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Titel: Die Verwendung von Studiengebühren in NRW – eine Studie ohne Wert
Datum: 11. Juni 2008 um 9:27 Uhr
Rubrik: Hochschulen und Wissenschaft
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Eine wunderschön ausgewogene Studie über die „Verwendung von Studienbeiträgen an Hochschulen in Nordrhein-Westfalen“ [PDF 2,6 MB] hatte „Innovationsminister“ Andreas Pinkwart in Auftrag gegeben. Auftragnehmer waren das „Deutsche Studentenwerk“, das sich um soziale Anliegen der Studierenden kümmert, und der „Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft“, der verlängerte Arm der Unternehmerverbände in Hochschule und Wissenschaft. Die Auftragnehmer der Studie mögen ausgewogen sein, allerdings ist ihre Studie ohne Wert.
Studiengebühren gelten in NRW (definitionsgemäß) als sozialverträglich, weil Studierende bei der NRW.Bank ein verzinsliches „Studienbeitragsdarlehen“ beantragen können. Bisher nehmen allerdings nur 50.910 der 461.900 Studierenden in NRW, also 11 Prozent, diese ´soziale Wohltat` in Anspruch. * Sind es Studierende aus ärmeren Haushalten und erhalten eine Ausbildungsförderung, so erwartet sie nach ihrem Hochschulabschluss eine Darlehenschuld von bis zu 20.000 Euro (BAföG-Darlehen maximal 10.000 Euro + Studiengebührendarlehen maximal 10.000 Euro).
Im Studienjahr 2007 erbrachten die Studiengebühren Einnahmen von 251,94 Millionen Euro. Prognostiziert waren Einnahmen von 320 Millionen Euro worden. Bei einer Gesamtsumme des Hochschulhaushalts im Jahre 2007 von 5.191.985,3 Milliarden Euro [PDF – 64 KB] machen also die Studiengebühren etwa knapp 5 % aus.
Unmittelbar verfügbar waren davon für die Hochschulen allerdings nur 73,6 Prozent, also 215 Millionen Euro. Abgezogen werden musste der Verwaltungsaufwand (minus 1,4%), Rückstellungen (minus 7,2%) und Abzüge für einen Ausfallfonds (minus 17,8%).
Bei diesem Ausfallfonds (den es auch anderswo gibt) handelt es sich um ein ziemlich einmaliges Konstrukt: Die Studierenden (also eine Gruppe von Darlehensnehmern) haften für die Kreditausfallrisiken ihrer Kommilitonen gegenüber der NRW.Bank. Das ist so als würden Handwerker bei Sparkassen oder Volksbanken für die faulen Kredite ihrer Handwerkskollegen bürgen, die zahlungsunfähig geworden sind. Es wäre eine rechtliche Überprüfung wert, ob solche Risikoabsicherungen aus Zwangsbeiträgen überhaupt zulässig sind.
Bei den im Bericht erfassten Hochschulen waren 140,98 Millionen Einnahmen aus Studiengebühren verfügbar, davon wurden allerdings nur 112,96 Millionen (80,1%) verwendet. Wohin die Überschüsse geflossen sind, ist unklar. Warum gerade die größten Hochschulen, die Universität Köln und die RWTH Aachen, nicht einbezogen werden konnten, bleibt unklar.
Für die Aufstockung des Lehrpersonals wurden gerade mal ein Fünftel an den Universitäten und 14,4% an den Fachhochschulen eingesetzt. Für Tutoren- und Mentorenprogramme 13,6% an den Unis und 10% an den FHS. Der Rest der Einnahmen floss in ganz unterschiedliche Verwendungen – häufig in die ganz normale Grundausstattung.
Obwohl immerhin ein Viertel der 161 (!) Rückläufe von Studierenden keinen oder überhaupt keinen Beitrag zur Verbesserung der Lehre erkennen, besteht für die Berichterstatter „kein Zweifel“ an einer zweckentsprechenden Verwendung der Studiengebühren.
