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Titel: Ist der „Deutschbanker“ ein Räuber und Barbar? Der VW-Manager ein Raffke und Betrüger? – Ein heterodoxer Erklärungsversuch des Unerklärlichen

Datum: 29. April 2016 um 14:14 Uhr
Rubrik: Ökonomie, Banken, Börse, Spekulation, Ungleichheit, Armut, Reichtum, Wertedebatte
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An Skandalen und Enthüllungen rund um das Finanzwesen hat es in den vergangenen Wochen und Monaten nicht gemangelt. Hier einige Schlagzeilen: „Deutsche Bank auf der Anklagebank“, „Mitarbeiter der Deutschen Bank an betrügerischen Cum-Ex-Transaktionen beteiligt“, „Warburg Bank gerät ins Visier der Justiz“, „Panama-Affäre kostet erste Banker den Job“, „Bafin macht Maple Bank wegen dubioser Steuergeschäfte dicht“. Und nicht zu vergessen: die Abgas-Manipulationen bei Volkswagen (VW). Von Thomas Trares[*].

„Was ist da los?“, fragt sich der gemeine Bürger und der Ökonom ist verdutzt. Denn das, was man da liest, hat nur noch sehr wenig mit dem rational handelnden „Homo Oeconomicus“ der Volkswirte oder mit dem „ehrbaren Kaufmann“ der Betriebswirte zu tun. Was also ist es dann?

In den Finanzberufen herrschen „noch immer Willkür, Unterwürfigkeit und verschlagene Praktiken vor, die an den räuberischen Betrug erinnern“, sagt der amerikanische Ökonom und Soziologe Thorstein Veblen. Und weiter behauptet er:

„Wo sich die ökonomischen Funktionen des Menschen auf den Besitz von Reichtum beziehen, der an seinem Tauschwert gemessen und mit dem Manipulationen und Finanzoperationen durchgeführt werden, dort fördert die Erfahrung im ökonomischen Leben das räuberische Temperament und die räuberischen Denkgewohnheiten. Das moderne System und das moderne Erwerbsleben begünstigen natürlich vor allem die friedlichen Spielarten räuberischer Gewohnheiten und Neigungen; mit anderen Worten verschafft die finanzielle Betätigung nicht sosehr eine Erfahrung in den älteren Methoden des gewaltsamen Raubs als eine gewisse Fertigkeit in allen Arten des Betrugs.“

Dass diese Erklärungen für heutige Ohren etwas seltsam klingen, mag daran liegen, dass Veblen diese Zeilen bereits vor über 100 Jahren niedergeschrieben hat; in einer Zeit also, in der die Bankenmacht ähnlich groß war wie heute. Veblen selbst war ein Vertreter des Institutionalismus, einer Denkrichtung, die zur Jahrhundertwende noch in Konkurrenz zur neoklassischen Lehre stand. Während aber die Neoklassik heute das Denken an den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten dominiert, ist der Institutionalismus weitgehend in der Versenkung verschwunden. Nichtsdestotrotz gilt Thorstein Veblen als einer der Urväter der heutigen heterodoxen Ökonomen, die sich für mehr Offenheit und Pluralität in den Wirtschaftswissenschaften einsetzen.

Konsequenterweise lehnt Veblen die Figur des Homo Oeconomicus ab. Wirtschaftliches Verhalten unterliegt demnach nicht allein dem individuellen Rationalkalkül, sondern hängt stark von traditionellen Gewohnheiten wie auch vom jeweiligen sozialen und kulturellen Umfeld ab. „In jeder Gesellschaft, die das Privateigentum kennt, muss der Einzelne im Interesse seines inneren Friedens mindestens ebenso viel besitzen wie jene, mit denen er sich auf dieselbe Stufe stellt; und es ist außerordentlich wohltuend, etwas mehr zu haben als die anderen.“, sagt Veblen.

Wichtig sind darüber hinaus anthropologisch tiefverwurzelte Muster und Prägungen, die sowohl das Verhalten des frühen Barbaren als auch das des modernen Menschen bestimmen. Veblen spricht unter anderem von Gier, kühner Aggression, sozialem Geltungsdrang, Tapferkeit, Heldentum, Betrug, Ausbeutung, skurrilen Bräuchen und Zeremonien, Aberglauben und Animismus oder aber auch von der Frau als Trophäe und Werteinheit. Galt es in barbarischen Zeiten etwa noch als ehrenvoll, Jagd- und Kriegsbeute anzuhäufen, so ist in der Moderne die Anhäufung von Geld und Vermögen zum Ausweis von sozialem Prestige geworden.

Für Veblen erschöpft sich „der Anreiz zum Akkumulieren von Gütern also nicht einfach in der Sorge um die Existenz und materiellen Komfort“, vielmehr sieht er darin „einen sozialen Wettlauf um Ansehen, Ehrbarkeit und gesellschaftliche Macht“. Nur so ist etwa zu erklären, dass selbst in den gehobenen Klassen Raffgier und Absahner-Mentalität tief verwurzelt sind. Aktuelle Beispiele sind hier der isländische Ministerpräsident Sigmundur Davíð Gunnlaugsson und seine millionenschwere Gattin, die ihr Geld unbedingt in windigen Briefkastenfirmen in Panama parken mussten, wie auch die VW-Vorstände, die trotz des Abgasskandals und des damit verbundenen wirtschaftlichen Misserfolgs nicht auf ihre Boni verzichten wollen.

