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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Bildungsreform als Herrschaftsinstrument
Datum: 19. Mai 2008 um 9:50 Uhr
Rubrik: Hochschulen und Wissenschaft
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Kaum irgendwo wird derzeit soviel ‚Reform‘-Kraft entfaltet wie im deutschen Bildungssystem. An vielen Stellen wird reformiert, um- und neugestaltet. Die in großen Teilen hiergegen kontext-argumentativ wehrlose Linke sieht sich mit scheinbar zusammenhanglosen Versatzstücken technokratischer Modernisierung konfrontiert, die sie mit dem Ruf „Bildung ist keine Ware!“ oder mit der Forderung, mehr Arbeiterkinder sollten an die Hochschulen gelangen können, zu parieren versucht. Dabei bilden diese ‚Reformen‘ sehr wohl ein einheitliches Bild, wenn man sie aus materialistischer Perspektive betrachtet. Die linke Kritik verharrt überall dort, wo sie diese Perspektive negiert, gar zu oft in einer affirmativen Position, die nur das Bestehende verteidigt oder schützt.
Im Folgenden wird der Versuch unternommen, die Zusammenhänge zu verdeutlichen und einer neuen und weitergehenden Kritik den Boden zu bereiten. Hierzu wird zunächst der Bereich der höheren Bildung betrachtet und dann im Rahmen einer Gesamtperspektive auch der Primar- und Sekundarbereich.
Jens Wernicke hat uns diesen Beitrag zur Verfügung gestellt.
Die technokratische Hochschul(struktur)reform
Dominantes Zielmodell der gegenwärtigen Hochschulstrukturreform, das mit Stichworten wie Studiengebühren, Umstellung auf zweistufige Studiengänge (Bachelor und Master), Globalhaushalt, leistungsorientierte Mittelvergabe, Exzellenz-Initiative, Elite-Universitäten, Internationalisierung, Modularisierung, Stärkung der Leitungsorgane und leistungsorientierte Bezahlung für Wissenschaftlerinnen grob umrissen ist, ist die Vorstellung der Hochschule als marktgesteuertes Dienstleistungsunternehmen, das im Wesentlichen auf drei Eckpunkten beruht.
Implementation marktförmiger Wettbewerbsmechanismen
Die Hochschulstrukturrefom zielt erstens auf die Durchsetzung marktförmiger Wettbewerbsmechanismen als neuen Steuerungsinstrumenten (zu deren Wirkungen und Kritik vgl. Hoffacker 2003) innerhalb der Hochschulen sowie auch im Verhältnis zwischen diesen und dem Staat ab.
Zielvorstellung dieser Umstrukturierungs- und Implementationsmaßnahmen, wie sie unter anderem das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) (vgl. Bennhold 2002) entwirft, ist dabei stets „das Dienstleistungsunternehmen Hochschule, das sich in Konkurrenz mit anderen Anbietern auf einemWissensmarkt zu behaupten hat, indem es dort die von ihm angebotenen Produkte und Dienstleistungen – Ausbildung von Studierenden und wissenschaftli-chem Nachwuchs sowie Erzeugung verwertbarer Forschungsergebnisse – an kaufkräftige Nachfragerinnen und Nachfrager, […] absetzt“ (Keller 2005a: 5).
Dies verdeutlicht sich, wenn man sich die üblichen Schritte der Implementation dieser Mechanismen ansieht:
Die Lehr- und Forschungsleistungen werden evaluiert und somit vergleichbar gemacht. Dies gilt „unabhängig davon, ob die gewonnenen Daten tatsächlich zutreffende Informationen über die Qualität der Hochschulleistungen vermitteln“ (ebd.).
Erfolgs- respektive leistungsorientierte Mittelvergabe sorgt für einen Ansporn, systemkonforme Leistungssteige-rungen zu erreichen, indem Erfolge und Misserfolge in finanzielle Anreize oder Sanktionen umgemünzt werden. So werden Hochschulen untereinander, aber auch hochschulinterne Untergliederungen (Fakultäten, Lehrstühle) in ein direktes Konkurrenzverhältnis um Ressourcen gesetzt.
Mittels Studiengebühren werden Studierende zu zahlenden Kundinnen und Kunden ihrer Hochschulen transformiert. Auch hier wird erwartet, dass die „Hochschulen bzw. deren Untergliederungen um die Kaufkraft der studentischen Kundinnen und Kunden konkurrieren“ (ebd.: 6). Zudem sollen Studierende auch dadurch zur Einführung marktförmiger Wettbewerbsmechanismen beitragen, dass sie selbst die künftige ‚Rendite‘ ihrer Bildungsinvestitionen schärfer kalkulieren.
