Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Kriegstreiberei – NATO, US-General Breedlove, Panzerbrigade
Datum: 31. März 2016 um 15:49 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Außen- und Sicherheitspolitik, Aufrüstung, Militäreinsätze/Kriege
Verantwortlich: Albrecht Müller
Mit Kopfschütteln und wachsendem Zorn aber ohnmächtig muss man verfolgen, was da an irren Nachrichten über Truppenverschiebungen, Säbelrasseln, Milliarden -Militärausgaben und ihre selbstverständliche Erhöhung auf einen niederprasselt. Sonja Karas, ehemals Mitglied im Landesvorstand von Bündnis 90/die Grünen in Brandenburg hat freundlicherweise das kompakte Ergebnis ihrer Recherchen zum Thema an die NachDenkSeiten geschickt. Wir geben dieses Recherche-Ergebnis direkt an unsere Leserinnen und Leser weiter. Noch zur Information: Sonja Karas kandidierte zum Vorsitz der Grünen Partei. Hier ihre Bewerbungsrede. Albrecht Müller
Liebes Nachdenkseiten-Team,
anbei ein paar Zeilen, die gestern entstanden sind, nachdem die Meldung der Berliner Zeitung bei mir auftauchte. Kein Anspruch auf Vollständigkeit, aber vielleicht reduziert es Euch den Recherche Aufwand zu diesem Irrsinn.
Herzliche Grüße
Sonja Karas
„Die USA sind bereit, gegen Russland in Europa zu kämpfen und es zu besiegen.“ – General Breedlove (NATO SACEUR)
30. Juni 2015 – Von der Leyen warnt Nato vor Fixierung auf Budget-Ziel
Rückblende Sommer 2015 – Wer soll bloß das NATO Engagement in Osteuropa bezahlen? Klar ist, u.a. Deutschland mit 8 Mrd. Euro Wehretat-Aufstockung bis 2019 (Gesamtetat, nicht nur Osteuropa). Wobei es damals offiziell nur um die „popelige“ 40.000 mannstarke Superschnelle-Eingreiftruppe (aka Speerspitze) ging. Klar war damals schon – Das reicht bei weitem nicht.
Quelle: Reuters, 30.6.2015
10. Februar 2016 – NATO rüstet im Osten auf
Nach Erscheinen dieses Artikels, überlegten Presse und Experten ausgiebig wie die Aufrüstung zu bezahlen sei. Kein Europäischer Staat in Europa – auch Deutschland – riss sich schließlich darum die NATO-geforderten Wehrausgaben, aka Kriegsetat, auf das 2%-Ziel (gemessen am Bruttoinlandsprodukt) zu realisieren.
Quelle: Die Zeit, 10.02.2016
18. Februar 2016 – Der Warschauer Schluss-Pakt.
Für die unaufmerksame Leserschaft sorgte der Journalist Jochen Bittner, aka Gauck’s transatlantischer Redenschreiber, nochmals für die Einordnung worum es geht, und wer der wahre Aggressor sei (Der ganze Beitrag ist eine echte Orwell-Perle).
So zitiert er den polnischen Außenminister Waszczykowsky z.T. wörtlich bis sinngemäß: “Als sie (Nato-Russland-Akte*) 1997 beschlossen wurde, sei das Sicherheitsumfeld ein völlig anderes gewesen. Boris Jelzin sei noch Präsident gewesen, und Russland habe noch keine Kriege in seiner Nachbarschaft vom Zaun gebrochen. (…).“ – dabei wiederholt Bittner fein säuberlich das „Ausmaß der Bedrohung, dessen sich (natürlich laut Waszczykowsky) Westeuropa nicht bewusst ist.
In der Zwischenbilanz stellt er dann fest, Zitat: „Nun ist zweifellos richtig, dass Russland spätestens mit dem von ihm unterstützten Krieg in der Ostukraine den Geist der Grundakte mit der Nato verletzt hat. Richtig ist auch, dass diese Grundakte ausdrücklich “das gegenwärtige und vorhersehbare Sicherheitsumfeld” von vor zwanzig Jahren als Basis hatte. Von dem kann heute keine Rede mehr sein.“
Mit anderen Worten, Russland verletzt einseitig einen ‚Geist’, und hat in den letzten zwanzig Jahren den Wandel der NATO, von einem nordatlantischen Militärbündnis in die führende, international operierende Demokratie- und Menschenrechtsorganisation verpasst. Da rügt Bittner dann auch schon Mal den polnischen Außenminister, Zitat: „Es ist nicht die Sache des polnischen Außenministers, schlankweg irgendetwas (Nato-Russland-Akte) für ungültig zu erklären.“ Dieses Privileg steht nur dem US-Oberfriedensengel, Bischoff Breedlove zu.
Quelle: Die Zeit, 18.02.2016
Der trat dann zwei Wochen später auch auf die Kanzel.
