung der Studieninhalte auf austauschbare Module gesetzt wurde und die Profilbildung nur allzu oft das Nachdenken über Lernziele ersetzte, ist es höchst erfreulich, dass der WR betont:
Solche Sätze hat man aus den „Wortgeneratoren“ der eher auf den ordoliberalen Ökonomen Friedrich August von Hayek zurückgehenden „Reformer“ in den letzten Jahren nicht mehr gehört. Dort ging es nur noch um Wettbewerb, Effizienz, Flexibilisierung, Modularisierung, Profilbildung, Studienportifolio, Internationalisierung oder um andere Begriffe des betriebswirtschaftlichen Jargons. Es ist schon bemerkenswert, dass einer der meist gebrauchten Worte des Reformsprechs, die „Internationalisierung“ in den Empfehlungen nicht ein einziges Mal auftaucht.
So erfreulich die Rückbesinnung auf die Begrifflichkeiten von Bildung und Studium auch ist, der WR bietet mit seinen Analysen über die mangelnde Qualität der Lehre an unseren Hochschulen, kaum etwas, was nicht schon vor 10 oder 20 Jahren erkannt war:
Auch zur Verbesserung des Studiums liefert der WR kaum etwas Neues:
Er beklagt unter anderem,
Der WR fordert unter anderem:
Nahezu alle dieser Klagen und fast alle dieser Forderungen hätten sich so oder so ähnlich in meinen Reden finden lassen, die ich schon vor einem Dutzend Jahren als Wissenschaftsstaatssekretär gehalten habe.
Neu, aber leider kritisch zu betrachten, ist die Forderung nach einer stärkeren Differenzierung der Personalstruktur an den Hochschulen. Nicht jede Hochschullehre sei in gleicher Weise durch Forschung definiert. Der WR plädiert dafür, verstärkt zusätzliches Personal mit einem Tätigkeitsschwerpunkt in der Lehre einzustellen, und zwar auch auf Professuren. Solche Stelleninhaber sollen etwa 2/3 ihrer Zeit (max. 12 SWS) für Tätigkeiten in Studium und Lehre aufwenden, 1/3 der Zeit soll für Forschungsarbeiten zur Verfügung stehen. Maximal 20% aller Universitätsprofessuren sollten langfristig einen solchen Schwerpunkt aufweisen.
Die Juniorprofessur mit Schwerpunkt Lehre könne ein attraktives Angebot für hoch qualifizierte Nachwuchskräfte sein. Ergänzend könnten die Universitäten Personal mit Schwerpunkt Lehre auch unterhalb der Professur dauerhaft beschäftigen. Die Personalkategorie des „wissenschaftlichen Mitarbeiters“ schaffe hier die notwendigen rechtlichen Spielräume. Der Wissenschaftsrat regt an, die Hälfte der zusätzlich erforderlichen Professuren als Professuren mit dem Schwerpunkt Lehre zu vergeben mit 12 Semesterwochenstunden Lehrdeputatsverpflichtung.
Dieser Vorschlag zur Differenzierung der Personalstruktur, dürfte die ohnehin schon vorhandene rechtliche und soziale Hierarchisierung an den Universitäten noch verstärken. Es würde künftig Hochschullehrer erster, zweiter und dritter Klasse geben. Damit würde aber die Lehre auch noch durch den Gehaltszettel abgewertet. Wer wie ich an einer ehemaligen Gesamthochschule gearbeitet hat und miterleben musste, welche Prestigekämpfe dort zwischen den (formal gleichberechtigten aber) mit ihren Lehrdeputaten unterschiedlich belasteten Hochschullehrern ausgetragen wurden, kann vor einer solchen Differenzierung nur warnen. Das Problem finge damit an, dass die „Lehrprofessoren“ in die Bachelor-Studiengänge gedrängt würden und sich die „Forschungsprofessoren“ die Lehrangebote die „wissenschaftlichen und forschungsbezogenen“ Masterangebote herauspickten. Es gäbe Streit um die Kreditpunkte für die jeweiligen Lehrangebote bis hin zur Anerkennung der Prüfungsleistungen – wie wir das heute zwischen Fachhochschulen und Universitäten permanent erleben. Die ohnehin nicht ausgeprägte Kollegialität unter den Hochschullehrern und die schon derzeit schädliche Hierarchisierung zwischen den unterschiedlichen Besoldungsgruppen würde sich weiter verschärfen – zu Lasten der Lehre.