Umstrukturierung der inneren Verfassung der Hochschulen
Als Pendant zur Stärkung dieser Art ‚Finanzautonomie‘ der Hochschulen findet zeitgleich eine „Umstrukturierung der inneren Verfassung der Hochschulen nach dem Vorbild einer Unternehmensverfassung“ (ebd.) statt. Die Neubestimmung der inneren Organisation der Hochschulen orientiert sich dabei an jener der Unternehmens-organe Vorstand und Aufsichtsrat in einer Kapitalgesellschaft. Insofern geht es mittelfristig nicht etwa nur um eine institutionelle Ausdifferenzierung von Grundsatzentscheidungen und Kontrollfunktionen, sondern um „eine Reduktion von Senat und Fachbereichsrat auf bloße Aufsichts- und Beratungsfunktionen“ (ebd.) zugunsten einer Übertragung aller Entscheidungsbefugnisse an die hochschulischen Leitungsorgane – eine Maßnahme, die sich nicht nur gegen die Mitbestimmung an den Hochschulen, „sondern gegen die im Status der Hochschulen als Körperschaften des öffentlichen Rechts verankerte Selbstverwaltung selbst“ (ebd.: 7) richtet und in der Folge auch eine Entmachtung der bisher privilegierten Gruppe der Professorinnen und Professoren „zugunsten eines verselbstständigten Hochschulmanagements“ (ebd.) bedeutet.
Gesellschaftliche Legitimation durch Dritte
Perspektivisch soll dabei ein aus Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik bestehender Hochschulrat die Funktion des Aufsichtsrates des Unternehmens Hochschule übernehmen. Eine erste Studie der Universität Duisburg-Essen zur tatsächlichen Rekrutierung solcher Gremien liefert jedoch ein anderes Bild: Tatsächlich erobern vor allem Manager und also Technokraten derzeit die „Kontrolle an den Unis“ (Gillmann 2007) für sich, und es ist bereits abzusehen, „dass die Abhängigkeit einer Universität von ihren [nicht-staatlichen] Finanzierungsquellen einen deutlichen Einfluss darauf hat, wie ihr Hochschulrat zusammengesetzt ist“ (Uni Duisburg-Essen 2007).
Üblicherweise machen die privaten Träger mittels dieser von US-amerikanischen Privathochschulen bekannten Räte ihren Anspruch auf Kontrolle und Steuerung der von ihnen finanzierten Einrichtung geltend. „Ein von Dritten bestelltes Aufsichtsorgan passt jedoch nicht zu einem staatlichen Hochschulsystem, in welchem eben nicht Private, sondern der demokratisch legitimierte Staat Hochschulträger und -finanzier ist. Der Einrichtung von Hochschulräten liegt letztlich ein hochschulverfassungsrechtlicher Paradigmenwechsel zugrunde, der die zentrale Legitimationsinstanz für die Hochschulentwicklung weder beim Staat noch bei der hochschulischen Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden, sondern bei Dritten ansiedelt. Dem öffentlichen Eigentum an den Hochschulen wird dieser Paradigmenwechsel nicht gerecht, da er letztlich auf eine institutionelle Privatisierung des Hochschulwesens“ (Keller 2005a: 6) hinausläuft.
‚Wissenschaftsfreiheit‘ und ‚Hochschulautonomie‘
In diesem Kontext hat sich auch das Verständnis der hochschulischen Autonomie diametral gewandelt: „Während [diese] […] ursprünglich im Sinne eines institutionellen Pendants zum individuellen Grundrecht der Wissen-schaftsfreiheit als konsequente Weiterentwicklung der akademischen Selbstverwaltung verstanden wurde, erscheint die Forderung nach Globalhaushalt und Finanzautonomie im 21. Jahrhundert [nur noch] als Konsequenz der geforderten Marktpositionierung des Unternehmens Hochschule“ (Keller 2005b: 251).
Während Hochschulautonomie also einst die Forderung bezeichnete, der Staat möge die Hochschulen zwar aushalten und ihren Betrieb gewährleisten, sich aus ihrer inneren Organisation jedoch heraushalten und diese einer demokratischen Selbstbestimmung der in ihr agierenden Statusgruppen überlassen, bedeutet diese heute vor allem die Aufgabe staatlicher zugunsten marktförmiger Steuerung, welche zudem auch Marktversagen im Sinne eines Scheiterns am Markt und also ein Ende des staatlich garantierten Globalschutzes wissenschaftlicher Institutionen im Sinne einer sicher gewährleisteten (Unter) Finanzierung impliziert:
„Bei genauer Betrachtung entpuppt sich […] die umfassende Wirtschafts- und Finanzautonomie der Hochschulen [des 21. Jahrhunderts] im Kontext des Modells Unternehmen Uni [somit] als spezifische Form der Fremdsteuerung der Hochschulen: als Heteronomie“ (ebd.: 251 f.).