4. März 2016 – Kalter Krieg 2.0
Mit der irreführend harmlosen Überschrift „Kalter Krieg 2.0“ liefert der Cicero einen sehr ordentlichen Beitrag ab. Der NATO Oberbefehlshaber (Europa), US General Breedlove, hielt eine Rede im US Kongress. Die Originalrede ist noch stärkerer Tobak, aber auch nur diese Zusammenfassung verfehlt seine Wirkung nicht. Breedlove erklärte darin u.a.: „Die Russen haben beschlossen, Gegner der USA zu sein. (…) Da nützt es nichts, dass die Russen behaupten, sie würden die Nato nicht angreifen wollen. Er will vorsorgen, Kaliningrad notfalls überrennen (…).“
Quelle: Cicero, 04.03.2016
Daraus folgt für Breedlove & Co. (erneut):
30. März 2016 – USA wollen Panzerbrigade nach Osteuropa verlegen.
Genauso lautete dann auch die Überschrift der Berliner Zeitung, gestern Abend. Dort stand u.a. „Man (die USA) reagiere damit auf die Sorgen europäischer Alliierter angesichts einer russischen Aggression.“
Quelle: Berliner Zeitung 30.3.2016
Der direkte Vergleich dieser beiden Aussagen lässt die Leserschaft mit gesundem Menschenverstand dann doch stutzen, und den eigenen Aggressionsbegriff hinterfragen. Breedlove ist insgesamt ein äußerst mitteilungsbedürftiger Oberbefehlshaber, der ständig von Russland zu härteren Maßnahmen gezwungen wird.
Juni 2015 – NATO erwägt Dauer-Stationierung in Osteuropa
Rückblende: Im Juni 2015 erklärte Breedlove, Zitat: „(…) Die russische Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim und die direkte Verwicklung Moskaus in die Geschehnisse in der Ostukraine hätten ein „neues Paradigma“ geschaffen, das die Nato zu solchen Überlegungen zwinge.(…)“
Quelle: Handelsblatt, Juni 2015
26. Februar 2016 – Breedlove: „US Ready to fight and defeat Russia in Europe“ / „Die USA sind bereit, gegen Russland in Europa zu kämpfen und es zu besiegen.“
Der Mann ist nicht zimperlich. Wobei seine Aussage in sämtlichen Medien verkürzt dargestellt wird – geht wohl besser ins Ohr. Breedlove legt im Original immer Wert darauf auf die notwendige Abschreckung Russland hinzuweisen (Minute 09:30 der Rede).
Pikanterweise ist hier anzumerken, dass dieses Zitat aus der gleichen Rede stammt, auf die sich auch der Cicero-Artikel bezieht. Ich persönlich finde „Kaliningrad notfalls überrennen“ den stärkeren Tobak, aber anyway, die deutsch-sprachige Medienlandschaft hielt es wohl für sinnvoll grundsätzlich darüber hinweg zu gehen, und ganz ähnlich verhielt es sich im englisch-sprachigen Raum (außer RT international & RT deutsch kein Hit auf den ersten 3 Seiten bei Google). Vielleicht könnte man diese Aussage als aggressiv missverstehen…
Quelle 1: RT deutsch (verkürzt), 26.02.2016
Quelle 2: Dividshub, 25.02.2016 (lang)
26. Februar 2016 – NATO can’t fight Russians in Europe, says leading US Think Tank / Die NATO kann Russland nicht bekämpfen, sagt ein führender US – Think Tank
Während der SACEUR Breedlove laut die unmittelbare Notwendigkeit und das „US-Willing and Able“ in die Welt trägt, treibt führende Mitglieder des Atlantic Council gleichzeitig die Sorge – Diese Sorge, und zu ergreifende Maßnahmen, fasst sie in einem Report zusammen: Alliance at Risk: Strengthening European Defense in an Age of Turbulence and Competition“, zu deutsch Allianz (NATO) im Risiko: Stärkung der Europäischen Verteidigung im Zeitalter von Turbulenz und Wettbewerb.
Die Ankündigung zur Veröffentlichung erfolgte einen Tag vor General Breedloves Rede. Am 25. Februar 2016 warnen die Autoren gegenüber der Financial Times vor einem „Lack of progress“ (Mangel an Fortschritt) in den (osteuropäischen) NATO-Erweiterungsplänen. Gründe seien „Chronische Unterfinanzierung“ und „kritische Defizite“ der Mitgliedsstaaten, auch Deutschland wird dabei explizit hervorgehoben.
Quelle 1: Financial Times (engl.), 26.02.2016
Quelle 2: Atlantic Council (engl.), 01.03.2016
Quelle 3: ETH Zürich, Download Report „Alliance at Risk“ (engl.)
Also auch das Atlantic Council treibt die (besorgte) Frage um „Wer soll das bezahlen?“
Was weder dort, in der Berliner Zeitung, noch den anderen 24 deutschsprachigen u.a. internationalen Veröffentlichungen (Stand 31.3. 02:00 Uhr) stand, las man eine Woche nach Breedlove’s Rede im Cicero.
Auflösung: 3,4 Milliarden Dollar für den Schutz des Baltikums
„Im betreffenden US-Ausschuss ging es formal um das Budget für die European Reassurance Initiative der Nato, die die Kapazitäten der Nato im Baltikum stärkt. Nach den Planungen sollen sich die US-Mittel 2017 auf 3,4 Milliarden Dollar belaufen und damit vervierfachen.“ (Hierbei geht es allerdings NUR um Mittel für die Ost Europa „Initiative“).
