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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Die Normierung von Sprachreisen – oder wie man mit dem deutschen Verbraucherschutz PR betreiben kann
Datum: 9. Mai 2008 um 13:35 Uhr
Rubrik: Lobbyismus und politische Korruption, PR, Verbraucherschutz
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Der Interessenverband der Anbieter von Sprachreisen und Verbraucherschützer entwickeln eine „Win-Win-Situation“. Auf der Strecke bleiben die Verbraucher und die Sprachschulen. Ein Bericht über Verstrickungen im deutschen Verbraucherschutz von Alexandru Sandbrand
Eine Sprachreise ist ein Sprachkurs an einer Schule im Ausland, bei dem die Landessprache trainiert werden soll. Die Sprachschulen organisieren dazu meist ein ergänzendes Freizeit- und Kulturprogramm und sie sorgen für die Unterkunft – oft bei Gastfamilien. Eine Sprachreise hat auch einen Urlaubsaspekt. Für eine solche Sprachreise brauchte man eigentlich, im Gegensatz zu einer begleiteten Studienreise, keine Agentur. So macht etwa das Internet den direkten Zugang zu den Sprachschulen weltweit möglich.
Der FDSV, der Verband deutscher Sprachreiseagenturen, versuchte auf diese veränderte Wettbewerbssituation zu reagieren und initiierte beim DIN, dem Deutschen Institut für Normung, die Norm 14804, mit dem Titel „Sprachreisen, das ist Norm in Europa“ und finanzierte dies laut Pressemitteilung mit fast 40.000 Euros, zusätzlich zu den Fördermitteln des Ministeriums für Verbraucherschutz und der EU. Autor der Norm ist Dr. Holger Mühlbauer, gelernter Maschinenschlosser und promovierter Jurist. Geleitet hat die Arbeitsgruppe Joachim Pitsch, Vorstandsmitglied des FDSV, Klaus Vetter (von Studiosus), Kristina Unverricht vom DIN und die Juristin Gabriele Francke, Geschäftsführerin der Verbraucherzentrale Berlin. Frau Francke war zu dem Zeitpunkt auch Mitglied im Beirat des Verbandes deutscher Sprachreiseagenturen und Mitglied im Kuratorium der Stiftung Warentest. In welcher dieser Funktionen sie zu dieser Norm beigetragen hat, ist nicht ganz klar. Alle an der Norm beteiligten waren Juristen, Betriebswirte und Marketingexperten. Vertreter von Sprachschulen, die die Sprachreisen organisieren und durchführen, waren nicht dabei.
Die Norm spricht fast ausschließlich von Agenturen und nicht von Schulen. Sie beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Problemkind Unterkunft, spricht dabei allerdings die wichtigsten Punkte nicht an und liest sich mehr wie eine Marketinganleitung für die Agenturen. Der Verbraucher hat wenig davon. So sagt die Norm z:B., dass die Agentur innerhalb der ersten fünf Tage die Zufriedenheit des Kunden bewerten und eventuelle Probleme lösen muss. Wie soll aber die Zufriedenheit geprüft werden, wenn der Kunde kein Handy hat? Wie erreicht man den Schüler, wenn er sich in einer völlig anderen Zeitzone wie Neuseeland oder Kalifornien befindet? Wie viele zusätzliche Mitarbeiter müsste die Agentur einstellen, wenn dies konsequent befolgt werden würde?
Ähnlich unrealistisch sind die Anforderungen an die Standards der Unterbringung, die schon für Italien oder Spanien realitätsfern sind. Was da gefordert wird, klingt alles schön für Laien, den Beteiligten müsste jedoch klar sein, dass das wenig mit dem Alltag einer Sprachreise zu tun hat. Die Norm wurde vom Verband und seinen Mitgliedern in Pressemitteilungen als Mindestanforderung beschrieben, die von ihnen schon lange erfüllt würden, sie sei ein Gewinn an Transparenz für den Kunden.
Transparenz wäre wirklich nötig, denn die meisten der beteiligten Agenturen nennen z.B. den Namen der Sprachschule erst nach der Buchung. Dieses wenig transparente Verhalten, das dem Kunden jegliche Vergleichsmöglichkeit nimmt, war leider kein Kriterium der Norm. Auch der Beirat des Verbandes der Sprachreiseagenturen, mit hochrangigen Verbraucherschützern besetzt, konnte diese Transparenz nicht einfordern. Die Situation ist also für den Verbraucher ungefähr so, wie wenn er eine Waschmaschine kaufte und erst nach der Bezahlung erfährt, welche Marke und welches Modell er geliefert bekommt. Das blieb jedoch von den Verbraucherschützern unbeanstandet.