Diese berührt deswegen auch die Wissenschaftsfreiheit selbst, weil ob der Einzug haltenden Marktsteuerung an den Hochschulen nun auch der einzelne Wissenschaftler und die einzelne Wissenschaftlerin institutionell dem unmittelbaren – statt wie bisher meist mittelbaren – Diktat der Nachfrageorientierung unterworfen werden wird: Diesem nicht gerecht zu werden, stellt ein institutionell organisiertes ‚Leistungsversagen‘ und also ‚schlechte Wissenschaft‘ im Sinne der nun neu implementierten Regeln des wissenschaftlichen Feldes dar – und läuft insofern auf die institutionalisierte Aufgabe der bisher zumindest potentiell vorhandenen Kritikfähigkeit der Wissenschaft gegenüber Herrschaft und dieser rechtfertigender Ökonomie hinaus. Kritik wird perspektivisch nur noch innerhalb von Marktregeln – also wo sie nachgefragt wird – oder aber ausschließlich innerhalb der individuellen Freizeit des alsbald vollumfänglich ökonomisch agierenden wissenschaftlichen Subjektes, also neben der institutionellen Arbeit, möglich sein.
Insofern stellt die derzeitige Entwicklung nicht etwa, wie bspw. Alex Demirovic (2004) argumentiert, eine „Zerstörung wissenschaftlicher Rationalität“, sondern lediglich deren finale Indienstnahme durch die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft respektive die in ihr materiell Herr-schenden dar: In Zeiten andauernder herrschafts-gefährdend-systemischer Krise, die ab etwa Mitte der 1970er Jahre wegen rapide sinkender Profitrealisierungs-optionen hintergründig stets schwelte und nun zunehmend deutlich wird, erfolgt als Antwort auf diese die „reelle Subsumtion [auch und insbesondere] der Wissenschaft unter das Kapital“ (Keller 2000: 117) und somit unter die Gesetze des Marktes, wie sie in den USA seit ehedem stattgefunden hat. Die wissenschaftliche Rationalität bleibt hierbei an sich zwar gewahrt, wird jedoch endgültig äußeren Zwecken untergeordnet und somit vollumfänglich instrumentalisiert (vgl. Horkheimer 2007).
Bildungs-‚Reformen‘: Vermarktlichung, Konkurrenz und Herrschaftslegitimation bei wachsender sozialer Ungleichheit
Auch wenn die soziostrukturellen Wirkungen der Umsetzung dieser Subsumtion noch nicht in Gänze absehbar sind, ist deren Gesamttendenz doch bereits offenbar. Unter der als Zielvorgabe formulierten Marktöffnung staatlicher Bildungsdienstleistungen ab der Sekundarstufe II (vgl. Lohmann/Rilling 2002) sowie vor dem Hintergrund inzwischen hegemonialer Konzepte für die zukünftige Verfasstheit des Systems der Bildungsfinanzie-rung (vgl. Schaubild 1), zeichnet sich diese deutlich ab.
So sorgen bspw. Studiengebühren (die letztlich das Tauschverhältnis von kulturellem und ökonomischem Kapital zugunsten der ökonomisch Herrschenden verschieben), Globalhaushalte, Modularisierung, leistungsorientierte Mittelvergabe und Besoldung sowie eine Stärkung der hochschulischen Leitungsorgane für die finale Verwarenförmigung von ‚Bildung‘ und/oder Ausbreitung betriebswirtschaftlicher Steuerungsmechanismen und Organisationsformen im staatlich organisierten Hochschulbereich. Und korrelieren die Vorstellungen von Bachelor und Master, Internationalisierung und Europäischem Bildungsraum nicht nur mit Marktvorstellungen (vgl. Masschelein/Simons 2005, Krautz 2007: 143 ff.), sondern, in der Realisierungspraxis der zweistufigen Studiengänge, welche für die Mehrheit der Studierenden ein Studienende nach dem ersten Abschluss vorsieht (vgl. KMK 2003), überdies mit der Möglichkeit, knapper werdende staatliche Mittel – diese Prämisse ist bildungsökonomisch gesetzt – in Form von Bildungskürzungen für die Mehrheit derselben zu kompensieren, während eine wahrscheinlich stärker als bisher sozial, weil ‚leistungs‘-selektierte Minderheit von Masterstudieren-den, Promovierenden etc. hiervon verschont bleiben wird.