Quelle: Cicero, 04.03.2016
Am Ende schließt die Autorin Petra Erler mit dem schönen Satz: „Wie wohl eine Anhörung des Generals im Deutschen Bundestag ablaufen würde? Was wohl die Bundesregierung von alledem hält? Ist der Frieden schon verloren im hybriden Krieg? Breedlove ist schließlich nicht irgendwer. Aber da ist nur Schweigen.“
Nun wissen also alle, wer alles bezahlen soll/wird. Die US-Amerikanischen SteuerzahlerInnen, gute alte Regel: Follow the money.
Zur teilweisen Ehrenrettung von diplomatischen Versuchen – Englischsprachige Politikanalysten beobachteten die gesamte Entwicklung des letzten Jahres sehr aufmerksam. Glenn Greenwald, Wesley Clark u.a. gaben immer wieder zu bedenken, dass die USA als Oberbefehlshaber der NATO, die Europäer mehrfach (vergeblich) aufgefordert haben sich endlich in Osteuropa „zu engagieren“. Da das „alte Europa“, inkl. Deutschland, sich aber partout nicht engagieren wollte, hat der Welt-Sheriff nun beschlossen das „Ding“ alleine anzugehen.
Breedlove singt das Lied der Falken wie auch hier befreundete Journalisten, Militärs und Politiker. So gerät man unter Zugzwang, wenn nun die USA ganz allein die Europäische Verteidigung bezahlen „müssen“. 8 Mrd. bis 2019 sind eben ein Witz, wenn der hilfsbereite Oberkommandeur den bedrohten, klammen Drittreichen mit dreieinhalb Mrd. selbstlos zur Seite springt. Man könnte es auch einfach Investition in Wachstumspotential nennen.
Hier bietet sich spaßeshalber mal an sich die Biographie des Europäischen NATO-Pressesprechers, aka General-Sekretär Jens Stoltenberg durchzulesen. Dort heisst es z.B., Zitat: „While Mr Stoltenberg was Prime Minister, Norway’s defence spending increased steadily, with the result that Norway is today one of the Allies with the highest per capita defence expenditure.“ – Zu deutsch: „Während seiner Zeit als Premierminister, stiegen die Verteidigungsausgaben stetig an, mit dem Ergebnis, dass Norwegen heute einer der (NATO) Alliierten mit dem höchsten Verteidigungsetat pro Kopf ist.“ Das ist doch mal eine Referenz. Ich glaube in Deutschland gibt es eine Frau mit sieben Kindern, die ähnlich enthusiastisch an dieser Referenz arbeitet.
Quelle: NATO
Dafür ist eine totale Dämonisierung Russlands das Mittel der Wahl, Fakten spielen im öffentlichen Diskurs eine immer untergeordnetere Rolle, Propaganda.
Die Taktik des Nicht-Engagements ist zwar weit entfernt von „Arsch in der Hose haben“-Strategie, aber vielleicht dämmert ja nun dem ein oder anderen Deutschen Entscheidungsträger, dass jemand ganz anderes, wie zitierte es Bittner, einen Krieg vom Zaun brechen möchte. Denn – kein Feind, keine Bedrohung (kein Krieg), kein Geld.
Fazit: Wenn hier nicht offiziell der Russe vor der Tür stehen würde, gäb’s aktuell keine 3,4 Milliarden und keine Vervierfachung der Einnahmen für die US-Amerikanische Rüstungsindustrie. Wenn hier nicht offiziell der Russe vor der Tür stehen würde, gibt’s auf dem europäischen Markt kein Wachstumspotential. Vom IS allein kann ‚man’ nicht leben.
[«*] Anmerkungen:
Diese Zeilen sind am Abend des 30.3.16 entstanden, nach dem die Meldung der Berliner Zeitung bei mir auftauchte. Ein paar Stunden Recherche ohne Anspruch auf Vollständigkeit, eher eine Nachdenkhinweisliste.
Dieser Beitrag ist am 1.4.2016 aktualisiert worden.
Anmerkung Jens Berger: Die geplante Entsendung einer Panzerbrigade nach Osteuropa Ende des nächsten Jahres könnte übrigens noch ein echtes Politikum werden, da der nicht gerade vollkommen aussichtslose Präsidentschaftskandidat Donald Trump bereits klar gesagt hat, dass er das Budget für derartige Stationierungen unter Vorbehalt stellen will. Ginge es nach Trump, würden die europäischen NATO-Mitglieder dann auch den „Schutz Osteuropas“ bezahlen müssen, der natürlich eher eine Provokation denn einen Schutz vor Russland darstellt. Deutschland ist – zumindest berichtet dies die US-Fachpresse – ohnehin gegen eine Stationierung und Polen, die baltischen Staaten, Rumänien und Bulgarien werden die US-Truppen sicher nicht aus eigener Tasche bezahlen können/wollen. Es könnte also durchaus sein, dass unter einem Präsidenten Trump die Stationierung so nicht stattfinden wird.
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=32627