Der WR beklagt selbst dass die hohe Präsenz in den Bachelor-Studiengängen mit der (offenbar notwendigen) hohen Erwerbstätigkeit der Studierenden nicht in Einklang zu bringen ist. „Faktisch studieren allerdings viele Studierende in Teilzeit. Soweit dies erforderlich ist, um den Lebensunterhalt zu sichern, weist es auf Mängel im System einer sozialverträglichen Studienfinanzierung hin.“ Dennoch befürwortet der WR die Studiengebühren. Die gleichzeitige Forderung, dass Studierende durch die auf sie entfallende finanzielle Belastung nicht vom Studium abgehalten werden dürften und ein zügig durchgeführtes Studium möglich bleiben müsse, bleibt deshalb genauso leeres Gerede, wie der Satz, dass die Erhebung von „Studienbeiträgen und Studienfinanzierung insgesamt…von einem entsprechend wirksamen und bedarfsorientierten Fördersystem flankiert werden“ müsste. Bei 2 % (absolut 16.590) der Studierenden, die ihr Studium „unter anderem“ durch Stipendien finanzieren können, eine geradezu lachhafte Aussage.
Bis in die Zeitungsschlagzeilen hat es die Forderung geschafft, dass es der WR speziell zur Verbesserung der Qualität von Lehre und Studium für erforderlich hält, dass dem Hochschulsystem kontinuierlich und verlässlich jährlich insgesamt 1,104 Mrd. Euro p. a. zusätzlich zur Verfügung gestellt wird. Allein um das Betreuungsverhältnis einigermaßen an internationales Niveau heranzubringen, seien mindestens 357,1 Mio. Euro p. a. nötig. Das hört sich gewaltig an: Verteilt auf 391 staatlichen bzw. staatlich anerkannten Hochschulen, wären das pro Hochschule aber gerade einmal etwas über 900.000 Euro für zusätzliche Hochschullehrer.
Aber es wäre immerhin etwas. Wenn man jedoch diese Zahlen einmal damit vergleicht, dass allein in diesem Jahr die Unternehmenssteuern um über 5 Milliarden gesenkt werden, dann zeigt sich in nackten Zahlen, wie es um die „Bildungsrepublik“ Deutschland steht.
Die Empfehlungen des WR zur Qualitätsverbesserung von Lehre und Studium sind gemessen an dem Reformjargon und an der Reformpraxis der letzten Jahre ein erfreuliches Dokument. Es ist allerdings zu befürchten, dass diese Empfehlungen, wie viele andere des WR, zwar in vielen Sonntagsreden salbungsvoll zitiert werden, dass aber nur wenig daraus folgt. Das liegt auch an den Empfehlungen selbst. Sie enthalten einen vielfältigen Bauchladen an Ratschlägen und völlig unterschiedlich bedeutsamen Vorschlägen. Jeder Rektor, jeder Wissenschaftsminister kann sich daraus etwas herauspicken und sich rühmen dem WR gefolgt zu sein. Es fehlt ein zusammenhängendes Konzept und es fehlt vor allem eine auf die einzelnen Verantwortlichen bezogene Verbindlichkeit.
Weniger, wäre auch in diesem Falle mehr gewesen. Hätte sich der WR auf einen Katalog von wenigen Kernpunkten verständigt und klare Verantwortlichkeiten zugewiesen und womöglich einen verbindlichen Zeitplan vorgegeben, so wäre der Verbesserung der Qualität der Lehrer ein größerer Dienst erwiesen worden.
Quelle: Wissenschaftsrat [PDF – 396 KB]
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=3327