Und den durchsetzungsstarken Interessen nach sozialer Reproduktion der Privilegiertesten unter diesen (vgl. Hartmann 2004) spielen schließlich die das Hochschulwesen nach dem Misserfolg entsprechender Versuche in den 1950er und 1960er Jahren nun doch vertikal differenzierenden Praxen von Exzellenz- bzw. Elite-Universitäten als notwendige Eingangstore zur ‚Zwei-Klassen-Universität‘ (Hartmann, zitiert nach Echo Online 2007) in die Hände – eine Perspektive, die geradezu dazu verleitet, die Verstärkung des Wettbewerbs im Hochschulwesen als mutwillige „Verschleierung des [eigentlichen] Kernproblems“ (ebd.) desselben auf Kosten der Lebenschancen und -bedingungen von Mehrheiten – zu denen neben Studierenden und Mittelbau sehr wohl auch, zumindest in ihrer Breite, die Lehrenden gehören – anzusehen.
Schaubild 1: System der Bildungsfinanzierung, zukünftige Verfassung
(nach Schöller 2006: 307)
‚Die Zukunft des Bildungssystems‘
Aus dieser Analyse-Perspektive ist Bultmann und Schöller (2003) und ihrer Arbeit ‚Die Zukunft des Bildungssys-tems: Lernen auf Abruf – eigenverantwortlich und lebenslänglich!‘ zuzustimmen, die die aktuell zu beobachtende Konzentration bildungspolitischer Bemühungen auf den Vor- und Primärschulbereich bei zeitgleichem Aus- und Aufbau von Selektionsmechanismen im Bereich höherer Bildung (vgl. Wernicke 2006b) vor allem als marktkonforme und die Reproduktions-interessen vor allem der ökonomisch Herrschenden wahrende „Modernisierung von Auslese-me-cha-nis-men“ (Bultmann/Schöller 2003: 14) begreifen: ‚Unten‘ werden Bildungshürden abgebaut, ‚oben‘ kommen, ab dem Abitur, immer neue hinzu.
In der Konsequenz laufen, so die Interpretation von Bultmann und Schöller verkürzt, die stattfindenden und zu erwartenden Reformen dabei auf einen im Geiste der Humankapitaltheorie radikal erhöhten Lern- und Leistungsdruck für alle Bürgerinnen und Bürger bereits ab dem Kindergarten(-alter) hinaus.
Hinsichtlich der Studienabschlüsse bedeutet dies bei verschärfter Bildungskonkurrenz (mittels weiterhin forcierter formaler Öffnung der Hochschulen bei gleichzeitiger Senkung der staatlichen Zuwendungen für diese), dass deutlich mehr Studierende als bisher einen zu Teilen eigenfinanzierten Bachelor-Abschluss erwerben werden, dessen Wert somit rapide sinkt, während einen Mastertitel und ggf. die Promotion an Einrichtungen, deren legitimes kulturelles Kapital dank der Vertikaldifferenzierung des Systems nun bei weitem mehr als das anderer wert sein wird, nur noch die wenigsten Studierenden erreichen werden, die zudem in der Regel die ohnehin gesellschaftlich Privilegiertesten sein werden.
Insofern ist das Konglomerat der ‚Reform‘-Maßnahmen, denen aktuell das deutsche Bildungssystem unterworfen wird, als (erneute) gesamtgesellschaftliche Modernisierung im Sinne einer höheren Verfügungsnotwendigkeit über kulturelles Kapital im gesamten sozialen Raum, verbunden mit der Entwertung desselben im Schul- und Massenstudienbereich sowie der sukzessiven Aufwertung in ‚Elite‘-Einrichtungen und bei höheren Bildungstiteln anzusehen: Wer aus der sozialen Position seines Elternhauses nicht absteigen will, verhält sich zukünftig bereits ab dem Kindergarten als homo oeconomicus, bezahlt zudem für Abitur und Bachelor, erbringt dabei stets mehr Effizienz und Systemkonformität – und fällt schließlich mit hoher Wahrscheinlichkeit dennoch der Titelinflation und/oder Konkurrenz, die sich hintergründig mehr denn je auf der Basis ökonomischen Kapitals und kulturellen Erbes organisiert, zum Opfer, hat dieses ‚Versagen‘ jedoch als legitimes erlebt.