Der moderne Wiedergänger des barbarischen Kriegers ist offenbar aber der Investmentbanker bei Deutsche Bank & Co. Darauf zumindest lassen verschiedene Insiderberichte schließen. „Die Kollegen im Parketthandel kannten genau zwei Themen: Geld und Sex. Es war im Grunde der größte Affen- und Saustall, den ich bis dahin gesehen hatte“, schreibt der Wertpapierhändler Volker Handon in seinem Buch „Die Psycho-Trader“. Manche Banker sollen von ihren Bewerbern gar die Messung ihres Testosteronspiegels verlangen. Denn „in der ersten Angriffsreihe setzen Banken in der Regel auf aggressive Spieler – Jungs mit den sprichwörtlichen Eiern in der Hose“. Andere Insider wiederum berichten von aggressivem Machocode oder vom „Opfern“ von Kunden, etwa um ihnen Schrottpapiere anzudrehen, die die Bank noch in der eigenen Bilanz stehen hatte. „Nimm sie aus wie Gänse“, lautete eine interne Anweisung.

Interessant sind auch die Ausführungen einer früheren Investmentbankerin, die unter dem Pseudonym Anne T. schildert, wie ahnungslosen Kunden renditeschädliche, aber gut verpackte Produkte verkauft wurden, etwa indem man sie mit teuren Abendessen und sonstigen, den Narzissmus fördernden Manipulationsmitteln gefügig machte. Und wenn dann auch noch Lloyd Blankfein, Chef der Investmentbank Goldman Sachs, meint, dass der Banker „Gottes Werk“ verrichte, dann ist dieser auch nicht mehr weit vom Animismus und Aberglauben des frühen Barbaren entfernt.

Einer, der diese Beobachtungen wissenschaftlich unterfüttert, ist der in Cambridge lehrende Neurowissenschaftler John Coates, der vor seiner Universitätskarriere als Derivatehändler an der Wall Street arbeitete. Coates wies nach, dass bei steigenden Gewinnen auch der Testosterongehalt im Blut zunimmt, Händler werden dann wahnhaft und euphorisch. Sogar Parallelen zu Alkohol- und Kokainsucht seien erkennbar. Seine wissenschaftliche Laufbahn soll Coates übrigens eingeschlagen haben, um herauszufinden, was Geld, Macht und Gier alles bei ihm angestellt hatten.

All dies bedeutet natürlich nicht, dass in den Führungsetagen der Banken heute keine rationalen Entscheidungen mehr getroffen werden und selbstverständlich werden dort auch auf Daten und Fakten basierende Analysen erstellt und natürlich gehen auch die meisten Bankangestellten rechts- und gesetzestreu ihrer Arbeit nach. Dennoch wird anhand dieser Beispiele deutlich, dass mit dem vor gut zwei Jahrzehnten einsetzenden Aufstieg des Investmentbankers ein Kultur- und Wertewandel in den Finanzhäusern stattgefunden hat, der genau diese von Veblen beschriebenen, barbarischen Verhaltensmuster nach vorne geschoben hat.

Das Ergebnis lässt sich heute besonders eindrucksvoll bei der Deutschen Bank ablesen, bei der folgende „kriegerische“ Handlungen aktenkundig geworden sind: Handel mit US-Hypothekenramsch, Umsatzsteuerbetrug bei CO2-Emissionszertifikaten, betrügerische Cum-Ex-Geschäfte, Beihilfe zur Steuerhinterziehung, grob fehlerhafte Anlageberatung bei Zinswetten, Verdacht auf Betrug im Kirch-Prozess, die Manipulation der Referenzzinssätze Libor und Euribor oder Geldwäsche und Sanktionsverstöße. Und damit ist die Liste der Verfehlungen noch lange nicht erschöpft.

Etwas anders sieht die Sache freilich bei VW aus. Als eigentliche Ursache für den Abgasskandal gilt hier die „Strategie 2018“ der früheren Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn und Ferdinand Piëch. Diese wollten mit VW bis 2018 auf Biegen und Brechen an Toyota vorbeiziehen und so zum größten Autobauer der Welt aufsteigen. Ohne den Durchbruch auf dem US-Markt hätte man dies aber nicht geschafft. Daher sollten „saubere“ Dieselmotoren in den USA die Hybridmotoren der Japaner ausstechen. Wie man heute weiß, ist dieses Vorhaben gründlich schiefgegangen.

Hinter dem Vorgehen der VW-Manager verbergen sich aber gleich zwei Veblen-Elemente. Erstens erinnern diese Praktiken sehr stark an die kriegerische List und Heimtücke des frühen Barbaren und zweitens sind sie Ausdruck des sozialen Geltungsdrangs der beiden Alpha-Tiere Piëch und Winterkorn. Denn wirtschaftlich erfolgreich hätte VW sicher auch als weltweite Nummer Zwei bleiben können. Doch wer will schon die Nummer Zwei sein? Piëch und Winterkorn bestimmt nicht.


[«*] Thomas Trares ist Diplom-Volkswirt. Studiert hat er an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Danach war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur vwd. Seit über zehn Jahren arbeitet er als freier Wirtschaftsjournalist in Berlin.


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