Einige Monate später kommt eine weitere Pressemitteilung: die Sprachreiseagentur „Dialog“ in Freiburg wurde als erste nach der DIN Norm 14804 von der Zertifizierungsgesellschaft DIN Certo zertifiziert. Dazu ein Bild, auf dem der Abteilungsleiter bei DIN, Dr. Holger Mühlbauer, und der Geschäftsführer der Sprachreiseagentur „Dialog“ in Freiburg, Joachim Pitsch, sich lächelnd die Hände schütteln. Dieselben Herren, die diese Norm in anderen Funktionen aufgestellt haben! Da die Sprachschulen im Ausland sitzen und sich neben Deutschland um viele Märkte kümmern müssen und der Verbraucher in der Regel nur einmal im Leben eine Sprachreise bucht und sich in dieser Materie nicht auskennt, wurde offenbar kein großer Widerstand erwartet.
Es folgte eine Flut an Pressemeldungen, die Agenturen ließen sich zertifizieren, verschickten Pressemitteilungen und warben auf ihren Publikationen damit. Sieht man sich auf der Website von DIN Certo die Inhaber der Zertifikate nach der DIN Norm 14804 an, findet man ausschließlich Mitglieder des Verbandes für Sprachreiseagenturen, obwohl es knapp 300 Anbieter von Sprachreisen gibt, von denen nur gut 20 im Verband organisiert sind. Für die Zertifizierung wurden sie vor Ort von einer Verbraucherschützerin besucht.
Im Herbst 2007 kündigte dann die Stiftung Warentest ein Sonderheft zum Thema Sprachreisen an. Wir erinnern uns: Die Geschäftsführerin der Verbraucherzentrale Berlin, Frau Francke, sitzt im Beirat des Verbandes für Sprachreiseagenturen, hat aktiv zum Gelingen der Norm beigetragen und ist auch Mitglied des Kuratoriums der Stiftung Warentest. Das Kuratorium der Stiftung Warentest macht dem Vorstand Vorschläge, welche Dienstleistungen und Produkte getestet werden und wie diese Tests durchgeführt werden sollen. Das Testheft basiert nach eigenen Angaben auf der schon erwähnten DIN Norm 14804, die in Fachkreisen als Aufhänger für Pressemitteilungen und als Marketinganleitung angesehen wird. An der DIN-Norm haben nur Mitglieder des Verbandes mitgewirkt, Din Certo hat nur Mitglieder des Verbandes zertifiziert und auch beim Sonderheft der Stiftung Warentest werden, mit Ausnahme von zwei kleinen regionalen Anbietern, nur Agenturen, die Mitglied im Verband sind, getestet.
Dass die meisten Agenturen dem Kunden den Namen der Sprachschule erst nach der Buchung mitteilen und ihm keine Vergleichsmöglichkeit ermöglichen, wird kaum erwähnt. Auch sind viele Gastfamilien auf Malta als schlecht beurteilt worden. Das hätte aber normgemäß gar nicht sein dürfen. Denn laut DIN Norm 14804 hätten die Agenturen die Probleme doch innerhalb der ersten fünf Tage lösen müssen. Nahezu alle Agenturen des FDSV besitzen das Zertifikat.
Die Agenturen des FDSV lassen sich jetzt auf Ihren Internetseiten und sonstigen Publikationen und in einer Flut an Pressemitteilungen als Testsieger bei der Stiftung Warentest feiern. Das Qualitätssiegel der Stiftung Warentest ist genauso wie die DIN-Norm natürlich ein hervorragendes Verkaufsargument. Vom schlechten Abschneiden etwa bei der Familienunterbringung, dem Problemkind der Sprachreisen, wird kaum gesprochen. In einer Pressemitteilung der Stiftung Warentest vom März 2008 wird zwar erwähnt, dass der Kunde die Sprachreise auch direkt bei einer Schule buchen könne, dass er sich damit vielleicht ein wenig Geld spare, dafür aber viel Zeit und Organisationstalent brauche. Daraufhin habe ich einen Gegentest gestartet und bin zu verblüffenden Resultaten gekommen. Bei einer ganz normalen 4-wöchigen Sprachreise nach Malta für zwei Personen sparen sich Direktbucher 1200 Euro, das heißt, sie könnten zwei Wochen länger bleiben. Das war zwar der maximale Unterschied, den ich entdeckt habe, aber die Direktbuchung war ausnahmslos günstiger. Der Kontakt mit der jeweiligen Sprachschule war auf Deutsch und viel direkter, von Organisationstalent und viel Zeit kann keine Rede sein.
Warum die Stiftung Warentest all dies nicht sehen wollte oder konnte, kann man eigentlich nur mit der wunderbaren Freundschaft erklären, die seit der DIN-Norm zwischen Verbraucherschutz und FDSV entstanden ist. Eine echte Win-Win-Situation.
Übrigens: Die Testhefte der Stiftung Warentest werden mit hohen Beträgen aus deutschen Steuergeldern unterstützt. Als Gegenleistung wird eigentlich Unabhängigkeit erwartet.
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