Die durch das derart umgestaltete Bildungssystem so weiterhin gewahrte „Verdopplung der kapitalistischen Hierarchie der Positionen […] [bleibt dabei auch und insbesondere in Zeiten zunehmender sozialer Ungleichheit zugleich] ihre stärkste Rechtfertigung: Sie stellt die Ränge und die Einkommen, welche die Gesellschaft bereithält, als Unterschiede des Wissens dar“ (Dozekal 2003: 18) und verleiht ihnen so den Anschein von Legitimität. Oder, und anders herum: „Je exklusiver und homogener eine nationale Elite, umso größer [auch] die Kluft zwischen Arm und Reich“ (Hartmann 2007: Einband); der Rückkehrschluss scheint nicht nur erlaubt, sondern angebracht zu sein.
Der stille Klassenkampf von oben
In den vergangenen Jahren ist es dem international vernetzten neoliberalen Diskursnetzwerk (vgl. u.a. Nollert 2005) gelungen, mit einem ganzen Konglomerat von Studien , Rankings , Pilotprojekten, Umfragen , Werbemaßnahmen etc. (vgl. u.a. Himpele 2006, Alidusti 2007: 207 ff.) auch „die bildungspolitischen Richtungs-entscheidungen […] immer stärker“ zu beeinflussen (Schöller 2006: 286) und einen neuen Bildungsfinanzie-rungsdiskurs zu initiieren (vgl. ebd.: 304), der in bereits erwähnten Zielformulierungen von ‚höherer Eigenbeteili-gung‘ bis hin zu ‚notwendiger Effizienzsteigerung‘ resultiert.
Eine Folge hiervon sind die aktuell stattfindenden – und von diesen Akteuren weiter forcierten, in Teilen sogar selbst evaluierten oder durchgeführten – Reformen. Sie zielen, wie Bourdieu konstatiert (vgl. Bourdieu 2001: 82 ff.), „auf eine Überwindung der modernen Ausdifferenzierung von je spezifischen Systemrationalitäten“ der sozialen Felder (Keller 2000: 322) nicht nur, aber auch im Bildungssystem und damit auch auf das Ende der seit Humboldt proklamierten relativen Autonomie des wissenschaftlichen Feldes – die ja eben definiert ist durch vor allem eigene Problemdefinitionen, eine eigene Sprache sowie feldspezifische Interessen.
Diese ‚Reformen’ zeitigen bereits erst Resultate: „Das nun in Eigenverantwortung der Hochschulen gemanagte Studienangebot wird in einem Maße uniformiert, wie es die rigideste Ministerialbürokratie vorher nicht vermocht hatte. Der Markt produziert nicht Buntheit und Vielfalt, sondern einen mediokren Einheitsbrei“ (Heinemann 2007). Kritische Positionen werden dabei mehr und mehr eliminiert . Diese ‚Leistungen‘ des ‚neoliberalen Projekts‘ (Christina Kaindl) verdeutlichen nicht nur, dass Wissenschaft abhängig von den Machtverhältnissen der Gesellschaft war und ist, in der sie sich organisiert und in der sie bisher bereits mittelbarer Zulieferer der mächtigsten Interessen war. Sie zeigen auch, dass die ökonomisch Mächtigen mittels Nachfrage, der die Struktur des Wissenschaftsbetriebs folgt, oder mittels Intervention in die Lage versetzt sind, zu bestimmen, was – in letztlich vollumfänglichem Sinne des Begriffes ‚Bildung‘ – wertvolles und also verwertbares Kulturkapital eigentlich ist: Wird die neoliberale Doxa nur kontinuierlich von Think Tanks, Medien und wissenschaftlich ausgebildeten Technokraten – die allesamt interessengeleitet sind und nicht -frei agieren – verbreitet und werden letztere zudem ständig medial als vermeintliche Experten (vgl. bspw. van Rossum 2004, Lobbycontrol 2006) mit hoher wissenschaftlicher Reputation und also gesellschaftlicher Anerkennung und Glaubwürdigkeit präsentiert, entscheiden schließlich außerwissenschaftliche Instanzen darüber, was ‚gute‘ weil ‚gefragte‘ und bewusst glaubwürdig gemachte Wissenschaft eigentlich ist.
Fußnoten:
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Dieser Beitrag erscheint in Heft 74 von Z Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Juni 2008. Das Heft hat den Themenschwerpunkt ‘Kritik der neoliberalen Bildungspolitik’.
www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=3230