Von der viel gepriesenen „Nachfragemacht“ der Studierenden oder gar von ihrer Rolle als „Kunde“ scheint jedenfalls nach Meinung der (wenigen befragten) Studierenden in der Realität nicht viel angekommen zu sein. Wie sollte das auch möglich sein, bei dem marginalen Beitrag, den die Studiengebühren für die Hochschulen insgesamt erbringen.
Und vom Wettbewerb der Hochschulen auf dem Ausbildungsmarkt – wie es immer so schön hieß – ist gar nichts zu spüren. Letzteres müssen sogar die Verfasser der Studie einräumen: „Bislang werden die Möglichkeiten zur Profilbildung und zum Wettbewerb durch die Hochschulen nur unzureichend ausgeschöpft. Eine durchgängige Kundenorientierung seitens der Hochschulen muss sich noch weiter entwickeln.“
Befragt wurden die Hochschulleitungen. Sie sollten Fragebögen auch an die Studierenden im Senat und in den Fachbereichsräten weiterleiten. Nun haben 29 von 33 Hochschulleitungen in NRW Studiengebühren beschlossen. Es wäre geradezu verwunderlich, wenn diejenigen, die für die Einführungen von Studiengebühren waren, nun plötzlich zurückmeldeten, dass diese ihren Zweck verfehlten und dass nicht alle Mittel zur Verbesserung der Lehre eingesetzt worden seien.
Die Berichtersteller haben gerade mal Begehungen an vier der 29 Hochschulen durchgeführt und auch dabei wurden wiederum überwiegend mit den Leitungsgremien der Hochschulen Gespräche geführt.
Welcher Präsident würde zugeben, dass er gegen das Gesetz verstoßen hat? Solche Aussagen der Hochschulleitungen sind also wenig bis gar nichts wert.
Von den Studierenden wurden insgesamt 161 ausgefüllte Fragebögen in die Auswertung einbezogen. 161 von knapp 462.000 Studierenden in NRW konnten also ihr Urteil abgeben. Dass es an den Hochschulen Nordrhein-Westfalens insgesamt nur 161 Fachbereiche geben soll, können die Berichterstatter wohl niemand weismachen.
Wenn man Studierende fragen wollte, reichte es noch nicht einmal aus, die Fachbereichsvertreter zu befragen, man müsste die Fachschaften befragen, ob sich die Lehre verbessert hat, und davon gibt es insgesamt sicherlich mehrere tausend in ganz NRW.
Von einer repräsentativen Aussage der Studierenden also keine Spur.
Im Wintersemester 2007/2008 gab es in Nordrhein-Westfalen
461.900 Studierende (d. h. 7.100 Studierende bzw. 1,5 % weniger als im Wintersemester2006/2007), also dem Semester, ab dem zum ersten Mal (zunächst allerdings nur für Studienanfänger) Studiengebühren verlangt werden konnten.
Auf die Frage, warum die Zahl der Studierenden im Erhebungszeitraum entgegen dem Trend in der gesamten Republik zurückgegangen ist, geht die „Studie“ natürlich nicht ein. Die zentrale Frage, ob Studiengebühren eine abschreckende Wirkung haben – vor allem für Studierende aus sozial schwächeren Haushalten –, fehlte.
Dass sich ein Minister angesichts einer derart unsoliden Studie vor die Presse stellt und von einem „zufriedenstellenden Zeugnis“ spricht, müsste eigentlich Hohngelächter auslösen.
Vgl. dazu auch:
0,4 Promille Aussagekraft
Quelle: taz
* Korrektur am 11.06.08: Fälschlicherweise hatte ich hier geschrieben, dass Studierende, die BAföG erhalten und ein Studiengebührendarlehen in Anspruch nehmen, am Ende ihres Studiums eine Darlehensschuld von bis zu 20.000 Euro erwartet (10.000 Euro BAföG-Darlehen plus 10.000 Euro Studiengebührendarlehen).
Das ist falsch: Nach § 15 Abs. 2 Studienbeitragsgesetz ist die Darlehensschuld auf 10.000 Euro maximal gedeckelt. [wieder nach oben]
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