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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Ratgeber für Bildungsdesigner
Datum: 1. April 2016 um 10:57 Uhr
Rubrik: Bildungspolitik, Privatisierung öffentlicher Leistungen
Verantwortlich: Jens Berger
Es gibt Dinge, die so beschaffen sind, dass sie sich einer nüchternen Berichterstattung entziehen. Dazu gehört ganz sicher auch die sich abzeichnende Inbesitznahme des Schul- und Bildungswesens durch private Investoren. Aber obwohl mittlerweile etliche dafür sprechende Indizien auszumachen sind – wirklich beweisen lässt sich diese ganz besondere Art der Landnahme nicht. Da es aber auf jeden Fall geraten ist, in dieser Hinsicht wachsam zu bleiben, hat die Autorin den Versuch unternommen, die möglicherweise auf uns zukommende Entwicklung in Form eines fiktiven Vortrags mit satireähnlichen Zügen zu skizzieren. Von Magda von Garrel [*]
Liebe Delegierte,
zu Beginn unseres diesjährigen Bildungsdesign-Weltkongresses möchte ich Sie nicht nur begrüßen, sondern vor allem loben: Sie haben hervorragende Arbeit geleistet! Es ist Ihnen gelungen, einen großen Teil der Menschheit davon zu überzeugen, dass sich romantische Bildungsvorstellungen schlicht und einfach überlebt haben. Bildungsziele wie Kritikfähigkeit oder gar Solidarität sind zu Störfaktoren der digitalen Transformation geworden, bei denen es sich außerdem um nicht messbare Größen handelt, die als Grundlage einsortierender Bewertungen untauglich sind.
Aber ich will nicht abschweifen. Wesentlich ist die Erkenntnis, dass wir zukünftig keine sozial denkenden, sondern einwandfrei funktionierende Menschen brauchen. Gerade in dieser Hinsicht haben wir ja auch schon viel erreicht, seitdem wir die Ebene der von unseren Mitgliedskonzernen verfassten und kostenlos verteilten Unterrichtsmaterialien verlassen haben. Mit besonderem Stolz erwähne ich die europaweite Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge, die den bislang üblichen studentischen Freiheiten endlich den volkswirtschaftlich gebotenen Garaus gemacht haben.
Ein anderes schönes Beispiel ist der mittlerweile fest verankerte Glaube an die unschlagbare Qualität eines evidenzbasierten Unterrichts. Das Vertrauen in die eigene Urteilskraft der am Bildungsprozess Beteiligten konnte so nachhaltig erschüttert werden, dass es uns gelungen ist, Studienergebnissen aus dem Bereich der Bildungsforschung den Nimbus letzter Wahrheiten zu verleihen. In Anbetracht der teilweise widersprüchlichen Ergebnisse, die zur Wahrung unseres neutralen Anstrichs nun einmal erforderlich sind, übertraf diese Leistung unsere eigenen Erwartungen.
Oder denken Sie an die Hattie-Studie. Was haben wir gelacht! Natürlich hat es den Lehrern gefallen, dass ihnen in einer so groß angelegten Untersuchung eine alles überragende Rolle zugeschrieben worden ist. Bei einem solchen Befund glaubt man doch gern an die zu vernachlässigende Bedeutung der von uns weiterentwickelten Formen des lehrerunabhängigen elektronischen Lernens.
Hinsichtlich der öffentlichen Wahrnehmung war unser größter Coup ganz sicher die Implementierung länderübergreifender Leistungsvergleiche durch die dafür gar nicht zuständige OECD. Der Erfolg von PISA & Co. kann nur als grandios bezeichnet werden, da wir es ungeachtet der uns durchaus bewussten Testschwächen geschafft haben, die Bildungspolitik ganzer Länder in unserem Sinne zu beeinflussen. Noch heute staune ich darüber, wie glatt das alles über die Bühne gegangen ist.
Daran sollten Sie sich immer erinnern, wenn Ihnen hin und wieder ein etwas rauerer Wind ins Gesicht bläst. Noch haben wir nicht auf der ganzen Linie gewonnen und mancherorts ist die Widerständigkeit sogar gewachsen.
Deshalb soll im Zentrum meines heutigen Vortrags ein für Sie entworfener Ratgeber stehen, der als Handlungsanleitung sowohl für bildungsterritoriale Rückgewinne als auch für prestigeträchtige Zugewinne zu verstehen ist. Die beiden wichtigsten Grundsätze nenne ich schon mal vorab: Wo immer es geht, sollten Sie sich vordergründig auch mit den eigenwilligsten Ansichten Ihrer jeweiligen Ansprechpartner identifizieren, um dann im Windschatten dieser Zustimmung an der beschleunigten Umsetzung unserer tatsächlichen Ziele zu arbeiten. Genauso wichtig ist die verstärkte Hofierung der uns ohnehin nahe stehenden Menschen. Dies gilt insbesondere für die extrem karrierebewussten Eltern, da sie es sind, die im Licht der Öffentlichkeit den größten uns dienenden Druck ausüben können. Nun aber zu den einzelnen Punkten des Ratgebers:
Soweit der aktuelle Ratgeber. Schon jetzt steht fest, dass wir uns im nächsten Jahr mit einigen neuen Fragestellungen auseinandersetzen und unsere Übernahmeziele noch besser mit den von der Industrie 4.0 ausgehenden Anforderungen abstimmen müssen. Gleichzeitig bedeutet dies aber auch, dass wir dann schon wieder ein ganzes Stück weiter sein werden.
Aber, um es abschließend noch deutlicher zu sagen: Unseren Einflussbereich können wir nur dann stetig vergrößern, wenn die Mehrheit der Bevölkerung weiterhin daran glaubt, dass sich der von uns angeheizte Konkurrenzkampf wirklich lohnt. Deshalb sollten Sie es als Ihre heilige Pflicht betrachten, die schon kursierenden Mutmaßungen über den zunehmenden Ersatz der menschlichen Arbeitskraft durch immer intelligentere Computer mit aller Macht aus der bildungspolitischen Diskussion herauszuhalten. In diesem Zusammenhang kann ich mir den Hinweis nicht verkneifen, dass auch einige von Ihnen den Arbeitsplatz verlieren werden und es somit in Ihrem eigenen Interesse liegt, nicht durch vorwitzige Bemerkungen unangenehm aufzufallen.
Strahlen Sie statt dessen positive Energie aus! Schließlich besteht Ihre nicht unwesentliche Aufgabe darin, der Bildung einen neuartigen Glanz zu verleihen. Anders ausgedrückt: Wir wollen die Bildung doch nicht zerstören, sondern ihr lediglich einen moderneren Kern verpassen. Und zu diesem Zweck sind wir ja auch kreativ tätig, was der von uns gewählte Begriff ‘Bildungsdesign’ sehr schön zum Ausdruck bringt. Für den Fall, dass ungeachtet unseres großen Ziels die Älteren unter Ihnen dem Untergang des Humboldtschen Bildungsideals heimlich ein wenig nachtrauern, möchte ich an eine Weisheit der Altvorderen erinnern: Wo gehobelt wird, fallen Späne! In diesem Sinne lade ich Sie jetzt zu unserem wohlverdienten Festtagsessen ein.
[«*] Magda von Garrel ist Sonderpädagogin (Fachbereiche: Sprachbehinderungen und Verhaltensstörungen) sowie Diplom-Politologin und war als Integrationslehrerin an Grund-, Haupt-, Sonder- und Berufsschulen tätig.
Kontakt zur Autorin: [email protected]
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
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